Inschriftenkatalog: Stadt Hildesheim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 58: Stadt Hildesheim (2003)

Nr. 91† Dom 1350

Beschreibung

Glocke „Maria“. Die etwa 180 Zentner schwere Glocke hing im großen Domturm.1) Im Jahr 1688 ist sie geborsten.2) Inschrift A befand sich unter der Platte „auf dem langen Feld“, Inschrift B darunter. Inschrift C „auf dem Mittelfeld“.3)

Inschrift nach Kratz.

Schriftart(en): Gotische Majuskel (A), gotische Minuskel (B, C).4)

  1. A

    + ANNO · DOMINI M · CCC · L · IN · FESTOa) · OMNIVM · SANCTORVM5) · FVSVM · EST · HOC · OPVS · IN · HONOREM · BEATE · MARIE · VIRGINIS ·

  2. B

    + Ick · bin · Maria · genand · Mick · ghot · ein · mester · vt · sassenland ·

  3. C

    + Mester · Jan · van · halberstad · de · mi · wol · gemacket · had · God · gheve · siner · sele · rat · Ave · Maria6) ·

Übersetzung:

Im Jahr des Herrn 1350 am Fest Allerheiligen ist dieses Werk gegossen worden zu Ehren der seligen Jungfrau Maria. (A)

Gegrüßt seist du, Maria. (C)

Kommentar

Der in Inschrift C genannte Meister Jan van Halberstadt hat im Jahr 1340 auch für die Göttinger Johanniskirche eine Glocke gegossen.7) Auf der Göttinger Glocke ist die Datierung lateinisch, während die Künstlerinschrift genau wie auf der Hildesheimer Glocke in deutscher Sprache verfaßt ist. Hinsichtlich der verwendeten Schriftarten unterscheiden sich die beiden Glocken allerdings: Auf der Göttinger Glocke sind alle Inschriften in gotischer Majuskel ausgeführt. Hingegen hat der Gießer für die lateinische Datumsinschrift der Hildesheimer Maria „lateinische Großbuchstaben“, also wohl – da die Kapitalis in dieser Zeit auszuschließen ist – die gotische Majuskel verwendet, während die Selbstnennung der Glocke und die Künstlersignatur (B, C) „in gothischen Buchstaben“8) ausgeführt waren. Sofern die Angaben von Kratz zutreffen, sind diese Inschriften als früheste Beispiele für die Verwendung der gotischen Minuskel in Hildesheim anzusehen. Die Wahl dieses neuen Schrifttyps für Meisterinschriften in der Volkssprache läßt sich auch in anderen Inschriftenbeständen beobachten.9)

Für den Guß der Glocke erhielt Meister Jan van Halberstadt außer dem verabredeten Lohn noch eine jährliche Leibrente von 5 Mark, die er aber bereits am 10. November 1351 wieder verpfändete.10)

Jan van Halberstadt wird in der Forschung vielfach mit einem Gießer Jan mit dem Zunamen Apengeter gleichgesetzt.11) Grundlage dieser Identifizierung sind neben dem gleichen Vornamen zum einen die Übereinstimmungen im Wortlaut des Gießerspruchs ... De mi wol gemacket had. God gheve siner sele rat,12) zum anderen der sowohl von Jan van Halberstadt als auch von Jan Apengeter verwendete Verweis auf seine Herkunft aus Sachsen: mester vt sassenland. Der Name Jan Apengeter findet sich allerdings lediglich auf Leuchtern und Taufbecken, und zwar auf solchen Stücken, die deutlich vor 1350 im norddeutschen Raum entstanden sind. Hingegen ist der Meister Jan van Halberstadt inschriftlich nur auf Glocken bezeugt, die um die Mitte des Jahrhunderts im Raum Hildesheim – Göttingen gegossen worden sind. Diese zeitliche und räumliche Differenz der Werke erlaubt es nicht, mit letzter Sicherheit über die Identität beider Erzgießer zu entscheiden,13) zumal auch der Gießerspruch in ähnlicher Form von anderen Gießern verwendet worden ist.14)

Textkritischer Apparat

  1. FESTO] die Beiträge.

Anmerkungen

  1. Die Angaben über das Gewicht der Glocke schwanken zwischen 177 und 182 Zentnern, vgl. Kratz, Domglocken, S. 374.
  2. Beschreibung und Geschichte der Glocke nach Kratz, Domglocken, S. 373–382.
  3. Wahrscheinlich meint Kratz die Glockenflanke.
  4. Angaben der Schriftarten nach Kratz, Domglocken, S. 375.
  5. 1. November.
  6. Liturgischer Text nach Lc. 1,28.
  7. Vgl. DI 19 (Stadt Göttingen), Nr. 6.
  8. Wie Anm. 4.
  9. Renate Neumüllers-Klauser hat die Zusammenhänge von Meisterinschriften, früher Verwendung der Volkssprache und dem Aufkommen der gotischen Minuskel an reichhaltigem Beispielmaterial nachgewiesen, vgl. dies.: Schrift und Sprache in Bau- und Künstlerinschriften. In: Deutsche Inschriften, S. 62–81, hier S. 70 u. 75.
  10. Vgl. Mithoff, Kunstdenkmale, S. 115, Anm. 5 und Kratz, Domglocken S. 374f., Anm. 1.
  11. Vgl. Neue Deutsche Biographie, hg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Bd. 10 (1974), S. 331 s. v. ‚Jan‘.
  12. Die Künstlerinschrift am siebenarmigen Leuchter in Kolberg (1327) lautet ähnlich wie Inschrift C auf der Hildesheimer Glocke: De dessen luchter ghemaket hat / Johes apenghetere / god gheve zyner sele raat Amen. Die Inschrift auf dem Taufkessel von 1337 in der Lübecker Marienkirche lautet: HANS APENGETER WAS HE GENANT / UND WAS GEBORN VAN SASSENLANT. Die Inschriften werden zitiert nach Albert Mundt: Die Erztaufen Norddeutschlands von der Mitte des 13. bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts. Leipzig 1908 (Kunstwissenschaftliche Studien 3), S. 79.
  13. Mithoff vermutet weiterhin, daß Jan van Halberstadt identisch ist mit dem Magister Johannes, der 1315 eine Glocke für die Moritzkirche in Halberstadt gegossen hat (Mithoff, Künstler, S. 166).
  14. Vgl. z. B. die Künstlerinschrift des Gießers Henning Regner aus Hannover vom Jahr 1427 auf der Einbecker Bronzetaufe: got gheue de(n) sele(n) rat / de dit ghem(a)k(e)t h(a)t / regner(us) hen(n)y(n)g(us), vgl. DI 42 (Einbeck), Nr. 10.

Nachweise

  1. Kratz, Domglocken, S. 375.
  2. Mithoff, Kunstdenkmale, S. 115.
  3. Beiträge zur Hildesheimischen Geschichte 2, S. 57f.
  4. Slg. Rieckenberg, S. 501.

Zitierhinweis:
DI 58, Stadt Hildesheim, Nr. 91† (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di058g010k0009102.