Inschriftenkatalog: Stadt Helmstedt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 61: Stadt Helmstedt (2005)

Nr. 90(†) St. Stephani 1588

Beschreibung

Grabdenkmal des Joachim Mynsinger von Frundeck, in einer nicht zugänglichen Gruft. Nach einer Notiz Querners aus der Mitte des 19. Jahrhunderts hat die Figur des Verstorbenen „nicht weit vom großen Altare unter Brettern in einem Gewölbe .. aus Stein gehauen in Lebensgröße“ gelegen1). Nach einer Quelle des 17. Jahrhunderts soll sich Mynsinger von Frundeck seinen Beisetzungsort zu Lebzeiten selbst ausgesucht haben. Die Inschrift sei von seinem Sohn Heinrich Albrecht angefertigt worden2). Inschrift A ist in der Tat Teil eines zwanzig Seiten langen Trauergedichtes des Heinrich Albert Mynsinger von Frundeck für seinen Vater, das sich im Anhang zur Leichenpredigt für den Verstorbenen von 1588 findet3). Sie ist dort durch Kapitalis im Druck herausgehoben. Von Mynsinger ist als weiteres Grabdenkmal das mit einer anderslautenden Inschrift versehene Epitaph Nr. 91 erhalten. Es ist sehr wahrscheinlich, daß die mehrfach als Grabschrift überlieferten Verse tatsächlich als Inschrift an dem Grabdenkmal in der Gruft angebracht sind.

Inschrift A nach H. A. Mynsinger von Frundeck, Inschrift B nach Oeynhausen.

  1. A

    MYNSIGER EVROPAE SYDVS THEMIDISQVEa) SACERDOS SVB GELIDAb) IACET HIC CONTVMVLATVS HVMO4) TVMBA TEGIT CORPVS VIVIT SED FAMA TOT ESSE VIRTVTES VNO NONc) POTVERE LOCO

  2. B

    er ist gestorben 1588d) 3 May

Übersetzung:

Mynsinger, Stern Europas und Priester der Themis5), liegt hier unter kühler Erde bestattet. Das Grab umfängt den Leichnam, aber sein Ruhm lebt. So viele Tugenden haben nicht an einem einzigen Ort festgehalten werden können. (A)

Versmaß: Elegische Distichen (A).

Kommentar

Inschrift A würdigt einen bedeutenden Juristen des 16. Jahrhunderts. Joachim Mynsinger von Frundeck6), geboren am 13. August 1514 in Stuttgart, wurde nach einer juristischen Lehrtätigkeit an der Universität Freiburg von Karl V. 1548 zum Beisitzer am Reichskammergericht in Speyer ernannt. Von 1556 bis 1573 wirkte er unter den Herzögen Heinrich dem Jüngeren und Julius als Kanzler des Fürstentums Braunschweig-Wolfenbüttel und schuf hier durch eine Reform der Verwaltung und des Gerichts- und Kirchenwesens wichtige Voraussetzungen für die Entwicklung des Fürstentums zum frühabsolutistischen Staat. Als Inhaber des fürstlichen Erbkämmereramtes war er Besitzer des Helmstedter Burghofes, wohin er sich nach seinem Ausscheiden aus der Tagespolitik zurückzog. Er blieb indes Berater des Herzogs Julius, insbesondere während der Gründungsphase der Landesuniversität in Helmstedt, ohne freilich hier ein Lehramt anzunehmen. Sein umfangreiches literarisches Werk umfaßt neben dem juristischen Schrifttum neulateinische Kleinepen und Gedichte sowie ein Gebetbüchlein7). Mynsingers große rechtsgeschichtliche Bedeutung wird heute darin gesehen, daß er es als erster wagte, die Geheimhaltungspraxis des Reichskammergerichts zu durchbrechen und reichsgerichtliche Entscheidungen zu publizieren, ein Schritt, der Nachahmer fand und langfristig tiefgreifend auf die praktische Rechtspflege im Reich einwirkte8). Mynsinger verstarb am 3. Mai 1588 auf seinem Pfandschloß Groß-Alsleben, Bördekreis. In seiner Beisetzungskirche St. Stephani in Helmstedt findet sich ein weiteres Epitaph für seine Familie (vgl. Anhang 1 1582) und ein Epitaph für ihn allein (vgl. Nr. 91).

Der Verfasser von Inschrift A, Joachims älterer Sohn Heinrich Albrecht, war Student der lateinischen Sprache in Helmstedt, als sein Vater starb9). Zum jüngeren Sohn Sigmund Julius vgl. dessen Epitaph Nr. 102.

Textkritischer Apparat

  1. THEMIDISQVE] Themidosq(ue) Adam.
  2. SVB GELIDA] Egelida Meier. Vgl. dazu Anm. 4
  3. NON] vix Meier.
  4. 1588] 1566 Oeynhausen. Diese Variante Oeynhausens und die für eine Inschrift untypische Form der Wortfolge B lassen deren inschriftliche Ausführung zweifelhaft erscheinen.

Anmerkungen

  1. Querner 1, S. 19.
  2. Meier, Monumenta Julia, S. 78 Sepultus est (sc. Joachim Mynsinger von Frundeck) Helmstadii in loco quem sibi vivus selegerat. Inscriptio tumuli a filio ipsius Henrico Alberto facta huius modi est (folgt Inschrifttext).
  3. H. A. Mynsinger von Frundeck, In obitum .. Joachimi Mynsingeri a Frundeck. In: D. Hoffman, Leichpredigt Bey der Begrebniss des .. Joachim Mynsingers von Frundeck, Magdeburg 1588, HAB Wolfenbüttel, Sign. T 650 Helmst. 4°, hier Bl. H1v.
  4. Vgl. z. B. Ovid, Tristien 3,3,32 contumularer humo in gleicher metrischer Position. In der Fassung EGELIDA IACET HIC CONTUMULATUS HUMO findet sich der Vers auch auf einer Messingtafel in der Braunschweiger Kirche St. Martini von 1640, vgl. DI 56 (Stadt Braunschweig II), Nr. 892. Sie ist der Rest einer Grabplatte des Superintendenten Balthasar Walther. Entweder hat der Verfasser der Braunschweiger Inschrift den Helmstedter Text, Grabschrift einer prominenten Persönlichkeit, gekannt und auf ihn zurückgegriffen – dann wäre auch in Helmstedt EGELIDA (wie Anm. b) zu lesen –, oder es gibt für beide Fälle einen nicht ermittelten literarischen Vorbildvers.
  5. Themis ist die griechische Göttin der Rechtsordnung.
  6. Zu ihm Ludwig, Joachim Münsinger, S. 91ff. mit der älteren Literatur.
  7. Vgl. Literaturlexikon, Bd. 8, S. 322.
  8. Dazu Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, hg. von A. Erler und E. Kaufmann, 5 Bde., Berlin 1971–1998, Bd. 3, Sp. 810ff.
  9. Zimmermann, Album, S. 10 und S. 68. Das die Inschrift enthaltende Gedicht unterzeichnet er mit L(inguae) L(atinae) S(tudiosus).

Nachweise

  1. H. A. Mynsinger von Frundeck, In obitum .. Joachimi Mynsingeri a Frundeck. In: D. Hoffman, Leichpredigt Bey der Begrebniss des .. Joachim Mynsingers von Frundeck, Magdeburg 1588, HAB Wolfenbüttel, Sign. T 650 Helmst. 4°, hier Bl. H1v (A).
  2. Oeynhausen, Grabinschriften, Bl. 111.
  3. M. Adam, Vitae Germanorum iureconsultorum et politicorum, Heidelberg 1620, S. 296 (A).
  4. Meier, Monumenta Julia, S. 78 (A).

Zitierhinweis:
DI 61, Stadt Helmstedt, Nr. 90(†) (Ingrid Henze), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di061g011k0009003.