Inschriftenkatalog: Stadt Helmstedt
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 61: Stadt Helmstedt (2005)
Nr. 96 St. Stephani 1590, 1772
Beschreibung
Taufe. Messing?1) Im Westen vor dem Mittelschiff. Sie hat die Form eines Kelches mit Deckel. Auf der abgeschrägten Zarge des runden Fußes die Inschriften A1–6. Auf dem Fuß sechs dazugehörige Vollwappen im Relief und Inschrift B. Am zylindrischen Schaft, der durch einen Wulstring in zwei gleich große Teile gegliedert ist, oben und unten je sechs Apostel im Hochrelief. Am Wulstring auf eingezogenem Streifen Inschrift C. Die Beckenwandung durch vorgestellte Säulchen in sechs Felder unterteilt. Darin biblische Szenen aus dem Leben Jesu und der Apostelgeschichte, versehen mit kleinen Schrifttafeln. Darauf Bibelstellenangaben D1–6, die sich jeweils auf das Thema Taufe beziehen2): 1. Zu Füßen des nach dem Taufbefehl gen Himmel fahrenden Christus die kniende Jüngerschar. Links davon Petrus, der einen der zur Mission aufbrechenden Jünger verabschiedet3). Dazwischen auf dem Boden Schrifttafel. 2. Johannes tauft Christus. Links Gottvater und Taube des Hl. Geistes4). Die Bibelstellenangaben sind auf zwei Tafeln verteilt, die links und rechts an Baumästen aufgehängt sind. 3. Paulus und Silas im Gefängnis zusammen mit dem bekehrten und taufwilligen Kerkermeister zu Philippi5). Die Schrifttafel oben rechts. 4. In der Mitte ein dem Inschriftenträger ähnliches Taufbecken, in dem eine Taufhandlung an einem Kind vorgenommen wird. Unter den Zuschauern im Halbkreis ringsum in der Mehrzahl Frauen, eine davon mit einem weiteren Kind6). Die Schrifttafel befindet sich unten rechts in der Ecke. 5. Paulus kniet vor Ananias, der ihn sehend macht, bevor er getauft wird. Ein Mann und eine Frau schauen zu7). Oben in der Mitte Schrifttafel. 6. Taufpredigt des Petrus zu Pfingsten. Links hinter Petrus die Apostel, rechts im Halbkreis die Zuhörer, sitzend8); vor ihnen im Zentrum des Bildes liegt ein Hund. Die Schrifttafel ist in die Ecke unten rechts eingefügt.
Der Deckel trägt am unteren, runden Rand die umlaufende Inschrift E. Darüber in sechs von halben Vierpässen gebildeten Feldern weitere sechs Darstellungen zum Thema Taufe bzw. Wasser samt Schrifttafeln mit Bibelstellenangaben F1–6: 1. Petrus im Hause des Cornelius. Im rechten Seitenbogen Taufe des Cornelius durch Petrus9), im linken Schrifttafel. 2. Sintflut mit der Arche Noah10). Diese durch Inschrift bezeichnet. Die Schrifttafel liegt unten im linken Bogen. 3. Jesus und Nikodemus im Gespräch über die Wiedergeburt durch Wasser und Geist11). Die Schrifttafel steht auf ihrer Schmalseite halbschräg unten im rechten Bogen, im linken liegt ein Bär an der Kette. 4. Gott zeigt Hesekiel das segensreiche Wasser, das unter dem Tempel hervorströmt und an zwei Bäumen links vorbeifließt12). Die Schrifttafel liegt halbschräg vor bzw. im rechten Seitenbogen. 5. Rechts vorn tauft Philippus den Kämmerer aus Äthiopien, während sein Begleiter samt Wagen im linken hinteren Bildbereich wartet13). Die Schrifttafel liegt schräg im linken Seitenbogen. 6. Moses hält die Fluten des Roten Meeres mit erhobenem Stab ab vom Volk Israel, im linken Bogen die in den Wogen versinkenden Ägypter14), im rechten die Schrifttafel. Auf dem flachen, wie ein Dach schindelartig bedeckten Deckel Aufsatz, darauf Gnadenstuhl. Alle Inschriften erhaben gegossen mit Ausnahme von B und dem zweiten Teil von F2. Diese sind graviert. In Inschrift B erscheint neben Punkten auf der Zeilenmitte ein Ornament aus vier Punkten.
Maße: H.: ca. 245 cm; Dm.: ca. 100 cm; Bu.: 2,5 cm (A, E), 2 cm (B, C), 0,8–1,1 cm (D, F).
Schriftart(en): Kapitalis.
- A1 DES RADES WAPEN ·
- A2 LVDEKE BRANDES Ba) ·
- A3 HEINRICH BVRING Ba) ·
- A4 KVRDT GERDENER Ba) ·
- A5 LVDEKE BRANDES DER ELTER ·
- A6 HANS BOSSEN RADMAN :
- B
· RENOVIRET · 1·7·7·2 · / · J · C · KVHNE · 15)
- C
MANTE PELKINCK HILDESIAE ME FECIT ANNO DOMINI 1590
- D1 MAT· XXVIII / MAR· XVI·
- D2 ISA XL· / MAL· III· // MAT· III· / MAR· I· / IO· I· / LV· III·
- D3 ACTO / XVI.
- D4 MAT. XIX. / MAR. X. / LV. XVIII
- D5 ACTO· / IX·
- D6 ACTO. / II.
- E
WARLICH WARLICH ICH SAGE EVCH ES SEI DEN DAS YFMANTb) VON NEUEM GEBOREN WIRDT KAN EHR DAS REICH GOTTES NICHT SEHEN · IOHANNIS · 3 · 16)
- F1 ACTO / X
- F2 GENI / VI // ARCHA NOE
- F3 IOHA / III
- F4 HESEKIE / XLVII
- F5 ACTO / VIII
- F6 EXODVS / XIIII
Übersetzung:
Mante Pelkinck fertigte mich in Hildesheim im Jahre des Herrn 1590. (C)
Stadt Helmstedt17), Brandes18), Büring19), Gerdener20), Brandes18), Bosse21), |
Textkritischer Apparat
- B] Steht für „Bürgermeister“.
- YFMANT] Für YEMANT.
Anmerkungen
- So Meier, Kunstdenkmäler, S. 64. U. Mathies, Die protestantischen Taufbecken Niedersachsens von der Reformation bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts, Regensburg 1998, S. 61 „Messing“, S. 129 und S. 182, Abb. 32 „Bronze“. Klarheit könnte nur eine Metallanalyse bringen.
- Ausführliche Einzelbeschreibung und theologische Ausdeutung des Bildprogramms bei Mathies, wie Anm. 1, S. 25ff.
- Inschriftlich bezogen auf Mt. 28, Mk. 16.
- Inschriftlich bezogen auf Jes. 40 und Mal. 3 als Hinweis auf das Kommen des Messias und seines Vorläufers, Johannes des Täufers, Mt. 3,13–17, Mk. 1,9–11, Jh. 1,29–36 und Lk. 3,21–22 zu Johannes dem Täufer und Jesu Taufe.
- Inschriftlich bezogen auf Apg. 16,23–40.
- Inschriftlich bezogen auf Mt. 19,13–15, Mk. 10,13–16, Lk. 18,15–17.
- Inschriftlich bezogen auf Apg. 9,1–19.
- Inschriftlich bezogen auf Apg. 2,37–41.
- Inschriftlich bezogen auf Apg. 10.
- Inschriftlich bezogen auf 1. Mo. 6.
- Inschriftlich bezogen auf Jh. 3,1–21.
- Inschriftlich bezogen auf Hes. 47.
- Inschriftlich bezogen auf Apg. 8,26–40.
- Inschriftlich bezogen auf 2. Mo. 14.
- Weitere Renovierungsinschriften, die nicht in den Bearbeitungszeitraum fallen: Am Fuß zwischen Wappen RENOVIRET · 1817 · / von / J. G. BODENSTEIN · und RENOVIRET · 1884 · / VON / W. SIMON · ; außerdem am obersten Wulst RENOV. / FRIEDR. / HÖSE. / HERZ. HOFGÜRTLERMSTR. / BRAUNSCHWEIG. / 1906.
- Jh. 3,3.
- Wappen Stadt Helmstedt: gekreuzte Abtsstäbe. Vgl. Siebmacher, Wappenbuch, Bd. 1, 4. Abt., ND Bd. 6, S. 146.
- Wappen Brandes: gekreuzte Fackeln, bewinkelt von Flammenbündeln.
- Wappen Büring: auf Balken zwei wachsende Hunde?
- Wappen Gerdener: geteilt, oben wachsender Greif, unten drei Blütenstengel, gebündelt.
- Wappen Bosse: gekreuzte Pfeile, in den drei oberen Winkeln je eine Rose. Das Wappen unbezeichnet auch am Haus Papenberg 5, das Hans Bosse seit 1594 bewohnte, vgl. Schaper, Häuserbuch 1,3, S. 64.
- Zur besonderen Stellung des Taufbeckens von St. Andreas in Hildesheim innerhalb der protestantischen Taufbecken in Niedersachsen vgl. Mathies, wie Anm. 1, S. 18ff.
- Zu den Nachfolgewerken der Taufe von St. Andreas in Hildesheim vgl. Mathies, wie Anm. 1, S. 56ff.
- Zu Mante Pelkinck und seiner Werkstatt vgl. Mathies, wie Anm. 1, S. 58 und Thieme/Becker, Künstlerlexikon, Bd. 26, S. 354.
- Nur die Anordnung der Reliefbilder des Beckens der Helmstedter Taufe (D1–6) findet sich genauso wieder an der Taufe in Hessisch-Oldendorf, vgl. Mathies, wie Anm. 1, S. 129. Angesichts der Beliebigkeit, mit der die Bilder an den verschiedenen Taufen aufeinanderfolgen, fehlen die Voraussetzungen, allgemein eine „enge inhaltliche Verbindung“ zwischen Deckelbild und darunter befindlichem Beckenbild zu konstatieren, wie es Mathies, wie Anm. 1, S. 31f. für die Taufe von St. Andreas in Hildesheim versucht.
- Vgl. dazu Wulf, DI 58 (Stadt Hildesheim), Nr. 358 (Taufe St. Andreas) mit Einzelbeispielen und dem Resümee „Ein derartiger Verweis auf die Bibel als einzige Instanz der Bilddeutung läßt sich als Ausdruck des protestantischen sola scriptura-Prinzips sehen“.
- Die Inschriften der Taufe in Hessisch-Oldendorf sind nur zum Teil erfaßt bei Mathies, wie Anm. 1, S. 129. Zu den Inschriften der Taufe in Hl. Kreuz, Hildesheim vgl. DI 58 (Stadt Hildesheim), Nr. 500.
- So Mathies, wie Anm. 1, S. 37ff, S. 43f. und passim.
- Vgl. dazu mit Erklärungsversuch Wulf, DI 58 (Stadt Hildesheim), Nrr. 358 und 500.
- Schaper, Bürgerbuch 2, S. 322.
- Schaper, Bürgerbuch 1, S. 112.
- Zu ihm Schaper, Bürgerbuch 3, S. 623.
Nachweise
- Meier, Kunstdenkmäler, S. 65.
- U. Mathies, Die protestantischen Taufbecken Niedersachsens von der Reformation bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts, Regensburg 1998, S. 129 (A–C).
Zitierhinweis:
DI 61, Stadt Helmstedt, Nr. 96 (Ingrid Henze), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di061g011k0009601.
Kommentar
Die Helmstedter Taufe gehört zu einer Gruppe von Taufbecken des 16. und frühen 17. Jahrhunderts, die in Programm und Ausführung weitgehend übereinstimmen. Prototyp ist das Messingtaufbecken des Hans Sievers von 1547 in St. Andreas in Hildesheim22). Außer in Helmstedt sind aus der Werkstatt der Hildesheimer Gießer Hans und Mante Pelkinck noch drei weitere, dem Taufbecken von St. Andreas eng verpflichtete Taufen erhalten: in St. Jacob in Peine, gearbeitet 1561 von Hans Pelkinck, in der Stadtkirche von Hessisch-Oldendorf und in der Kirche des ehemaligen Kollegiatstiftes zum Hl. Kreuz in Hildesheim, Werke des Mante Pelkinck von 1590 bzw. 1592. In der gleichen Tradition und Abhängigkeit steht die 1618 gearbeitete Taufe des Hildesheimer Gießers Dietrich Mente, jetzt in St. Michaelis, Hildesheim23). Die jeweils inschriftlich genannten Gießernamen auf den vier zuletzt genannten Taufbecken führen in eine gemeinsame Hildesheimer Werkstatt. Sie ging mit allen technischen Voraussetzungen für die zu beobachtende traditionsgebundene Produktion zunächst in der Familie von Hans Pelkinck auf den in Inschrift C sich nennenden Mante Pelkinck und von diesem auf dessen Lehrling Dietrich Mente über24).
Die Helmstedter Taufe übernimmt von der Taufe aus St. Andreas in Hildesheim nur das Bild-Textprogramm an Becken und Deckel (D1–6, F1–6). Lokal bestimmt sind die Stifterinschriften A1–6. Die Reihenfolge der Bilder an Becken und Deckel ist gegenüber der Taufe von St. Andreas verändert und variiert allgemein innerhalb der Gruppe der Nachfolgetaufen25).
Die den Reliefbildern D1–6 und F1–6 beigegebenen Inschriften bieten nicht einen die dargestellte Szene unmittelbar erläuternden Text, sondern lediglich eine Bibelstellenangabe. Um ein rechtes und vollständiges Verständnis des Bildes zu bekommen, ist der Beschauer angehalten, die Bibel aufzuschlagen26). Nicht in jedem Fall ist das Bild Illustration der inschriftlich angegebenen Bibeltexte. So ist z. B. die zu D1 dargestellte Szene – die Füße Jesu, darunter die knienden Jünger – zunächst nur als Himmelfahrt zu verstehen. Davon ist allein in Mk. 16, nicht aber in Mt. 28 die Rede. Beiden Bibelstellen gemeinsam ist indes der Taufbefehl. Erst diese durch die Inschriften vermittelte Kenntnis, in Beziehung gesetzt zum Anbringungsort, einer Taufe, schafft das intendierte Verständnis der abgebildeten Szene. Aus der Geschichte des Kerkermeisters von Philippi (D3) wird nicht seine thematisch zu erwartende Taufe dargestellt. Die Verbindung zum Thema Taufe ist allein dem inschriftlich mitgeteilten Bibelkontext zu entnehmen. So erhellt erst die dem Betrachter abgeforderte Zusammenschau von Bild und Bibeltext die theologischen Inhalte der Bilder.
Aus dem Verhältnis Bild-Inschrift ergibt sich auch ein Hinweis zur genaueren Datierung der Helmstedter Taufe. Die in F2 angegebene Bibelstelle 1. Mo. 6 berichtet vom Bau der Arche Noah. Im Bild gezeigt ist indes die Arche auf den Wasserfluten, von denen erst in 1. Mo. 7 erzählt wird. Die gleiche Darstellung am Taufbecken in Hessisch-Oldendorf, ebenfalls aus dem Jahre 1590, trägt auf der Inschriftplatte die zu erwartende Stellenangabe 1. Mo. 7, ebenso die 1592 von Mante Pelkinck für die Hl. Kreuzkirche in Hildesheim gearbeitete Taufe27). Hier ist vermutlich nachgebessert worden. Demnach dürfte die Helmstedter Taufe 1590 vor der aus Hessisch-Oldendorf entstanden sein.
Die Taufe ist Teil der Neuausstattung von St. Stephani, als diese Stadtkirche nach der Gründung der lutherischen Landesuniversität 1576 auch die Rolle der Universitätskirche übernahm. Anders als die Emporen (Nr. 87) ist sie wie die Orgel (Nr. 86) nach ihren Inschriften eine Stiftung des Rates. Der Rat hat ein in seiner ersten Ausführung 1547 in St. Andreas in Hildesheim bewußt reformatorisch gefaßtes28), inzwischen verbreitetes Taufbeckenprogramm ausgewählt. Zeitgenossen scheinen indes dessen reformatorische Ausrichtung nicht empfunden zu haben. So konnte das gleiche Bildprogramm einschließlich Inschrift E auch 1592 an der für die katholische Hl. Kreuzkirche in Hildesheim gestifteten Taufe verwendet werden, allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, daß der Text von Inschrift E dort dem Wortlauf der Vulgata folgt29).
Die inschriftlich genannten Personen: Zu den beiden Brandes und Heinrich Büring vgl. Nr. 79. Kurdt Gerdener, Schwiegervater des Professors der Theologie Georg Calixt (vgl. Nr. 340), amtierte von 1587 bis zu seinem Tod 1617 als Bürgermeister30), Hans Bosse starb 1602 als Ratskämmerer31). Die Reparatur von 1772 führte der Helmstedter Gürtlermeister Johann Christian Kühne (1714–1784) aus32).