Inschriftenkatalog: Stadt Helmstedt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 61: Stadt Helmstedt (2005)

Nr. 61 Papenberg 2 1567

Beschreibung

Haus, sog. Rohrsches Haus. Traufenständiger Fachwerkbau, dreigeschossig, die beiden oberen Geschosse vorkragend, in den Obergeschossen elf Gefache breit. Das Haus springt an der Ostseite zum Grundstück Papenberg 3 hin in den Obergeschossen aus der Straßenflucht nach vorn. Seine östliche Giebelseite stand bis zum Bau des Nachbarhauses im Jahre 1825 frei1). Sämtliche sichtbaren Teile der Fachwerkkonstruktion an der Traufenseite mit Ornamenten bedeckt. Von den am Ostgiebel zu vermutenden Holzschnitzereien an der Nordostecke zwei weibliche Figuren mit Namenbeischriften, oben A, unten B zu sehen. An der Fassade zum Papenberg bzw. dem hiermit verbundenen Marktplatz in den elf Brüstungsfeldern des ersten Obergeschosses elf Wappenschilde mit Oberwappen. Die Wappenreihe wird fortgesetzt im zweiten Obergeschoß im ersten und elften Brüstungsfeld mit zwei Vollwappen. Über den Wappen Beischriften C–J, die ersten vier Wappen und das siebte ohne Beischriften. In den restlichen Brüstungsfeldern des zweiten Obergeschosses die Allegorien der Sieben Freien Künste, versehen mit Beischriften K und ihren modernen Ergänzungen. Zwischen ihnen ist auf der siebten beschrifteten Platte von links die Darstellung der Pietas eingefügt worden. Im mittleren Brüstungsfeld des zweiten Obergeschosses Tür zu einer ehemaligen Ladeluke, darauf Tafel mit moderner Inschrift2). Auf den zwölf Ständern des ersten Obergeschosses oberhalb der Brüstungsfelder zwölf im Flachrelief geschnitzte Personifizierungen von Tugenden mit Beischriften L und ihren modernen Ergänzungen, jeweils über dem Kopf. Auf beiden Schwellen der Obergeschosse Inschriften, unten M, oben N.

Die Schnitzereien an Papenberg 2 sind 1903 bei Umbauarbeiten entdeckt und von dem darauf befindlichen Putz befreit worden. Samt Inschriften vollständig erhalten waren nur vier der Sieben Freien Künste (K) und vier von ehemals zwölf Tugenden (L). Bei der Rekonstruktion der zerstörten Teile übernahm man im Fall der Sieben Freien Künste (K) die Darstellungen und Beischriften vom sog. Eickeschen Haus in Einbeck zusammen mit der Pietas, die dort diesem Zyklus ungewöhnlicherweise zugesellt worden ist3). Die Quelle für die Ergänzungen der Tugenden (L) auf den Ständern ließ sich nicht ermitteln. Hier sind sieben der zwölf Figuren samt Beischriften Neuschöpfungen4). Die achte Figur – Spes – war ohne Inschrift erhalten. Die jetzige Beischrift ist eine moderne Ergänzung. Der Schriftverlauf ist häufig durch figürliche Darstellungen unterbrochen, so z. B. in K bei Geometrie, Arithmetik und Musik. Die Worttrenner sind in den Spruchinschriften M und N paragraphzeichenförmig ausgeführt, dazu in Inschrift M als Punkte auf der Zeilenmitte. Inschriften erhaben geschnitzt und farbig gefaßt.

Maße: Bu.: ca. 6–9 cm (A–K), ca. 5 cm (L), ca. 10 cm (M, N).

Schriftart(en): Kapitalis mit Elementen der frühhumanistischen Kapitalis.

Sabine Wehking [1/2]

  1. A

    LVCRE/CIA

  2. B

    [..]DITa)

  3. C

    I(ACOBVS) · L(ASMAN)b) S(ANCTI) L(VDGERI)

  4. D

    R(VTGERVS) E(LIAS) P(RAEPOSITVS) M(ARIENBERGENSIS)

  5. E

    A(NDREAS) D(AMMANN) Bc)

  6. F

    S(CHRADER)d) D Be)

  7. G

    H(ERMANN)f) D(ORGVTH) D Be)

  8. H

    H(ANS) G(ERDENER) D Be)

  9. I

    H(EISE) P(ENNISACK) D Kg)

  10. J

    H(ERMANN) B(RANDES)h) D Kg)

  11. K

    GEOMETRIA // ARITHME/TICA // MSICAi) // ASTRO/NOMI/Aj)

  12. L

    FIDES // FORTI/TVDO // TEMPE/RANTIA // CASTIT/ASk)

  13. M

    NISI · DOMINVS · AEDIFICAVERIT · DOMVM INVANVM · LABORAVERVNT · QVI · AEDIFI.CANT · EAM · NISI DOMINVS · CVSTODIERIT · CIVITATEM · FRVSTRA · VIGILABIT · QVI · CVSTODIT · EAM PSAL: 126l)5).

  14. N

    SI · COMMISERIS · DOMINO · OPERA · TVA · CONSILIA · TVA · FORTVNABVNTVRm) · SALOMO : 166) · ANNO · DOMINI · M · D · LXVII ·

Übersetzung:

Geometrie. Arithmetik. Musik. Astronomie. (K)

Glaube. Tapferkeit. Mäßigung. Keuschheit. (L)

Wenn der Herr nicht das Haus baut, so arbeiten umsonst, die daran bauen. Wenn der Herr nicht die Stadt behütet, so wacht der Wächter umsonst. (M)

Wenn du dem Herrn deine Werke anvertraust, so werden deine Planungen gesegnet sein. Im Jahre des Herrn 1567. (N)

Wappen:
Heinrich der Jüngere Herzog zu Braunschweig und Lüneburg7), Julius Herzog zu Braunschweig und Lüneburg8), Kloster Werden und Helmstedt9), Kloster Mariental?10), Jakob Passmann Propst von St. Ludgeri Helmstedt11), Elias12), Stadt Helmstedt13), Dammann14), Schrader15), Dorguth16), Gerdener17), Pennisack18), Brandes19),

Kommentar

Die Inschriften verwenden einzelne Formen der frühhumanistischen Kapitalis, so teilweise offenes unziales neben kapitalem D sowie N mit geschwungenem Schrägschaft.

Die hier wie am ehemaligen Beginenhaus (Nr. 79) zu beobachtende hierarchische Anordnung der Wappen – hier: Landesherr, ehemaliger Stadtherr, Klöster, Rat, Bürgermeister und Kämmerer – weist Papenberg 2 als repräsentatives öffentliches Gebäude aus, errichtet im Auftrag des Rates der Stadt. Auf diesem Grundstück hat sich im Mittelalter das Weinhaus des Rates befunden20). Das Haus Papenberg 2 gehörte bis 1838 dem Rat der Stadt. Seit 1726 hatte er es als „Ratsbierkeller“ verpachtet21). Zur Baugeschichte und zu den beteiligten Schnitzern sind keine Einzelheiten bekannt.

Die inschriftlich genannten Personen, soweit ihre Identität gesichert ist: Jakob Passmann war von 1566 bis 1586 Propst des Helmstedter Klosters St. Ludgeri22). Zu Rutger Elias vgl. Nr. 63. Bürgermeister Andreas Dammann amtierte von 1551 bis zu seinem Tod 158123), Bürgermeister Franz Schrader von 1561 bis zu seinem Tod 157324), Bürgermeister Hans Gerdener von 1562 bis 157025). Der Kämmerer Heise Pennisack verstarb 158226).

Textkritischer Apparat

  1. [..]DIT] Wohl zu IVDIT zu ergänzen.
  2. L(ASMAN)] Für P(ASMAN) nach Wappenbeischrift des Jakob Passmann in Nr. 87. Nach L(ASMAN) ist sinngemäß wohl PRAEPOSITVS zu ergänzen.
  3. B] Steht für „Bürgermeister“.
  4. S(CHRADER)] Davor Lücke. Die Initiale F des Vornamens Franz (vgl. Nr. 67) ist offenbar verloren.
  5. D B] Steht für „Der Bürgermeister“.
  6. Die Auflösung der Initiale ist ein Vorschlag. Das Wappen weist auf die Familie Dorguth, vgl. Anm. 16. Nach den Lebensdaten kommt der Schuhmachermeister Hermann Dorguth in Frage, der 1548 mit der Hakenbüchse im Aufgebot der Bürgerschaft diente und 1589 verstorben ist, vgl. Schaper, Bürgerbuch 1, S. 204.
  7. D K] Steht für „Der Kämmerer“.
  8. Die Auflösung der Initialen ist ein Vorschlag. Gesucht wird der zweite Kämmerer von 1567. Das Wappen gleicht dem Wappen Brandes, wie es in Nr. 96 ausgeführt ist. Nach den Initialen könnte es sich um Hermann Brandes handeln. Nach Schaper, Bürgerbuch 1, S. 122 verstarb er 1570 als Bürgermeister.
  9. MSICA] Für MVSICA.
  10. Die am Gebäude zu lesende Reihe lautet samt den modernen Ergänzungen RHETORICA // GEOMETRIA // DIALCTICA (!) // ARITHME/TICA // MSICA // PIETAS // ASTRO/NOMI/A // GRAMATTICA (Rhetorik, Geometrie, Dialektik, Arithmetik, Musik, Frömmigkeit, Astronomie, Grammatik).
  11. Die am Gebäude zu lesende Reihe lautet samt den modernen Ergänzungen FIDES // SPES // CARITAS // PAX // IRA // IVSTITIA // SA/PIENTIA // CO/NCORDIA // VANITAS // FORTI/TVDO // TEMPE/RANTIA // CASTIT/AS (Glaube, Hoffnung, Liebe, Friede, Zorn, Gerechtigkeit, Weisheit, Eintracht, Eitelkeit, Tapferkeit, Mäßigung, Keuschheit). Zimmermann, wie Anm. 3, nennt S. 141 CARITAS als erhaltene Tugend. Nach der von ihm beachteten Reihenfolge kann er nur CASTITAS meinen. So richtig auf S. 142.
  12. 126] 120 Zimmermann, Hägele.
  13. FORTVNABVNTVR] Daraus NABVNT moderne Ergänzung, vgl. Zimmermann, S. 141.

Anmerkungen

  1. Schaper, Häuserbuch 1,3, S. 61.
  2. HOFLAGER / des / HERZOGS JULIUS / 1568–1589. / aliis inserviendo consumor. (Im Dienste an anderen verzehre ich mich – Devise des Herzogs Julius). Nach Schaper, Häuserbuch 1,3, S. 58 stammt die Tafel von 1880.
  3. Zur Instandsetzung des Hauses im Jahre 1903 vgl. P(aul) Z(immermann), Wiederherstellung des Rohrschen Hauses am Markt zu Helmstedt (mit Abdruck des Gutachtens des Restaurierungsleiters Prof. Lübke vom 12. 3. 1903). In: Braunschweigisches Magazin 14, 1908, S. 140–143 sowie G. Lübke, Die Bemalung alter Fachwerkbauten. In: Architektonische Rundschau 5, 1907, S. 37–41, hier S. 38f. Zum Eickeschen Haus in Einbeck vgl. DI 42 (Einbeck), Nr. 133.
  4. Das einzig von Zimmermann, wie Anm. 3, S. 142 als Vorbild genannte Einbecker Haus hat nur neun Tugenden und diese auf Brüstungsplatten.
  5. Ps. (H) 126,1. Dort vigilat statt VIGILABIT.
  6. Nach Prv. 16,3 revela Domino opera tua et dirigentur cogitationes tuae.
  7. Wappen Heinrich der Jüngere Herzog zu Braunschweig und Lüneburg: quadriert, 1. Braunschweig (zwei Leoparden), 2. Lüneburg (Löwe), 3. Everstein (Löwe), 4. Homburg (Löwe). Schild umgeben von den Insignien des Goldenen Vlieses. Vgl. Siebmacher, Wappenbuch, Bd. 1, 1. Abt., ND Bd. 1, S. 26f.
  8. Wappen Julius Herzog zu Braunschweig und Lüneburg: wie Anm. 7, doch ohne die Insignien des Goldenen Vlieses.
  9. Wappen Kloster Werden und Helmstedt: quadriert durch Kreuz, Herzschild gekreuzte Abtsstäbe. Vgl. Siebmacher, Wappenbuch, Bd. 1, 5. Abt., 2. Reihe, ND Bd. 8, S. 26. Von diesem und dem folgenden Wappen waren nur noch die gekreuzten Abtsstäbe unter Schildresten erkennbar, vgl. P(aul) Z(immermann), wie Anm. 3, S. 141.
  10. Wappen Kloster Mariental?: Wappenschild: Löwe in geteiltem Schild. Vgl. Anm. 9. Die Intention der Restauratoren von 1903 ist unklar, vgl. P(aul) Z(immermann), wie Anm. 3, S. 141. Das Wappen des Klosters Mariental in Nr. 87 hat im geteilten Schild oben einen wachsenden Löwen, unten gekreuzte Abtsstäbe.
  11. Wappen Jakob Passmann, Propst von St. Ludgeri Helmstedt (verteilt auf zwei Schilde): 1. gekreuzte Abtsstäbe, 2. A mit am Mittelbalken angesetztem Kreuz, begleitet von drei Sternen. In Nr. 87 zusammen auf einem Schild. Vgl. Siebmacher, wie Anm. 9.
  12. Wappen Elias: Hausmarke (Anhang 2, H1).
  13. Wappen Stadt Helmstedt: gekreuzte Abtsstäbe. Vgl. Siebmacher, Wappenbuch, Bd. 1, 4. Abt., ND Bd. 6, S. 146.
  14. Wappen Dammann: geteilt, oben und unten Rose.
  15. Wappen Schrader: Rose über querliegendem, nach unten offenem E.
  16. Wappen Dorguth: gespalten, r. viermal geteilt, l. halber Krebs. Vgl. Siebmacher, Wappenbuch, Bd. 5, 4. Abt., ND Bd. 10, S. 5.
  17. Wappen Gerdener: geteilt, oben wachsender Greif, unten drei Blütenstengel, gebündelt. Greif deutlicher in Nr. 96.
  18. Wappen Pennisack: Löwe, überdeckt von Gitter. Vgl. Siebmacher, Wappenbuch, Bd. 5, 4. Abt., ND Bd. 10, S. 64.
  19. Wappen Brandes: gekreuzte Fackeln, bewinkelt von Flammenbündeln.
  20. Schaper, Häuserbuch 1,2, S. 193.
  21. Schaper, Häuserbuch 1,3, S. 60.
  22. Römer, Helmstedt, St. Ludgeri, S. 172, S. 191.
  23. Schaper, Bürgerbuch 1, S. 175.
  24. Schaper, Bürgerbuch 4, S. 1041.
  25. Schaper, Bürgerbuch 2, S. 322.
  26. Schaper, Bürgerbuch 3, S. 854.

Nachweise

  1. P(aul) Z(immermann), Wiederherstellung des Rohrschen Hauses am Markt zu Helmstedt (mit Abdruck des Gutachtens des Restaurierungsleiters Prof. Lübke vom 12. 3. 1903). In: Braunschweigisches Magazin 14, 1908, S. 141f. (C–N).
  2. Schaper, Häuserbuch 1,3, S. 58 (C–N).
  3. Henze, Helmstedt, S. 60 (C–N).
  4. Hägele, Hausinschriften, Nr. 5 (C–N).

Zitierhinweis:
DI 61, Stadt Helmstedt, Nr. 61 (Ingrid Henze), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di061g011k0006109.