Inschriftenkatalog: Stadt Hildesheim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 58: Stadt Hildesheim (2003)

Nr. 11 St. Michaelis, Bernwardkrypta 1022

Beschreibung

Sarkophag für Bischof Bernward. Sandstein. Der Sarkophag ist in eine Vertiefung vor dem Marienaltar eingelassen. Er besteht aus einem schmucklosen Sargkasten mit spitzgiebligem Deckel. Auf der durch den Deckel verdeckten Kante des Sargkastens ist dreiseitig um das Kopfende herum die Inschrift A eingehauen.1) Der reich skulptierte Sargdeckel zeigt im westlichen Giebelfeld im Flachrelief das Lamm Gottes mit Nimbus und Kreuzfahne in einem Medaillon, umgeben von sieben Flammen. Der östliche Giebel ist mit einem griechischen Kreuz verziert. Die Dachflächen sind als gerahmte vertiefte Felder gestaltet, in denen die Büsten von neun Engeln im Flachrelief ausgehauen sind; auf der südlichen Seite fünf Engel, umgeben von sieben Flammen, auf der nördlichen Seite vier Engel, ebenfalls umgeben von sieben Flammen.2) Auf dem breiten Rahmen der Felder befindet sich zwischen Linien die eingehauene Inschrift B, teilweise mit Worttrennung. Sie läuft im Uhrzeigersinn um beide Dachflächen herum. Der Textbefund wird durch mehrere Risse gestört.

Inschrift A nach Abbildung B/R.

Maße: L.: 216 cm; B.: 57,5 cm; Firsthöhe: 60,7 cm; Bu.: 4,2–4,7 cm (B).

Schriftart(en): Romanische Majuskel.

  1. A

    BFRNVVARDVSa) / EP(ISCOPV)S SERVVS SER/VORVM CHR(IST)Ib)

  2. B

    + SCIO ENIM QVOD REDEMPT[OR] MEV[S VI]VIT ET IN NOV[I]SSIMO / DIE DE / TERRA SVRRECTVRVS SVM · [E]T RVRSVMc) CIRCVMDABOR PELLE MEA / ET IN CAR/NE MEA VI/DEBO D(EV)Md) SALVATOREM MEVM3) · QVEM VISVRVS SVM EGO IPSE ET / OCVLI / MEI CONSPECTVRIe) SVNT ET NON ALIVSf) · REPOSITA EST HEC SPES MEA IN SINV MEO ·4)

Übersetzung:

Bernward, Bischof, Diener der Diener Christi. (A)

Denn ich weiß, daß mein Erlöser lebt und ich am Jüngsten Tag von der Erde auferstehen werde, und ich werde wiederum mit meiner Haut umkleidet, und in meinem Fleisch werde ich Gott, meinen Heiland, sehen; ihn werde ich selbst sehen, und meine Augen werden ihn gewahr werden und niemand anders. Diese meine Hoffnung ist in meiner Brust bewahrt. (B)

Kommentar

Die Buchstabenformen beider Inschriften entsprechen den in der bernwardinischen Kapitalis üblichen Ausprägungen. M ist breit ausgeführt, die mittleren Hasten enden deutlich unterhalb der Buchstabenmitte; G wie auf der Bernwardtür in eingerollter Form; nahezu kreisrundes O neben einem spitzovalen; R-Cauden verschieden, neben geraden auch stachelförmige und solche mit Schwellungen, die zum Teil oberhalb der Grundlinie enden. An Sonderformen in Inschrift B unziale E und eckige C.5) Eckiges C und spitzovales O finden sich ausschließlich in der letzten Zeile. Diese Formen wurden neben den ebenfalls auf diesen Bereich der Inschrift beschränkten Enklaven und Ligaturen aus Gründen der Platzersparnis gewählt.

Bischof Bernward starb am 20. November des Jahres 10226) und wurde in diesem Sarkophag vor dem Marienaltar in der Krypta der von ihm gestifteten Michaeliskirche begraben. Nach Auskunft der Vita hat Bernward bereits zu Lebzeiten an der Gestaltung seiner Grablege mitgewirkt.7) Speziell zur Inschrift auf dem Sarkophag heißt es: quid fidei ac spei conceperit, manifestat in titulo quem his verbis interioris sarcofagi insculpsit loculo ‚was er an Glauben und Hoffnung in sich trug, bringt er in der Inschrift zum Ausdruck, die er mit diesen Worten in den Sarkophag im Inneren des Grabes hat einmeißeln lassen‘ (Kapitel 55). Es folgt wörtlich die Inschrift Scio enim quod redemptor meus vivit ... Die aus der Vita Bernwardi zitierte Passage ist vielfach so verstanden worden, daß Bernward die Inschrift selbst gemeißelt habe, insculpsit dürfte hier aber faktitiv im Sinne von ‚ließ machen‘ aufzufassen sein (vgl. Nr. 14). Die Auswahl des Hiob-Zitats und die Idee der künstlerischen Gestaltung des Sarkophagdeckels lassen sich allerdings durchaus als seine Leistung auffassen.8) Der Sarkophag enthielt die Gebeine des Toten bis zur Translation am 16. August 1194.9)

Textkritischer Apparat

  1. BFRNVVARDVS] Statt BERNVVARDVS; BERNVVARDS Berges in B/R.
  2. XPI.
  3. Danach ein feiner, leicht schräger Strich, der wohl nicht zur Inschrift gehört.
  4. D(EV)M] In D ist kaum erkennbar ein rundes E geritzt. Dieses E ist wahrscheinlich nicht Bestandteil der ursprünglichen Inschrift.
  5. CONSPECTVRI] O in C; V kleiner und halb unter den Deckbalken des T gerückt.
  6. ALIVS] ALIVM Bertram (Zeichnung). Die beiden letzten Buchstaben sind im Original weitgehend zerstört, der untere Bogen des S ist aber eindeutig erkennbar.

Anmerkungen

  1. Auf dem Sarkophag des Propsts Humbertus († 1086) in St. Servatius in Maastricht ist an der gleichen Stelle eine Inschrift angebracht, vgl. Elizabeth den Hartog: Twee elfde-eeuwse grafmonumenten in de St.-Servaaskerk te Maastricht. In: Publications de la société historique et archéologique dans le Limbourg 1992, S. 5–37, hier S. 7.
  2. Zur Deutung der Ikonographie vgl. Rainer Kahsnitz, Bischof Bernwards Grab. In: Kat. Bernward 1, S. 385f. (mit Verzeichnung der älteren Literatur).
  3. D(EV)M SALVATOREM MEVM] Die Vulgata hat nur DEVM. Durch den Zusatz SALVATOREM MEVM erhält der alttestamentliche Text eine eindeutig christliche Auslegung. Diese „christliche“ Lesart geht wahrscheinlich auf den liturgischen Gebrauch zurück. Im Apparat der Biblia Sacra iuxta latinam vulgatam versionem, Bd. 9, Rom 1951, S. 143 wird zu dieser Stelle eine Bemerkung Hugos von St-Cher zitiert: hoc enim quidam scioli apponunt in textu quia videtur facere ad fidem et quia cantatur in ecclesia ... Tatsächlich gehören nicht näher spezifizierte Lesungen aus dem Buch Hiob bereits vor dem 8. Jahrhundert in die Totenliturgie, die „ununterbrochenes Gebet von Psalmen, Responsorien und Lesungen aus Job für die Seele des in der Kirche aufgebahrten Toten anordnete“ (Hieronymus Frank: Der älteste erhaltene römische Ordo defunctorum. In: Archiv für Liturgiewissenschaft VII [1962], S. 360–415, hier S. 369). In der 1. Lectio der 1. Nocturn im Officium Defunctorum des Breviers lautet der Text ebenfalls Deum Salvatorem Meum.
  4. Liturgischer Text nach Iob 19,25–27. Diese Bibelstelle ist als zentraler Satz christlicher Auferstehungsgewißheit seit der Spätantike oft für Grabinschriften verwendet worden, vgl. Dictionnaire d’archéologie chrétienne et de liturgie, hg. von Fernand Cabrol, Bd. VII,2, Paris 1927, Sp. 2554–2570, s. v. ‚Job‘. Sie findet sich u. a. auf dem Grabmal des Bischofs Flavian († 542), das Bernward auf seiner Italienreise im Jahr 1001 im Dom von Vercelli gesehen haben könnte (ebd.), vgl. Berges in B/R, S. 99. Zur Textfassung der Inschrift s. a. Anm. 3.
  5. Zur Schrift s. a. den im Kommentar zur Inschrift auf der Grabplatte Bernwards (Nr. 12) vorgenommenen Schriftvergleich.
  6. Zur Biographie Bernwards s. Goetting, Bistum Hildesheim, S. 166–230, hier S. 227f.
  7. Vita Bernwardi, Kapitel 54–57.
  8. Vgl. Hans Jakob Schuffels, Bernward Bischof von Hildesheim – Eine biographische Skizze. In: Kat. Bernward 1, S. 29–43, hier S. 41.
  9. Vgl. Hans Jakob Schuffels, Die Erhebung Bernwards zum Heiligen. In: Kat. Bernward 1, S. 407–417. Schuffels deutet an, daß sich die Mönche von St. Michaelis nicht an das Translationsverbot von 1150 gehalten und schon vor der Kanonisation Reliquien aus dem Grab entfernt hatten (S. 415); zur Erhebung der Gebeine s. a. Berges in B/R, S. 97f.

Nachweise

  1. Berges in B/R, S. 99, Abb. Tafel 17, Nr. 1f. (A, B).
  2. Vita Bernwardi, Kapitel 56 (B).
  3. Calvör, Saxonia, S. 430f., § 247.
  4. Mithoff, Kunstdenkmale, S. 136.
  5. Bertram, Bistum 1, S. 82f. Zeichnung (B) und Transkription (A, B).
  6. Kat. Bernward 1, S. 384 (nur A), S. 384–386 Abb. (A, B).

Zitierhinweis:
DI 58, Stadt Hildesheim, Nr. 11 (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di058g010k0001100.