Inschriftenkatalog: Landkreis Hildesheim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 88: Landkreis Hildesheim (2014)

Nr. 114 Eime, ev. Kirche St. Jakobi 1. V. 16. Jh.

Beschreibung

Altartriptychon, sog. Siebenschmerzenaltar.1) Holz, farbig gefasst. Im Jahr 1820 wurden die Flügel vom Schrein getrennt, bis 1960 war der Schrein in einen Kanzelaltar integriert, wobei der untere Teil der Kanzel in das obere Feld der Mittelachse mit der Darstellung der Kreuzigung hineinragte, sodass die Kreuzigung separat aufgestellt werden musste. Seit 1960 sind alle Teile wieder vereint.

Im Schrein Darstellung der Sieben Schmerzen Marias: Um eine zentrale Marienfigur sind links, oben und rechts die folgenden Szenen angebracht: 1. Flucht nach Ägypten, 2. der zwölfjährige Jesus im Tempel, 3. Kreuztragung, 4. Kreuzigung, 5. Beweinung, 6. Grablegung, 7. Darbringung im Tempel. Von den sieben Szenen sind Pfeile auf die Marienfigur gerichtet. Inschrift A1 auf dem Rahmen unter der Marienfigur, B1 auf dem Gewandsaum, C im Nimbus. Inschrift B2 in der Szene Flucht nach Ägypten auf dem Mantelsaum der Maria. Inschriften B3 und B4 in der Szene der Darbringung im Tempel auf den Mantelsäumen von Maria oder Hanna (?) und Josef (?), B4 ist gold auf dunklem Grund gemalt. Die Darstellung der Sieben Schmerzen wird links und rechts flankiert von je zwei Apostelfiguren: links oben Jakobus d. Ä., darunter Bartholomäus, rechts oben Petrus, darunter Paulus. Die Beischriften A2 sind in den Feldern unter den Figuren hell auf dunklem Grund gemalt, B5 auf dem Gewandsaum des Paulus, rot auf blauem Grund.

Auf dem linken Flügel in zwei Registern jeweils zwei Paare von Heiligen: oben links Bernward und Anna selbdritt, oben rechts Johannes der Täufer und Katharina; unten links Georg und Elisabeth, unten rechts Nikolaus und Dorothea. Die Figuren sind durch die Beischriften A3 auf den Feldern unter den Figuren bezeichnet. Auf dem Mantelsaum der Bernwardfigur Inschrift B6, dunkel auf roten Grund gemalt, B7 auf dem Mantelsaum des Johannes und B8 auf dem Mantelsaum der Katharina, rot auf blauem Grund gemalt, B9 auf dem Mantelsaum der Dorothea.

Auf dem rechten Flügel in derselben Anordnung oben links Barbara und Martin, oben rechts Maria Magdalena und Laurentius; unten links Lucia und Andreas, unten rechts Margareta und Jakobus d. J. Die Figuren sind durch die Beischriften A4 auf den Feldern unter den Figuren bezeichnet. Auf dem Mantelsaum des Jakobus die Inschrift B10.

Die Rückseite der Flügel zeigt je zwei Bilder übereinander. Links oben die Verkündigung, unten die Enthauptung Jakobus’ d. Ä. Rechts oben die Geburt Christi, unten Reste eines Heiligenmartyriums.

Die Inschriften A1–A4 sind mit heller Farbe auf dunklem Grund gemalt und zeigen starke Überformung durch Restaurierung. Die Inschriften B und C sind – soweit nicht anders vermerkt – glatt vor trassiertem Hintergrund ausgeführt, als Worttrenner Rauten. Bei den Inschriften B wechselt, bedingt durch die imaginären Gewandfalten, die Leserichtung, die verschiedenen Bereiche der Gewandsäume sind in der Edition durch einfache Schrägstriche voneinander getrennt.

Maße: H.: 177 cm; B.: 393 cm (in geöffnetem Zustand), 196 cm (Schrein); Bu.: 3 cm (A), 1,8–3 cm (B), 2,6 cm (C).

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien (A1–A4), Frühhumanistische Kapitalis (B1–B10, C).

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Christine Wulf) [1/3]

Maria

  1. A1

    · S(an)c(t)a · Maria · ora ·

  2. B1

    BIT · [./. .]a) O MATER · DEI · MIS(ERERE) / V · / A · /A / · TA ·

  3. C

    · SA[NCTA MA]RIA · O[RA]

Übersetzung:

Heilige Maria, bitte [für uns]. (A1, C ) O Mutter Gottes, erbarme [dich]. (B1)

Flucht nach Ägypten

  1. B2

    [. . .]S MARIA

Darbringung im Tempel

  1. B3

    [. .] / SANCT / [. . .]NAb) / [.]

  2. B4

    JO[ – – – ]

Apostelfiguren

  1. A2

    S(anct)(us) · Jacob(us) · // S(anct)(us) bartolomeuS // · S(an)c(tu)sc) · petruS · // · S(an)c(t)(us) · paulus ·

  2. B5

    [.]OTTELLd) · Se) PAVLVS · BYTf) · GOT · [ – – – ] / STEg)

Heiligenfiguren linker Flügel

  1. A3

    S(anct)(us) barward(us) · S(an)cta · Anna · // S(anct)(us) Jo(ann)es · baptista · S(anct)a · katerina · // S(anct)(us) Georgi(us) · S(anct)ah) Elizabet · // S(anct)(us) nicola(us)i) · S(anct)aj) dorothea ·

  2. B6

    [. . . . .]BA·R / BAR / [. .] · A · P / RA · [. .]O[. . .] / S [.] A[.] B

  3. B7

    · SANC(TV)S

  4. B8

    SANCTA / [. . . .]ERINA[.]k)

  5. B9

    [.]E[.]SAT · M

Heiligenfiguren rechter Flügel

  1. A4

    S(an)c(t)a · Barbera · S(anct)(us) · Martin(us) · // S(ancta) · Marial) · Madda(lena) · S(anct)(us) laure(n)ci(us) · // S(anct)am) · lucia · S(anct)(us) · andreaS · // S(anct)am) Margaretan) · S(anct)us Jacob(us) mi(nor)

  2. B10

    N · SANCT IA/[COB(VS)] MINOR

Übersetzung:

Der heilige Jakobus der Jüngere. (B10)

Kommentar

Die Inschriften in frühhumanistischer Kapitalis dürften, zumindest sofern sie auf Goldgrund punziert sind, noch weitgehend dem Original entsprechen. Von diesen Inschriften lassen die auf den Gewandsäumen und im Nimbus der zentralen Marienfigur angebrachten eine besonders ornamentale, eigene Gestaltungsweise erkennen: R in (B1) mit einem kleinen eingerollten Bogen und einer stark geschwungenen, ebenfalls an den Enden eingerollten Cauda, byzantinisches M in (C). In den übrigen Inschriften fällt N mit zwei konturierten senkrechten, an den Enden keilförmig verbreiterten Schäften und einem feinen, zu einer langgestreckten schrägliegenden Raute reduzierten Diagonalschaft (B3) auf.

Die Inschriften B bestehen, wie bei Gewandsauminschriften häufig zu beobachten, aus Reihen rein ornamentaler Einzelbuchstaben, die keinen Sinnzusammenhang erkennen lassen.2) Sofern aber doch sinnvolle Einheiten zu lesen sind, formulieren sie im vorliegenden Inschriftenprogramm Bitten um Fürbitte nach Art der Litanei. Sie richten sich an die dargestellten Heiligen und an die Gottesmutter in lateinischer (A1, C) oder deutscher (B5) Sprache sowie in einer lateinisch-deutschen Parallelversion (B1). Einige der Gewandsauminschriften bieten zusätzlich eine Identifizierung der Figur (u. a. B4, B8, B10).

Nach Stuttmann/von der Osten stammen die Skulpturen von dem Meister des Hildesheimer Johannesaltars (um 1515–1520).3) Gmelin lokalisiert die Malerei ebenfalls in den Raum Hildesheim und datiert sie auf um 1515.4) Die auf der Rückseite angebrachte Szene aus der Jakobus-Legende entspricht dem Patrozinium der Kirche in Eime und zeigt, dass der Altar ursprünglich für diese Kirche gestiftet wurde.

Textkritischer Apparat

  1. [. /. .]] Der erste Buchstabe der nicht eindeutig lesbaren Buchstabenfolge besteht aus zwei ineinandergreifenden Halbkreisen – vielleicht ein spiegelverkehrtes S.
  2. [. . .]NA] Vielleicht [HAN]NA.
  3. Versal-S spiegelverkehrt.
  4. [.]OTTELL] Vielleicht [A]POTTELL statt ‚Apostel‘.
  5. S] Auflösung unsicher, da nicht entscheidbar, ob lateinische oder deutsche Form.
  6. BYT] T klein unter Y.
  7. Vielleicht [APO]STE[L].
  8. S(anct)a] a hochgestellt.
  9. nicola(us)] Der zweite Schaft des n in der Form eines Bogen-r.
  10. S(anct)a] a hochgestellt.
  11. [. . . .]ERINA] Wahrscheinlich [CATH]ERINA.
  12. Maria] Das Schluss-a über dem ersten a in Form eines auf zwei Quadrangeln reduzierten cc-a.
  13. S(anct)a] a hochgestellt.
  14. Margareta] Das Schluss-a als auf zwei Quadrangeln reduziertes cc-a hochgestellt.

Anmerkungen

  1. Material, Ausführungstechnik und Geschichte des Altarretabels nach Gmelin, Spätgotische Tafelmalerei, S. 334 und Kdm. Kreis Alfeld II (Gronau), S. 57f. (mit ausführlicher Beschreibung); s. a. Lüken, Verkündigung, CD- Rom, Katalog N 33.
  2. Vgl. Kloos, Einführung, S. 46; Arnold, Gemälde-Inschriften, S. 116–120. Zum Vergleich s. DI 58 (Stadt Hildesheim), Nr. 273, 274, 275, 276, 277 (um 1510), Nr. 298 (1510–1520), Nr. 312, 313, 314 (1. V. 16. Jh.) und die Figuren in Farmsen Nr. 124; s. dazu auch Einleitung Kap. 8.3 (Frühhumanistische Kapitalis).
  3. Vgl. Stuttmann/von der Osten, Niedersächsische Bildschnitzerei, S. 58f.
  4. Gmelin, Spätgotische Tafelmalerei, S. 332–334.

Nachweise

  1. Mithoff, Kunstdenkmale Fürstenthum Calenberg, S. 27f.
  2. Kdm. Kreis Alfeld II (Gronau), S. 57 (A), Abb. Tafel 19.

Zitierhinweis:
DI 88, Landkreis Hildesheim, Nr. 114 (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di088g016k0011408.