Inschriftenkatalog: Landkreis Hildesheim
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 88: Landkreis Hildesheim (2014)
Nr. 19 Sorsum, kath. Pfarrkirche St. Kunibert 1429 o. früher
Beschreibung
Tafel. Stein mit erneuerter Farbfassung. Heute innen in die Nordwand der Kirche eingelassen, früher in der nördlichen Chorwand.1) Ob die Tafel ursprünglich für Sorsum gestiftet wurde, ist unsicher (vgl. Kommentar). Dargestellt ist in einem profilierten Binnenrahmen im Vordergrund die Verkündigung. In der rechten Bildhälfte Maria, schräg über ihrem Kopf der Heilige Geist in Gestalt einer Taube, in der linken Bildhälfte der Engel kniend mit einem Schriftband (A). Neben und hinter ihm stehen die Heiligen Godehard, Epiphanius und Bernward. Rechts neben Maria die heilige Katharina mit Schwert und Rad sowie die heilige Dorothea mit Körbchen und Erdbeerstaude. Zu Füßen der beiden weiblichen Heiligen kniet der Maria zugewandte Stifter mit Schriftband B. Die Darstellung ist von einem äußeren glatten Rahmen umgeben, in dessen beiden oberen Ecken jeweils das Stifterwappen angebracht ist. Auf diesem Rahmen befindet sich die zweiteilige Inschrift C. Die Inschrift C1 verläuft oberhalb und rechts von der Darstellung, ihre Buchstaben zeigen nach innen, C2 mit nach außen weisenden Buchstaben links und unterhalb des Bildes. Am Beginn der direkten Rede in C1 stehen eine Zeigehand und ein Kreuz. Die Inschriften sind erhaben ausgeführt und vergoldet. Nach mei in Inschrift B ein Doppelpunkt und Blattwerk als Zeilenfüller.
Maße: H.: 69,5 cm; B.: 81 cm; Bu.: 2,4 cm (A, B), 3,2 cm (C).
Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien der gotischen Majuskel.
- A
Aue gracia plena · domi(nus)2)
- B
Templum dei · misererea) · mei :3)
- C1
Maria + Quomodo fiet istud . quia . urumb) / non congnosco . Angelus . ad hec sp(iritu)s s(an)c(tu)s4)
- C2
miseremi(ni) n(ost)ri sancti . dei . Godehardus . / Epyphanius · Berwardus · Katherina · Dorothea
Übersetzung:
Gegrüßt seist du, voll der Gnade, der Herr [ist mit dir]. (A)
Tempel Gottes, erbarme dich meiner. (B)
Maria: Auf welche Weise wird dies geschehen? Denn ich kenne keinen Mann. Der Engel dazu: Der Heilige Geist [wird über dich kommen]. (C1)
Erbarmt euch unser, ihr Heiligen Gottes, Godehard, Epiphanius, Bernward, Katharina, Dorothea. (C2)
Versmaß: Lateinischer Reimvers. (B)
Burchardi von Höxter5) |
Textkritischer Apparat
- miserere] Buchstaben oberflächlich beschädigt.
- urum] Statt uirum.
Anmerkungen
- Kdm. Landkreis Hildesheim, S. 191. In der Chornordwand hat sie auch Kratz im Jahr 1854 gesehen, vgl. Notizbuch Kratz: DBHi, HS C 1598b, S. 20.
- Lc. 1,28.
- Templum dei als Bezeichnung für Maria ist in Verbindung mit der Mutterschaft Christi in der patristischen Literatur und den lateinischen Hymnendichtungen des Mittelalters sehr häufig belegt. Vgl. Anselm Salzer, Die Sinnbilder und Beiworte Mariens in der deutschen Literatur und der lateinischen Hymnenpoesie des Mittelalters. Nachdruck Darmstadt 1967, S. 36f., S. 111f., S. 321; s. a. Marienlexikon, Bd. 6, S. 367–369.
- Lc. 1,34f.
- Wappen Burchardi von Höxter (Lilie). Vgl. StaHi, Bestand 856, Nr. 50/268/3, Domkapitel und Domherren, s. v. ‚Höxter‘.
- Vgl. DI 58 (Stadt Hildesheim), Nr. 145.
- Ob Dorothea tatsächlich zu den Patronen des Hildesheimer Doms gehörte, lässt sich nicht nachweisen. Aus dem Reliquienverzeichnis von 1680 geht hervor, dass der Dom zumindest eine Reliquie dieser Heiligen besaß (HSTA Hannover, Hild. Br. 2 E, Nr.1731; alphabetisches Verzeichnis). Zu den Dompatronen vgl. Victor H. Elbern, Hermann Engfer, Hans Reuther, Der Hildesheimer Dom. Architektur, Ausstattung, Patrozinien. Hildesheim 1974, S. 112.
- Zu Nikolaus Burchardi von Höxter vgl. DI 58 (Stadt Hildesheim), Nr. 144.
- Vgl. Hennecke/Krumwiede, Kirchen- und Altarpatrozinien, S. 134: „die auf dem Relief dargestellten Heiligen vermutlich Patrone der Sorsumer Kirche“.
- Vgl. Handbuch Bistum Hildesheim, Region Hildesheim, S. 76, dort auch weitere Überlegungen zum Kunibert-Patrozinium.
Nachweise
- Kdm. Landkreis Hildesheim, S. 191.
Zitierhinweis:
DI 88, Landkreis Hildesheim, Nr. 19 (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di088g016k0001905.
Kommentar
Die etwas unregelmäßig gehauene gotische Minuskel weist Bogen-r neben Schaft-r auf. Die Schäfte des u enden teils in Quadrangeln, teils abgeschrägt. Der Versal Q mit nach links gewendeter Cauda.
Die Darstellung der Steintafel lässt einen engen stilistischen Zusammenhang mit der Verkündigungsgruppe und den Heiligenfiguren am westlichen Portal der Nordseite des Hildesheimer Doms erkennen.6) In beiden Figurengruppen sind der Engel, Maria sowie die ranghöchsten Patrone des Doms Epiphanius, Godehard und Bernward dargestellt, während sich die beiden weiblichen Heiligen Katharina und Dorothea7) nur auf dem Sorsumer Relief finden. Das aussagekräftigste Indiz für die Nähe zwischen den Figuren am Hildesheimer Dom und dem Sorsumer Relief besteht in dem auf den Hildesheimer Arzt Nikolaus Burchardi von Höxter verweisenden Stifterwappen, das am Dom zu Füßen der Godehard-Figur und auf dem Sorsumer Relief zweifach innerhalb der rahmenden Inschrift angebracht ist. Folglich dürfte auch das Sorsumer Relief auf eine Stiftung des 1429 verstorbenen Nikolaus Burchardi von Höxter zurückgehen. In seiner ursprünglich im Hildesheimer Dom angebrachten Grabinschrift wird er als confrater und magnus amicus ‚Mitbruder und besonderer Freund‘ des Domstifts bezeichnet.8) Auf ihn gehen umfangreiche Stiftungen für den Hildesheimer Dom zurück. Es ist daher nicht auszuschließen, dass auch dieses Relief – nicht zuletzt wegen der hier dargestellten Hauptpatrone des Doms – ursprünglich für den Hildesheimer Dom gestiftet wurde und erst später nach Sorsum gelangt ist. Für die Frage nach dem unbekannten mittelalterlichen Patrozinium der Sorsumer Kapelle – erst seit der frühen Neuzeit ist der hl. Kunibert als Sorsumer Patron bezeugt (vgl. Nr. 413) – dürfte es daher nur unsicheren Zeugniswert haben.9) Die Kapelle Sorsum gehörte als Filialkirche zur Pfarrei St. Martinus in Emmerke und diese wiederum in den Bann des Stifts St. Mauritius in Moritzberg. Im Jahr 1620 wurde Sorsum zur eigenständigen Pfarrei erhoben.10) Möglicherweise ist erst im Zusammenhang mit diesem Ereignis das Kunibert-Patrozinium dort eingeführt worden.