Inschriftenkatalog: Landkreis Hildesheim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 88: Landkreis Hildesheim (2014)

Nr. 103 Hoyershausen, ev. Kirche St. Marien u. Lamberti 1514

Beschreibung

Glocke. Bronze. Sie stammt aus der St. Laurentius-Kirche in Bodenburg und ist erst zwischen 1780 und 1826 nach Hoyershausen gekommen,1) vgl. Kommentar. Die erhaben gegossenen Inschriften A–C verlaufen in zwei von Riemenstegen begrenzten Zeilen zwischen Ornamentfriesen unterhalb der Glockenschulter. Das Wort ducasti läuft von der ersten Zeile über die Riemenstege in die zweite Zeile und leitet so zum weiteren Text der Inschrift über. Auf der Flanke im Relief Maria mit dem Kind im Strahlenkranz, der Abdruck eines Brakteaten und das spiegelverkehrte Gießerzeichen Harmen Kosters (M 7). Auf der Gegenseite das Relief des heiligen Laurentius mit dem Rost. Zwischen den Wörtern der Inschrift einzelne Bilder, bei denen es sich zumindest in einem Fall um ein Pilgerzeichen handeln könnte: vor Anno eine Darstellung wahrscheinlich der Anna selbdritt im Strahlenkranz, vor d(omi)ni ein Christuskopf, vor mater im Medaillon die Gottesmutter mit Kind im Strahlenkranz, zwischen preces und harme(n) im Medaillon die Arma Christi,2) zwischen me fecit und me rege im Medaillon zwei Frauen mit Kind, daneben ein weiterer Brakteatenabdruck. Der Versal von Anno ist reich verziert.

Maße: H.: 94 cm; Dm.: 108,5 cm; Bu.: 3 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel (A–C) mit Versal (A).

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Christine Wulf) [1/4]

  1. A

    · Anno · d(omi)ni m vc xiiij

  2. B

    · mater ave (cristi)a) sanctisima virgo maria partv post partv(m) sicut et ante manens virgo quemb) cristu(m) peperisti lacte ducastic) / me reged) me serua me tueare potes me tibi co(m)mendo me virgo relinquere nolie) ne perea(m) (cristo)f) funde maria preces3) ·

  3. C

    harme(n) koster me fecit4) ·

Übersetzung:

Im Jahr des Herrn 1514. (A)

Gegrüßt seist du, Mutter Christi, allerheiligste Jungfrau Maria, die du bei der Geburt, nach der Geburt so wie vorher Jungfrau geblieben bist. Du hast Christus geboren und mit Milch aufgezogen, leite mich, bewahre mich, schütze mich, denn du vermagst es. Ich vertraue mich dir an, Jungfrau, verlass mich nicht. Bring, Maria, deine Bitten vor Christus, dass ich nicht zugrunde gehe. (B)

Harmen Koster hat mich gemacht. (C)

Versmaß: Drei elegische Distichen (B).

Kommentar

Die Inschrift ist in einer am Idealbild der Textura orientierten, durchgebildeten gotischen Minuskel ausgeführt, die als typisch für den Gießer Harmen Koster gelten kann.5) Hinsichtlich der Gestaltung der Buchstaben wie auch der Auswahl des Hymnen-Textes gehört diese Inschrift zu den anspruchsvollsten Glockeninschriften im vorliegenden Bestand.

Das Relief mit der Darstellung des Laurentius auf der Flanke der Glocke deutet darauf hin, dass die Glocke ursprünglich für eine Kirche mit einem Laurentius-Patrozinium bestimmt war. Mit großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich dabei um die St. Lorenz-Kirche in Bodenburg, für die Hassel (um 1780) eine um 1500 entstandene Glocke mit eben dieser Inschrift bezeugt,6) die zur Zeit der Kunstdenkmälerinventarisation durch Steinacker 1910 dort nicht mehr vorhanden war. Sie dürfte im Zusammenhang mit dem Neubau der St. Lorenz-Kirche im Jahr 1826 aus Bodenburg nach Hoyershausen gelangt sein.

Textkritischer Apparat

  1. cristi] Befund: Das Wort wurde beim Guss ausgelassen und nachträglich konturiert eingeritzt in Form einer Ligatur aus x und p mit hochgestelltem o. Die Interpretation des Befunds ist nicht eindeutig, der sonst unvollständige Hexameter fordert aber an dieser Stelle das Wort cristi.
  2. quem] Statt quae.
  3. lacte ducasti] Statt lacte educasti, möglicherweise Haplografie. Im Apparat der Analecta Hymnica (vgl. Anm. 3) ist lacte ducasti als Variante belegt.
  4. me rege] In der in den Analecta Hymnica edierten Fassung (vgl. Anm. 3) an dieser Stelle sicherlich fehlerhaft: Mergere.
  5. noli] o ausgebrochen.
  6. (cristo)] Befund: xpo mit Kürzungsstrich über dem o.

Anmerkungen

  1. Bereits Graff vermerkt, dass die Glocke nicht ursprünglich für Hoyershausen bestimmt gewesen sei, sondern später angekauft wurde. Er kennt aber den Herkunftsort nicht, vgl. Graff, Geschichte des Kreises Alfeld, S. 276.
  2. Das medaillenförmige Pilgerzeichen stammt möglicherweise von einer Wallfahrt nach Brauweiler, vgl. Pilgerzeichendatenbank Nr. #1043, nachgewiesen auf einer Glocke von 1513 in Niederkassel/Rheidt. http://www.pilgerzeichen.de/item/pz/1043 (letzter Zugriff am 17.03.2012). Das Pilgerzeichen auf der Hoyershausener Glocke entspricht nicht in allen Darstellungselementen dem auf der Rheidter Glocke, ähnelt aber einem „Brauweiler Lanzenbildchen“ aus dem 18. Jahrhundert. Nähere Ausführungen dazu bei Jörg Poettgen, Die Leidenswerkzeuge Jesu auf einer Glocke. Ein spätgotisches Pilgerzeichen aus Brauweiler. In: Pulheimer Beiträge zur Geschichte 27 (2003), S. 36–40.
  3. Vgl. Analecta Hymnica, Bd. 46, S. 168.
  4. Zu Harmen Koster vgl. den Kommentar zu Nr. 60.
  5. Zur Schrift Kosters s. den Kommentar zu seiner ältesten erhaltenen Glocke Nr. 94 u. zu Nr. 102.
  6. Vgl. Kdm. Kreis Gandersheim, S. 29 und STA Wolfenbüttel, LB 1225, Bd. XIII.

Nachweise

  1. Graff, Geschichte des Kreises Alfeld, S. 276.
  2. Kdm. Kreis Alfeld I, S. 168f. mit Abb.

Zitierhinweis:
DI 88, Landkreis Hildesheim, Nr. 103 (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di088g016k0010305.