Inschriftenkatalog: Stadt Helmstedt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 61: Stadt Helmstedt (2005)

Nr. 41† St. Stephani A. 16. Jh.?

Beschreibung

Inschrift an einem nicht näher bezeichneten Träger, vermutlich einem Kruzifix bzw. einer Kreuzigungsgruppe, an der nördlichen Kirchenaußenwand, in der Nähe des östlichen Portals1), nach der Reihenfolge bei Böhmer 1710 östlich des Eingangs zur Professorenprieche.

Inschrift nach Böhmer.

  1. Adspice peccator pendentem ex stipite Christum hic pro te patitur sub cruce factus homo Non homo sed stipes fueris si nolis amare quem pro te solo cernis amore mori

Übersetzung:

Sieh an, du Sünder, wie Christus am Stamme hängt! Der leidet für dich, Mensch geworden, unter dem Kreuz. Nicht ein Mensch, sondern ein Baumstamm dürftest du wohl sein, wenn du den nicht lieben willst, von dem du siehst, daß er für dich allein aus Liebe stirbt.

Versmaß: Elegische Distichen.

Kommentar

Eine Christusfigur „in 2/3 Lebensgröße, mit der R. den Mantel fassend, mit der L. auf die Wunde in der Seite weisend, auf dem Haupt die Dornenkrone“ befand sich nach Meier noch 1896 auf einem viereckigen Pfeiler außen an der Kirche2). Für Meier war diese Figur identisch mit einem in der Stadtchronik des Henning Hagen 1491 erwähnten belde des saluatoers, dat an der kerken steyt to sunte Steffen buten na der kusterye yegen dem beghynenhuse aus dem Jahre 14333). Der von Hagen bezeichnete Standort an der Südwand der Kirche entspricht in der Tat dem der von Meier beschriebenen Figur, wie er sich aus dessen Objektanordnung ableiten läßt. Der Gedanke liegt nahe, die Inschrift mit dieser Christusfigur in Verbindung zu bringen. Dagegen spricht, daß sich die Inschrift nach Böhmer an der Nord-, nicht an der Südseite der Kirche befunden hat. Ein weiteres: Die von Meier beschriebene Christusdarstellung entspricht nach ihren Details – ohne Kreuz, mit einer Hand auf die Seitenwunde weisend – dem Typus „Schmerzensmann“4), die Inschrift dagegen verlangt einen „Crucifixus“. Dieser ihr zuzuordnende Inschriftenträger dürfte zur Gruppe der Friedhofskruzifixe gehört haben, die als Großplastiken seit spätgotischer Zeit auf den Kirchhöfen, oft – wie hier – an den Außenwänden der jeweiligen Pfarrkirche, nachweisbar sind5). Sie waren häufig mit Inschriften versehen, die den Vorübergehenden zur Andacht aufforderten6). Eine Datierung der Helmstedter Inschrift sollte sich, da sonstige Zeugnisse fehlen, am allgemeinen Auftreten der Gattung Friedhofskreuze orientieren. Früheste Beispiele aus dem Rheinland und Westfalen liegen seit 1450 vor7). Eine auf 1525 datierte Kreuzigungsgruppe ist für den Münsterkirchhof in Hameln belegt8). Die bemüht kunstreiche sprachliche Form der Inschrift (Wortspiel stipite–stipes, Antithese homo–stipes, Lautmalerei amare, amore, mori ) spricht eher für ihre Abfassung in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts als im 15. Jahrhundert.

Anmerkungen

  1. Böhmer, Inscriptiones, S. 32 DISTICHA QVAE IN PARIETE prope ianuam adparent minorem.
  2. Meier, Kunstdenkmäler, S. 71f.
  3. Vgl. E. Brugge, H. Wiswe (Hgg.), Henning Hagens Chronik der Stadt Helmstedt. In: Niederdeutsche Mitteilungen 19/21, 1963/65, S. 113–280, hier S. 241.
  4. Vgl. LCI 4, Sp. 87ff.
  5. Vgl. dazu G. Fabian, Spätmittelalterliche Friedhofcrucifixi und Kalvarienberge im Rheinland und in Westfalen, Bonn 1986 (Diss. phil.).
  6. Eine vergleichbare Inschrift von einem nicht mehr erhaltenen Kalvarienberg von 1497 bei Fabian, wie Anm. 5, S. 224 Hac quicunque via transis, sublimia passi / Signa Jesu Christi respice mente pia. (Wer immer du auf diesem Weg vorbeikommst, betrachte mit frommem Sinn die erhabenen Male, die Jesus Christus erduldet hat.).
  7. Fabian, wie Anm. 5, S. 9.
  8. DI 28 (Hameln), Nr. 41.

Nachweise

  1. Böhmer, Inscriptiones, S. 32.

Zitierhinweis:
DI 61, Stadt Helmstedt, Nr. 41† (Ingrid Henze), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di061g011k0004107.