Inschriftenkatalog: Landkreis Hildesheim
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 88: Landkreis Hildesheim (2014)
Nr. 4† Lühnde, ev. Kirche St. Martin 1278
Beschreibung
Glocke. Bronze. Den Ausführungen des Hildesheimer Historikers Johann Michael Kratz (1807–1885) zufolge wurde sie am 6. Januar 1858 in der Hildesheimer Glockengießerei Bartels zerschlagen und das Material für den Guss einer neuen, ebenfalls für Lühnde bestimmten Glocke verwendet.1) Die Inschrift A verlief nach einer von Kratz angefertigten Zeichnung zwischen zwei doppelten Stegen um die Schulter, Inschrift B darunter in kleineren Buchstaben. Auf der Flanke ein Brustbild Christi mit Nimbus und der Unterschrift C. Rechts und links neben dem Bild Christi die beiden jeweils mit einem Kreuz verzierten Buchstaben der Inschrift D. Auf der gegenüberliegenden Flanke ein Brustbild der Gottesmutter mit der Unterschrift E.
Inschriften nach Kratz (teils Zeichnung).
Maße: H.: 100 cm; Dm.: 133 cm.2)
Schriftart(en): Gotische Majuskel (A, B, C, E), griechische Buchstaben (D).
- A
+ SIGNO · DIES · FESTOS · FLEO · DEFVNCTOS VOCO · VIVOS
- B
ANNO DOMINI M · CC · LXX · VIII · ME FVDIT · TIDERIC(VS) VI · K(ALENDAS) · NOVE(M)B(R)IS3) · ET · ME · PINXIT · HERMANNUS PLEBAN(VS) ·
- C
JESVSa) (CHRISTVS)b)
- D
A ω
- E
MARJA
Übersetzung:
Ich bezeichne die Feiertage, beweine die Verstorbenen [und] rufe die Lebenden. (A)
Im Jahr des Herrn 1278 goss mich Tidericus am 6. Tag vor den Kalenden des November, und Pfarrer Hermann gestaltete mich. (B)
Versmaß: Hexameter, einsilbig leoninisch gereimt (A).
Textkritischer Apparat
- JESVS] Fehlt Mithoff, Kdm.
- Befund: XPC, der Schaft des P durchstrichen. Kratz, Mithoff.
Anmerkungen
- Beschreibung, Schriftart und Inschrift nach: Johann Michael Kratz, Ein Beitrag zur Geschichte der Glocken. In: Organ für christliche Kunst, Bd. 8 (1858), S. 64f.; vgl. auch Kdm. Landkreis Hildesheim, S. 154–156, Glocken Nr. 12 (mit Angabe von Höhe und Durchmesser) u. Nr. 14.
- Maße nach Mithoff, Kunstdenkmale Fürstenthum Hildesheim, S. 198.
- 27. Oktober.
- Die Bauinschrift in dem heute nicht mehr im Lkr. Hildesheim gelegenen Ort Bolzum lautet: ANNO · DOMINI M · CC / · LXXX · II FABRIKATA EST HEC ECCL(ESI)A / SUB FUNDATOR[E] / LUDOLFO · PLE(BA)/NO HERMANNO [IN] HONORE S(AN)C(T)I · [NI]COLAI [MY]RICI. Die Ergänzung [MY]RICI ‚von Myra‘ ist unsicher. Zum Inschriftentext vgl. Kdm. Landkreis Hildesheim, S. 29 und Tafel 13b. Kratz überliefert am Ende der Inschrift EPCI mit Kürzungsstrich, kennzeichnet seine Lesung aber auch als unsicher, vgl. DBHi, HS C 1530, o. S.
- Kdm. Landkreis Hildesheim, S. 147.
- Vgl. Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Königreichs Sachsen, 16. Heft: Amtshauptmannschaft Leipzig, bearb. von Cornelius Gurlitt. Dresden 1894, S. 4.
- Eichler, Stück- und Glockengießer, S. 262.
Nachweise
- Johann Michael Kratz, Ein Beitrag zur Geschichte der Glocken. In: Organ für christliche Kunst 8 (1858), S. 64f. mit Tafel 1.
- C. Einfeld, 4. Alte Kirchenglocke. In: Zeitschrift des historischen Vereins für Niedersachsen 1857/1858, S. 358 (nach Kratz).
- Otte, Glockenkunde, S. 118, Anm. 1, Zeichnung, S. 90.
- Mithoff, Kunstdenkmale Fürstenthum Hildesheim, S. 199, Zeichnung Tafel VIII.
- Walter, Glockenkunde, S. 189.
- Kdm. Landkreis Hildesheim, S. 154 (Abb. Zeichnung Mithoff).
- Peine, Geschichte des Dorfes Lühnde, S. 123f., Zeichnung S. 125 (nach Mithoff).
Zitierhinweis:
DI 88, Landkreis Hildesheim, Nr. 4† (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di088g016k0000407.
Kommentar
Der in Inschrift B genannte HERMANNUS ist wahrscheinlich mit dem HERMANNUS PLEBANUS in einer Bauinschrift an der Kirche in Bolzum aus dem Jahr 1282 zu identifizieren.4) Die Kirche in Bolzum gehörte ursprünglich zu Lühnde und wurde erst mit dem Neubau im Jahr 1280 selbstständig. In Lühnde ist seit 1117 eine Kirche urkundlich belegt.5) Im 13. Jahrhundert hatte die dortige Archidiakonatskirche ein Geläut, das aus mindestens zwei Glocken bestanden haben muss; denn die seit dem 18. Jahrhundert in Ummeln befindliche Glocke, die ins 13. Jahrhundert datiert werden kann (Nr. 3), stammt ebenfalls aus Lühnde.
Der Gießer der Lühnder Glocke, TIDERICVS, wird im Kunstdenkmälerinventar des Königreichs Sachsen mit dem Vater eines mehrfach inschriftlich belegten sächsischen Gießers Heinricus identifiziert,6) der sich in seiner Gießersignatur HEINRICVS FILIVS TIDERICI nennt. In Folge dieser nicht zu belegenden Identifizierung überliefert das Handbuch der Stück- und Glockengießer von Hans-Georg Eichler die Inschrift der Lühnder Glocke fälschlich als Inschrift auf einer Glocke in Baalsdorf (bei Leipzig).7)