Inschriftenkatalog: Stadt Helmstedt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 61: Stadt Helmstedt (2005)

Nr. 358† St. Stephani 1700

Beschreibung

Grabdenkmal des Heinrich Michael Phennigsac. Es wird von Böhmer 1710 unter den Steinen im nördlichen Teil des Friedhofes aufgeführt1).

Inschrift nach Böhmer.

  1. Sta viator hic lapis hoc bustum tuae te admonet conditionis quae mortalis est2) Quiescit sub hoc lapide vir clarissimus dum mortalis erat HENRICVS MICHAEL PHENNIGSAC i(uris) v(triusque) candidatus quiescit hic qui dum mortalis erat numquam quiescebat nunc quum mortuus est quiescit Eodem illo die quo mortalis ante annos XLI primum dicebatur nunc est et dicitur mortuus mortale finit saeculum incepit immortale ipse ante mortalis nunc factus immortalis peregrinatus est per omnem vitae suae cursum animo peregrinatus est per omnis doctrinae elegantioris campos in primis occultos iustitiae recessus quaesiuit quos etiam quaerendo omnino inuestigauit Peregrinatus est corpore dum e patria ad almam Iuliam sese contulit hic peregrinari didicit egregie et animo et corpore peregrinatus cum duobus generosissimis genere ac virtute nobilissimis nobilibus Vidit Hollandiam et celeberrimas academias et quidquid saeculi nostri elegantia rimatur vidit peregre absens pietas cum eo peregrinata3) accipe summam numquam mortalem se esse oblitus Abi viator cogita dum vel animo peregrinaris vel corpore te esse mortalem sic mortuus eris numquam disce viuere dum viuis quod fiet vbi viuens mori didiceris disce viuere disce mori sic mors erit tibi vita numquam cum morte commutanda Anno 1700

Übersetzung:

Verweile, Wanderer! Dieser Stein, dieses Grab mahnt dich an dein Los, das dem Tode unterworfen ist. Es ruht unter diesem Stein ein Mann, höchst angesehen, solange er ein Sterblicher war, Heinrich Michael Phennigsac, Kandidat beider Rechte. Er ruht hier, der, solange er ein Sterblicher war, niemals zur Ruhe kam. Nun, da er gestorben ist, ruht er. An eben demselben Tag, an dem er vor einundvierzig Jahren zuerst ein Sterblicher genannt wurde, ist er nun tatsächlich gestorben und wird ein Toter genannt. Er beendet die sterbliche Zeit und hat die unsterbliche begonnen, er selbst nun unsterblich geworden, der vorher sterblich war. Als Pilger umhergewandert ist er während des ganzen Laufes seines Lebens. Mit dem Geiste durchwanderte er die Felder jeder anspruchsvolleren Wissenschaft. Insbesondere suchte er die entlegenen Gebiete des Rechts zu erforschen, die er mit seinem Wissensdrang auch ganz und gar ergründete. Gewandert ist er mit seinem Körper, als er sich aus seiner Heimat zur Alma Julia begab. Hier hat er gelernt, in großem Stil mit dem Geist ebenso wie mit dem Körper zu wandern, indem er mit zwei dem Geschlecht nach höchst wohlgeborenen, der Gesittung nach hochedlen Adeligen umherzog. Er sah Holland und die berühmtesten Universitäten, und was der Geschmack unseres Zeitalters sucht, hat seine Frömmigkeit gesehen, die in der Fremde im Exil mit ihm umherwanderte. Höre die Summe: Niemals hat er vergessen, daß er sterblich ist. Geh von hinnen, Wanderer, bedenke, solange du im Geiste oder mit dem Körper umherwanderst, daß du sterblich bist. So wirst du nie tot sein. Lerne zu leben, solange du lebst, was du erreichst, sobald du gelernt hast, aus dem Leben zu sterben. Lerne zu leben, lerne zu sterben, so wird dir der Tod zum Leben, das niemals gegen den Tod eingetauscht werden muß. Im Jahre 1700.

Kommentar

Die Inschrift exemplifiziert in barocker Manier das alte Thema der peregrinatio des Menschen auf Erden am Lebenslauf eines weitgereisten Hofmeisters. Nach inhaltlichen und formalen Übereinstimmungen dürfte sie von dem Verfasser der Abdankungsrede für den Verstorbenen, seinem geistlichen Betreuer Eberhard Fine, von 1698 bis 1704 Diakon an St. Stephani, entworfen sein4). Phennigsac, am 24. Mai 1680 als Sommerstorff(iensis) in Helmstedt immatrikuliert5), verdiente sich seinen Lebensunterhalt als Hauslehrer und Reisebegleiter zweier Grafen von der Schulenburg, der in der Inschrift erwähnten nobiles. Er starb am 30. April 17006). Nimmt man die Angaben der Inschrift hinzu, war sein Geburtstag der 30. April 1659.

Anmerkungen

  1. Böhmer, Inscriptiones, S. 46 LAPIDES IN PARTE COEMITERII anteriore mit S. 57.
  2. Zu conditio mortalis vgl. Cicero, Timaeus 41, Augustin, De civitate dei 19,27.
  3. Die Inschrift spielt an auf die sittlichen Gefahren der Bildungsreise. Deutlicher die Abdankungsrede von E. Fine, Die zu Hause glücklich vollbrachte Reise des .. Michael Pfennisacks. In: Helmstädtische Denk- und Dank-Reden, Helmstedt 1702, HAB Wolfenbüttel, Sign. QuN 293. Dort wird von dem Verstorbenen gesagt, er habe sich nicht wie andere Reisende gleich einem über die Ufer tretenden Strom mit Kot und Unrat aufgefüllt, sondern rein geblieben habe er nur Nutzen aus der Reise gezogen.
  4. Vgl. Anm. 3. Zur weiteren Karriere Fines – Hofprediger, Superintendent, Konsistorialrat und Abt zu Michaelstein – vgl. Freist/Seebaß, Pastoren, Bd. 1, S. 3, 6, 110, Bd. 2, S. 87, Bd. 3, S. 25.
  5. Matrikel Helmstedt, Bd. 2, S. 221. Die Eintragung ist wiederholt am 10. Juni 1680, ebenda, S. 222. – In Frage kommen neben dem nahegelegenen Sommersdorf, Bördekreis, vier weitere Orte gleichen Namens.
  6. Lebensdaten nach Fine, wie Anm. 3.

Nachweise

  1. Böhmer, Inscriptiones, S. 57f.

Zitierhinweis:
DI 61, Stadt Helmstedt, Nr. 358† (Ingrid Henze), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di061g011k0035807.