Inschriftenkatalog: Stadt Hildesheim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 58: Stadt Hildesheim (2003)

Nr. 27 Dom 11. Jh.

Beschreibung

Fragment der Grabplatte für Mathilde. Sandstein. Erhalten ist der obere Teil einer nach unten schmaler werdenden Platte. Der Stein wurde nach dem Zweiten Weltkrieg bei Aufräumungsarbeiten im Dom gefunden. Er war wahrscheinlich als behauener Quaderstein beim Dombau verwendet worden. Heute ist das Fragment im nördlichen Flügel des Kreuzgangs angebracht. Von der stark abgearbeiteten Darstellung im vertieften Innenfeld ist der Kopf einer Person in einer Bogennische zu erkennen. Der Bogen mit der eingehauenen Inschrift A ruht auf Säulen mit romanischen Würfelkapitellen. Die zweite, nur noch in Teilen lesbare ebenfalls eingehauene Inschrift B befindet sich auf den abgeschrägten Innenkanten des Rahmens. Von den Buchstaben ist nur noch der untere Teil erhalten. An der rechten oberen Innenkante der Schmalseite und am Beginn der rechten Langseite lassen sich noch zwei Wörter dieser Inschrift mit einiger Sicherheit auf der Grundlage der unteren Buchstabenteile rekonstruieren.

Maße: H.: 52 cm; B.: 71 cm; Bu.: 3,5 cm (A).

Schriftart(en): Romanische Majuskel.

Julia Zech [1/1]

  1. A

    IIII · K(ALENDAS) · FEB(RVARII)a)1) · O(BIIT)b) · MAHTHILDIS · VID(VA)c)

  2. B

    [ - - - ] CORPO/RIS HOSPE[S]2)

Übersetzung:

Am vierten Tag vor den Kalenden des Februar starb die Witwe Mathilde. (A)

[...] Gast des Körpers. (B)

Versmaß: Rest eines Hexameters (B).

Kommentar

Die Buchstaben entsprechen weitgehend dem Formeninventar der bernwardinischen Inschriften: E sowohl rund (HOSPES) als auch eckig; Mittelteil des M wie auf den Kapitellen (Nr. 13) und auf der Bernwardtür (Nr. 9) bis unter die Mitte, aber nicht auf die Grundlinie reichend. Im Unterschied zu den bernwardinischen Inschriften, in denen die Hasten der Buchstaben oft keilförmig verlaufen, finden sich hier gleichmäßig dünn gehauene Hasten mit feinen, geraden Strichsporen, z. B. bei M. Ungewöhnlich ist die Suspensionskürzung im Wort VID(VA), die mit einem Querstrich durch die Haste des D bezeichnet ist. Diese Suspension wird in den bernwardinischen Schriftzeugnissen sonst für D(VS) verwendet, z. B. in BERNWARD(VS) auf den Bernwardziegeln, auf der Erkanbaldkrümme in ERKAMBALD(VS) (Nr. 7) sowie in den Zierschriften der Bildleisten des Kostbaren Evangeliars (Nr. 4).3)

Der Schriftbefund spricht nicht gegen eine Datierung des Steins in die erste Hälfte des 11. Jahrhunderts, wie sie Rieckenberg (B/R, S. 155f.) und Elbern4) vorgeschlagen haben. Dieser frühe zeitliche Ansatz ist aber angesichts der figürlichen Darstellung im Innenfeld problematisch. Als erste mittelalterliche Grabplatte mit einer plastischen Darstellung des Verstorbenen gilt gemeinhin die Metallplatte für Rudolf von Schwaben im Dom zu Merseburg vom Jahr 1080.5) Bauch6) vermutet zwar in Sachsen ähnliche Grabdenkmäler als Vorläufer, erhalten hat sich aber – soweit wir die Überlieferung überblicken – wohl keines. Rieckenberg weist noch auf einzelne Mainzer Objekte hin (B/R, S. 156), von denen aber nur der „Stein“ aus St. Alban (9.–10. Jahrhundert) eine figürliche Darstellung aufweist. Dabei handelt es sich nicht um das Bild des Verstorbenen, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach um eine Christus-Darstellung.7) Aufgrund des geringen Vergleichsmaterials und der starken Zerstörung des Hildesheimer Steins wird weder die epigraphische noch die formgeschichtliche Datierung zu erhärten sein. Daher bleibt nur ein sehr allgemeiner Ansatz ins 11. Jahrhundert. Die Buchstabenformen wären im übrigen, wie der Vergleich mit der nur sehr wenige Buchstaben umfassenden Inschrift auf dem Udo-Grabmal von 1114 (Nr. 29) zeigt, auch noch im frühen 12. Jahrhundert möglich. Die Buchstaben auf dem Udo-Grabmal weisen allerdings nicht die charakteristischen feinen Strichsporen auf, sondern dreieckige, zum Teil lang ausgezogene Sporen.

Außerinschriftliche Hinweise, die eine Datierung sichern könnten, wie etwa Lebensdaten der Verstorbenen oder die Zuordnung des Steins zu einer bestimmten Fundschicht, lassen sich für dieses Stück nicht gewinnen. Eine Witwe Mahthildis ist in beiden Domnekrologien unter dem 29. Januar8) eingetragen. Im Kleinen Domnekrologium heißt es (fol. 10r): d(omina) Mechildis de essem quattuor denary; im Großen Domnekrologium lautet der Eintrag (fol. 43v): Methildis vidua (und von anderer Hand) que dedit . xx . m(arcas) fratribus. In dem in derselben Handschrift überlieferten Obödienz- und Einkünfteverzeichnis des Doms heißt es:9) Methildis uidua dedit uiginti marcas fratribus in cuius memoriam deputauimus duos mansos in essem ... inde dantur fratribus quatuor denarii in anniuersario eius. Wenskus hat vermutet (zitiert in B/R, S. 157), es könnte sich bei der verstorbenen Mahthildis vidua um die Witwe Ekkehards, des Stifters von Helmarshausen, oder aber um ein Mitglied der Familie Bernwards oder der Immedinger handeln. In beiden Familien sei der Name „Mathilde“ häufig belegt.

Textkritischer Apparat

  1. FEB(RVARII)] B unten zerstört.
  2. IIII ... O(BIIT)] ... B (?) FERO Elbern.
  3. VID(VA)] D mit Querstrich durch die Haste.

Anmerkungen

  1. 29. Januar.
  2. Die Formel corporis hospes für die Seele findet sich auch in der Grabschrift für den Mainzer Erzbischof Heinrich I. von 1153 in Einbeck. Dort lautet der gesamte Hexameter: ad Christum sospes eat hujus corporis hospes (DI 42 [Einbeck], Nr. 2).
  3. Vgl. Kat. Das Kostbare Evangeliar, Tafel 5.
  4. Elbern/Engfer/Reuther, Hildesheimer Dom, S. 99: „Anfang 11. Jahrhundert“.
  5. Vgl. DI 11 (Merseburg), Nr. 3; Ernst Schubert: Epigraphik und Kunstgeschichte – Die Grabplatte König Rudolfs von Schwaben im Merseburger Dom. In: Epigraphik 82, S. 87–100; ders.: Die ältesten Personen-Denkmäler des Mittelalters in Sachsen. Stuttgart 1999. (Sitzungsberichte der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Phil.-Hist. Klasse 136,4).
  6. Vgl. Kurt Bauch, Das mittelalterliche Grabbild. Figürliche Grabmäler des 11. bis 15. Jahrhunderts in Europa. Berlin, New York 1976, S. 18, ohne Kenntnis dieser Platte. – Die vor allem im Rheinland erhaltenen Grabstelen des 7. und 8. Jahrhunderts, die zum Teil mit Darstellungen des Verstorbenen versehen sind, sieht Bauch nicht als Vorläufer der figürlichen Grabplatte Rudolfs von Schwaben (ebd., S. 15).
  7. DI 2 (Mainz), Nr. 3.
  8. Das Große Domnekrologium (Wolfenbüttel, HAB, Cod. Guelf. 83.30. Aug. fol.) ist Ende des 12./Anfang des 13. Jahrhunderts entstanden (fol. 36r), nimmt aber in seiner ältesten Schicht sicherlich Einträge aus früherer Zeit auf.
  9. Wolfenbüttel, HAB Cod. Guelf. 83.30. Aug. fol. Obedientie et reditus ecclesie Hildesheimensis in variis locis, fol. 179r–189v, hier fol. 179v.

Nachweise

  1. Elbern/Engfer/Reuther, Hildesheimer Dom, S. 99.
  2. Rieckenberg in B/R, Nr. 28, S. 156, Abb. Tafel 34.
  3. Kat. Ego sum, S. 248f. mit Abb.

Zitierhinweis:
DI 58, Stadt Hildesheim, Nr. 27 (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di058g010k0002708.