Inschriftenkatalog: Stadt Hannover

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 36: Stadt Hannover (1993)

Nr. 178† Marktkirche 1593

Beschreibung

Epitaph des Melchior Reichard. Das Epitaph befand sich am östlichen Pfeiler des nördlichen Seitenschiffs.

Inschrift nach Ising.

  1. Fessos praeoccupat sopor Mors languidos.Moriendum ut vivamus, vivendum ut recte moriamur.Epitaphium ab ipso defuncto Anno XXCVI. compositumConditur hic Richards peccator maximus illeIlli sed Christi gratia major erat.DEO VNI ET TRINO SACRVMHeic conditur vir amplis(simus) Melchior Reichards, trium illustriss(imorum) heroum ac principum Brunsvicens(ium) et Lüneb(urgensium) ducum Henrici avi tempore belli et pacis, Julij filij, Henrici Julij nepotis consiliarius et archiquaestor fideliss(imus). Qui in hunc mundum ingressus Anno Christi M. D. XXIV. Kalend(is) April(is)1), toto vitae suae curriculo ad Christum viae et vitae suae scopum unice collineavita). Qui grassante pontificae et interimisticae impietatis tyrannide ad annos XXI. pro veritate doctrinae purioris inconcussus depugnavit, qui eandem ut ad posteros transmitteret imbecillos discentium conatus largitionibus erigere et confirmare non destitit. Qui munere suo in aula annos XLVI. cum laude et graviter perfunctus est. Qui cum duabus nuptias contraxit, quas Deus prole multa ditavit. Ex Elisabetha enim Hulsings, quae Anno 1584. prid(ie) Id(us) April(is)2) vitae suae pensum absolvit masculos IIX. foemellas VI. Ex Elisa Limburgs, quae anno XCI. XI. Calend(as) Decembr(is)3) diem suumb) obiit, duos liberos suscepit. Ambas vero puerperas magno cum doloris sensu extinctas vidit: quas tamen non amisit sed praemisit. Bocknemia Hannoveram deflexit ut in liberorum more et amore doloris medelam quaereret. At heic cotidie debilior factus tandem evoluta 69. annorum et dierum XI. periodo in vera fide et invocatione filii Dei vitam cum morte commutavit Anno aerae Christianae M. D. XCIII. IIX. Maji. Anima nunc in coelis agit, corpus Spiritus Sancti exuvias haec tellus sacra contegendum suscepit. Liberi sex e priori matrimonio superstites hoc monumentum sacrae et individuaec) Triadi sacrarunt et pietatis ac observantiae ergo ad profitendam apud posteros etiam clarissimi parentis memoriam parari et figi curarunt.

Übersetzung:

Der Schlaf übermannt die Müden, der Tod die Erschöpften. Wir müssen sterben, damit wir leben, wir müssen leben, damit wir richtig sterben.

Die Inschrift wurde von dem Verstorbenen selbst im Jahr 86 verfaßt.

Hier ist der sehr große Sünder Reichard begraben, aber Christi Gnade für ihn war noch größer.

Dem einen und dreifaltigen Gott geweiht.

Hier ist begraben der sehr angesehene Mann, Melchior Reichard, Rat und sehr zuverlässiger Oberrentmeister dreier sehr berühmter Helden und Fürsten, Herzögen von Braunschweig-Lüneburg, des Großvaters Heinrich in Kriegs- und Friedenszeiten, des Sohnes Julius, des Enkels Heinrich Julius. Er betrat diese Welt im Jahr Christi 1524 an den Kalenden des April. Er richtete im gesamten Verlauf seines Lebens das Ziel seines Weges und Lebens einzig auf Christus aus. Während die Tyrannei der päpstlichen und interimistischen Gottlosigkeit fast 21 Jahre lang wütete, kämpfte er unerschütterlich für die Wahrheit der reineren Lehre. Um dieselbe der Nachwelt zu übermitteln, hörte er nicht auf, die schwachen Bemühungen der Lernenden durch Spenden zu ermutigen und zu bestärken. Er übte sein Amt am Hofe 46 Jahre lang lobenswert und ernsthaft aus. Mit zwei Frauen schloß er die Ehe, die Gott mit zahlreichem Nachwuchs beschenkte. Von Elisabeth Hulsing, die am Vortag der Iden des April im Jahr 1584 die ihr zugewiesene Lebenszeit vollendete, acht Knaben und sechs Mädchen. Von Elisa Limburg, die am 11. Tag vor den Kalenden des Dezember im Jahr 91 an dem ihr bestimmten Tag starb, bekam er zwei Kinder. Aber er sah mit einem starken Gefühl des Schmerzes beide im Kindbett sterben, trotzdem verlor er sie nicht, sondern sandte sie voraus. Er zog von Bockenem nach Hannover, um in dem Gehorsam und in der Liebe der Kinder ein Heilmittel gegen den Schmerz zu finden. Aber hier wurde er täglich schwächer, schließlich tauschte er das Leben gegen den Tod ein, nachdem ein Zeitraum von 69 Jahren und 11 Tagen vergangen war, im wahren Glauben und unter Anrufung des Gottessohnes im Jahr 1593 christlicher Zeitrechnung am 8. Mai. Die Seele wohnt nun im Himmel, diese heilige Erde hat den Körper, die vom Heiligen Geist abgelegte Kleidung, in ihre Hut aufgenommen. Die sechs überlebenden Kinder aus erster Ehe haben dieses Denkmal der heiligen und ungeteilten Dreifaltigkeit geweiht und haben es anfertigen und errichten lassen aus Liebe und Gehorsam, um der Nachwelt auch das Andenken des hochberühmten Vaters zu verkünden.

Versmaß: Ein elegisches Distichon.

Kommentar

Melchior Reichard immatrikulierte sich im August 1545 an der Universität Wittenberg.4)

Für das Begräbnis des Melchior Reichard verzeichnet das Fabrikregister der Marktkirche im Jahr 1593 eine Einnahme in Höhe von 36 Talern.5) Die Platte, die vermutlich das Grab Reichards im Chor bedeckte, ist erhalten (vgl. Nr. 179). Der Hannoverschen Chronik zufolge wurden die sterblichen Überreste des im Chor der Marktkirche beigesetzten Reichard im Jahr 1600 auf Veranlassung seines Neffen in ein neu errichtetes Gewölbe unter dem Chor verlegt, das als Familiengrab diente.6)

Textkritischer Apparat

  1. collineavit] collimavit Ising.
  2. suum] Bis hierher gedruckter Text, der nachfolgende Teil handschriftlich.
  3. individuae] vidui et vidua Ising.

Anmerkungen

  1. 1. April.
  2. 12. April.
  3. 21. November.
  4. Matrikel Wittenberg, Bd. 1, S. 226.
  5. StaH, B 6993, fol. 561r.
  6. Jürgens, Chronik, S. 271.

Nachweise

  1. Ising, S. 63ff. (zweiter Teil hs.).

Zitierhinweis:
DI 36, Stadt Hannover, Nr. 178† (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di036g006k0017803.