Inschriftenkatalog: Stadt Hannover

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 36: Stadt Hannover (1993)

Nr. 269(†) Marktkirche 1619

Beschreibung

Epitaph des Joachim von Anderten. Sandstein. Das Epitaph, das ursprünglich im Chor1) hing, wurde später auf die Orgelempore versetzt. Es wurde im Zweiten Weltkrieg stark zerstört. Alte Aufnahmen zeigen den ursprünglichen Zustand des Epitaphs. Die erhaltenen, aber stark beschädigten Teile hängen heute in Höhe der ehemaligen Orgelempore an der nördlichen Querwand im Westen des Kirchenschiffs. Noch vorhanden ist der Mittelteil mit einem Relief der Kreuzigung, das Kreuz mit Titulus A, und links davon in einer Nische das Relief der Kreuztragung; das entsprechende Relief auf der rechten Seite, das die Schaustellung Christi zeigte, ist verloren. Erhalten ist außerdem das Relief unterhalb der Kreuzigungsszene, das die Familie des Verstorbenen – drei Männer- und sechs Frauenfiguren – zeigt, sowie der Mittelteil des oberen Aufbaues. Dieser besteht aus einem Auferstehungsrelief, das von zwei Nischen eingerahmt wird, und einem darüber befindlichen von Rollwerk umgebenen Medaillon, das Jonas und den Walfisch zeigt. Heute verloren sind die Vorbauten und Gesimse sowie die von Rollwerk und Engelsfiguren gerahmte Kartusche unten am Epitaph. Auf dieser befand sich die Inschrift B. Dem Mittelteil waren seitlich vorspringende Gesimse vorgebaut, die in zwei Stockwerken von auf den Vorsprüngen stehenden Säulenpaaren getragen wurden. In der Mitte über den Säulenpaaren sowie auf dem Sockel der unteren Säulen befand sich jeweils ein Wappenschild; die Wappeninhalte sind mit Ausnahme des oberen linken auf den Photographien nicht zu erkennen, da sie in Untersicht gegeben sind. Die größeren Wappenschilde des Verstorbenen und seiner Ehefrau befanden sich seitlich auf dem Gesims über der mittleren Zone. Sie standen auf kleinen Sockeln, die mit den Wappenbeischriften versehen waren. Das Epitaph war reich mit Rankenwerk sowie Engelsköpfen und Masken geschmückt. In der mittleren und den beiden oberen Zonen standen seitlich insgesamt sechs Frauenfiguren. Möglicherweise handelte es sich um Tugenden, die Aufnahmen lassen jedoch keine Attribute erkennen. Den oberen Abschluß des Epitaphs bildete eine Erlöserfigur.

Inschriften nach Photographien, B auch nach Ising.

Schriftart(en): Kapitalis, humanistische Minuskel.2)

Sabine Wehking [1/3]

  1. A

    INRIa)

  2. B

    [JOACHIMO DE ANDERTEN Patricio Hannoverano LVdolphi filio A(nno) C(hristi) 1558. nato / in illustrib(us) Academiis Francofurt(ae) Heidelberg(ae) et Basileensi jurium / scientia solertissimeb) exculto Docturaeq(ue) gradu meritiss(imae) insignito / Spirae insuper aliquandiu exquisite exercitato de hinc / Dicasterii Guelphici Advocato spectatiss(imo) porro Reverendiss(imi) / et sereniss(imi) Principis ac Domini D(omini) Christiani Ducis Brunsvic(ensis) et Lüneb(urgensis) Episcopi / Capitulique Mindensis Syndico prudentiss(imo) Patriae et familiae / seculique sui ornamento eximio tandem Curis et / laboribus delassato fractoque et hic in patria / A(nno) C(hristi) 1619. die 5. Febr(uarii) placidissime defuncto et in hoc choro sepulto marito suo desideratissimo relicta vidua Elisabetha Blumen hoc Mausoleum in fidem veri amoris conjugalis lib(eraliter) meritoque adseruit.c)]

  3. Wappenbeischriften:

    [....] Anderten [....]EL[..........]

Übersetzung:

Dem Hannoverschen Patrizier Joachim von Anderten, Sohn des Ludolf, der im Jahr Christi 1558 geboren wurde, der an den hochberühmten Universitäten von Frankfurt, Heidelberg und Basel in der Wissenschaft der Rechte sehr gründlich ausgebildet und mit der überaus verdienten Doktorwürde ausgezeichnet wurde und obendrein eine Zeitlang sehr sorgfältig in Speyer geschult wurde, dann sehr angesehener Richter am welfischen Gericht, ferner sehr verständiger Syndicus des sehr ehrwürdigen und erlauchten Fürsten und Herrn, des Herzogs Christian von Braunschweig und Lüneburg, des Bischofs und des Domkapitels zu Minden, herausragende Zier seiner Vaterstadt, seiner Familie und seiner Zeit; schließlich wurde er durch die Sorgen und Beschwerden geschwächt und zerbrochen und starb hier in seiner Vaterstadt sehr sanft am 5. Februar im Jahr Christi 1619 und wurde in diesem Chor beigesetzt. Die hinterlassene Witwe Elisabeth Blume hat ihrem sehr geliebten Ehemann diese Grabstätte großzügig und verdientermaßen zum Beweis der wahren ehelichen Liebe zugeeignet. (B)

Wappen:
von Anderten (drei Löwenköpfe balkenweise)
Blume (neun Rosen, 3:3:3)
von Hake (zwei gekreuzte Haken, darüber eine Rose)3)

Kommentar

Das Epitaph kann mit großer Sicherheit dem Osnabrücker Bildhauer Adam Stenelt zugeschrieben werden, der 1621 das Grabdenkmal für den ebenfalls 1619 verstorbenen Vetter Joachims, Dietrich von Anderten (vgl. Nr. 274), anfertigte. Hierfür spricht die große stilistische Ähnlichkeit der beiden Epitaphien wie auch die Übereinstimmung in der Schriftform. Auch hier handelt es sich bei der Schrift um eine Mischung aus Elementen der humanistischen Minuskel und der Fraktur, die durch ihre Rechtsgeneigtheit den Charakter einer Kursive bekommt.

Joachim von Anderten war der Sohn des Ludolf von Anderten und der Anna Hake (vgl. Nr. 138). Sein Bruder war der 1626 verstorbene Ludolf von Anderten (Nr. 230). Joachim von Anderten immatrikulierte sich im Mai 1576 an der Universität Wittenberg4), 1577 an der Universität Frankfurt a.O.5) und im März 1584 an der Universität Basel6). Dort erwarb er 1585 den Titel eines Doktors beider Rechte. Im selben Jahr wurde er Advokat am Hofgericht in Wolfenbüttel.7) 1586 heiratete er die ebenfalls aus einer Hannoverschen Familie stammende Elisabeth Blume (vgl. deren Epitaph Nr. 320). 1590 wurde Joachim von Anderten als Syndikus des Domkapitels nach Minden berufen, wo er bis zu seinem Tod 1619 tätig war. Seine Leiche wurde nach Hannover überführt und am 12. Februar 1619 im Chor der Marktkirche beigesetzt.8) Den Begräbnisplatz hatte Joachim von Anderten für sich und seine Frau kurz vor seinem Tod zum Preis von 200 Talern erworben.9)

Textkritischer Apparat

  1. Lesung unsicher, da das Epitaph in großer Höhe angebracht ist. Der Titulus ist auf der Photographie (HM Negnr. 19451) nur andeutungsweise zu erkennen.
  2. solertissime] solerctissime Ising.
  3. Die Zeilenumbrüche sind am Schluß nicht mehr zu erkennen.

Anmerkungen

  1. Ising, S. 58.
  2. Die Photographien lassen zwar eine Bestimmung der Schriftart, aber keine eingehende Beschreibung der Buchstaben zu. Man kann jedoch erkennen, daß es sich um dieselbe Schriftart handelt wie auf dem anderen von Adam Stenelt stammenden Epitaph Nr. 274. Die Maße können aufgrund der Höhe, in der das Epitaph angebracht ist, nicht angegeben werden. Die Angaben bei Schuchhardt erscheinen in Relation zu dem auf derselben Photographie (Tafel XLV) abgebildeten Epitaph Nr. 274 nicht korrekt.
  3. Es handelt sich um das mittlere Wappen auf der linken Seite des Epitaphs.
  4. Matrikel Wittenberg, Bd. 2, S. 261a.
  5. Matrikel Frankfurt a.O., Bd. 1, S. 262b.
  6. Matrikel Basel, Bd. 2, S. 321. Ein Studium in Heidelberg, von dem in der Inschrift die Rede ist, ließ sich anhand der Matrikeln nicht nachweisen.
  7. Leichenpredigt für Joachim von Anderten, verfaßt von David Meier, SuUB Göttingen, Conc.fun., 4°N.I.6, gedruckt Goslar 1619.
  8. Leichenpredigt (wie Anm. 7).
  9. Begräbnisbuch der Marktkirche, LkA, Hannover, Marktkirche, HS. 1, p. 9.

Nachweise

  1. Ising, S. 58 (B).
  2. Photographie (HM u. D Negnr. 19451).
  3. Schuchhardt, Bildhauer, Tafel XLV.

Zitierhinweis:
DI 36, Stadt Hannover, Nr. 269(†) (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di036g006k0026906.