Inschriftenkatalog: Stadt Helmstedt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 61: Stadt Helmstedt (2005)

Nr. 11 St. Marienberg 1361 o. später, 15. Jh.?

Beschreibung

Vier Tafeln eines Altaraufsatzes. Eichenholz. Im sog. Männersaal im Westtrakt des Nordflügels. Wann und unter welchen Umständen die Tafeln nach St. Marienberg kamen, ist nicht bekannt. Meier hat sie 1896 nicht in das Bau- und Kunstdenkmälerinventar aufgenommen. Sie haben 1994/5 eine konservierende Bearbeitung erfahren1). Die vier aneinandermontierten, spitzgiebeligen Tafeln tragen auf der Vorderseite plastische Bildszenen, auf der Rückseite sind sie mit floralen Ornamenten bemalt. Die verbindenden Scharniere sind zur Vorderseite montiert. An der Rückseite der beiden mittleren Tafeln befindet sich ein nicht originales Arretierungsbrett. Als dieses Brett noch nicht angebracht war, konnten nicht nur wie jetzt die beiden äußeren Tafeln nach innen, sondern auch die beiden rechten auf die beiden linken bzw. alle vier zu einem geschlossenen rechteckigen Schrein geklappt werden, der geeignet war, in seinem Inneren eine Figur, hier, wie nach dem Programm denkbar, eine Muttergottes aufzunehmen. Seit der Anbringung des Arretierungsbrettes nutzbar als zweiflügeliger Altaraufsatz2). Auf den einzelnen Tafeln jeweils zwei fast quadratische Bildreliefs übereinander; das dritte und oberste Bildrelief bis zur halben Höhe rechteckig, danach Übergang in den Spitzgiebel. Die Leserichtung der so entstandenen zwölf Felder verläuft auf den beiden linken Tafeln horizontal: 1. Verkündigung an Maria unterhalb von Gottvater und dem Hl. Geist in der Giebelspitze. Der Engel und Maria tragen Spruchbänder. Nur auf dem Spruchband der Maria Farbreste erhalten mit Inschrift A. 2. Heimsuchung. Maria links und Elisabeth rechts in Umarmung. Über ihnen Gottes Arm, der auf ein kurzes Spruchband mit verlorener Inschrift über Maria weist. Über Elisabeth langes Spruchband mit Inschrift B. 3. Geburt Jesu. 4. Verkündigung an die Hirten. Vier Engel über den Hirten halten drei Spruchbänder. Darauf nicht lesbare Buchstabenreste. 5. Anbetung der Könige. 6. Darbringung im Tempel. Auf den rechten Tafeln wird in der Vertikalen erzählt. Dabei bleibt die genaue chronologische Abfolge unberücksichtigt3). Die dritte Tafel bietet im obersten Feld 7. die Flucht nach Ägypten. Über der Hl. Familie Engel mit Spruchband; erhalten darin der linke Schaft eines Versals des ersten Wortes. Darunter 8. der zwölfjährige Jesus im Tempel, umgeben von Schriftgelehrten, die ebenso wie Jesus jeweils ein aufgeschlagenes Buch halten. Darin Farbreste einer Beschriftung bzw. Ornamentierung. 9. Der Kindermord in Bethlehem. Auf der vierten Tafel findet sich oben 10. die Krönung der Maria über 11. dem Marientod. Hier in der Mitte hinter der aufgebahrten Maria Christus mit aufgeschlagenem Buch in der Rechten und der Seele der Maria auf dem linken Arm. Rechts hinter Maria drei trauernde Apostel. Der mittlere hält ein offenes Buch. Darin ebenso wie in dem Buch, das Christus hält, Reste von Schrift oder Ornamentik. Unterhalb der Maria links und rechts je drei weitere Apostel mit aufgeschlagenen Büchern. In den Büchern der rechten Apostelgruppe Buchstabenreste, im Buch des mittleren Apostels Inschrift C. Darunter 12. Stigmatisation des Franz von Assisi. Der Heilige zwischen links einem abgewandt sitzenden, schlafenden Mönch mit geschlossenem Buch in den Händen und rechts einem knienden, betenden Mönch, beide im Franziskanerhabit. Über Franziskus der Seraph mit Kruzifix. – Inschriften gemalt, schwarz auf hellem Grund.

Maße: H.: 150 cm; B.: 158,2 cm; Bu.: 0,6–0,7 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

  1. A

    [ – – – ] [se]c[u]nduma) [ – – – ]b)

  2. B

    [ – – – ] [m]ihic)4) [ – – – ]

  3. C

    1[.] · / 62d) · / 26 · [ .. ]

Kommentar

Die Datierung des Inschriftenträgers ergibt sich aus der dendrochronologischen Untersuchung5). Das jetzige Erscheinungsbild der Schrift gibt keinen Hinweis auf die ursprüngliche Schriftgestaltung, sondern stammt aus der Zweitfassung des Tetraptychons, von der die Restauratoren nach ihren sonstigen Merkmalen annehmen, daß sie frühestens im 15. Jahrhundert, aber „noch im ausgehenden Mittelalter“ durchgeführt worden ist6). Die vorhandenen Inschriftenreste finden im Restaurierungsbericht keine Erwähnung, d. h. sie werden auch nicht einbezogen in die Diskussion um die Datierung dieser Zweitfassung. Nach den Beobachtungen der Restauratoren war die Originalfassung in ihren erhaltenen Partien differenzierter und feiner ausgeführt als die Zweitfassung, die das ursprüngliche Farbprogramm nur „vergröbert wiederholte“7). Wenn dieser Grundsatz auch bei der Überarbeitung der Inschriften zur Anwendung gekommen sein sollte, ließe sich daraus herleiten, daß die zu überarbeitende Schrift auch eine dann recht frühe gotische Minuskel gewesen ist. Ein Wechsel der Schriftart kann natürlich nicht ausgeschlossen werden8). Das Erscheinungsbild des gut erhaltenen [m]ihi der Inschrift B zeigt mit Vierlinienschema und ausgeprägten Brechungen eine gotische Minuskel mit späten Merkmalen. Dazu paßt auch der Gebrauch eines Versals, der in Resten erkennbar ist (s. o.). Soweit der Erhaltungszustand der Inschriften überhaupt eine Aussage zuläßt, wird die bei der Restaurierung erarbeitete Datierung der Zweitfassung bestätigt. Die Zahlen der Inschrift C sind unabhängig von der Blickrichtung der das jeweilige Buch haltenden Figuren horizontal, also für das Auge des Betrachters geschrieben. Im rechten Buch finden sich zusätzlich Reste einer vertikal angeordneten Schrift, entsprechend dem Verlauf der Buchzeilen. Nicht auszuschließen ist, daß an dieser Stelle, in den drei Büchern, das Datum der Zweitfassung über die alte Beschriftung gemalt worden ist9).

Textkritischer Apparat

  1. [se]c[u]ndum] Die oberen Teile der Buchstaben se sind erhalten. Zwischen se und cundum Kopf der Taube des Hl. Geistes.
  2. Der insgesamt vorhandene Platz reicht für das in dieser Szene zu erwartende Lc. 1,38 fiat mihi secundum verbum tuum (mir geschehe, wie du gesagt hast).
  3. [m]ihi] Der obere Teil des m ist erhalten.
  4. 1[.] · / 62] Lutz: „wahrscheinlich als 1562 zu lesen“.

Anmerkungen

  1. Restaurierungsbericht des Instituts für Denkmalpflege Hannover (Verfasser T. Kraekel-Hansum), Exemplar im Kloster St. Marienberg. Vgl. auch T. Kraekel-Hansum, Restaurierung eines Tetraptychons aus Kloster St. Marienberg in Helmstedt. In: Berichte zur Denkmalpflege in Niedersachsen 15, 1995, S. 120f.
  2. Vgl. die Besprechung der möglichen Funktionen der Tafeln in Restaurierungsbericht, wie Anm. 1, S. 7ff., S. 21. Einen vierteiligen Klappaltar, ein Tetraptychon, sah W. Scheffler in den Tafeln, vgl. ders., Das Tetraptychon von Helmstedt. In: Festschrift für Peter Metz, hg. von U. Schlegel und C. Zoege von Manteuffel, Berlin 1965, S. 198ff. Eine Rekonstruktion als Altarretabel, dessen Mittelbaldachin verloren sei, schlägt G. Lutz vor, vgl. ders., Ein Retabel des 14. Jahrhunderts im Kloster St. Marienberg in Helmstedt. In: Entstehung und Frühgeschichte des Flügelaltarschreins, hg. von H. Krohm, K. Krüger und M. Weniger, Berlin 2001 (2003), S. 267ff., hier S. 270f.
  3. Lutz, wie Anm. 2, S. 271 verweist auf vergleichbare Darstellungen, die statt einer chronologischen einer bedeutungsmäßigen Ordnung folgen.
  4. mihi möglicherweise aus der Rede der Elisabeth Lc. 1, 42 et unde hoc mihi ut veniat mater Domini mei ad me (und woher wird mir das zuteil, daß die Mutter meines Herrn zu mir kommt?).
  5. Restaurierungsbericht, wie Anm. 1, S. 4 und Bericht über die dendrochronologische Untersuchung, ebenda im Anhang: „früheste Entstehung des Gemäldes .. ab 1343 denkbar“, „eher ist jedoch eine Entstehung des Gemäldes ab 1361 zu vermuten“.
  6. Restaurierungsbericht, wie Anm. 1, S. 21.
  7. Restaurierungsbericht, wie Anm. 1, S. 23.
  8. So in Nr. 28.
  9. So Lutz, wie Anm. 2, S. 270 zu seiner Lesung 1562.

Nachweise

  1. G. Lutz, Ein Retabel des 14. Jahrhunderts im Kloster St. Marienberg in Helmstedt. In: Entstehung und Frühgeschichte des Flügelaltarschreins, hg. von H. Krohm, K. Krüger und M. Weniger, Berlin 2001 (2003), S. 270 (C).

Zitierhinweis:
DI 61, Stadt Helmstedt, Nr. 11 (Ingrid Henze), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di061g011k0001109.