Inschriftenkatalog: Stadt Hildesheim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 58: Stadt Hildesheim (2003)

Nr. 64 St. Godehard 1. V. 13. Jh.

Beschreibung

Kelch und Patene.1) „Bernhardkelch und -patene“.2) Silber, vergoldet. Beide Teile stammen wahrscheinlich aus St. Michaelis und wurden vor 1500 nach St. Godehard verpfändet.3)

Auf dem runden Fuß des Kelches sind vier getriebene Medaillons mit Darstellungen aus dem Alten Testament angebracht: 1. die verschlossene Pforte (links eine Kirchenarchitektur, deren Tür verschlossen ist, rechts eine Herrscherfigur, exegetisch als Christus gedeutet, mit einem Lilienzepter); 2. Melchisedechs Opfer (der thronende Melchisedech hält in der Rechten den Kelch, in der Linken die Hostie); 3. die Aufrichtung der ehernen Schlange; 4. Aaron mit Salbgefäß und Stab. Die Inschriften A sind als Umschriften um die Medaillons graviert.

Den alttestamentlichen Darstellungen des Fußes entsprechen auf der Kuppa vier neutestamentliche Szenen ebenfalls in getriebenen, leicht ovalen Medaillons: 1. Verkündigung; 2. Geburt; 3. Kreuzigung; 4. Auferstehung.

Die Patene zeigt in der achtpaßförmigen Vertiefung in einem kreisförmigen Medaillon den auf einem Regenbogen thronenden Christus ohne Wundmale, die Füße auf einem zweiten Regenbogen, in der Linken hält er die Hostie, die Rechte ist segnend erhoben. Die Darstellung des thronenden Christus wird gerahmt von einem durch zwei Doppellinien begrenzten Kreis, in dem Inschrift B verläuft. Inschrift C befindet sich in den Schrägen des Achtpasses. Kelch und Patene sind prunkvoll verziert mit à jour gearbeitetem Filigran, in dem Halbedelsteine befestigt sind. Die Inschriften sind in Konturschrift graviert, die Buchstabenkörper gepunktet. Einzelne Kürzungsstriche fehlen.

Maße: Kelch: H.: 17,5 cm; Dm.: 14,1 cm (Kuppa); Bu.: 0,3 cm (A).Patene: Dm.: 17,7 cm; Bu.: 0,5 cm (B, C).

Schriftart(en): Gotische Majuskel.

Elke Schneider (Heidelberg) [1/7]

  1. A

    + PORTA · NEGANS · ADITV(M) · GREMIV(M) · NOTAT · INVIO/LATV(M)a) // EXEMPIOb) · CHR(IST)Ic) · VICTORIA · CONGRVITd) · ISTI // +e) IN · CRVCE · DV(M) · PATITVR · HOC · CHR(ISTV)Sf) · IN · ANGVE · NOTAT(VR) · // +e) DIFFERT · I(N) · SPECIE · S(ED) · AD · VNV(M) · SPECTAT · VTRVMQ(VE) · //

  2. B

    + HVC · SPECTATE · VIRI · SIC · VOS · MORIENDO REDEMI

  3. C

    + HEC · SA//CRA · SVMPTVRV//S SIT · CORPORE · M//ENTE·Q(VE) · PVR(VS) · + EX · H//OC · NE · PEREAT // QVO · VITE // PREMIA · S//PERAT +4)

Übersetzung:

Die Pforte, die den Zugang verweigert, bedeutet den unversehrten Schoß. Diesem Vorbild entspricht der Sieg Christi. Während Christus am Kreuz leidet, wird dies in der Schlange angedeutet. In der Gestalt verschieden, bezieht sich doch beides auf dasselbe. (A)

Seht her, ihr Männer, so habe ich euch durch mein Sterben erlöst. (B)

Wer dieses Heilige empfangen will, sei an Leib und Seele rein, damit er nicht an dem verderbe, von dem er des Lebens Lohn erhofft. (C)

Versmaß: Hexameter, einsilbig (A Verse 1, 3, 4; B; C Vers 2) und zweisilbig (A Vers 2, C Vers 1) leoninisch gereimt.

Kommentar

In den Inschriften der Kelchmedaillons nur vereinzelt abgeschlossene E, auf der Patene E durchgängig mit Abschlußstrich. Die Übergänge zwischen Bögen und Hasten sind ausgerundet. Kapitale E, M, N, T und A stehen im Wechsel mit der entsprechenden runden bzw. unzialen Form. Die Bogen- und Caudenenden der runden M, H und R sowie der Anstrich des Bogens beim unzialen A sind nach oben gebogen, der Bogen des runden T ist eingerollt. Diese Schriftmerkmale stützen die stilkritische Datierung in das erste Viertel des 13. Jahrhunderts.5)

Die Umschriften der Medaillons stellen den typologischen Zusammenhang zwischen den alttestamentlichen Darstellungen auf dem Fuß und den neutestamentlichen der Kuppa her. Die verschlossene Pforte deutet auf die in der Verkündigung dargestellte jungfräuliche Geburt; Melchisedech steht in der typologischen Auffassung des Mittelalters nach Ps. 110,4 und Hbr. 5,6 u. 10 sowie Hbr. 7 als Vorbild des Königs und Priesters Christus,6) der hier allerdings als Kind in der Krippe dargestellt ist; die Aufrichtung der ehernen Schlange (Nm. 21,8f.) wird als Bild für die Kreuzigung verstanden, und Aarons erblühter Stab präfiguriert die Auferstehung. Die Umschrift des Aaronmedaillons (A, Vers 4) faßt die typologische Beziehung beider Bildreihen zusammen: alttestamentliche und neutestamentliche Darstellungen zeigen in verschiedener Gestalt die eine göttliche Offenbarung.

Text und Bild in der Vertiefung der Patene sind der Bernward-Patene nachgebildet,7) allerdings hat der Meister der Bernhard-Patene den Zusammenhang zwischen Bild und Inschrift seines Vorbilds nicht exakt kopiert und damit den liturgischen Bezug verdunkelt. Während Christus auf der Bernward-Patene mit den Wundmalen dargestellt ist und Text und Bild auf die Erneuerung des Opfertodes in der Eucharistie verweisen, fehlen die Wundmale auf der Bernhard-Patene und damit der Bezugspunkt, auf den die Inschrift hinweist.

Textkritischer Apparat

  1. INVIO/LATV(M)] Die letzten Buchstaben außerhalb des Schriftbandes.
  2. EXEMPIO] Statt EXEMPLO.
  3. XPI.
  4. CONGRVIT] N retrograd.
  5. Das Kreuz außerhalb des Schriftbandes.
  6. XPC.

Anmerkungen

  1. Ausführliche Beschreibung in Kat. Zeit der Staufer 1, S. 453f.; Elbern, Schatzkammer St. Godehard, S. 116–119.
  2. In den älteren Ausführungen werden Kelch und Patene als Stiftungen des Klostergründers Bischof Bernhard (1130–1153, vgl. Nr. 35) aufgefaßt, vgl. DBHi, HS C 26a, S. 42.
  3. Kat. Bernward 2, S. 632. Dort ist der um 1500 entstandene antiquissimus libellus (München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 27045) zitiert: unus et optimus impignoratus est ad S. Godehardum pro ducentis marcis puri argenti ornatus undique per totum lapidibus preciosis ‚einer, und zwar der kostbarste, wurde nach St. Godehard verpfändet für 200 Mark reinen Silbers, er ist überall ganz mit Edelsteinen verziert.‘
  4. Nach I Cor. 11, 27–29.
  5. So Brandt in Kat. Schatz von St. Godehard, S. 105; dagegen: Kat. Zeit der Staufer 1, S. 453, Nr. 582 und Elbern, Schatzkammer St. Godehard, S. 116: 2. Viertel 13. Jahrhundert.
  6. Vgl. LCI 3, Sp. 241f.
  7. DI 35 (Stadt Braunschweig I), Nr. 20.

Nachweise

  1. DBHi, HS C 26a, S. 43 (A) u. S. 45 (B, C).
  2. Hugo Feltmann: Der Bernhardskelch. In: Diözese 22 (1953), S. 77–80 (zahlreiche Fehllesungen).
  3. Elbern, Schatzkammer St. Godehard, S. 117f.
  4. Kat. Zeit der Staufer 1, S. 453, Abb. Bd. 2, Nr. 390.
  5. Kat. Schatz von St. Godehard, S. 106f., Lithographie S. 72, Abb. S. 105.
  6. Slg. Rieckenberg, S. 297–300.

Zitierhinweis:
DI 58, Stadt Hildesheim, Nr. 64 (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di058g010k0006401.