Inschriftenkatalog: Stadt Helmstedt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 61: Stadt Helmstedt (2005)

Nr. 270† St. Stephani 1680

Beschreibung

Grabdenkmal der Anna Sophie Gieseke. Es wird von Böhmer 1710 unter den Steinen im nördlichen Teil des Friedhofes aufgeführt1).

Inschrift nach Böhmer.

  1. ANNAM SOPHIAM GIESEKEN anno aetatis XXXVII coniugii XII die primo Maii a(nn)o MDCLXXX quum rapuit auara mors2) praeter fas omne abrupit celebrem ad Elmum vrbem celebri orbauit ciue Antonium Kappelium fida laborum et precum socia piam matrem Catharinam Arends obedientissima beneficiorumque memori filia duos filios totidemque filias optimo virtutum exemplari matre ministerium domesticum prudentissima & mitissima gubernatrice ac vt abditi ciuitatis anguli quoque lugerent pauperum miseriam munifica et beneficentissima tutela viduauit Tot et plura damna vnico saeuae falcis ictu illata dum viduus secundo implexus luctu3) luget lugent quoque boni omnes4) Vale viator & abi

Übersetzung:

Als am 1. Mai im Jahre 1680 der unersättliche Tod Anna Sophia Gieseke im siebenunddreißigsten Lebensjahr, im zwölften Jahr ihrer Ehe entführte5), sie gegen alle natürliche Ordnung dahinraffte, beraubte er die bekannte Stadt am Elm einer bekannten Bürgerin, den Ehemann Anton Kappel einer treuen Gefährtin seiner Arbeit und seiner Gebete, die fromme Mutter Catharina Arends einer Tochter, die stets gehorsam war und sich an die empfangenen Wohltaten erinnerte, die beiden Söhne und ebenso viele Töchter der Mutter, eines vollkommenen Abbilds der Tugenden, den Hausstand einer höchst klugen und sanften Leiterin und, auf daß auch die abgelegenen Winkel der Stadt in Trauer verfielen, die Armen in ihrem Elend brachte er um ihre freigebige und wohltätigste Schutzpatronin. Während der Witwer, sich ganz der einsetzenden Trauer hingebend, in Schmerz versinkt über so viele und noch mehr Verluste, die ein Streich der grausamen Sichel gebracht hat, trauern mit ihm auch alle Redlichen. Leb wohl, Wanderer, und geh von hinnen!

Kommentar

Die Verstorbene ist die Ehefrau eines einflußreichen und begüterten Bürgers der Stadt. Ihr Mann Anton Kappel, gebürtig aus Walbeck, Ohrekreis, wurde am 21. August 1658 in Helmstedt immatrikuliert6). Von ihm sind zwei juristische Disputationen erhalten7). 1666 erhielt er das Bürgerrecht und betätigte sich als Kontributionseinnehmer, Syndikus des Klosters St. Ludgeri, Advokat in Wolfenbüttel und wurde Ratsmitglied in Helmstedt8). Er ist als zeitweiliger Eigentümer von fünf Häusern eingetragen9) – materielle Voraussetzung für die in der Inschrift gerühmte Armenfürsorge der Ehefrau. Die Würdigung der Toten verläßt mit mors .. vrbem celebri orbauit ciue den herkömmlichen Katalog der Frauentugenden, indem die Teilhabe der Frau am außerhäuslichen Leben ausdrücklich positiv bewertet wird.

Anmerkungen

  1. Böhmer, Inscriptiones, S. 46 LAPIDES IN PARTE COEMITERII anteriore mit S. 102f.
  2. Zu avara mors vgl. Vergil, Georgica 2, 492 Acheron avarus.
  3. Vgl. Tacitus, Annalen 16,10 vidua implexa luctu.
  4. Zu boni omnes vgl. S. 37f. der Einleitung.
  5. Oder „im Alter von siebenunddreißig Jahren, nach zwölf Jahren Ehe“? – Zur Übersetzung von aetatis vgl. S. 35f. der Einleitung.
  6. Matrikel Helmstedt, Bd. 2, S. 128.
  7. Kundert, Katalog, S. 357 und S. 361.
  8. Schaper, Häuserbuch 1,2, S. 36.
  9. Schaper, Häuserbuch 1,2, S. 36, S. 82, S. 94; 1,3, S. 160; 1,4, S. 94.

Nachweise

  1. Böhmer, Inscriptiones, S. 102f.

Zitierhinweis:
DI 61, Stadt Helmstedt, Nr. 270† (Ingrid Henze), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di061g011k0027008.