Inschriftenkatalog: Stadt Hildesheim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 58: Stadt Hildesheim (2003)

Nr. 2† Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Skulpturensammlung 3. Drittel 10. Jh.?

Beschreibung

Elfenbeindiptychon.1) Das 1945 bis auf geringe Reste verbrannte Diptychon war bis zu seinem Erwerb durch die Berliner Museen im Jahr 1904 innen im Vorderdeckel des aus St. Michaelis stammenden Stammheim-Missale angebracht.2) Es ist daher wahrscheinlich, daß das Diptychon zum Kirchenschatz von St. Michaelis gehört hat, auch wenn der Zeitpunkt, zu dem es in den Einband eingefügt worden ist, nicht näher festgelegt werden kann.

Das eine Relief zeigt im oberen Drittel eine Ansicht der Stadt Rom und ein Dreiviertelkreismedaillon mit einem Kopf. In einem Giebelfeld oberhalb des Kopfes in monogrammartig verschränkten Buchstaben Inschrift A von einem Kreuz bekrönt. Unterhalb der Darstellung ein Schriftband, auf dem in zwei Zeilen zwischen Linien Inschrift B eingraviert ist. Im unteren Teil des Reliefs ist dargestellt, wie ein Kleriker eine Buchrolle aus einem Schrank nimmt. Ein zweiter Geistlicher steht hinter ihm. Unter dem Schrank ein Flötenspieler, den die als Frauenfigur dargestellte Musica selbst das Spielen lehrt. Die Personifikation der Musica ist durch die in einem nebenstehenden Rechteck eingeritzte Inschrift C bezeichnet, deren Buchstaben zum Teil monogrammartig verschränkt sind. Darunter eine Schulszene, hinter den Schülern wiederum die Musica.3) Im untersten Teil des Bildes ein Geistlicher, der einen offenbar ungehorsamen Schüler schlägt, zwei weitere knien rechts daneben.

Die andere Tafel zeigt im Relief im oberen Drittel ebenfalls eine Stadtarchitektur, in der unter einem Torbogen eine auf einen Stab gestützte Figur steht. Im Giebelfeld über dem Torbogen monogrammartig verschränkt die Buchstaben der geritzten Inschrift D. Unter der Darstellung ein Schriftband, in dem zwischen zwei Linien die Inschrift E eingraviert ist, und ein Blattfries. Das untere Drittel der Tafel zeigt, wie ein Geistlicher einem anderen aus einer Gruppe eine Buchrolle übergibt. Rechts unterhalb dieses Geistlichen ein Schreiber bei der Arbeit. Im untersten Bildfeld zwei Geistliche, die eine Seite zum Schreiben vorbereiten (?), rechts davon ein weiterer mit einer Buchrolle.

Inschriften nach Abb. Kat. Bernward.

Maße: H.: 24 cm; B.: 8 cm (je Flügel).4)

Schriftart(en): Kapitalis mit unzialen U (B, E), verschränkte Kapitalisbuchstaben (A, C, D).

Ann Münchow [1/1]

  1. A

    ROMA

  2. B

    ROMA / CIUITAS

  3. C

    MV/SI/C/A

  4. D

    RMa)

  5. E

    S(AN)C(TU)S MARTINUS EP(ISCOPU)S

Übersetzung:

Die Stadt Rom. (B)

Der heilige Bischof Martin. (E)

Kommentar

Aus stilkritischen Gründen hat Fillitz das Diptychon dem Kreis der im letzten Drittel des 10. Jahrhunderts in Metz anzusetzenden Wiener Gregortafel zugeordnet, während es Goldschmidt ins 9. Jahrhundert datiert hat.5) Die unregelmäßig ausgeführten Buchstaben erlauben keine sichere Entscheidung für einen der beiden Datierungsvorschläge. Das in der karolingischen Kapitalis unübliche unziale U läßt sich in mehreren ins 10. Jahrhundert datierten Inschriften belegen.6)

Quelle für die Darstellungen auf dem Diptychon ist die Vita Gregors des Großen, die auf Johannes Diaconus zurückgeht: Dort heißt es, Gregor habe eine schola cantorum gegründet und ein Antiphonar zusammengestellt. Als der Kirchengesang in der Karolingerzeit zunehmend in Verfall geriet, habe Karl der Große zwei Kleriker nach Rom geschickt, damit sie dort das Antiphonar kopieren und auf diese Weise eine Erneuerung der Kirchenmusik ermöglichen konnten. Der Vita zufolge ist das authentische Antiphonar in Metz angekommen.7) Die Einzelheiten der Darstellung – wie z. B. die Züchtigung der ungehorsamen Schüler – lassen sich aus der Vita erklären. Unsicher ist aber, welche Bedeutung Inschrift E in dieser Text-Bild-Komposition hat. Sie kann sich entweder auf die kleine Figur oberhalb der Inschrift oder auf die große zentrale Figur eines Klerikers unterhalb der Inschrift beziehen. Außerdem ist nicht klar, welche Bedeutung Martin von Tours in diesem Bildprogramm haben kann, da Metz und nicht Tours das Zentrum für die Erneuerung der Kirchenmusik gewesen ist. Goldschmidt hat in diesem Zusammenhang auf die dem heiligen Martin gewidmete Kirche Saint-Martin-aux-Champs in Metz hingewiesen.8)

Textkritischer Apparat

  1. RM] Kahsnitz (Kat. Bernward 2, S. 559) hält auch diese – möglicherweise nachträglich angebrachte – Buch-stabenfolge für ein ROMA-Monogramm.

Anmerkungen

  1. Inv. Nr.: 2788 und 2789.
  2. Kat. Bernward 2, S. 557–559 (Elfenbeindiptychon) und S. 607f. (Stammheim-Missale).
  3. Ebd., S. 557.
  4. Maße ebd.
  5. Hermann Fillitz: Die Wiener Gregor-Platte. Ein Beitrag zum Lothringischen Elfenbeinrelief des 10. Jahrhunderts. In: Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien 58 (1962), S. 7–22, hier S. 7–10; Adolph Goldschmidt: Die Elfenbeinskulpturen. Aus der Zeit der karolingischen und sächsischen Kaiser. VIII.–XI. Jahrhundert. Bd. 1, Berlin 1914, Tafel LXV, Nr. 153; Text S. 73f.
  6. Vgl. DI 16 (Rhein-Neckar-Kreis II), Nr. 1; DI 38 (Bergstraße), Nr. 7 und Nr. 8.
  7. Vgl. Walter Berschin: Biographie und Epochenstil im lateinischen Mittelalter. Bd. 3. Stuttgart 1991, S. 377f. – Eine ausführliche Deutung der Details in der Darstellung geben Peter Bloch und Hermann Schnitzler: Die Ottonische Kölner Malerschule. Bd. 2, Düsseldorf 1970, S. 149.
  8. Goldschmidt (wie Anm. 5).

Nachweise

  1. Kat. Bernward 2, S. 558 mit Abb.
  2. Adolph Goldschmidt: Die Elfenbeinskulpturen. Aus der Zeit der karolingischen und sächsischen Kaiser. VIII.–XI. Jahrhundert. Bd. 1, Berlin 1914, Tafel LXV, Nr. 153; Text S. 73f.
  3. Peter Bloch und Hermann Schnitzler: Die Ottonische Kölner Malerschule. Bd. 2, Düsseldorf 1970, S. 149 (B, E).

Zitierhinweis:
DI 58, Stadt Hildesheim, Nr. 2† (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di058g010k0000201.