Inschriftenkatalog: Stadt Hannover
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 36: Stadt Hannover (1993)
Nr. 32† Schmiedestr. 10 (Leibnizhaus) 1499, 1590, 1652
Beschreibung
Hausinschriften. Giebelständiger Bau mit aufwendiger Renaissancefassade, vier Geschosse, dreigeschossige mit Reliefplatten verzierte Auslucht, viergeschossiger Staffelgiebel. Zur Kaiserstraße hin zweigeschossige steinerne Brandmauer mit Fachwerkaufsatz.1) 1943 zerstört. Eine Kopie der Fassade heute am Holzmarkt.
In das 1652 errichtete Haus wurden Teile der Vorgängerbauten übernommen. Am Fuß des Giebels verlief über die ganze Breite der Fassade ein aus 20 quadratischen Tonplatten zusammengesetzter Fries2), der von einem an dieser Stelle im Jahr 1499 errichteten repräsentativen Bürgerhaus stammte. Bei der Übernahme in den Neubau wurde der Fries offensichtlich verkürzt. Deutlich wird dies an der über die ersten drei Platten verlaufenden Inschrift (A) – einem Bibelzitat, in dem drei Wörter fehlen. Die Länge des ausgefallenen Textes läßt darauf schließen, daß die vollständige Inschrift ursprünglich über fünf Platten verlief.3) Da der Vorgängerbau des Leibnizhauses aber nicht breiter gewesen sein kann als dieses, ist damit zu rechnen, daß der Fries sich ursprünglich auf zwei Stockwerke verteilte und somit etliche Platten nicht in das Leibnizhaus übernommen wurden. Wieweit man bei der Übernahme die ursprüngliche Abfolge einhielt, ist nicht bekannt. Mit Ausnahme der ersten drei Platten befanden sich auf allen weiteren Medaillons inmitten von Rankenwerk. Die Platten in ihrer Reihenfolge am Leibnizhaus: 1.-3. Inschrift A; 4. Wappen von Sode; 5. Mauritius mit Fahne; 6. Barbara mit Turm; 7. Johannes Evangelista mit Kelch; 8. Thomas mit Winkelmaß und Buch4); 9. Katharina mit Rad und Monstranz; 10. Dorothea mit Korb; 11. Wappen von Sode; 12. Jungfrau mit Kind; 13.-15. die Heiligen Drei Könige; 16. Christophorus; 17. Georg; 18. Wappen von Sode; 19. Lucia, den Hals von einem Schwert durchbohrt; 20. Jacobus mai. mit Buch und Pilgerstab. Über die letzten vier Tafeln verlief das Baudatum (A).
In späterer Zeit wurden beim Anbau des Flügels zur Kaiserstraße hin in das Fachwerk alte Holzbalken mit Inschriften verbaut (B), die von einem Haus aus den Jahr 1590 – vermutlich auf demselben Grundstück – stammten und zur Wiederverwendung verkürzt wurden5), so daß die Bibelverse Lücken aufwiesen.
Auch aus dem Baujahr des Leibnizhauses 1652 fanden sich Inschriften, zum einen auf dem Fries über dem Portal (C), zum anderen auf einer Steinplatte, die noch Anfang dieses Jahrhunderts im Hof des Leibnizhauses aufgestellt, 1932 aber verschollen war6). Bei der Steinplatte handelte es sich um die linke Hälfte einer Wappentafel, die das Wappen des Erbauers Carol von Lüde, seinen Namen und in der Mitte noch die Hälfte einer Jahreszahl zeigte, die mit einiger Sicherheit zum Baujahr des Hauses ergänzt werden kann (D). Der ursprüngliche Platz der Tafel im Baugefüge ist nicht bekannt.
Ebenfalls aus dem Baujahr des Hauses stammten verschiedene Meisterzeichen. Zur Kaiserstraße hin in einem Balken des Fachwerks die Initialen des Baumeisters Johannes Deierberg mit Jahreszahl (E)7) sowie Beil und Winkelmaß, zur Schmiedestraße hin an der ersten Giebelstufe ein anonymes Meisterzeichen (M2), an der dritten Giebelstufe das Zeichen des Steinmetzen Ludolf Fiene (M3) mit Initialen (F)8). Von dem Bildhauer Peter Köster, der vor allem die Reliefs an der Auslucht fertigte, stammten mehrere Signaturen: im Relief der Grablegung (G) sowie im Wappen des Erbauers (H) Initialen, im ersten Obergeschoß der Auslucht auf dem Schild des Putto rechts neben der Grablegung das Meisterzeichen Peter Kösters (M4) mit seinen Initialen (I)9). Auf einer Kartusche in der Mitte des Frieses über dem ersten Dachgeschoß das Meisterzeichen des Heinrich Alfers (M5) mit dessen Initialen (K), links neben dem linken Fenster im ersten Dachgeschoß ein Wappenstein ebenfalls mit dem Zeichen des Heinrich Alfers, umgeben von Maurer- und Steinmetzwerkzeugen, darunter auf einem Schriftband der Name (L).10)
Inschrift A nach Zeichnung von Mithoff, Archiv; B nach Mithoff, Kunstdenkmale; C und D nach Abbildungen bei Krüger; die Meisterzeichen und Initialen nach Winkelmüller.
Schriftart(en): Gotische Minuskel (A), Kapitalis (B–L).
- A
Si vis /a) / serva man/data dei11) / Anno / d(omi)ni / mcccc/xcix
- B
IOANNES · AM · 14 · ICH · BIN · DE · WECH · DE · WARHEIT · VNDE · DAS · LEBENT · NEIMANDT · KVMPT · ZVM · VATER · DEN · ALLEINE · DVRCH · MICH12) · ANNO · 1590 · [.........] KOMEN · IST · DE · SVNDERS · SALICH · TO · MAKENDE · MANCK · WELKEREN · ICH · DE · FVRNOMESTE · BIN · AVER · DARVMME · IS · MI · BARMHARTICHEIT [.......] THOM · EXEMPEL · DEN[......] SCHOLDEN · THOM · EWIGEN · LEVENDE · AVERST · GADE · DEM · EWIGEN · KONINGE · DEM · VNVERGENLIKEN · VND · ONSICHTLIKEN · VND · ALLEINE · WISEN · SI · EHRE · VND · PRIS · IN · EWICHEIT · AMEN ·13)
- C
ANNO POSTERITATI 1652
- D
CAROL VON LÜDE 16[52]
- E
M · I · D · B / 1·6·52
- F
L F
- G
P · K · B
- H
P K
- I
P K
- K
M · H · A
- L
M(EISTER) · HINRICH · ALFERS
Übersetzung:
Willst du [zum Leben eingehen], so halte die Gebote Gottes. (A)
Der Nachwelt. (C)
von Sode (zwei Rosen) |
von Lüde (auf einem Querbalken drei Ochsenköpfe) |
Textkritischer Apparat
- Hier fehlt ad vitam ingredi.
Anmerkungen
- Auf eine detaillierte Beschreibung wird verzichtet, da diese wie auch eine gute Fotodokumentation in einigen Publikationen vorliegt. Vgl. u.a. Schuchhardt, Bildhauer, Nr. 89, S. 123ff.; Nöldeke I, S. 621f.; Krüger, Leibnizhaus, passim. Das Haus erfuhr schon früh besondere Aufmerksamkeit zum einen durch seine aufwendige Fassadengestaltung, zum anderen dadurch, daß Leibniz 18 Jahre lang bis zu seinem Tod in ihm wohnte. – Reste der 1964 abgerissenen Ruine befinden sich heute im Historischen Museum und im neuen „Leibnizhaus“.
- Zeichnung bei Mithoff, Archiv, Tafel XVII.
- Da das Rankenwerk von Platte zu Platte in gleicher Weise ineinander überging, wurde der Verlauf des Ornaments durch die Verkürzung des Frieses nicht gestört.
- Die Angabe von Mithoff, Archiv, Tafel XVII, es handle sich um den heiligen Gallus, kann nicht mit den Attributen in Einklang gebracht werden.
- Mithoff, Kunstdenkmale, S. 93; Leonhardt, Straßen und Häuser 1926, S. 36.
- Nöldeke, Kunstdenkmäler I, S. 622. Photographie der Platte in den Beständen des Historischen Museums, veröffentlicht bei Krüger, Leibnizhaus, Abb. 52.
- Auflösung der Initialen nach Winkelmüller, Meisterzeichen, S. 67, Nr. 103.
- Auflösung der Initialen nach Winkelmüller, Meisterzeichen, S. 45; Zeichnung ebd. S. 63, Nr. 56.
- Ebd. S. 68, Nr. 110.
- Ebd. S. 63, Nr. 65.
- Nach Mt. 19, 17. Der Bibeltext lautet: Si autem vis ad vitam ingredi serva mandata.
- Joh. 14, 6.
- 1. Tim. 15–17.
- StaH, B 8237, Consules ac reliqua membra senatus.
- Studtmann, Neubürger, S. 290.
- Ingrid Krüger, „Posteritati“ Epilog zur Untersuchung des Leibnizhauses, in: Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte 23, 1984, S. 139–148.
- Als willkürlich aus der Inschriftenkartei der Arbeitsstelle Deutsche Inschriften, Akademie der Wissenschaften Göttingen, herausgegriffene Beispiele seien genannt: Hameln, Kupferschmiedestr.13 (1560), DI XXVIII, Nr. 64; Hildesheim, Godehardimühle (1573), Rathausstr.24 (1610), Burgstr.7 (um 1620); Osnabrück, Johannisstr.70 (1611), DI XXVI, Nr. 209. Vgl.a. Einleitung, S.XV.
- Krüger, Leibnizhaus, S. 78ff.
Nachweise
- Mithoff, Archiv, Tafel XVII (A).
- Ders., Kunstdenkmale, S. 88 (A, C), S. 93 (B).
- Wüstefeld, Hausinschriften, S. 11 (B, C).- Schuchhardt, Bildhauer, S. 124 (C, G–K).
- Leonhardt, Straßen und Häuser 1926, S. 34 (A, C, E), S. 36 (B).
- Winkelmüller, Meisterzeichen, Nr. 103 (E), Nr. 56 (F), Nr. 110 (G–I), Nr. 65 (K, L).
- Abb. u.a.: Krüger, Leibnizhaus, Abb. 7–9 (A), Abb. 28 (C), Abb. 52 (D), Abb. 87, 92, 98 (Meisterzeichen).
Zitierhinweis:
DI 36, Stadt Hannover, Nr. 32† (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di036g006k0003202.
Kommentar
Der Erbauer des Hauses von 1499, dessen Fries in den Nachfolgerbau übernommen wurde, war Jürgen von Sode, der in der Zeit von 1504 bis 1532 mehrmals das Amt des Hannoverschen Bürgermeisters innehatte14). Carol von Lüde, der Bauherr von 1652 war ein Ururenkel des Jürgen von Sode. Bei der Leistung des Bürgereids 1648 wird er als Braunschweigisch-Lüneburgischer Kriegssecretarius bezeichnet.15)
Zu der Inschrift C, POSTERITATI, hat sich Ingrid Krüger in ihrer Arbeit zum Leibnizhaus und in einer speziellen Untersuchung16) dahingehend geäußert, daß sich in der Wahl dieser Inschrift wie überhaupt in der Gestaltung des Hauses ein besonderes historisches Bewußtsein des Erbauers Carol von Lüde offenbare. Einen Beleg hierfür sieht sie sowohl in der Wiederverwendung des Tonfrieses von 1499 für das Leibnizhaus als auch in dem – ihrer Meinung nach – typologischen Konzept, das die Gestaltung der Ausluchtreliefs bestimmt haben soll. In diesen typologischen Zusammenhängen äußere sich die Verbundenheit des Bauherren mit überkommenen Denkformen.
Es soll nicht geleugnet werden, daß Carol von Lüde ein Interesse daran hatte, seine Herkunft und die Tradition seiner Familie zu betonen. Hierzu mag der Fries des Vorgängerbaues ein willkommenes Mittel gewesen sein. Gleichzeitig wird jedoch die oft hervorgehobene Qualität den Ausschlag gegeben haben, den Fries als dekoratives Element in den Neubau zu übernehmen. Die Inschrift POSTERITATI als verbalen Ausdruck eines besonderen Geschichtsbewußtseins des Bauherren aufzufassen, ist insofern problematisch, als sie in dieser und ähnlicher Form bereits im 16. Jahrhundert topischen Charakter hat. Die Wendung an die Nachwelt – ohnehin konstitutives Element jeder Inschrift – kommt expressis verbis nicht nur in Grabinschriften sondern auch in Hausinschriften häufiger vor. Der Gedanke, ein Gebäude für die Nachwelt zu errichten, ist seit dem 16. Jahrhundert geläufiger Inhalt anspruchsvollerer Haus- und Gebäudeinschriften.17)
Erscheint damit das Bemühen Carols von Lüde um die Erhaltung älterer Bauteile weniger spektakulär, so gilt dies ebenso für die der Gestaltung der Auslucht zugrundeliegende Idee. Bereits eine oberflächliche Betrachtung der dort angebrachten Reliefs macht deutlich, daß hier keineswegs eine mittelalterliche typologische Denkform nachwirkt. Von oben nach unten handelte es sich um die folgenden Szenen: 1. Reihe: Erschaffung Evas, Sündenfall, Vertreibung aus dem Paradies; 2. Reihe: Kain und Abel, Opferung Isaaks, Wappen Lüde, Jakobs Traum, Venus und Amor; 3. Reihe: Ölberg, Aufrichtung des Kreuzes, Grablegung, Auferstehung, Gang nach Emmaus; 4. Reihe: ein Krieger, Judith und Holofernes, Urteil Salomos, Simson und der Löwe, David und Goliath. Wie die typologische Zuordnung im einzelnen aussehen soll, wird bei Krüger nicht in jeden Fall deutlich. Auch kann sie in ihrer Darstellung keine regelmäßige Anordnung der aufeinander bezogenen Szenen nachweisen. Eindeutig typologische Bezüge weisen nach Krüger nur vier Darstellungen auf: Opferung Isaaks – Aufrichtung des Kreuzes; Kain und Abel – Ölberg (Häscher im Hintergrund). Alle anderen Reliefs faßt sie zu Gruppen zusammen oder zerlegt sie in ihre Details, um wenigstens lose Bezüge zu dem jeweilig vermuteten Antitypus herstellen zu können. So stellt Krüger von den Szenen der Grablegung und der Auferstehung eine Verbindung zu der – nicht im Bildprogramm enthaltenen – Himmelfahrt her, um einen Bezug zu Jakobs Traum zu konstruieren, und führt damit ihre eigene These ad absurdum.18) Typologie gründet sich eben gerade auf eine eindeutige Zuordnung von Typus und Antitypus, die erkennbar sein muß und derartige Spekulationen über einen möglichen Zusammenhang überflüssig macht.
Bei den Reliefs der Auslucht handelte es sich in den oberen drei Reihen – abgesehen von dem Lüdeschen Wappen und dem Relief Venus und Amor – um in horizontaler Abfolge chronologisch geordnete Szenen aus dem Alten und Neuen Testament; die untere Reliefreihe bot Einzelszenen aus dem Alten Testament. Die Absicht des Erbauers, in der Gestaltung der Auslucht an eine mittelalterliche Denkform anzuknüpfen, läßt sich somit nicht erweisen. Vielmehr gehören die dargestellten Szenen zu dem geläufigen Repertoire des frühneuzeitlichen Bildhauers, auch des Peter Köster. Sie wiederholen sich in endloser Reihe besonders auf Grabdenkmälern und haben damit den Charakter von Versatzstücken.