Inschriftenkatalog: Stadt Hildesheim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 58: Stadt Hildesheim (2003)

Nr. 45 Dom 1190

Beschreibung

Hochgrabdeckplatte vom Grab des Bischofs Adelog. Sandstein. Die hochrechteckige Platte wurde 1869 im Mittelschiff der Domgruft über dem Steinsarg Adelogs aufgenommen und im Nordflügel des Kreuzgangs angebracht. Der Verstorbene ist im Bischofsornat mit Mitra lebensgroß im Halbrelief dargestellt.1) In der Rechten hält er den Bischofsstab, in der Linken ein aufgeschlagenes Buch mit Inschrift A. Der erste Vers von Inschrift A ist auf der linken, der restliche Text auf der rechten Seite des Buches angebracht. Die Figur steht unter einem vorgezogenen Kleeblattbogen, in dessen Schräge sich Inschrift B befindet. Inschrift C ist rechts und links in den beiden Zwickeln des Kleeblattbogens von oben nach unten, rechts in drei, links in vier Zeilen eingehauen. Rechts und links der Figur ebenfalls von oben nach unten verlaufend Inschrift D. Im unteren Teil des Steins ein Riß (ohne Buchstabenverlust), die rechte untere Ecke des Steins und die rechte obere Ecke des Buches fehlen. Die Inschriften sind eingehauen. In Inschrift B sind teilweise Doppelpunkte als Worttrenner gesetzt.

Maße: H.: 209 cm; B.: 74 cm; Bu.: 2–2,5 cm (A), 3,5–4 cm (B), 3 cm (C), 6,2 cm (D).

Schriftart(en): Romanische Majuskel.

Julia Zech [1/2]

  1. A

    GLORIA / FORMA / GEDVSa) / MUNDA/NA PRO/BABILIS / ALTVM // TRANSI[T] / MARCET / ABIT HEC / MODO / CLAMO / TACENS / ORA · P(RO) · ME

  2. B

    A(NN)Ob) · M° C° · L° XXXX° · XII · K(A)L(ENDAS) OCTOB(RIS)2) · O(BIIT) · ADELOG(VS) · EP(ISCOPV)Sc) ·

  3. C

    + HIC SITUS EST / PRESULd) ADELO/GVS VIR PIETATISe) // MIRE3) DVL/CIS HOMO DE/US ILLVM IVN/GE BEATIS ·

  4. D

    HIC ASLEd) REDITVS EMIT · ·f) PECCATA FATENT[I] // DA VENIAM FRATER ET MISERER[E] DEUS

Übersetzung:

Weltlicher Ruhm vergeht, anerkennenswerte Schönheit welkt, hohe Abkunft schwindet – das rufe ich noch, [schon] schweigend. Bete für mich. (A)

Im Jahr 1190, am zwölften Tag vor den Kalenden des Oktober, starb Bischof Adelog. (B)

Hier ruht Bischof Adelog, ein frommer Mann, ein wunderbar liebenswürdiger Mensch. Gott, nimm ihn unter die Seligen auf. (C)

Dieser erwarb die Einkünfte derer von Assel. Vergib, Bruder, dem, der seine Sünden bekennt, und erbarme dich, Gott. (D)

Versmaß: Elegische Distichen (A, D), zwei endgereimte Hexameter (C). Der Hexameter und die erste Hälfte des Pentameters von Inschrift A sind nach dem in der mittellateinischen Literatur geläufigen Prinzip „singula singulis“ gebaut: Zu den ersten drei Substangehören jeweils in dieser Reihenfolge die folgenden drei Adjektive; die drei Prädikate folgen im Pentameter.

Kommentar

Runde bzw. unziale U, E, T und M kommen im Wechsel mit den entsprechenden eckigen Formen vor, M in der links geschlossenen unzialen Form, das Ende des rechten Bogens an die gebogene Mittelhaste herangeführt, G in kapitaler und in eingerollter Form. A ist sowohl in spitzer wie auch in schmaler trapezförmiger Ausführung vorhanden. Die Inschriften sind durch ausgeprägte Sporen an den Hasten-, Bogen- und Balkenenden charakterisiert, die überwiegend dreieckig ausgezogen sind.

Inschrift B nennt vollständig Todestag und -jahr des Bischofs. Sie ist damit im Hildesheimer Bestand das früheste Beispiel für die Anbringung des kompletten Todesdatums auf einer Grabplatte. Bis zu diesem Zeitpunkt lassen sich in Hildesheim vollständige Todesdaten nur auf der Tafel für den Abt Arnold (Nr. 43) nachweisen, die mit dem Toten in das Grab gelegt wurde.

Adelog bekleidete das Bischofsamt von 1170/71 bis 1190.4) Seit 1160 war er Propst des Stifts St. Simon und Judas in Goslar, das Datum seiner Wahl und Weihe zum Hildesheimer Bischof ist nicht eindeutig festzulegen.5) Das in Inschrift D erwähnte Asselsche Erbe war zunächst von Heinrich dem Löwen usurpiert worden. Als über diesen im Jahr 1180 die Reichsacht ausgesprochen wurde, gelang es Kaiser Friedrich I. mit Unterstützung durch Erzbischof Philipp von Köln und dessen Schwager Adolf III. von Schaumburg (Schauenburg), die das Asselsche Erbe beanspruchten, die von Heinrich dem Löwen erbaute Burg Lichtenberg in der Nähe der Asselburg einzunehmen, von der eine unmittelbare Bedrohung für Hildesheim ausging.6) Am 15. August des Jahres 1186 konnte Bischof Adelog von der Schwester des Erzbischofs Philipp von Köln, die nach dem Tode ihrer mit Adolf III. von Schaumburg verheirateten Tochter Adelheid Alleinerbin des Erbes Ottos von Assel war, diesen für die Sicherheit Hildesheims offenbar außerordentlich wichtigen Besitz erwerben. Vielleicht sollte, gerade weil später Heinrich der Löwe die Hälfte des Erbes „auf unbekannte Weise“ wieder an sich bringen konnte,7) mit der Erwähnung dieses Kaufs an so prominenter Stelle dauerhaft ein gewisser Rechtsanspruch Hildesheims auf das Asselsche Erbe ausgedrückt werden. Adelog wurde in der Mitte der Domkrypta beigesetzt.8)

Textkritischer Apparat

  1. GEDVS] Statt GENVS.
  2. A(NN)O] Vor dem A ein senkrechter Strich.
  3. EPC.
  4. Fehlt Letzner.
  5. PIETATIS] A und I jeweils unter die Querbalken der voraufgehenden T gestellt.
  6. Die Hochpunkte trennen hier zwei Sätze.

Anmerkungen

  1. Detaillierte Beschreibung bei Niehr, Mitteldeutsche Skulptur, S. 263 mit Hinweisen auf Überarbeitungen der Figur.
  2. 20. September.
  3. Bei dieser Übersetzung ist MIRE als Adverb zu DVLCIS aufgefaßt; möglich wäre auch, es als Adjektiv (in der Bedeutung von MIRAE) mit PIETATIS zu verbinden.
  4. Zu seiner Vita s. Goetting, Bistum Hildesheim, S. 415–443.
  5. Ebd., S. 416 u. S. 418.
  6. Ebd., S. 428f.
  7. Ebd., S. 433f.
  8. Ebd., S. 441.

Nachweise

  1. Letzner, Hildesheimische Chronik, 1. Buch, 1. Teil, Kapitel 5, S. 42.
  2. DBHi, HS 114b, fol. 56v.
  3. DBHi, HS 116, S. 120.
  4. DBHi, HS 141a, S. 84.
  5. Mithoff, Kunstdenkmale, S. 119.
  6. Bertram, Bischöfe, S. 61.
  7. Bertram, Bistum 1, S. 202f., S. 181 Abb. (Zeichnung).
  8. Kd. Hildesheim, Kirchen, S. 40f., Abb. S. 39.
  9. Elbern/ Engfer/Reuther, Hildesheimer Dom, S. 97f., Abb. 42.
  10. Niehr, Mitteldeutsche Skulptur, S. 263f. (Abb.).
  11. Slg. Rieckenberg, S. 317–323 (Berges).

Zitierhinweis:
DI 58, Stadt Hildesheim, Nr. 45 (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di058g010k0004506.