Inschriftenkatalog: Stadt Hildesheim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 58: Stadt Hildesheim (2003)

Nr. 7 Dom-Museum 997–1011

Beschreibung

Krümme des Abts Erkanbald. Silber, ursprünglich vergoldet. Sie wurde 1788 im Sarg Bischof Heinrichs III. († 1363, vgl. Nr. 97) im Dom gefunden.1) Am unteren Ende der Krümme ein Ring. Über dem Ring ein Nodus aus Rankenwerk, daran vier vollplastische Figuren mit Krügen,2) die die vier Paradiesflüsse personifizieren. Die Krümme ist nach Art eines gebogenen Astes mit Zweigansätzen gebildet, der an die Gestaltung der Bernwardleuchter (Nr. 5) erinnert. Im unteren geraden Teil Darstellung des Sündenfalls: Adam, der mit der Linken drei Früchte zum Mund führt. Eine zweite in Bewegung begriffene Figur, Eva, hält einen angebissenen Apfel. In der eigentlichen Krümmung eine nackte Figur (Adam ?), die in die Ausläufer des Baumes gestützt steht, davor eine bekleidete Figur (Gottvater) mit einem flach auf dem Kopf aufliegenden Kreuznimbus; die Figur hält in der Linken ein Buch, die Rechte erhoben. Die gravierte und niellierte Inschrift befindet sich auf dem Ring unterhalb des Nodus; sie ist in weiten Teilen nicht mehr sicher zu lesen, da bei der Anbringung der Krümme an einem Stab der Ring durchbohrt worden ist.3) Ihr Gesamtzustand ist durch Oxydation und Reinigung beeinträchtigt. Auch ältere Photos erlauben keine sichere Transkription. Der dritte Buchstabe ist stark beschädigt, der vierte fehlt. Von dem auf den Namen folgenden Appellativum ist nur noch der letzte Buchstabe sicher zu lesen.

Maße: H.: 11,1 cm; Bu.: 0,7 cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

  1. + ERK[.]NBALD(VS)a) . [..]B

Übersetzung:

Abt (?) Erkanbald.

Kommentar

Berges bietet keine Edition, sondern lediglich eine Nachzeichnung des Befunds.4) Seine Zeichnung führt zu einer Transkription ERANBALDVS PRESBYTER. Bereits Rieckenberg hat angemerkt, daß der zur Verfügung stehende Platz für die von Berges wiedergegebene Anzahl von Buchstaben, vor allem für die ausgeschriebene Form PRESBYTER, nicht ausreiche. Er liest ERKANBALDVS PRB und verwirft damit für das Appellativum die Lesung ABB(AS), die zuerst von Wesenberg vorgeschlagen wurde.5) Festzuhalten ist, daß der letzte Buchstabe sicher ein kapitales B ist. Die beiden voraufgehenden Buchstaben sind zerstört. Lediglich eine schräge Haste des ersten Buchstabens ist noch erkennbar. Dieser Befund deutet eher auf ein A als auf ein P, außerdem läßt sich rechts oberhalb dieser Haste kein Anhaltspunkt für den Bogen des P finden. Daher ist ABB(AS) der Lesung PR(ES)B(YTER) vorzuziehen.

Wesenberg hat den in der Inschrift bezeugten Namen mit dem Fuldaer Abt Erkanbald in Verbindung gebracht.6) Erkanbalds Amtszeit als Abt dauerte von 997 bis 1011, danach wurde er zum Erzbischof von Mainz ernannt und am 1. April 1011 von Bischof Bernward in Mainz geweiht. Erkanbald, der nach dem Zeugnis der Vita Bernwardi (Kapitel 45) ein Blutsverwandter Bischof Bernwards (consanguinitate etiam sibi propinquus) war, hatte Bernward in der Auseinandersetzung um die Diözesanzugehörigkeit Gandersheims gegen Erzbischof Willigis von Mainz unterstützt.7)

Aufgrund dieser Daten kann aus der Dauer von Erkanbalds Amtszeit als Abt in Fulda auf 1011 als Terminus ante quem für die Entstehung der Inschrift geschlossen werden. Wesenberg nimmt an, daß die Krümme bei der Weihe übergeben wurde, und er kommt „mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit“ auf das Jahr 997 für ihre Entstehung.8) In Technik und Ornamentik, namentlich am Schaft, ähnelt sie den Bernwardleuchtern. Die Darstellungen des Sündenfalls und des göttlichen Urteilsspruchs im Innern der Krümme erinnern an die entsprechenden Bilder auf den Bernwardstüren, insbesondere der auf dem Kopf aufliegende Nimbus ist auch bei den Figuren dort zu beobachten. Vom epigraphischen Befund läßt sich die Inschrift vollständig an bernwardinische Formen anschließen. Die hier verwendete Abkürzung D mit Querstrich für D(VS), für die Berges in den übrigen auf Bernward zurückgehenden Inschriften kein Vergleichsbeispiel finden konnte, ist in einem inschriftennahen Zeugnis der Bernwardzeit belegt, und zwar in der Prägung auf den Ziegel-Bruchstücken vom Domdach.9)

Die Geschichte der Krümme nach ihrer Entstehung läßt sich kaum erhellen. Fraglich bleibt u. a., ob sie jemals Erkanbald übergeben wurde, und wenn ja, wie sie wieder nach Hildesheim zurückgekommen ist. Unklar ist weiterhin, in welcher Beziehung die Erkanbaldkrümme zu Bischof Heinrich III. steht, in dessen Grab sie gefunden wurde.

Textkritischer Apparat

  1. ERK[.]NBALD(VS)] Das VS-Kürzel ist als Querstrich durch die senkrechte Haste des D ausgeführt.

Anmerkungen

  1. Berges in B/R, S. 84. S. a. Kratz, Dom 2, S. 194. Er sieht sie als Krümme Bischof Heinrichs III. an.
  2. Ausführlich zu den Darstellungen an der Krümme und ihren stilistischen Vorbildern Wesenberg, Bernwardinische Plastik, S. 17–21; Claudia Echinger: Zur Sündenfalldarstellung der Krümme des Erkanbald. In: Bernwardinische Kunst, S. 127–152 (mit zahlreichen Abb.); Gosbert Schüßler: Die Krümme des Erkanbald als monastisches Sinnbild. Ebd., S. 153–168.
  3. Rieckenberg in B/R, S. 176 nimmt an, daß der Eingriff um die Mitte des 14. Jahrhunderts vorgenommen worden ist, als die Krümme in den Sarg Bischof Heinrichs III. gelegt wurde.
  4. Berges hat offenbar die Krümme niemals selbst gesehen, so Rieckenberg in B/R, S. 175.
  5. Vgl. Wesenberg, Bernwardinische Plastik, S. 17; ders.: Curvatura Erkanbaldi Abbatis. Bestimmung und Datierung der silbernen Krümme im Domschatz zu Hildesheim. In: Karolingische und Ottonische Kunst. Wiesbaden 1957, S. 372–381. Die jüngere Forschung ist ihm in dieser Lesung gefolgt. Lediglich Rieckenberg hält an der Lesung Erkanbaldus presbyter fest (B/R, S. 175–178). Er sieht in Erkanbald den Künstler, „der die Krümme und wohl auch andere Werke der Bernwardinischen Zeit geschaffen hat. Er ist vielleicht mit dem puer der Leuchterinschrift identisch“ (S. 178).
  6. Wesenberg, Bernwardinische Plastik, S. 17.
  7. Die Daten zu Erkanbald nach LexMa 3, Sp. 2122 ‚Erchanbald‘.
  8. Vgl. Wesenberg, Bernwardinische Plastik, S. 17; Wesenberg geht fälschlicherweise davon aus, daß Erkanbald im Jahr 996 Abt von Fulda wurde.
  9. Vgl. Rieckenberg in B/R, S. 175, Abb. der Ziegel in B/R, Tafel 31.

Nachweise

  1. W. A. Neumann: S. Bernwardus von Hildesheim in seiner Zeit. In: Mittheilungen des k. k. Oesterreich. Museums für Kunst und Industrie. Neue Folge 5 (1890), S. 149.
  2. Wesenberg, Bernwardinische Plastik, S. 17.
  3. Elbern/Reuther, Domschatz, S. 20, Abb. 7.
  4. Berges in B/R, S. 86 (Zeichnung), Rieckenberg in B/R, S. 178, Abb. Tafel 14, Nr. 1f.
  5. Kat. Bernward 2, S. 496, Abb. S. 495.

Zitierhinweis:
DI 58, Stadt Hildesheim, Nr. 7 (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di058g010k0000706.