Inschriftenkatalog: Landkreis Hildesheim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 88: Landkreis Hildesheim (2014)

Nr. 67 Woltershausen, ev. Kirche St. Marien 2. H. 15. Jh.

Beschreibung

Kelch. Silber, vergoldet.1) Ursprünglicher Standort nicht im Lkr. Hildesheim, sondern im Baltikum, wahrscheinlich im Gebiet des heute zu Estland gehörenden Stifts Ösel-Wiek. Der spätestens seit dem 19. Jahrhundert in Woltershausen nachzuweisende Kelch dürfte zusammen mit einer ebenfalls aus dem Baltikum stammenden älteren Patene (Nr. 17) zu einem unbekanntem Zeitpunkt nach Woltershausen gekommen sein.

Sechspassfuß, in den Zwickeln des Sechspasses spitze Zacken, über einer breiten Sockelplatte. Auf dem Fuß eine Kreuzigungsgruppe zwischen zwei Wappen. Am Nodus Maßwerkverzierungen und sechs Rotuli. Oberhalb und unterhalb des Nodus zwei sechseckige Schaftstücke mit den glatt vor bearbeitetem Hintergrund gravierten Inschriften A. Schlichte Kuppa mit kleinem Kelchkorb. Inschrift B auf der Unterseite des Fußes eingraviert, als Worttrenner Sternchen. Unter dem Fuß außerdem ein neuzeitlicher Renovierungsvermerk.2)

Maße: H.: 21,5 cm; Dm.: 16,2 cm (Fuß), 11 cm (Kuppa); Bu.: 0,5 cm (A), 0,4 cm (B).

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Christine Wulf) [1/2]

  1. A

    ihesus // maria v(irgo)

  2. B

    got · gevea) · den · de · evige · pin · de · dessen · keliek · nicht · let · bi · alle · godes · hiligen · tv · evigen · tiden · sin ·

Übersetzung:

Jesus. Jungfrau Maria (A).

Gott gebe dem die ewige Pein, der diesen Kelch nicht bei allen Heiligen Gottes auf ewige Zeiten sein lässt (B).

Versmaß: Deutsche Reimverse (B).

Wappen:
Wettberg3), Üxküll4)

Kommentar

Die Inschriften A sind in einer ornamentalen spätmittelalterlichen Goldschmiedeminuskel ausgeführt. Die Brechungen sind durch Einkerbung oder Strichelung markiert, Schaft-s mit Zackenkontur. Inschrift B gehört hingegen zum scharfzackig-spitzen Typ der gotischen Minuskel mit spitz endenden Quadrangeln und lang ausgezogenen gegabelten Oberlängen. Die gegenläufigen Bögen des s berühren sich nicht.

Die zeitliche Einordnung der Inschrift folgt Bruiningk, der die Familie Wettberg nicht vor dem 15. Jahrhundert in Livland nachweisen konnte. Auch der Stil der Wappenschilde spreche für diese Entstehungszeit.5) Verwünschungsformeln, wie sie die Inschrift B bietet, sind vielfach aus Handschriften bekannt, ein Beispiel für derartige epigrafische Texte bietet ein Tragaltar aus der Stiftskirche Gandersheim (11. Jh.): ME SI PORTE (statt FORTE) LOCO QVISP[IAM] / SVSTOLLAT AB IPSO : DELEAT / HVNC IPSVM CHRISTO (statt CHRISTUS) DE SOR/TE SVORVM ‚Wenn mich (sc. den Tragaltar) etwa irgendjemand von diesem Ort wegnehmen sollte, dann soll Christus diesen Betreffenden aus der Gemeinschaft seiner Erwählten tilgen‘.6)

Textkritischer Apparat

  1. geve] Danach Doppelschreibung eve, dreimal durchstrichen.

Anmerkungen

  1. Eine eingehende Untersuchung des baltischen Entstehungszusammenhangs bietet H. von Bruiningk, Kelch und Patene der Kirche zu Woltershausen in Hannover. In: Sitzungsberichte der Gesellschaft für Geschichte und Altertumskunde der Ostseeprovinzen Russlands aus dem Jahre 1907. Riga 1908, S. 107–117.
  2. Wiederhergestellt Ostern 1907 Th. Blume Goldschmied Hildesheim.
  3. Wappen Wettberg (Adlerflug mit Kleestengeln und Wolfskopf). Beschreibung und Zuweisung des Wappens nach Bruiningk (wie Anm. 1), S. 113.
  4. Wappen Üxküll (bekrönter hersehender Löwe mit Doppelschweif). Beschreibung und Zuweisung des Wappens nach Bruiningk (wie Anm. 1), S. 113f.
  5. Bruiningk (wie Anm. 1), S. 115.
  6. Zu Verwünschungsformeln in Handschriften s. Wilhelm Wattenbach, Das Schriftwesen im Mittelalter. 3Leipzig 1896, S. 527–534; zum Gandersheimer Tragaltar s. Christine Wulf, DIO 2 (Kanonissenstift Gandersheim), Nr. 5. Online unter: www.inschriften.net/gandersheim/inschrift/nr/dio002-0005.html#content (letzter Zugriff am 01.11.2013).

Nachweise

  1. H. von Bruiningk, Kelch und Patene der Kirche zu Woltershausen in Hannover. In: Sitzungsberichte der Gesellschaft für Geschichte und Altertumskunde der Ostseeprovinzen Russlands aus dem Jahre 1907. Riga 1908, S. 107–117, hier S. 111 mit Abb. Tafel III.
  2. Kdm. Kreis Alfeld I, S. 303.

Zitierhinweis:
DI 88, Landkreis Hildesheim, Nr. 67 (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di088g016k0006704.