Inschriftenkatalog: Landkreis Hildesheim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 88: Landkreis Hildesheim (2014)

Nr. 36 Alfeld, ev. Kirche St. Nicolai 1468

Beschreibung

Glocke. Bronze. Die erhaben gegossene Inschrift verläuft zwischen drei Schnurstegen in zwei Zeilen um die Glockenschulter. An den Schnurstegen sind hängende Kreuzblumen und Fruchtgehänge angebracht. Im Text kleine figürliche Darstellungen: Nach der Jahreszahl und nach solle(m)pnia jeweils Maria mit Kind, nach fra(n)go Hieronymus mit dem Löwen. Auf der Flanke zwei Bischofsfiguren im Relief: 1. Nikolaus, die Figur ragt nach dem Wort nicolao in das Schriftband hinein; 2. Bischof mit Krukenkreuz unterhalb des Schriftbandes, wahrscheinlich der heilige Bernward von Hildesheim. Neben dem Kopf des Nikolaus zwei Brakteaten. Unterhalb des Schriftbandes eine Gießermarke (M 4).

Maße: H.: 104 cm; Dm.: 127 cm; Bu.: 5,8 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Christine Wulf) [1/2]

  1. anno · d(omi)ni m° · cccc° lxviii ·defv(n)ctos · pla(n)go + co(n)vocoa) · tvnitrva · fra(n)go · ast · melos · cla(n)go · d(omi)ni // solle(m)pnia · pa(n)go facisb) · lavs sadaoc) · p(at)rono · sit nicolao

Übersetzung:

Im Jahr des Herrn 1468. Ich beklage die Toten, ich rufe [die Lebenden] zusammen, ich breche den Donner. Aber ich singe ein Lied, ich mache die Feier des Gottesdienstes bekannt. […] Lob sei dem heiligen Patron Nikolaus.

Versmaß: Drei Hexameter (defunctos … nicolao), prosodisch fehlerhaft, die Verse 1 u. 2 zweisilbig, Vers 3 einsilbig leoninisch gereimt.

Kommentar

Die Inschrift ist zwar in sorgfältig gestalteten Buchstaben der gotischen Minuskel ausgeführt mit gegabelten Oberlängen bei l, und s mit versetzten Bögen und Diagonalstrich, der Text ist aber insgesamt fehlerhaft, der dritte Vers im überlieferten Wortlaut nicht sinnvoll zu übersetzen. Zugrunde liegt der Inschrift die seit dem 13. Jahrhundert in vielen Varianten nachzuweisende allgemeine Funktionsbestimmung von Glocken: Tote zu beklagen, die Gläubigen zur Kirche zu rufen, den Donner zu brechen u. a.1) Diese Funktionen der Glocke sind auch Bestandteile des bischöflichen Gebets im Rahmen der liturgischen Glockensegnung nach Beendigung der Psalmen.2)

Textkritischer Apparat

  1. co(n)voco] Davor ist vivos ausgefallen; co(n)voco prosodisch fehlerhaft.
  2. facis] Statt pacis? An der Fahne des f setzt ein nach unten verlaufender Zierstrich an.
  3. sadao] Statt sancto. Die Konjektur liegt der Übersetzung zugrunde.

Anmerkungen

  1. Zu den vielfach verwendeten Formeln der Funktionsbezeichnung einer Glocke vgl. Walter, Glockenkunde, S. 185–187 mit Erwähnung der Alfelder Glocke (S. 187).
  2. Vgl. Steffens, Kirchweihe u. Glockensegnung, S. 169f.: ad invitandos filios sanctae ecclesiae … recedat … umbra phantasmatum … percussio fulminum, laesio tonitruorum, calamitas tempestatum …

Nachweise

  1. Mithoff, Kunstdenkmale Fürstenthum Hildesheim, S. 16.
  2. Graff, Geschichte des Kreises Alfeld, S. 616.
  3. Kdm. Kreis Alfeld I, S. 41.
  4. Drömann, Glocken, S. 50.

Zitierhinweis:
DI 88, Landkreis Hildesheim, Nr. 36 (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di088g016k0003609.