Inschriftenkatalog: Stadt Helmstedt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 61: Stadt Helmstedt (2005)

Nr. 206† St. Stephani 1662

Beschreibung

Epitaph des Georg Johannes Volger. Böhmer nennt 1710 das Kirchenschiff als Standort und überliefert die drei Inschriften hintereinander, wie zu einem Inschriftenträger gehörend1). Querner berichtet um 1850 von einer „sehr gekünzelten Tafel an einem Pfeiler“, die unter Inschrift B in vergoldeten Buchstaben Inschrift C trug. Zum Text dieser beiden namenlosen Inschriften hat er am Rande „Georg Johann Volger“ notiert2). An anderer Stelle seines Berichtes zählt er außerdem ein „unbedeutendes Epitaph“ des Georg Johannes Volger auf3). Möglicherweise meint er hiermit die Tafel mit Inschrift A. Diese Inschrift war nach ihrer eigenen Aussage ursprünglich auch an einem Pfeiler angebracht gewesen. Vermutlich hat das Epitaph für Georg Johannes Volger aus zwei miteinander verbundenen Tafeln bestanden, von denen die eine Raum bieten mußte für die etwa achtzigzeilige4) Inschrift A und deshalb aus Platzgründen zu Querners Zeit bereits vom Pfeiler entfernt worden ist, während die dekorativ gestaltete Tafel mit den Inschriften B und C um 1850 noch am ursprünglichen Ort hing.

Inschriften nach Böhmer.

  1. A

    D(eo) o(ptimo) m(aximo) s(acrum) Quam fragilia sient quaecunque nostri terrestres adspiciunt oculi inter innumera exempla eius exemplo tibi lector optime siet iuuenis genere praestabilis pietate insignis moribus elegantissimis conspicuus qui dum viuebat parentibus atque aequis aestimatoribus summam summae eruditionis et gloriae spem ostendebat GEORGIVS IOANNES VOLGERVS stirpe antiquissima et clarissima Hannouerae ortus ipsis K(a)l(endis) Decembris5) a(nno) MDCXL patre spectatissimi et amplissimi nominis patricio et ciue in patria sua primario Ioanne Volgero matre femina omnibus virtutibus plurimum praestante maioribus itidem patriciis nobili Maria von Bestenbostel sic bene natus erat bene itidem educatus testis vrbs natalis testis pariter alma Musarum nutrix Iulia quae hunc quoque ad humanitatis sapientiae practicae in primis et vtriusque iuris disciplinas solide vti solet instituit per quinque circiter annos certe testari possunt specimina haut vulgaria quae coetui eruditorum abunde probarit Aderat prope optata meta aderat felicium prouentuum messis ast dira praematurae mortis calamitas eheu detestanda febris fructus maturescentes penitus prostratos subito euertit6) atque ita omnem deturbauit spem tantam violentiam non Iulia mater nec tristi nuncio exciti parentes sufflaminare7) valebant Adeo excipit omnes cuiuscunque sient loci et aetatis angustus terminus aeui omnes res terrenae fragiles caducae et diuturnitatis exsortes omnes omnes serius ocius8) vt supremo visum fuerit arbitro humanis rebus eximimur Felicem vero ter et amplius qui bene natus bene educatus bene vixit bene tandem obiit quemadmodum beatus Volgerus qui inter adstantium lacrimas precesque ipso solemni natalis Domini festo XXV Decembr(is) hora I pomer(idiana) a(nno) MDCLXII animam suam Iesu suo placide reddidit Haec meta hi supremi honores exuuiae prope hanc pilam suauiter quiescunt suamque hinc manent beatitatem Hoc ipsum te volui9) o homo iam abiturus te esse cogita dum hic viuis viatorem transeuntem loci hospitem animam laboriosam mortis mancipium et parui temporis habitaculum p(osuerunt) moestissimi parentes

  2. B

    D(eo) A(eterno) L(aus)a)

  3. C

    Vt rosa verna perit nimio quum laeditur aestu sic pereo at terris floreo in arce Dei Vita bonum o homines breue vestra malumque perenne in caelo vita est longa nihilque mali Quis terras igitur caelo quis tristia laetis quis mala tanta bonis antetulisse velit

Übersetzung:

Gott, dem Besten und Größten, geweiht. Als Beispiel unter zahllosen anderen dafür, wie zerbrechlich ist, was unsere irdischen Augen erblicken, möge dir, bester Leser, ein Jüngling von vornehmer Abkunft, ungewöhnlicher Frömmigkeit und außerordentlich kultivierter Lebensart vorgestellt sein, der, solange er lebte, seinen Eltern und jedem gerechten Beobachter die schönste Hoffnung auf vollkommene Bildung und höchsten Ruhm vermittelte, nämlich Georg Johannes Volger, als Sproß eines uralten und hochberühmten Geschlechtes genau an den Kalenden des Dezember im Jahre 1640 in Hannover geboren. Sein Vater war Johannes Volger, Patrizier von wohlansehnlichem und hochachtbarem Rang und vornehmer Bürger in seiner Heimatstadt, seine Mutter Maria von Bestenbostel, eine Frau, die sich in allen Bereichen weiblicher Tüchtigkeit ungemein hervortat und ebenso durch ihre patrizischen Vorfahren geadelt war. So war er wohlgeboren und ebenso wohlerzogen. Es bezeugt dies seine Geburtsstadt, es bezeugt dies in gleicher Weise die Alma Julia, die Förderin der Musen, die auch ihn mit der ihr eigenen Gründlichkeit in den humanistischen Wissenschaften, den Disziplinen der Philosophie, vor allem der praktischen, und beider Rechte ungefähr fünf Jahre lang unterwies. Zuverlässig können dies auch ungewöhnliche Musterarbeiten bezeugen, mit denen er sich dem versammelten Gelehrtenstand übergenug empfahl. Schon war das erwünschte Ziel greifbar nahe, nahe die Ernte des fruchtbaren Reifungsprozesses, aber das grausige Unglück eines vorzeitigen Todes, weh, ein zu verfluchendes Fieber warf die reifenden Früchte gänzlich danieder, vernichtete sie plötzlich und zerstörte so alle Hoffnung. Einem solchen Gewaltansturm konnten weder die Mutter Julia noch die von der furchtbaren Nachricht erschreckten Eltern Einhalt gebieten. So erwartet alle, wes Standes und Alters sie auch sind, ein engbemessener Lebenszeitraum. Alle irdischen Dinge sind zerbrechlich, hinfällig und ohne Dauer. Alle, alle werden wir später oder früher, gerade wie es der höchste Schiedsrichter beschlossen hat, aus dieser Welt genommen. Dreimal und mehr glücklich aber, wer wohlgeboren und wohlerzogen in untadeliger Weise gelebt hat und endlich ebenso gestorben ist, wie der selige Volger, der unter den Tränen und Gebeten seiner Umgebung am feierlichen Geburtsfest des Herrn selbst, am 25. Dezember nachmittags um 1 Uhr im Jahre 1662 seine Seele seinem Jesus sanften Gemütes zurückgab. Dies ist das Lebensziel, dies sind die höchstmöglichen Ehrenstellungen! Seine sterblichen Überreste ruhen sanft in der Nähe dieses Pfeilers und warten von hier aus auf ihre ewige Seligkeit. Das vor allem wollte ich dir, o Mensch, der du schon im Begriff bist, weiterzugehen, sagen: Bedenke, daß du, solange du hier lebst, ein Wanderer bist, der hinübergeht, ein Fremdling an diesem Ort, ein vielgeplagtes Wesen, Sklave des Todes und Wohnstatt der Seele nur für eine kleine Zeit. Es setzten die tieftraurigen Eltern (dieses Denkmal). (A)

Dem ewigen Gott sei Lob! (B)

Wie die Frühlingsrose vergeht, wenn sie von allzugroßer Sommerhitze getroffen wird, so vergehe ich, aber nur auf Erden; ich blühe fort in Gottes Himmelsburg. Euer Leben, o Menschen, ist ein kurzdauerndes Gut und ein immerwährendes Leiden. Im Himmel ist das Leben lang und von Leid keine Spur. Wer also wollte die Erde dem Himmel, wer Trauriges dem Freudespendenden, wer so großes Übel dem Guten vorgezogen haben? (C)

Versmaß: Elegische Distichen (C).

Kommentar

Der Verstorbene ist ein weiteres Opfer der Fleckfieberkatastrophe (vgl. Nr. 205) im Hause des Professors Gebhard Theodor Meier. Er wurde am 1. Dezember 1640 in Hannover als Sproß einer weitverzweigten und wohlhabenden Familie des städtischen Patriziats geboren10). Großmutter mütterlicherseits war Elisa Groven (vgl. Nr. 154). Seine Immatrikulation in Helmstedt fand am 19. April 1658 statt11). Studienschwerpunkt waren nach dem philosophischen Grundkurs die Rechtswissenschaften. Von seinen in der Inschrift erwähnten öffentlichen Disputationen hat sich eine über ein Thema zur praktischen Philosophie erhalten12). Volger starb vierzehn Tage nach Ausbruch der Krankheit am 25. Dezember im Beisein der aus Hannover noch rechtzeitig angereisten Eltern. Er wurde am 30. Dezember mit akademischen Ehren in der Kirche beigesetzt. Das ihm von der Familie gestiftete Epitaph bietet die umfangreichste aller bekannten Helmstedter Inschriften. Sie dürfte denselben Verfasser haben wie das Funeralprogramm und möglicherweise auch die Inschrift Nr. 20513).

Der in Inschrift C verwendete Rosenvergleich findet sich auch in Nrr. 84 und 393.

Textkritischer Apparat

  1. Die Auflösung der Initialen ist ein Vorschlag.

Anmerkungen

  1. Böhmer, Inscriptiones, S. 12 IN SINV TEMPLI mit S. 21. Mit dem Titel EPITAPHIVM bezeichnet von Böhmer, Inscriptiones, S. 21, Ludewig, Geschichte, S. 174 und Querner 1, S. 18.
  2. Querner 1, S. 9f.
  3. Querner 1, S. 18 mit Wiedergabe der Lebensdaten des Verstorbenen.
  4. Nach der Zeilentrennung bei Böhmer, die sich weitgehend – das bestätigen die erhaltenen Inschriften – am Original orientiert. Die größte erhaltene Schrifttafel eines Epitaphs (Nr. 190, vgl. Abb. 62) bietet neununddreißig Zeilen.
  5. 1. Dezember.
  6. Vgl. den ähnlichen Text des Funeralprogramms, Programma in funere Georgii Johannis Völger, Helmstedt o. J.: .. neque dubium erat quin ad optatam metam perductis Academicis studiis uberem ex iis felicium proventuum messem metere illi aliquando licuisset nisi .. maturescentes propemodum fructus tristis praematurae mortis calamitas .. penitus prostratos subito evertisset.
  7. Vgl. Programma in funere, wie Anm. 6: .. morbi violentiam sufflaminare (sc. medici) laborarunt.
  8. Zu omnes serius ocius vgl. Horaz, Carmen 2,3,25f.
  9. Die gleiche Formel auch in Nr. 205.
  10. Lebensdaten bei B. Cellarius, Bey der Beerdigung Des .. Georgii Johannis Völgers, Helmstedt 1663.
  11. Matrikel Helmstedt, Bd. 2, S. 127.
  12. Kundert, Katalog, S. 351.
  13. Vgl. Anm. 6, 7 und 9.

Nachweise

  1. Böhmer, Inscriptiones, S. 21ff.
  2. Querner 1, Typoskript, S. 9f. (C), Ms., S. 9f. (B, C).

Zitierhinweis:
DI 61, Stadt Helmstedt, Nr. 206† (Ingrid Henze), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di061g011k0020608.