Inschriftenkatalog: Stadt Helmstedt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 61: Stadt Helmstedt (2005)

Nr. 479 St. Marienberg 1746

Beschreibung

Epitaph (?) des Hermann von der Hardt. Marmor. In der nördlichen Turmkapelle an der Ostwand befestigt. An der Zuweisung der namenlosen Platte zu Hermann von der Hardt besteht kein Zweifel (vgl. Kommentar)1). Hermann von der Hardt hatte sich bereits zu Lebzeiten eine Gruft in der nördlichen Turmkapelle herrichten lassen und ist hier am 6. März 1746 beigesetzt worden2). Weitere Bestattungen in der Kapelle sind nicht bekannt. Die Platte fand sich 1976 lose auf dem Fußboden der Turmkapelle liegend, wurde gesichert und 1982 am heutigen Platz, kaum dem originalen, angebracht3). Auf der querrechteckigen Tafel bildet ein Lorbeerkranz ein leicht querovales Feld, darin Inschrift A. In den Ecken auf Blattwerk vier runde Scheiben mit Inschrift B, von rechts nach links, erst oben, dann unten gelesen. Die eingetieften Buchstaben beider Inschriften waren ursprünglich mit einer schwarz gefärbten Masse ausgefüllt, die teilweise herausgefallen ist. An den Rändern der Tafel sind jeweils in der Mitte Reste von herausragenden Eisenstiften erhalten. Sie lassen auf aufgesetzte Halterungen schließen. Danach war die Platte wohl auch früher an der Wand befestigt4).

Maße: H.: 66 cm; B.: 75,5 cm; Bu.: 2–3,7 cm.

Schriftart(en): Kapitalis (A), hebräische Buchstaben (B).

Sabine Wehking [1/1]

  1. A

    HIC IACET / HOMO EX TERRA / ET / TERRA EX HOMINE / PRO IVSTITIA / ET SILENTIO / EX FIDE ET CARITATE / VT RESVRGAT / HOMO EX TERRA / AD VITAM AETERNAM / PRO DEI POTENTIA / ET GRATIA / EX VERBO ET PROMISSIONE

  2. B

    . א // .ו / .ד // .ה

Übersetzung:

Hier liegt ein Mensch aus Erde und Erde aus einem Menschen vor (im Angesichte von) Gerechtigkeit und Schweigen aus Glauben und Liebe, daß auferstehe der Mensch aus Erde zum ewigen Leben nach der Macht und Gnade Gottes aus dem Wort und der Verheißung. (A)

Kommentar

In der Inschrift stellt sich einer der originellsten Helmstedter Gelehrten dar. Hermann von der Hardt5), geboren 1660 als Sohn eines Münzmeisters in Osnabrück, Magister der Philosophie in Jena 1683 und Leipzig 1686, seit 1688 Bibliothekar, Geheimsekretär und persönlicher Vertrauter Herzog Rudolph Augusts von Braunschweig-Wolfenbüttel, wurde 1690 zum Professor der orientalischen Sprachen an der Universität Helmstedt ernannt. 1698 bemühte er sich mit Erfolg bei Herzog Rudolph August um die Übertragung des Propstamtes am Kloster St. Marienberg, dem 1700 auch die Leitung der Helmstedter Universitätsbibliothek folgte. Zu seinen Verdiensten als Propst von Marienberg zählt neben dem Bau des Amtshauses und des Pfarrhauses (Nrr. 363 und 391) die Vollendung des Kirchturms, dem von der Hardt auf eigene Kosten die heutige Gestalt gab. Als Bibliothekar gelang es ihm, Herzog Rudolph August zur Stiftung seiner Privatbibliothek an die Universität Helmstedt zu bewegen (vgl. Nr. 376). Auf von der Hardts Initiative und mit seiner finanziellen Unterstützung wurde nach der Jahrhundertwende die Ruine der ehemaligen Augustinereremitenkirche am Markt, Neumärker Str. 1, zur Universitätskirche ausgebaut. Als Gelehrter hat von der Hardt, obwohl selbst nicht Inhaber eines theologischen Lehrstuhls, mit Hilfe philologisch-kritischer Textanalyse bis heute anerkannte Vorarbeiten zur Quellenscheidung im Alten Testament geleistet. Er verstarb am 28. Februar 1746.

Als Verfasser der Inschriften kommt nach Inhalt, Ausführung und der bekannten Vorsorge von der Hardts für die eigene Beisetzung (s. o.) zuallererst er selbst in Betracht. Inschrift A bietet mit menschlicher FIDES und göttlicher GRATIA das lutherische Credo des Verstorbenen. Den eingearbeiteten Begriffen IVSTITIA und SILENTIVM hat er auch im Leben Symbolcharakter zugewiesen (vgl. Nrr. 430 und 431). Das schwer deutbare SILENTIVM geht auf Is. 30,15 in silentio et in spe erit fortitudo vestra zurück, eine auch in der Verkürzung IN SILENTIO ET SPE verbreitete Devise6). Da im Text der Platte nicht der Name des Verstorbenen erscheint, liegt die Vermutung nahe, daß in Inschrift B ein Monogramm versteckt ist. Dessen Lesung nach der Lautung der hebräischen Buchstaben ergibt allerdings A. v. d. H. statt des erwarteten H. v. d. H. Eine Erklärung hierfür ist in der von Hermann von der Hardt lebenslang geübten Deutungs- und Verschlüsselungspraxis, die auch um seinen Namen kreiste, zu suchen. So deutete er seinen Familiennamen, latinisiert a Dura, als besondere Verpflichtung zu Standfestigkeit und Härte. Die in der Biographie von der Hardts für die Jahre 1711, 1723 und 1737 belegte literarische Verwendung des griechischen Mottos andreia! („Mannhaftigkeit!“), verstanden als in der zweiten Silbe des Vornamens Hermann enthaltene Aufforderung7), hat möglicherweise in der Version Andreas die Wahl des hebräischen Buchstabens Aleph auf dem Platz des Vornamens bestimmt.

Anmerkungen

  1. So schon 1896 Meier, Kunstdenkmäler, S. 52.
  2. Möller, Hermann von der Hardt, S. 99.
  3. Veranlaßt durch Dres. D. und I. Henze, Helmstedt.
  4. Die Platte ist bedeckt mit Graffiti, darunter W. Boden 1848 und Boden 1848, sowie Initialen, teilweise datiert mit 1848 , 1849, 1850.
  5. Lebensdaten nach Möller, Hermann von der Hardt, S. 6–115. Vgl. auch NDB 7, S. 668f.
  6. So z. B. an der Emporenbrüstung in der Schloßkirche Friedenstein in Gotha. In der Fassung IN FORTITUDINE SILENTIO ET SPE Motto einer emblematischen Darstellung der Prudentia, vgl. Henkel/Schöne, Emblemata, Sp. 1555. Belege für die Kurzfassung bei J. M. Díaz de Bustamante, Instrumentum Emblematicum, Bd. 2, Hildesheim/Zürich/New York 1992, S. 1267.
  7. So die Interpretation des Phänomens bei Möller, Hermann von der Hardt, S. 25f. Dort auch die Stellennachweise. Zum Nachnamen „von der Hardt“ = a Dura vgl. ebenda und S. 81f.

Nachweise

  1. Möller, Hermann von der Hardt, S. 99 (A).
  2. Henze, Helmstedt, S. 27f.

Zitierhinweis:
DI 61, Stadt Helmstedt, Nr. 479 (Ingrid Henze), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di061g011k0047908.