Inschriftenkatalog: Stadt Helmstedt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 61: Stadt Helmstedt (2005)

Nr. 216† St. Stephani 1664

Beschreibung

Grabdenkmal des Andreas Kinderling. Böhmer hat es 1710 unter den Steinen im nördlichen Teil des Friedhofes aufgeführt1). Nach der Reihenfolge der Inschriften bei Böhmer lag das Grab neben dem der Ehefrau Maria Hosang (vgl. Nr. 264).

Inschrift nach Böhmer.

  1. ANDREAS KINDERLINGIVS philos(ophiae) M(agister) et P(rofessor) p(ublicus) natus Euesi ad Elmum in hac acad(emia) Cornelii Martini F(ranco)furtia) Amsterdami et Lugd(uni) Bat(auorum) Matthiae Ouerbekii magni studiorum Maecenatis per multos annosb) domesticus in illustri hac Iulia acad(emia) anno saec(uli) h(uius) XXXIIX aet(atis) XLIV dignitatem prof(essoris) indeptus primo logicam post et physicam fide optima studio singulari publice docuit ac pietatis integritatis candoris exemplo omnib(us) praeluxit tandem a(nno) C(hristi) LXIV XX Mart(ii) dum sacram istam aedem ingressi animus Deo est deuotus corpus stupore corripitur vnde domum aegre deductum primum vox inde mens demum vita ipsa destituit2) Resurr(ectio) mortuor(um) spes Christianor(um) Maria Hosanga et octo liberi marito et parenti opt(ime) merito hoc monum(entum) pos(uerunt)

Übersetzung:

Andreas Kinderling, Magister der Philosophie und öffentlicher Professor, geboren in Evessen am Elm, an dieser Universität Hausgenosse des Cornelius Martini, in Frankfurt, Amsterdam und Leiden viele Jahre hindurch Hausgenosse des Matthias Overbeck, des großen Mäzens der Studien, erlangte an dieser berühmten Academia Julia im achtunddreißigsten Jahr dieses Jahrhunderts, im vierundvierzigsten Lebensjahr die Professorenwürde, las mit äußerster Gewissenhaftigkeit und einzigartigem Eifer zuerst öffentlich Logik, später auch Physik und übertraf alle mit seinem beispielhaften Pflichtgefühl, seiner lauteren Gesinnung und Redlichkeit. Doch endlich im Jahre Christi (16)64 am 20. März, während er nach Betreten jenes heiligen Gotteshauses seinen Geist Gott zugewandt hatte, wurde sein Körper von Starrheit ergriffen. Den von dort krank nach Hause Gebrachten verließ erst die Stimme, dann der Verstand und schließlich das Leben selbst. Die Auferstehung der Toten ist die Hoffnung der Christen. Maria Hosang und acht Kinder setzten dem Gatten und hochverdienten Vater dieses Denkmal.

Kommentar

Die Angaben der Inschrift zum Leben und Sterben des Andreas Kinderling entsprechen weitgehend denen der Trauerschriften. Nicht ganz präzise berechnet die Inschrift das Alter des Verstorbenen beim Antritt seiner Professur in Helmstedt. Kinderling, geboren am 20. April 15933), erhielt 1637 seine Berufung auf die Logikprofessur und begann Ende 1638 – das Datum nennt die Inschrift – mit den Vorlesungen in Helmstedt. Er war zu diesem Zeitpunkt also nicht im vierundvierzigsten Lebensjahr oder vierundvierzig Jahre alt, wie die Inschrift angibt4), sondern fünfundvierzig. Den Magistertitel hatte er bereits 1618 unter Cornelius Martini (vgl. Nr. 141) erworben. Der späte Beginn seiner öffentlichen Lehrtätigkeit erklärt sich bei Kinderling aus dessen besonderem Verhältnis zu dem in der Inschrift genannte Matthias Overbeck. Der reiche Niederländer Overbeck, bekannt als Förderer von Georg Calixt und Hermann Conring, hat sich über die Vergabe von Stipendien große Verdienste um den wissenschaftlichen Austausch zwischen den Universitäten Helmstedt und Leiden erworben5). Kinderling, gebürtig aus Evessen, Landkreis Wolfenbüttel, war zunächst auf Empfehlung von Martini Stipendiat des Matthias Overbeck und dessen Begleiter auf Reisen u. a. nach Frankfurt/M. und Amsterdam gewesen, ehe er als Gesellschafter Overbecks bis zu dessen Tode ständig in Leiden seinen Wohnsitz nahm. Die ihm in Helmstedt angetragene Logikprofessur hatte Kinderling vierzehn Jahre inne. 1652 wechselte er auf den Lehrstuhl für Naturphilosophie. Die Betroffenheit seiner Umgebung über die ungewöhnlichen Umstände seines Todes – Schlaganfall während eines Gottesdienstes am 20. März 1664 in der Stephanikirche – spiegelt sich auch in der Erzählung des Inschriftentextes.

Zu Ehe und Familie des Verstorbenen vgl. die Grabschrift seiner Frau Maria Hosang (Nr. 264).

Textkritischer Apparat

  1. F(ranco)furti ] Cm 211, Koch, Erffurti Böhmer. Ein Aufenthalt Kinderlings in Erfurt ist nicht bekannt, dagegen war er in Frankfurt/M., vgl. Kommentar.
  2. per multos annos ] Koch; fehlt bei Böhmer und Cm 211.

Anmerkungen

  1. Böhmer, Inscriptiones, S. 46 LAPIDES IN PARTE COEMITERII anteriore mit S. 92f.
  2. Vgl. die fast wortgleiche Darstellung des Ereignisses in Programma in funere .. Andreae Kinderlingii, Helmstedt o. J. inde illum et vox et mens nec multo post .. sensus omnis ac tandem vita ipsa destituit.
  3. Lebensdaten nach B. Cellarius, Bey dem Begräbnüß Des .. Andreae Kinderlings, Helmstedt 1664. Vgl. auch Ahrens, Lehrkräfte, S. 129.
  4. Zur Übersetzung von aetatis vgl. S. 35f. der Einleitung.
  5. Zu ihm Koldewey, Geschichte der klassischen Philologie, S. 70 und J. Wallmann, Helmstedter Theologie in Conrings Zeit. In: Stolleis, Hermann Conring, S. 35ff., hier S. 40.

Nachweise

  1. Böhmer, Inscriptiones, S. 92f.
  2. Nieders. Landesbibliothek Hannover, Cm 211, Trauerschriften A. Kinderling, letzter Beitrag.
  3. Koch bei Meier, Monumenta Julia.

Zitierhinweis:
DI 61, Stadt Helmstedt, Nr. 216† (Ingrid Henze), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di061g011k0021604.