Inschriftenkatalog: Stadt Hildesheim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 58: Stadt Hildesheim (2003)

Nr. 89† Heilig Kreuz 1345, 16. Jh.?

Beschreibung

Grabplatte für Lippold von Stöckheim (Stockem). Die Platte lag nach Kratz, der sich auf eine ältere Überlieferung bezieht, früher im Eingang der Kirche1) und ist wohl spätestens beim Umbau der Westfront und des nördlichen Seitenschiffes2) entfernt worden. Für Lippold von Stöckheim ist in HS C 1037 unmittelbar im Anschluß an die Prosagrabschrift noch ein Epitaph (B) überliefert, über dessen Ausführung und Anbringungsort nichts mitgeteilt wird. Wenn es überhaupt inschriftlich ausgeführt war, dürfte es erst in späterer Zeit entstanden sein, da Grabgedichte dieser Länge und Form im Hildesheimer Inschriftenbestand im 14. Jahrhundert sonst nicht nachweisbar sind.

Inschrift A nach DBHi, HS C 28, Nota 44; B nach DBHi, HS C 1037.

  1. A

    ANNO · D(OMI)NI · M · CCC · XLV · IN · PROFESTO · BEATE · AGATHE3) · OBIIT · LIPPOLDVS · DE · STOCKEM · SACERDOS · CANONICVS · ECCLESIE · BEATE · MARIE · IN · HILDENSEM · QVI · IN · VITA · SVA · MVLTIS · FVLSIT · MIRACVLIS · ET · CAVSA · DEVOTIONIS · HVIVS · ECCLESIE · HIC · IN · TRANSITU · SVO · CORPORI · ELEGIT · SEPVLTVRAM ·

  2. B

    Lippoldus mundum Spernens terrena triumphans in coelo fundum vidit pro quo prediuma) dans Comparat aedificat cum pauperibus quasi prudens Servus fabrificat coelo palacia cudens 5horrea nempe famis valide Sub tempore fregit ut sit et his panis quos aedificare coegit Collocat ad mensas lapsos ac deficientes porrigit impensas escas cibat esurientes prospicit ut veniant plures qui prandia mandant 10atque Struem Subeant qua Secum coelica Scandant ergo vagabundos tollit potat Sitibundos Suscipit immundos nudos vestit gemebundos mendicant aliqui pro mna Sua blada petentes his dat ne reliqui Sint escis deficientes 15dans quia gaudenter Sua multiplicata frequenter vidit frumenta cum deficiunt alimenta archis cunctorum sic extollendo decorum presbyteri nomen ornat dum pauperis omen vendicat in coelis ubi struxit verna fidelis 20id quo laetatur et in aede Sua gratulatur Vir cunctis gratus de Stockem germine natus multum dulcis homo conclusus lare Sub humo

Übersetzung:

Im Jahr des Herrn 1345 am Tag vor dem Fest der heiligen Agathe starb der Priester Lippold von Stöckheim, Kanoniker der Kirche der heiligen Maria in Hildesheim, der in seinem Leben durch viele wunderbare Taten erstrahlte und aus frommer Bindung an diese Kirche hier im Durchgang das Grab für seinen Leib erwählt hat. (A)

Lippold, der die Welt verachtete und über das Irdische triumphierte, sah im Himmel ein Grundstück, für dessen Erwerb er sein Vermögen hingab und auf dem er gemeinsam mit den Armen gleichsam als kluger Knecht wirkend Paläste errichtete. (5) Denn er öffnete in der Zeit schwerer Hungersnot die Speicher, damit auch diejenigen Brot hätten, die er zum Bauen gezwungen hatte. Er setzte die Gefallenen und Schwachen an die Tische, er reichte ihnen reichliche Speisen und speiste die Hungernden. Er sorgte dafür, daß mehr hinzukamen, die die Mahlzeiten aßen und das Gerüst betraten, (10) über das sie mit ihm zum Himmel aufstiegen. Also griff er die Umherirrenden auf, tränkte die Durstigen, nahm die Verwahrlosten bei sich auf, kleidete die jammernden Nackten. Manche kamen bettelnd zu ihm und wollten für ein wenig Geld Korn von ihm kaufen. (15) Denen gab er, damit sie nicht übrigbleiben und Mangel an Nahrung litten. Da er mit Freuden gab, sah er, daß seine Getreidevorräte stetig zunahmen, während in den Lagern aller die Nahrung knapp wurde. So erhöht und ziert er den ehrenhaften Namen des Priesters, während er für des Armen Los im Himmel eintritt, wo sich der treue Knecht das erbaute, (20) dessen er sich nun freuen und zu dem er sich als seiner Wohnung beglückwünschen kann. Dieser bei allen beliebte Mann aus dem Geschlecht von Stöckheim, ein überaus liebenswürdiger Mensch, liegt hier in seiner [irdischen] Wohnung unter der Erde. (B)

Versmaß: Hexameter (B), in den ersten 14 Versen jeweils zwei Verse zäsur- und endgereimt, die Verse 11 und 12 außerdem leoninisch gereimt, ab Vers 15 zweisilbig leoninisch gereimt.

Kommentar

Lippold von Stöckheim ist seit 1289 als Domkanoniker in Hildesheim nachzuweisen. In den Jahren 1307/08 und 1317 bis 1326 wird er als Archidiakon in Bockenem und von 1311 bis 1334 als Archidiakon in Goslar in den Urkunden genannt.4) Ob er ein Amt an Heilig Kreuz innehatte, ließ sich nicht ermitteln; zumindest gehörte die Familie von Stöckheim zu den adeligen Familien, aus denen Pröpste für das Heilig-Kreuz-Stift kamen.5)

Inschrift B, die sich wegen des extremen Reimzwangs sprachlich nicht frei entfalten kann und an manchen Stellen undeutlich bleibt, wird von der Vorstellung bestimmt, daß derjenige, der die Armen unterstützt, sich einen Schatz im Himmel erwirbt (vgl. Mt. 19,21 Da pauperibus et habetis thesaurum in coelo) bzw. im Himmel eine prächtige Wohnung (palacia) für sich baut. Dadurch können die beschenkten Armen als aktive Helfer bei dieser Bautätigkeit betrachtet werden. Die zweimalige Bezeichnung Lippolds als „kluger“ bzw. „getreuer“ Knecht stammt aus Mt. 24,45 quis putas est fidelis servus et prudens quem constituit dominus suus supra familiam suam, ut det illis cibum in tempore. Zu fames valida vgl. Lc. 15,14.

Textkritischer Apparat

  1. predium] principium HS C 1037.

Anmerkungen

  1. Lage der Grabplatte nach Kratz in DBHi, HS C 28, Nota 44, S. 11.
  2. Kratz (ebd.) meint wahrscheinlich die Barockisierung der Westfassade, die im Jahr 1713 beendet wurde, vgl. Zink, Baugeschichte Heilig-Kreuz, S. 120.
  3. 4. Februar.
  4. UB Hochstift 3, Register, S. 869 (canonicus maior); ebd., Register, S. 828 (Archidiakon in Bockenem); UB Hochstift 4, Register, S. 858 (Archidiakon in Bockenem), S. 877 (Archidiakon in Goslar).
  5. Vgl. Asch, Kreuzstift, S. 18, Anm. 46.

Nachweise

  1. DBHi, HS C 28, Nota 44, S. 11 (nur A).
  2. DBHi, HS C 1037, o. S. (A, B).

Zitierhinweis:
DI 58, Stadt Hildesheim, Nr. 89† (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di058g010k0008905.