Inschriftenkatalog: Stadt Hannover

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 36: Stadt Hannover (1993)

Nr. 262 Historisches Museum, Lapidarium 1616, 1675

Beschreibung

Tafel zur Bezeichnung der Grablege der Familie von Walthausen (Lapidarium, Nr. 52). Sandstein. Die Grablege befand sich in einem Gewölbe vor der Taufe, d.h. unterhalb des Chores.1) Nach dem Begräbnisbuch der Marktkirche war das Gewölbe zum Chor hin mit einem Eingang versehen, der mit großen Steinen zugemauert war. Zu der Inschriftentafel ist im Begräbnisbuch vermerkt: Auff dem obersten Steine in der Erden, damit die Thure zugerichtet, stehet inwendig diese schrifft.2) Auf der querrechteckigen Tafel, die in zwei Teile zerbrochen ist, verläuft in elf Zeilen die Inschrift A, darunter in vier Zeilen ein Nachtrag (B), der nicht mehr in den Berichtszeitraum fällt.

Maße: H.: 69 cm; B.: 118 cm; Bu.: 2–5 cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

Historisches Museum [1/1]

  1. A

    A(NN)O 1592 DEN 8. MAII STARB IOBST V(ON) WALTHAVSEN / F(VRSTLICH) B(RAVNSCHWEIGISCHER) CANTZLER VND IST IN DISEM GEWELB AN DIE RECHTE / HANDT VNTEN GESETZ: A(NN)O 1602, DEN 27 IVLII STARB ERNST / V(ON) WALTHAVSEN VND IST ZVR RECHTEN OBEN AVF EIN HOLTZEN / ROST GESETZ, WELCHE NEBEN DEM SARCH, ZERBROCHEN3) DIE / GEBEIN SEIN WIEDER IN ZWEI SARCHE GELECHT VND AN DIE / VORIGE STELLE AVF EIN EISEN ROST GESETZ IM 1616 IAHR / A(NN)O 1616 DEN 10 IVLII STARB LVCIA PAWLS IOBST VON WALT=/HAVSEN EHELICE HAVSFRAW VND STEHET VNTEN ZVR LINCK(EN) / HANDT. DIE RECHTE VND LINCKE HANDT IST ZV VERSTEHN / WAN DAS GESICHT NACH DEM CHOR GEWANDT.

  2. B

    <A(NN)O 1672. D(EN) 6 (DECEM)BRIS STARB IOBST MORITZ V(ON) WALTHAUSEN DER LETZ/TE MÄNNLICHE DIESES ADELICHE GESLECHTS IST NEBEN SEINEN BEIDEN / SÖHN EN ALS IOBST MORITZ U(ND) ALEX(ANDER) CHRIST(IAN) ZUR LINCKEN GESETZET / A(NN)O 1675>

Kommentar

Die Indizien sprechen dafür, daß die Tafel aus dem Jahr 1616 stammt und die letzten Zeilen der Inschrift (B) 1675 nachgetragen wurden. Zwar bemühte sich der Steinmetz, den Nachtrag in der Buchstabenform der vorhandenen Inschrift anzugleichen, es gibt jedoch sowohl in der Gestaltung der Buchstaben als auch in der Orthographie Unterschiede. So ist die Cauda des R im Nachtrag deutlich weiter unter die Zeile gezogen und es finden sich hier viele Ligaturen, im ersten Teil dagegen nicht eine einzige. Die Umlaute sind im Nachtrag durch übergesetzte Punkte bezeichnet. Auffällig ist auch das im oberen Teil dreimal verwendete Wort GESETZ, an dessen Stelle im Nachtrag GESETZET tritt.

Der aus Hameln stammende Justus von Walthausen trat 1541 in den Dienst der Herzogin Elisabeth und war an der Durchführung der Reformation in Calenberg maßgeblich beteiligt.4) Seit 1550 ist Justus von Walthausen als Kanzler Erichs II. nachzuweisen. Dieses Amt übte er bis 1574 aus. In erster Ehe war er mit Dorothea Garsen (vgl. Nr. 134) verheiratet, in zweiter Ehe – seit 1579 – mit Lucia Pawel, die aus einer bedeutenden Braunschweiger Familie stammte. Während die erste Ehe Walthausens kinderlos blieb, hatte er mit Lucia Pawel fünf Kinder. Der in der Inschrift erwähnte Sohn Ernst wurde 1584 geboren und verstarb am 17. August 1601. Das in der Inschrift genannte Todesdatum ist ebenso falsch wie das des Jobst von Walthausen (s.u.).5) Der ebenfalls in der Grablege beigesetzte Jobst Moritz von Walthausen war ein Enkel des Justus von Walthausen. Er war verheiratet mit Anna Helena von Knigge, mit der er mehrere Kinder hatte. Zwei Söhne – Jobst Moritz und Alexander Christian – sind in der Inschrift als vor ihrem Vater verstorben aufgeführt, eine Tochter aus dieser Ehe überlebte ihren Vater.6)

Über die Einrichtung der Grablege gibt ein Kontrakt Auskunft, den Lucia Pawel am 15. April 1592 mit dem Kirchenvorstand der Marktkirche schloß.7) Darin gestattete der Kirchenvorstand Lucia Pawel und ihren Kindern, vor der Taufe ein Gewölbe auf ihre eigenen Kosten bauen zu lassen, um dort eine Familiengrablege einzurichten. Als Gegenleistung stiftete Lucia Pawel der Marktkirche eine ansehnliche Silbern Kanne, uber Einhundert Goltgulden werdt, auf den Hohen altar. Die Silberkanne wurde 1716 durch eine neue ersetzt (vgl. Nr. 174). Für die Zukunft sah der Kontrakt vor, daß jedesmal, wenn das Gewölbe geöffnet würde, um ein Familienmitglied beizusetzen, sechs Goldgulden an die Marktkirche abzuführen wären. Zugleich wurde der Familie gestattet, ein gedechtnus unnd Epitaphium an den nehisten Steinern Pfeiler, gegen dem begrebnis uber ... Jnn die Kirchen setzen und verfertigen zu lassen, jedoch alß bescheidenlich, das Jnn anrichtung solichs Epitaphii, dem Pfeiler, mit einigem aushawen der Steine kein schade zugefueget, noch auch des gesichts halber damit keine hinderung furfallen moge. Außerdem erwarb Lucia Pawel für sich und ihre Tochter einen Kirchenstuhl, ebenfalls vor der Taufe, also in der Nähe des Grabgewölbes.

Das Ausstellungsdatum der Urkunde – der 15. April 1592 – steht im Widerspruch zu der Angabe des Todestages auf der Tafel, wonach Justus von Walthausen am 8. Mai 1592 gestorben wäre. Da Lucia Pawel in der Urkunde jedoch ausdrücklich als Witwe bezeichnet wird und Justus von Walthausen das Epitheton „selig“ trägt, ist die Datumsangabe auf der Tafel offenbar nach falschen Angaben ausgeführt worden. In der Leichenpredigt für Justus von Walthausen8) ist der 17. April als Tag der Beisetzung genannt, der Todestag wird nicht genau angegeben, sondern nur, daß es sich um einen Sonnabend handelte. Beide Angaben stimmen wiederum nicht mit denen der Hannoverschen Chronik9) und der Leichenpredigt für Ernst von Walthausen überein, die den 8. April 1592 – einen Mittwoch – als Todestag nennen. Sicher dürfte jedoch sein, daß Justus von Walthausen Anfang April 1592 starb. Da das Gewölbe nicht innerhalb weniger Tage zu errichten war, ist davon auszugehen, daß Justus von Walthausen zunächst an anderer Stelle beigesetzt wurde.

Anmerkungen

  1. StaH, A 3674. Die Taufe befand sich im 17. Jahrhundert im Chor der Marktkirche (vgl. Nöldeke, Kunstdenkmäler I, S. 94).
  2. LkA, Hannover, Marktkirche, HS. 1, fol. 2r.
  3. Der Anschluß des Nebensatzes mit WELCHE und die Kommasetzung erschweren hier das Verständnis des Textes. Möglicherweise ist bei der Ausführung der Inschrift auch Text ausgefallen. Gemeint ist wohl, daß der hölzerne Rost zerbrach und dadurch auch die beiden übereinanderstehenden Särge zerstört wurden.
  4. Auf eine ausführliche Biographie des Justus von Walthausen kann hier verzichtet werden, da sie bereits vorliegt. Biographie des Justus von Walthausen und seiner Familie: Bär, Familie von Walthausen, Bd. 1 u. 2, passim.
  5. Der von Rupert Erythropel verfaßten Leichenpredigt für Ernst von Walthausen zufolge starb dieser am 17. August 1601 und wurde am 26. August beigesetzt. SuUB Göttingen, Conc.fun., 4°N.I.3.
  6. Nach Bär (Familie von Walthausen, Bd. 2, S. 470f.) hätte das Ehepaar nur einen – frühverstorbenen – Sohn namens Friedrich und eine Tochter gehabt. Bär kennt allerdings die Inschriftentafel nicht und bezieht seine genealogischen Angaben aus anderen Quellen.
  7. StaH, A 3674. Bei der Urkunde handelt es sich um eine Art „Formblatt“, das der Kirchenvorstand der Marktkirche bei dem Erwerb von Begräbnissen ausstellte. Vgl. die in der Akte StaH, A 872, fol. 10/11, enthaltenen Bewilligungen.
  8. Leichenpredigt für Justus von Walthausen, verfaßt von Vitus Büscher, SuUB Göttingen, Conc.fun.292.
  9. Jürgens, Chronik, S. 269.

Nachweise

  1. Begräbnisbuch Marktkirche, LkA, Hannover, Marktkirche, HS. 1, fol. 2r.

Zitierhinweis:
DI 36, Stadt Hannover, Nr. 262 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di036g006k0026200.