Inschriftenkatalog: Stadt Hildesheim
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 58: Stadt Hildesheim (2003)
Nr. 80 Dom-Museum 1312 o. später
Beschreibung
Bodenplatte eines Kopfreliquiars des heiligen Silvester.1) Kupfer, vergoldet, modern montiert auf eine Kupfer- und eine Holzplatte. Die unregelmäßig ovale Bodenplatte wird getrennt vom Reliquiar aufbewahrt. Platte und Reliquiar stammen – wie die Erwähnung des Abts Heinrich in der Inschrift nahelegt (vgl. Kommentar) – aus St. Michaelis. Das Innenfeld der Bodenplatte ist von einer geritzten Linie umgeben. Die Inschriften A–C sind in der oberen Hälfte des Innenfeldes in zwölf jeweils oben und unten von einer Linie begrenzten Zeilen ausgeführt. Die letzte Zeile ist nur im letzten Viertel gefüllt. Ab Zeile 6 ist rechts etwa ein Sechstel der Platte abgebrochen. Im Rahmen einer Restaurierung wurde dem Original eine Kupferplatte hinterlegt, die die ursprüngliche Größe rekonstruiert. Der ergänzte Teil ist vergoldet, die Linien sind geritzt, die fehlenden Teile der Inschrift aber nicht nachgetragen. Einzelne Buchstaben sind durch Nagellöcher beschädigt. Die Buchstaben sind in Konturschrift graviert. Als Zeilenfüller dienen Wellenlinien, als Worttrenner Hochpunkte und Sternchen. Im Bereich der Stiftungsinschrift B markieren die Sternchen den Beginn eines Verses. Am unteren Rand der Platte ist die aus der Inschrift D bestehende Marke (M1) angebracht.
Maße: H.: 14,6 cm; B.: 28,5 cm; Bu.: 0,45 cm.
Schriftart(en): Gotische Majuskel.
- A
·+ DE · C[A]PITE · S(AN)C(T)I · SIL/·VESTRI · DE · LIGNO D(OMI)NI · DE VESTIB(VS) · D(OMI)NI · DE · / SEPVLC(R)Oa) · D(OMI)NI · DE · SINDONE · (ET)b) BA(N)LI·ACIOc) Q(VO) · VVLNERAd) EI(VS) / TERGEBANT(VR) · DE VESTIB(VS) · B(EA)T·E MARIE · IOHA(N)NIS · BAPT(ISTE) PET(R)Ie) / A(N)DREE · IAEOBIf) · BAR·TOLOMEI · MATHIE · AP(OSTO)LOR(VM) · LVEEg) · EWA(NGELISTE) · SIXTI / EP(ISCOP)I COSME (ET)b) DAMIANI · T(ER)NI REGIS2) · GEREONIS · EXVPERII · FELICIS · PIATI H[.]/NOPATIh) · G(RE)GORII · LAVRENCII · GORGONII · FLORIANI · CHR(IST)OFORIi) · PELAGII · MINIATISj) · DE [.....]/ENTIB(VS) AD(R)IANIk) · IPOLITI · ERMETIS · MARTI(RVM)l) MARTINI · GODEHARDI · BERWADI · NIC[.........]/CIm) · VALERII · LAZARI · DASME LAT(R)ONISn) MACHARII CO(N)FESSOR(VM) · MARIE · MAGD(ALENE) · MARGA[RETE ...] / AGNETIS · XI · MILIV(M)o) V(IRGINVM) MARIE SOLITARIE3) · SABINE · CHR(IST)INEp) V(IR)G(INVM)q) (ET)b) VIDVAR(VM) ·
- B
· ABBAS · BIS [........] / HE(N)RIC(VS)Q(VE)r) Q(V)IN(VS)s) · Q(VI)NTO · MILENO · T(ER) EE(N)TENOt) · DVO DENO · HOC · (COM)P(AR)AVIT · GE(M)MISQ(VE) [C]AP[..........]u)
- C
· HE(N)RICVS · APSOLLO[..........]
- D
C
Übersetzung:
[Reliquien] vom Kopf des heiligen Silvester, vom Kreuzholz des Herrn, von den Kleidern des Herrn, vom Grab des Herrn, vom Grabtuch und von der Binde(?), mit denen seine Wunden gereinigt wurden; von den Kleidern der heiligen Maria, Johannes des Täufers, der Apostel Petrus, Andreas, Jakobus, Bartholomäus, Matthias, des Evangelisten Lukas, des Bischofs Sixtus, des Cosmas und des Damian, [...], der Märtyrer Gereon, Exuperius, Felix, Piatus, des Honoratus(?), Gregor, Laurentius, Gorgonius, Florian, Christophorus, Pelagius, Minias, von [...] der Märtyrer Adrian, Hippolytus und Hermes, der Bekenner Martin, Godehard, Bernward, [...], Valerius, Lazarus, des Schächers Dismas, des Bekenners Macharius, der Maria Magdalena, der Jungfrauen und Witwen Margareta [...], Agnes, der Elftausend Jungfrauen, der Eremitin Maria, der Sabina und Christina. (A)
Der [...] Abt [...] Heinrich [...] hat [...] diesen [Kopf] tausend dreihundert zwölf erworben und mit Edelsteinen [geschmückt]. (B)
Versmaß: Drei Hexameter, der zweite zweisilbig leoninisch gereimt (B).
Textkritischer Apparat
- O kleiner und über C gestellt.
- Tironisches ET.
- BA(N)LI·ACIO] Wohl statt BANDACIONE. In St. Michaelis waren im Mittelstück des Heinrichreliquiars (Nr. 53) zwei Reliquien de sindone quo dominus in sepulchro fuit involutus et de Bandatione quo legebatur [statt: qua ligabantur] vulnera ejus vorhanden. Das von Engelke angelegte Reliquienverzeichnis des Heinrichreliquiars ist zitiert bei Brandt, Emailkunst, S. 120, Anm. 9. Originalverzeichnis: DBHi, HS C 1533.
- VVLNERA] VV als W verschränkt, nur als Kontur graviert.
- PET(R)I] I in Form eines kleinen Dreiecks über T.
- IAEOBI] Statt IACOBI.
- LUEE] Statt LUCE.
- PIATI H[.]/NOPATI] Auch wenn nach PIATI kein Worttrenner steht, ist wohl von zwei Namen: PIATI und H[.]NOPATI auszugehen. Für den Heilig-Kreuz-Altar in St. Michaelis ist eine Reliquie des heiligen Märtyrers Piatus nachgewiesen (UB Hochstift 1, Nr. 441). Der zweite Name könnte für HONORATUS stehen. Die Hildesheimer Reliquienverzeichnisse geben keinen Hinweis auf Reliquien dieses Heiligen; Stadler zählt 49 Heilige dieses Namens auf, vgl. Johann Evangelist Stadler u. Franz Joseph Heim: Vollständiges Heiligen-Lexikon. Augsburg 1858–1882. Bd. 2, S. 760–765.
- XPOFORI.
- MINIATIS] Zweites I klein über A gestellt.
- AD(R)IANI] I klein über D.
- MARTI(RVM)] Als Abkürzungszeichen stehen drei kleine senkrechte Striche über I.
- NIC[.........]/CI] Über CI zwei Striche.
- DASME LAT(R)ONIS] Statt DISME LATRONIS ‚des Schächers Dismas‘; in LATRONIS A ohne Querbalken, O kleiner und über T gestellt.
- MILIV(M)] Kürzungsstrich fehlt.
- XPINE.
- V(IR)G(INVM)] Als Abkürzungszeichen stehen drei kleine Striche über G.
- HE(N)RIC(VS)Q(VE)] Die Auflösung -Q(VE) ist unsicher.
- Q(V)IN(VS)] I kleiner und über Q gestellt.
- EE(N)TENO] So statt CE(N)TENO.
- Zu ergänzen ist wahrscheinlich: CAPVT DECORAVIT.
Anmerkungen
- Inv. Nr.: L 1978–17.
- Es ist bei dieser in jedem Fall ungewöhnlichen Formulierung nicht sicher zu entscheiden, ob hier eine Reliquie der Heiligen Drei Könige (Terni regis statt: Trium regum), die Reliquie eines der Heiligen Drei Könige gemeint ist, oder ob man einen sonst nicht nachweisbaren König Ternus annehmen darf. Belegt ist lediglich ein Märtyrer Ternus ohne Königstitel, vgl. Vollständiges Heiligen-Lexikon, hg. von Johann Evangelist Stadler, fortgesetzt von J. N. Ginal. Bd. V, Neudruck Hildesheim 1975, S. 437.
- Abt Heinrich von Wendhausen hat u. a. die Feier eines Festes Marie solitarie bestimmt (UB Hochstift 4, Nr. 444).
- Aufgrund der urkundlichen Überlieferung (UB Hochstift 3, Register S. 875; UB Hochstift 4, Register S. 898; UB Stadt 1, Register S. 596) ist von den genannten Amtsjahren auszugehen.
- UB Hochstift 4, Nr. 1198.
- Chronica S. Michaelis, ed. Meibom, S. 521.
- Ebd.
Zitierhinweis:
DI 58, Stadt Hildesheim, Nr. 80 (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di058g010k0008005.
Kommentar
Die Buchstaben weisen ausgeprägte keilförmige Verbreiterungen an Hasten- und Balkenenden sowie kräftige Bogenschwellungen auf. Die Abschlußstriche von C und E sind oben und unten lang ausgezogen. Q und C sind im Innern des Buchstabens in einigen Fällen mit zwei waagerechten oder schrägen parallelen Strichen verziert, so daß einzelne C nicht von E zu unterscheiden sind. Der für die gotische Majuskel typische Wechsel von runden und eckig-spitzen Formen desselben Buchstabens ist nur bei F zu beobachten. E, H, M und N kommen ausschließlich in der runden Form vor.
Bei dem in Vers 1 der Stiftungsinschrift genannten Heinrich handelt es sich wahrscheinlich um Abt Heinrich von Wendhausen, dessen Amtszeit von 1298 bis 1331 dauerte.4) 1331 verzichtete er auf sein Amt.5) In den Chronica S. Michaelis hingegen heißt es, Abt Heinrich habe eine erste Amtszeit von 1298 bis 1315 gehabt, sei dann von seinem Nachfolger Konrad von Steinberg vertrieben worden, um 1347 auf Wunsch des Konvents erneut bis zu seinem Tod im Jahr 1354 dem Kloster vorzustehen.6) Begraben wurde er in der zwischen Dormitorium und Krypta gelegenen Kapelle der Heiligen Philippus und Jakobus, die er selbst errichtet hatte7). Außer dem Silvester-Kopfreliquiar hat er für den Heilig-Kreuz-Altar eine Tafel gestiftet mit dem Stiftungsvermerk Nr. 83.
Der Text der Stifterinschrift läßt sich nicht mehr vollständig rekonstruieren. In Vers 1 ist ABBAS BIS wohl nicht als Zeugnis für zwei Amtszeiten zu werten, denn das in Vers 2 vollständig genannte Datum der Stiftung liegt vor dem Ende der vermeintlichen ersten in den Chronica überlieferten Amtszeit. Weiterhin muß offen bleiben, wie die beiden am Schluß der Inschrift stehenden Wörter HENRICVS APSOLLO mit dem voraufgehenden Text in Verbindung stehen. Ein Name APSOLLO läßt sich weder mit Heinrich von Wendhausen noch mit der sonstigen Hildesheimer Überlieferung zusammenbringen.