Inschriftenkatalog: Stadt Helmstedt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 61: Stadt Helmstedt (2005)

Nr. 84 St. Stephani 1584

Beschreibung

Grabplatte des Alexander Kock. Gußeisen. Im südlichen Seitenschiff, etwa in der Mitte der südlichen Außenwand. 1710 hing die Platte außen an der Nordseite beim westlichen Hauptportal1). Dort zuletzt 1896 bezeugt2). Seit der Kirchenrenovierung von 1904–1906 am jetzigen Standort3). Inschrift A als Umschrift, oben links beginnend. Das fünffach quergeteilte Mittelfeld hat im obersten Teil zwei Wappenschilde mit Hausmarken, der rechte enthält eine von Initialen (Inschrift B) begleitete Hausmarke. Darunter bis zur Plattenmitte großes Schriftfeld mit Inschrift C. In den restlichen drei Querfeldern oben Christus am Kreuz mit Titulus (Inschrift D) zwischen zwei Wappenschilden mit Hausmarken. Neben jeder Hausmarke heraldisch links im Schildhaupt eine Initiale (Inschriften E, F). Darunter Querstreifen mit Renaissanceornament, abschließend Streifen mit drei weiblichen Figuren, links Fides mit Kreuz und Kelch, in der Mitte Caritas mit Kind auf dem Arm (?). Die Attribute der rechten Figur sind nicht mehr zu erkennen4). Das Ende von Inschrift A ist durch ein rautenförmiges Ornament markiert. Inschrift C ist ohne Vorkenntnis des kopial überlieferten Textes kaum mehr lesbar. Die Inschriften sind erhaben gegossen.

Maße: H.: 206 cm; B.: 93,5 cm; Bu.: 6,5 cm (A), 3,5 cm (B), 2,5 cm (C), 1,8 cm (D), 3 cm (E, F).

Schriftart(en): Kapitalis mit Versalien.

Sabine Wehking [1/1]

  1. A

    ANNOa) · 1584 · DIE · 26 · FEBRUARII / VIRTUTE & ERUDITIONE PRAESTANS ADOLESCENS ALEXANDER KOCK […./ – – – ] / FILIUSb) EX VULNERE SIBI A SUO COMMILITONE INFLICTO OBIIT, ·

  2. B

    Cc) K(OCK)

  3. C

    VT ROSA PURPUREO DUM LAETA DECORE SUPERBIT SERAQ(UE) DUM SPERAT TEMPORA FALCE CADIT HAUD ALITER SERAE DUM FUNDAMENTA SENECTAE COGITO ME IUUENEM MORS INOPINA RAPIT GRANDE MALUM DICES SUBITA ME MORTE PEREMPTUM GRANDIUS AT LUCRUM MORS INOPINA TULIT VITA QUID EST. LABOR EST LACRIMAE CURAEQ(UE) PERENNES AT MEA NUNC RECREAT LANGUIDA MEMBRA QUIES VITA QUID EST. MORS EST ET MORTIS INANE THEATRUM AST EGO IAM VITAM MORTE LUCRATUS OUO VITA QUID EST. ITER EST DURUM VIA ET INVIA SAXIS AST EGO CAELESTI IAM FRUOR HOSPICIOd) VT ROSA SUCCIDI FLORENTIBUS INTEGER ANNIS AST EADEM TEMPUS QUO REUIRESCET ERIT NAMQ(UE) BREUI VERIS CUM TEMPORA LAETA REDIBUNT ASSUMENT VIRES MORTUA MEMBRA NOUAS CARNE NOUA INDUTUS GELIDA TELLURE RESURGAM AETHEREA LAETUS PACE DOMOQ(UE) FRUARe).

  4. D

    I(ESUS) N(AZARENUS) R(EX) I(UDAEORUM)5)

  5. E

    K(OCK)

  6. F

    K(OCK)

Übersetzung:

Im Jahre 1584 am 26. Februar starb der sich durch Talent und Bildung auszeichnende Jüngling Alexander Kock, Sohn [...] an einer Verwundung, die ihm von seinem Kommilitonen zugefügt worden war. (A)

Wie eine Rose, während sie in purpurnem Schmuck üppig prangt und darauf hofft, lange zu leben, unter der Sichel fällt, nicht anders riß mich im Jünglingsalter ein unerwarteter Tod hinweg, während ich noch an die Sicherheit eines hohen Greisenalters dachte. Ein gewaltiges Unglück, wirst du sagen, daß ich von einem plötzlichen Tod dahingerafft worden bin, gewaltigeren Gewinn jedoch brachte mir der unerwartete Tod. Das Leben, was ist es? Mühsal ist es, Tränen und immerwährende Sorgen. Meine matten Glieder aber erquickt nun Ruhe. Das Leben, was ist es? Tod ist es und eitle Schaubühne des Todes, ich aber jubiliere, der ich schon das Leben durch den Tod errungen habe. Das Leben, was ist es? Eine harte Reise und eine von Felsen verstellte Fahrstraße, ich aber genieße schon die himmlische Herberge. Wie eine Rose bin ich daniedergesunken, unversehrt, in der Blüte der Jahre, aber die Zeit wird kommen, wo sie wieder ergrünt. Denn bald, wenn die fröhlichen Zeiten des Frühlings zurückkehren, werden auch die toten Glieder neue Kraft schöpfen. In neues Fleisch gehüllt, werde ich aus der kalten Erde auferstehen und mich fröhlich laben an Frieden und Heimstatt im Himmel. (C)

Versmaß: Elegische Distichen. (C)

Wappen:
Kock?6)?7)
?8?9)

Kommentar

Wie sich durch Archivalien belegen ließ, stammt die Platte nicht aus einer niedersächsischen Gießerei, sondern vermutlich aus einer sauerländischen Hütte10). Alexander Kock aus Marsberg, Hochsauerlandkreis, war seit dem 24. März 1582 in Helmstedt immatrikuliert11). Am 8. Februar 1584 verwickelte er den Studenten Jakob Tetens aus Eiderstedt in ein Duell. An den Folgen der dabei erlittenen Verwundung starb er am 26. Februar und wurde noch am selben Tag auf dem Stephanikirchhof ohne akademische Ehrungen beigesetzt. Das Verfahren gegen den Täter erfuhr – wohl aus politischer Rücksichtnahme des Herzogs Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel auf den Landesherrn des Täters – keinen förmlichen Abschluß. Um so entschiedener beschritt die Familie des Getöteten den Weg der privaten Totenehrung. Der Vater, Bürgermeister in Marsberg, veranlaßte die Anfertigung einer gußeisernen Platte und deren Übersendung nach Helmstedt. Die tatsächliche Verwendung der Platte – sie wurde ahn die Kirche gehefftet 12) – dürfte nicht genau den Vorstellungen des Vaters, die er in einem Schreiben an die Universität vom 21. Januar 1585 geäußert hatte, entsprochen haben. Darin heißt es, daß die übersandte Grabausstattung auf das Grab .. gelegen werden müge13). Plattengröße und von innen zu lesende Umschrift sprechen ebenfalls dafür, daß sie als Grababdeckplatte konzipiert worden ist. Auf das Grab setzte die Kirchengemeinde St. Stephani nur das gußeiserne Kreuz Nr. 85. Die Inschriften enthalten sich bemerkenswerterweise jeglicher Polemik gegen den Täter Jakob Tetens. Dieser wirkte später zeitweilig als Professor in Altdorf14).

Textkritischer Apparat

  1. ANNO] O verkleinert und hochgestellt.
  2. FILIUS] Lücke bis einschließlich FILIUS bei Böhmer, Querner und Meier. Ergänzungsmöglichkeit nach dem vorhandenen Platz: GEORGII / CONSULIS MARTISBURGENSIS / (Sohn des Georg, Bürgermeisters in Marsberg).
  3. Die Initiale kann nicht aufgelöst werden.
  4. HOSPICIO] HOSPITIO Gesamte kopiale Überlieferung.
  5. FRUAR] FRUOR Gesamte kopiale Überlieferung.

Anmerkungen

  1. Böhmer, Inscriptiones, S. 30, erste Inschrift der MONVMENTA LAPIDESQVE parietibus templi externis adfixi facto initio a tabula ferrea prope portam templi anteriorem.
  2. Meier, Kunstdenkmäler, S. 70.
  3. Bartels, Stephanikirche, S. 28.
  4. Nach Meier, wie Anm. 2, rechts Hoffnung.
  5. Io. 19,19.
  6. Wappen Kock?: gespalten, r. Hausmarke (Anhang 2, H2), l. steigendes Pferd oder Einhorn.
  7. Wappen ?: Hausmarke (Anhang 2, H3).
  8. Wappen ?: Hausmarke (Anhang 2, H4).
  9. Wappen ?: Hausmarke (Anhang 2, H5).
  10. Dazu und zum Folgenden Kleinert, Alexander Kock, S. 53ff.
  11. Zimmermann, Album, S. 34.
  12. Eintrag im Einnahmenbuch der Kirche St. Stephani vom 17. Februar, StA Helmstedt, B VI 2e, Nr. 68, zitiert bei Kleinert, Alexander Kock, S. 75 mit Abb. zwischen den Seiten 64/65.
  13. Vgl. Schreiben des Vaters Georg Kock vom 21. Januar 1585 an die Universität mit Bitte um Anbringung der Grabausstattung, NStA Wolfenbüttel 37 Alt 2600, Bd. 2, 76–109, zitiert von Kleinert, Alexander Kock, S. 75 mit Abb. zwischen den Seiten 64/65.
  14. Jöcher, Gelehrten-Lexicon, Bd. 4, Sp. 1070.

Nachweise

  1. Böhmer, Inscriptiones, S. 30 (A, C).
  2. Querner 2 (A, C).
  3. Meier, Inscriptiones, S. 30 (A, C).
  4. Schultz, Grabmale 1963, S. 104 (A).
  5. Kleinert, Alexander Kock, S. 75f. (A, C), S. 82 (B, E, F), Abb.

Zitierhinweis:
DI 61, Stadt Helmstedt, Nr. 84 (Ingrid Henze), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di061g011k0008402.