1. Vorwort, Vorbemerkungen und Hinweise zur Benutzung

1.1 Vorwort

Die vorliegende Sammlung der Inschriften der Stadt Hannover ist in den Jahren 1987 bis 1992 entstanden. Sie wurde von der Inschriftenkommission der Akademie der Wissenschaften als 6. Band der Göttinger Reihe innerhalb der „Deutschen Inschriften“ zum Druck angenommen.

Für freundliche Unterstützung bei der Entstehung dieser Arbeit danke ich Herrn Dr. Boeck und Frau Grosche, beide Institut für Denkmalpflege Hannover; Herrn Dr. von Poser und den Mitarbeitern der Kirchlichen Denkmalpflege Hannover; Herrn Dr. Hirthe, Landesgalerie des Niedersächsischen Landesmuseums; Herrn Dr. Wolfson, Kestner-Museum; Herrn Dr. Otte, Landeskirchenarchiv; Herrn Dr. Zankl, Historisches Museum am Hohen Ufer; den Herren Heine, Knoke, Kreter und Mechler sowie den anderen Mitarbeitern des Stadtarchivs; den Mitarbeitern des Kirchenbuchamtes; Frau Kürschner, Marktkirche Hannover, und den Küstern der Hannoverschen Kirchen, insbesondere Frau Mäcke und Herrn Schreinecke. Herrn Dr. Wilhelm Wildhage danke ich für viele anregende Gespräche und die Unterstützung bei den die Marktkirche betreffenden Außenarbeiten, Herrn Dr. Jens-Uwe Brinkmann (Göttingen) für kunsthistorische Beratung. Mein Mann, Ulrich Wehking, hat Wesentliches zur photographischen Dokumentation des Inschriftenbestandes und zur Entstehung des Abbildungsteils beigetragen; Thomas Tempel (Akademie der Wissenschaften Mainz) hat bei der Entwicklung der Aufnahmen das Beste aus dem Fotomaterial herausgeholt. Annette Schwandt hat die Marken der Anhänge 2 bis 4 gezeichnet. Die Herren Professoren Rädle, Schindel und Stackmann (alle Göttingen) haben mir bei der Übersetzung der lateinischen Texte entscheidende Hilfestellung geleistet. Ihnen allen, wie auch den Mitarbeitern der Göttinger Inschriftenkommission, die meine Arbeit unterstützt haben, danke ich hiermit. Frau Dr. Christine Wulf hat das Entstehen dieses Bandes von den Außenarbeiten bis zu den Korrekturen begleitet. Ihr wie auch dem Vorsitzenden der Göttinger Inschriftenkommission, Herrn Professor Stackmann, gilt mein besonderer Dank für die sorgfältige und kritische Durchsicht des Manuskripts.

Göttingen, im Sommer 1993

Sabine Wehking

1.2 Vorbemerkungen und Hinweise zur Benutzung

Die vorliegende Arbeit umfaßt die Inschriften der Stadt Hannover in den Grenzen von 1650. Die heute zur Stadt gehörenden Vororte wurden bewußt ausgespart, da sich die dortigen Inschriftenbestände besser in einen noch zu erstellenden Band einfügen, der den Landkreis Hannover umfaßt.

Die in den Inschriftenbänden üblicherweise eingehaltene Zeitgrenze von 1650 ist im Falle Hannovers willkürlich, denn weder im Inschriftenmaterial noch in der Stadtgeschichte zeichnet sich Mitte des 17. Jahrhunderts ein Bruch ab. Da jedoch auch die Etablierung der herzoglichen Residenz in der Stadt 1636/37 keinen tiefgreifenden Einschnitt bildet, der sich an den Inschriften ablesen ließe, wurde die Zeitgrenze 1650 eingehalten; nur im Fall des Bäckeramtspokals (Nr.362) wurde sie überschritten, um alle auf dem Pokal befindlichen Inschriften zu erfassen.

Als Kriterium für die Aufnahme von Inschriften in den Band gilt das Provenienzprinzip, d.h. berücksichtigt wurden nur solche Stücke, die sich vor 1650 in der Stadt Hannover befanden. Der Sammlungsbesitz der Hannoverschen Museen kam also nur in Betracht, soweit er dieses Kriterium erfüllte.

Aufgenommen wurden sowohl original als auch kopial überlieferte Inschriften. Dabei ist Vollständigkeit angestrebt; es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, daß sich nach Abschluß dieser Arbeit noch die eine oder andere original oder auch kopial überlieferte Inschrift findet. Das Hannoversche Inschriftencorpus macht einen recht geschlossenen Eindruck. Dies ist darauf zurückzuführen, daß die Inventarisierung der Kunstdenkmäler in der Stadt Hannover seit der Mitte des 19. Jahrhunderts sehr intensiv betrieben wurde und man dabei auch den Inschriften große Aufmerksamkeit widmete. Der Verbleib einiger Stücke, die offenbar durch die Wirren des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegszeit abhanden gekommen sind, konnte nicht endgültig geklärt werden. Es läßt sich daher nicht ausschließen, daß sich der eine oder andere – hier als verloren gekennzeichnete – Inschriftenträger wieder anfindet.

Die Aufnahme und Anordnung der Inschriften sowie die Einrichtung der einzelnen Artikel folgt den Richtlinien der Interakademischen Kommission für die Herausgabe der Deutschen Inschriften. Entsprechend wurden alle Inschriften aufgenommen, die nicht Gegenstand anderer Disziplinen wie der Sphragistik oder Numismatik sind.

Jahreszahlen und Initialen, die nicht in Verbindung mit anderen Inschriften stehen, sind in Anhang 1 chronologisch aufgeführt.

Unberücksichtigt blieben grundsätzlich Haus- und Künstlermarken, es sei denn, sie erscheinen in Verbindung mit Inschriften. In diesem Fall sind sie in den Anhängen 2 bis 4 wiedergegeben. Im einzelnen finden sich in Anhang 2 die Hausmarken, in Anhang 3 die Hausmarken auf dem Bäckeramtspokal und in Anhang 4 die Meisterzeichen. Auf die Marken in den Anhängen wird durch Signaturen im Katalogteil verwiesen (H = Anhang 2, BM = Anhang 3, M = Anhang 4).

Die Inschriften sind chronologisch angeordnet. Für undatierte Inschriften wurde eine möglichst enge Eingrenzung ihres Entstehungszeitraums vorgenommen. Sie sind jeweils an das Ende des ermittelten Zeitraums gestellt. Konnte ein Terminus post oder ante quem ermittelt werden, ist der Artikel vor oder hinter der Inschrift mit dem nächstliegenden Datum eingeordnet. Mehrere Inschriften mit gleicher Datierung sind nach alphabetischer Abfolge der Standorte wiedergegeben.

Der Aufbau der Katalogartikel

Die Katalogartikel sind untergliedert in Kopfzeile, beschreibenden Teil, Wiedergabe des Inschriftentextes, Kommentar und Apparat.

Die K o p f z e i l e enthält die laufende Nummer, die Bezeichnung des Standortes und die Datierung(en) der Inschrift(en).

Ein Kreuz neben der laufenden Nummer kennzeichnet Inschriften, deren Original verloren ist. Ein Kreuz hinter der Angabe des Standortes bezeichnet nicht mehr vorhandene Gebäude.
†? Ungeklärter Verbleib des Inschriftenträgers.
(†) Nur ein Teil der Inschriften ist noch im Original erhalten.
(1591) Die Klammern bezeichnen eine genaue Datierung, die nicht aus der Inschrift selbst hervorgeht.
13. Jh.? Ein Fragezeichen bezeichnet eine zweifelhafte Datierung.

Der b e s c h r e i b e n d e  T e i l eines Artikels enthält Angaben zur Ausführung der Inschrift(en) und des Inschriftenträgers. Die Beschreibung erfolgt vom Blickpunkt des Betrachters aus. Handelt es sich um mehrere Inschriften auf einem Inschriftenträger, so werden diese mit A, B, C bezeichnet. Sind die Inschriften im Original überliefert, werden die Maße des Inschriftenträgers, die Buchstabenhöhe und die Schriftart angegeben. Sind die Inschriften kopial überliefert, ist die Quelle, nach der zitiert wird, genannt. Bei photographischer Überlieferung wird darauf entsprechend verwiesen. Soweit aus der kopialen Überlieferung Maße und Schriftart bekannt sind, werden diese mit einem entsprechenden Verweis übernommen.

Der I n s c h r i f t e n t e x t ist eingerückt. Mehrere Inschriften auf einem Inschriftenträger sind entsprechend der Beschreibung mit A, B, C bezeichnet. Die Zeilenumbrüche des Originals werden bei der Wiedergabe der Inschriften nicht eingehalten, sondern nur bezeichnet. Verse werden auch dann voneinander abgesetzt, wenn das Original den Text fortlaufend wiedergibt.

[...] Eckige Klammern bezeichnen Textverlust, der nicht ergänzt werden kann. Läßt sich die Länge des verlorenen Textes feststellen, markiert ein Punkt jeweils einen ausgefallenen Buchstaben. Ist dies nicht der Fall, stehen drei Punkte. Ergänzter Text steht ebenfalls in eckigen Klammern.
( ) Kürzungen werden in runden Klammern aufgelöst. Bei der Auflösung der Abkürzungen ist AE- oder E-Schreibung je nach Usus der Inschrift eingesetzt, ebenso U und V. Wenn die Inschrift keinen Anhaltspunkt gibt, wird nach klassischem Gebrauch verfahren. Punkte auf der Zeile oder Halbzeile werden nach Abkürzungen nur dann beibehalten, wenn die Inschrift durchgehend mit Worttrennern versehen ist. Die Abkürzung einer Bibelstellenangabe innerhalb einer Inschrift wird nicht aufgelöst, die Abkürzung des Wortes sanctus zur Bezeichnung eines oder einer Heiligen nur in besonderen Fällen.
< > In spitzen Klammern stehen der spätere Nachtrag einer Inschrift oder für Nachträge freigelassene Stellen.
/ Ein Schrägstrich markiert das Zeilenende.
// Doppelte Schrägstriche markieren einen aus Platzgründen nicht weitergeführten Text.
_ Ein unter die Zeile gesetzter Strich bezeichnet eine aus zwei oder mehreren Buchstaben bestehende Ligatur.

Einer lateinischen Inschrift schließt sich unmittelbar die Ü b e r s e t z u n g an. Übersetzungen niederdeutscher Inschriften finden sich, soweit es sich als notwendig erwies, in den Ziffernanmerkungen. Niederdeutsche Bibelzitate wurden nicht übersetzt.

Bei metrischen Inschriften folgt die Bestimmung des V e r s m a ß e s.

Soweit sich auf dem Inschriftenträger Wappen befinden, folgt die W a p p e n b e s c h r e i b u n g. Dabei ist der heraldische Standort maßgeblich.

Der K o m m e n t a r t e i l enthält Erläuterungen zu verschiedenen – mit der Inschrift oder dem Inschriftenträger zusammenhängenden – Fragestellungen. Diese können sich beispielsweise auf Besonderheiten der Schrift, der Sprache oder des Inhalts einer Inschrift beziehen, historische oder biographische Angaben enthalten oder der Erklärung ikonographischer Zusammenhänge dienen.

Der A p p a r a t gliedert sich in Buchstaben- und Ziffernanmerkungen sowie Nachweise der kopialen Überlieferung.

Die B u c h s t a b e n a n m e r k u n g e n beziehen sich auf textkritische Probleme der Inschrift; sie enthalten abweichende Lesarten der Parallelüberlieferung, soweit sie relevant sind, und weisen auf orthographische Besonderheiten oder fehlerhafte Stellen hin.

Die Z i f f e r n a n m e r k u n g e n enthalten Erläuterungen und Literaturnachweise.

[Druckseite XI] Die am Schluß der Inschrift aufgeführten L i t e r a t u r a n g a b e n beziehen sich auf die wichtigsten kopialen Überlieferungen der Inschrift und geben Abbildungsnachweise. Vollständigkeit ist hier nicht angestrebt. Ist die Inschrift lediglich kopial überliefert, steht an erster Stelle die Quelle, nach der die Inschrift zitiert wird. Wurde die Inschrift nach einer Photographie wiedergegeben, steht hier ein entsprechender Verweis auf die Bildarchive des Instituts für Denkmalpflege (D) und des Historischen Museums (HM) oder ein Verweis auf die Abbildungen in der Literatur.

2. Die Hannoverschen Inschriften - Einordnung in die Stadtgeschichte1)

Die Stadt Hannover entstand an einem Leineübergang, an dem bereits im 11. Jahrhundert eine Ufersiedlung nachgewiesen werden kann.2) Archäologische Befunde lassen darauf schließen, daß sich in der 1. Hälfte des 12. Jahrhunderts um den Vorgängerbau der heutigen Marktkirche herum eine Marktsiedlung entwickelte. Um 1150 wird in den Quellen ein vicus hanovere erwähnt, der sich in der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts zu der 1189 genannten civitas entwickelte. Begründer der Marktsiedlung waren mit großer Wahrscheinlichkeit die Grafen von Roden. Plath3) vermutet, daß Graf Konrad von Roden in den 60er Jahren des 12. Jahrhunderts seinen Allodialbesitz Hannover Heinrich dem Löwen übertrug und von diesem wiederum mit Hannover belehnt wurde. Der Überlieferung zufolge wurde die Marktsiedlung Mitte des 12. Jahrhunderts von Heinrich dem Löwen ausgebaut und befestigt. 1163 hielt der Herzog einen Hoftag in Hannover ab. Die erste Erwähnung als civitas 1189 steht im Zusammenhang der Zerstörung Hannovers, das Heinrich VI. während eines gegen Heinrich den Löwen gerichteten Kriegszugs einäschern ließ. Mit dem Wiederaufbau der Siedlung setzte die eigentliche Stadtentwicklung Hannovers ein.

Etwa gleichzeitig mit der Stadt wurde zu Beginn des 13. Jahrhunderts auch die Burg Lauenrode auf dem westlichen Leineufer errichtet. Sie diente dem Grafen Konrad II. von Roden als Wohnsitz und ermöglichte eine Kontrolle des Leineübergangs. Der Sohn des Grafen, Konrad III., konnte die Rechtsunsicherheit nutzen, die sich daraus ergab, daß Kaiser Friedrich II. Anspruch auf das Erbe Herzog Ottos von Braunschweig erhob. Von 1227 bis zu seinem Tod 1239 übte Konrad III. weitgehend unbehelligt die Herrschaft über Hannover aus. Der Tod Konrads III. und die inzwischen vollzogene Einigung mit Friedrich II. veranlaßten Otto von Braunschweig 1241, die Herrschaft über Hannover neu zu regeln. Die Grafen von Roden übergaben die Herrschaft über die Stadt dem Braunschweiger Herzog und verblieben lediglich im Besitz der Burg Lauenrode. Zugleich bestätigte Herzog Otto am 26. Juni 1241 Hannover die Stadtrechte, die aus diesem Anlaß urkundlich festgeschrieben wurden. In der Folgezeit gelang es der Stadt, den Landesherren nach und nach Rechte abzugewinnen und ihre Selbstverwaltung auszubauen. Diese Entwicklung ging Hand in Hand mit dem wirtschaftlichen Aufschwung Hannovers. Gegen Ende des 13. Jahrhunderts ist in den Quellen erstmalig vom Bau einer Stadtmauer die Rede.4) 1357 gestattete Herzog Wilhelm den Bau von Befestigungswerken und Gräben, mit Ausnahme der zur Burg Lauenrode hin gelegenen Stadtseite. Als sich die Stadt im Lüneburger Erbfolgestreit auf die Seite der sächsischen Herzöge stellte, räumten diese als Gegenleistung neben anderen Privilegien auch die Schleifung der Burg Lauenrode ein.

Bedingt durch die Schwäche der Landesherrschaft hatte die Stadt in der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts eine weitgehende Autonomie erreicht und konnte sich – von den Braunschweiger Herzögen einigermaßen unbehelligt – wirtschaftlich und politisch weiterentwickeln. Seine wirtschaftliche Blüte, die in erster Linie auf dem Handel beruhte, erlebte Hannover im 14. und 15. Jahrhundert. Seit dem 13. Jahrhundert sind Bündnisse mit anderen norddeutschen Städten belegt, die der Förderung des Handels und einer größeren Unabhängigkeit vom Landesherrn dienen sollten. 1476 trat Hannover einem Städtebund [Druckseite XII] bei, dem auch Einbeck, Göttingen, Goslar, Halberstadt, Lüneburg, Magdeburg, Stendal und Uelzen angehörten. Hannover gehörte nicht zu den Hansestädten, beteiligte sich aber zusammen mit anderen Städten an der Beschickung von Hansetagen und sandte zur Vertretung seiner Interessen hin und wieder auch eigene Delegierte. Da die Stadt ihre wirtschaftliche Blüte der Funktion als Warenumschlagplatz verdankte, war sie dringend darauf angewiesen, durch Einbindung in das Hansische Wirtschaftssystem Handelsprivilegien zu bekommen. Die von den hannoverschen Kaufleuten betriebenen Geschäfte hielten sich jedoch immer in vergleichsweise bescheidenem Rahmen. Den Typ des Hansekaufmanns mit großem Unternehmen und zahlreichen internationalen Verbindungen gab es hier nicht. Hannover kam als Handelsplatz überregional gesehen nur eine bescheidene Rolle zu. Aber der in den großen Hansestädten gepflegte Lebensstil fand auch hier seinen Niederschlag. Die Kaufmannsfamilien der Stadt orientierten sich an Städten wie Hamburg, Lüneburg und Lübeck und errichteten – wenn auch in bescheidenerem Maß – seit der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts repräsentative Steinbauten mit abgetreppten Giebeln wie das der Familie Volger gehörende Haus Schmiedestr.48 aus der Mitte des 15. Jahrhunderts oder das Haus Schmiedestr.14 von 1474 (Nr.28), das die Familie von Limburg erbauen ließ.

Kirchlich gehörte Hannover zum Bistum Minden. Die Diözesangrenze zum Bistum Hildesheim verlief direkt vor dem Ägidientor. Dies hatte zur Folge, daß die im 14. Jahrhundert vor dem Ägidientor errichtete Marienkapelle der Diözese Hildesheim unterstellt war. K i r c h e n g e b ä u d e sind in Hannover schon vor dem Brand von 1189 nachzuweisen. Als älteste Kirche ist die zentral gelegene Marktkirche St.Georgii anzusehen, die in den Urkunden erstmals 1238 Erwähnung findet.4) Grabungen nach dem Zweiten Weltkrieg haben Reste eines romanischen Vorgängerbaues zutage gebracht, der auf die 1. Hälfte des 12. Jahrhunderts datiert wird. Die erhaltenen Fundamente lassen auf einen einschiffigen Bau mit einem im Grundriß querrechteckigen Turm schließen. Eine erste Erweiterung der Kirche wird für die Mitte des 12. Jahrhunderts angenommen. Aufgrund zweier ergrabener Brunnen neben der Kirche geht Plath5) davon aus, daß mit diesen der erhöhte Wasserbedarf eines Marktes gedeckt wurde, der somit bereits im 12. Jahrhundert neben der Kirche bestanden hätte. Um die Mitte des 12. Jahrhunderts entstand im Südosten der Stadt der Vorgängerbau der Ägidienkirche, eine Pfeilerbasilika, in der Spitze zwischen Leine- und Schiffgrabenniederung. Das Ägidienpatrozinium, das im norddeutschen Raum durch die Welfen Verbreitung fand, deutet auf Heinrich den Löwen als Initiator des Kirchenbaues hin.

Wieweit die beiden Kirchen vom Stadtbrand 1189 betroffen wurden, ist nicht bekannt. Die Grabungen nach dem Zweiten Weltkrieg ergaben jedoch für die Ägidienkirche Brandspuren, die mit großer Wahrscheinlichkeit auf den Brand von 1189 zurückgeführt werden können.5) Inschriften für die beiden Hauptkirchen der Stadt sind erst aus der Zeit überliefert, als im 14. Jahrhundert gotische Hallenkirchen anstelle der romanischen Bauten errichtet wurden. Eine Ausnahme könnte lediglich die vermutlich älteste für die Stadt Hannover überlieferte Inschrift (Nr.1) bilden, die sich auf einer Glocke der Ägidienkirche befand. Da die Inschrift jedoch kein Datum enthält, kann nicht geklärt werden, ob die Glocke tatsächlich vom Vorgängerbau der Ägidienkirche in die gotische Kirche übernommen wurde.

Die älteste überlieferte Grabplatte Hannovers stammt aus der Kirche des M i n o r i t e n k l o s t e r s (Nr.2). 1291 schenkte Bischof Siegfried von Hildesheim den Minoriten das Obereigentum über einen am Leineufer gelegenen Hausplatz, den diese bereits bewohnten. Bald darauf errichteten die Minoriten auf dem Grundstück eine dreischiffige Kirche, die 1310 erstmalig erwähnt wird.6) Die Niederlassung der Minoriten blieb die einzige Klostergründung in Hannover bis zur Reformation, da es spätestens seit dem 14. Jahrhundert zur Politik des Rates gehörte, Ordensniederlassungen innerhalb der Stadtgrenzen wie auch den Übergang städtischen Grundes in die Tote Hand zu verhindern. Nach der Auflösung des Minoritenklosters wurde 1587 auf dem Grundstück das Sodensche Kloster errichtet (vgl. Nr.159), das 1637 dem Bau des Leineschlosses weichen mußte. Die Minoritenkirche wurde in den Schloßbau einbezogen und zur Schloßkirche umgestaltet.

In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts wurde das H o s p i t a l   S t . S p i r i t u s  zusammen mit einer Kapelle begründet. 1284 wurde die Kapelle zur Pfarrkirche, da die Marktkirche für die wachsende Zahl der Bevölkerung nicht groß genug war. Die Heilig-Geist-Kirche blieb jedoch nur bis zur Errichtung der 1333 eingeweihten Kreuzkirche Pfarrei und hatte danach lediglich noch die Funktion einer Hospitalkapelle. Inschriften, die mit ihr in Zusammenhang stünden, sind nicht überliefert.

Ebenfalls in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstand vor dem Steintor das Leprosenhospital [Druckseite XIII] S t . N i k o l a i . Die dazugehörige Nikolaikapelle ist nach den Grabungsbefunden der Nachkriegszeit im ersten Viertel des 14. Jahrhunderts errichtet worden.7) Den 1323 geweihten Hauptaltar dotierte Johannes von Stenhus, dessen – vermutlich aus der Nikolaikapelle stammende – Grabplatte aus dem Jahr 1332 erhalten ist (Nr.3). Für die Inschriftenüberlieferung ist vor allem der um die Nikolaikapelle angelegte Friedhof, der im Laufe der Jahrhunderte stetig erweitert wurde, von Bedeutung, weil etliche der dort befindlichen Grabdenkmäler in den Berichtszeitraum fallen.

Abgesehen von der Nikolaikapelle wurden in Hannover in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts noch drei weitere gotische Kirchenbauten errichtet, da die vorhandenen Kirchenräume zu klein geworden waren. In der regen Bautätigkeit dokumentiert sich die wirtschaftliche Blüte der Stadt im 14. Jahrhundert, die ein rasches Anwachsen der Bevölkerungszahl zur Folge hatte. Nach der vorsichtigen Schätzung von Jürgens8) belief sich die Einwohnerzahl Hannovers bis 1300 auf ca. 2500, bis 1400 auf ca. 4000 und 1530 auf ca. 6000 Menschen.

Die Einweihung der K r e u z k i r c h e im Norden der Stadt, auf die die Pfarrechte der Heilig-Geist-Kapelle übergingen, fand 1333 statt. Die Kreuzkirche, ein einschiffiger Bau mit eingezogenem Chor, ist die kleinste der drei Altstädter Hauptkirchen. Während ihre Erbauung inschriftlich nicht bezeugt wird, gibt es einige Inschriften, die im Zusammenhang späterer Baumaßnahmen entstanden sind (Nr.170, 296, 297). Bald nach der Vollendung der Kreuzkirche wurde mit der Errichtung der gotischen M a r k t k i r c h e begonnen. Die dreischiffige Hallenkirche mit dem monumentalen Turm sowie einer Hauptapsis und zwei kleinen Nebenapsiden ist die südlichst gelegene der großen norddeutschen Backsteinkirchen. Der Neubau erhielt nach den Hauptpatronen den Namen St.Jacobi et Georgii. Die Inschriften tragen im Fall der Marktkirche Wesentliches zur Baudatierung bei. Für das Jahr 1340 ist inschriftlich (Nr.4) die Stiftung von Chorfenstern durch die Familie von Limburg im später sogenannten „Limburgischen Chor“ belegt, d.h. zu diesem Zeitpunkt muß der Bau bereits fortgeschritten gewesen sein. Ein weiteres Eckdatum für die Errichtung der Marktkirche enthält die Inschrift Nr.6, in der das Jahr 1350 als Baujahr des Turmes angegeben ist. Auch der Baubeginn der gotischen Ä g i d i e n k i r c h e ist durch eine Inschrift (Nr.5) von 1347, die die Namen der Baumeister und das Datum überliefert, festzulegen. Der dreischiffige Hallenbau mit eingezogenem Chor wurde im Gegensatz zur Marktkirche aus Bruchsteinquadern errichtet.

Neben den genannten Kirchen gab es in Hannover noch die – schon 1645 abgerissene – Marienkapelle vor dem Ägidientor, die Neustädter Marien- und die St.Gallenkapelle. Die Neustädter Marienkapelle wurde 1382 erbaut und 1389 zur Pfarrkirche der Neustadt erhoben. Nach dem Bau der Neustädter St.Johanniskirche, auf die die Pfarrei überging, wurde die Marienkapelle 1670 in ein Schulhaus umgewandelt und 1859 abgebrochen. Die St.Gallenkapelle wurde 1446 auf dem St.Gallenhof an der Burgstraße errichtet. Sie war die Nachfolgerin der zusammen mit der Burg Lauenrode zerstörten Burgkapelle. Nach der Reformation verfiel das Gebäude und stürzte schließlich 1630 ein.

Die Differenzierung der städtischen Selbstverwaltung fand eine Entsprechung im Ausbau des R a t h a u s e s. Nach Plath entstand das erste Rathaus etwa zur Zeit der Stadtrechtsverleihung von 1241.8) Zu Beginn des 14. Jahrhunderts ist in den Quellen von einem neuen Rathaus die Rede, bei dem es sich um den ältesten Teil des auf dem Areal zwischen Marktstraße und Köbelingerstraße errichteten Altstädter Rathauses gehandelt haben wird. In den folgenden Jahrhunderten fanden am Rathaus zahlreiche Aus- und Umbauten statt, von denen einige auch inschriftlich belegt sind (Nr.25). Vor allem die im umlaufenden Fries zur Marktseite hin eingefügte Jahreszahl 1455 markiert den wichtigen Bauabschnitt der Errichtung des Marktflügels.

Das Rathaus und die gegenüberliegende Marktkirche bildeten das Zentrum der Stadt, auf das in nordwest/südöstlicher Richtung die Hauptstraßen der Altstadt zuliefen: die Knochenhauerstraße, die sich in der Köbelingerstraße fortsetzte, und die Schmiedestraße, die ihre Verlängerung in der Marktstraße fand. Beide Straßenzüge führten vom Steintor bis zum Ägidientor. Parallel dazu verlief im Westen die Leinstraße, im Osten die Osterstraße. Verwaltungstechnisch war die Altstadt in vier Stadtbezirke aufgeteilt, die nach der Leinstraße, der Köbelingerstraße, der Marktstraße und der Osterstraße benannt waren. Die städtebauliche Entwicklung in der Neustadt auf dem westlichen Leineufer setzte gegen Ende des 16. Jahrhunderts ein. Das Stadtbild wurde seit dem 16. Jahrhundert, also zu der Zeit, für die zunehmend Inschriften an Bürgerhäusern überliefert werden, bestimmt durch die traufen- oder giebelständigen Fachwerkbauten, die in der Regel Inschriften trugen, und die – weniger zahlreichen – Ziegel- oder Steinbauten mit abgetreppten Giebeln.

[Druckseite XIV] Die wichtigsten Zugänge zur Stadt bildeten das Steintor, das Leintor und das Ägidientor, die im 16. und 17. Jahrhundert weiter ausgebaut wurden (Nr.56, 80, 176, 226). Die Befestigungsanlagen wurden verstärkt durch eine Reihe von Wachttürmen, von denen vor allem dem Döhrener Turm eine besondere Bedeutung in der Geschichte der Stadt Hannover zukam (vgl. Nr.29). Er war zweimal – 1486 und 1490 – Ziel eines Angriffs Herzog Heinrichs des Älteren auf die Stadt. Von gelegentlichen Übergriffen der Braunschweiger Herzöge abgesehen war das Verhältnis Hannovers zur Landesherrschaft im 14. und 15. Jahrhundert im allgemeinen jedoch ungetrübt. Durch Erbteilungen, Fehden und ständigen Geldmangel in seiner Machtausübung beschränkt nahm der jeweilige Landesherr auf die innere Verwaltung der Stadt keinen Einfluß und war durchweg um ein gutes Einvernehmen bemüht, zumal das wirtschaftlich florierende Hannover von den Herzögen immer wieder als Geldgeber in Anspruch genommen wurde.

Zu schwerwiegenden Auseinandersetzungen zwischen der Stadt und dem Landesherrn kam es durch die Einführung der Reformation. Allerdings befand sich Herzog Erich I., was seine strikte Ablehnung der evangelischen Lehre betraf, im Einvernehmen mit dem Rat der Stadt, der sich der von den Bürgern 1532 verlangten Einführung der Reformation widersetzte. Wie anderswo wurde auch in Hannover die Forderung nach einer Reformation der Kirche mit wirtschaftlichen Forderungen verknüpft. Im Sommer 1532 nahm der erste lutherische Geistliche, Georg Scharnekau (Scarabäus) (Nr.111, 112), sein Amt an der Marktkirche auf. Als wichtigstes Datum für die Durchsetzung der Reformation in Hannover gilt der 26. Juni 1533. An diesem Tag versammelten sich die Bürger auf dem Marktplatz und legten den Schwur ab, die neue Lehre anzunehmen. Die Position des alten Rates wurde immer unhaltbarer; im September 1533 flohen die Ratsmitglieder in das katholische Hildesheim. Die darauf folgenden Auseinandersetzungen zwischen Erich I. und der Stadt, deren Nachteile Hannover vor allem durch die Sperrung der Straßen zu spüren bekam, konnten schließlich durch die Zahlung einer größeren Summe Geldes an den in Finanznöten befindlichen Landesherrn beigelegt werden. Im Rezeß vom 31. Juli 1533 sicherte Erich I. zu, die evangelische Religionsausübung in der Stadt zu tolerieren und die Sanktionen gegen Hannover aufzuheben. Nach dem Tod Erichs I. wurde 1542 unter der dem evangelischen Glauben zugeneigten Herzogin Elisabeth (vgl. Nr.104, 105, 110) die von Antonius Corvinus (vgl. Nr.95) erarbeitete evangelische Kirchenordnung für das Herzogtum Calenberg eingeführt.

Politische Folge der Reformation für die Stadt war die in der neuen Ratsverfassung vorgenommene Erhöhung der Zahl der ratsfähigen Gilden, wodurch die bislang dominierende Rolle der Kaufmannschaft innerhalb der Stadtverwaltung eingeschränkt wurde. Hierdurch erhielten zwar neue Familien die Chance zum Aufstieg innerhalb der Stadtverwaltung, der Bruch in der Stadtgeschichte, der durch die Vertreibung des alten Rates entstand, war jedoch nicht so gravierend, wie es zunächst den Anschein hatte. Dies wird auch daran deutlich, daß den Mitgliedern des alten Rates bald gestattet wurde, nach Hannover zurückzukehren.9) Daß die Durchführung der Reformation letztlich keine Entmachtung der führenden Familien zur Folge hatte, zeigt sich – abgesehen von der Besetzung der Ämter im 16. und 17. Jahrhundert – auch in den Inschriften. Die repräsentativen Grabdenkmäler werden in der 2. Hälfte des 16. und der 1. Hälfte des 17. Jahrhunderts bei den Hannoveraner Bildhauern von denjenigen Familien in Auftrag gegeben, die schon vor der Reformation die politische Macht in der Stadt innehatten: Zu nennen sind vor allem die Familien von Anderten, von Berkhusen, Blome, Idensen, Limburg und von Wintheim. Zugleich zeigen die Grabdenkmäler, deren Inschriften und Wappen die verstorbene Person häufig im Kontext ihrer familiären Beziehungen darstellen, die enge familiäre Verknüpfung der führenden Hannoverschen Familien.

Die Zeit nach der Reformation bis zum Dreißigjährigen Krieg verlief für die Stadt weitgehend friedlich. Im Dreißigjährigen Krieg hatte Hannover unter den üblichen Kontributionszahlungen, Besatzungen und Überfällen nicht mehr zu leiden als andere Städte. Nach der Erstürmung der Festung Calenberg durch die Soldaten Tillys und der vorübergehenden Verlegung der landesherrlichen Residenz nach Hildesheim beschloß Herzog Georg 1636, seine Residenz nach Hannover zu verlegen. 1637 wurden erste bauliche Maßnahmen eingeleitet, die in der Folgezeit zur Errichtung des Leineschlosses führten. Durch die Wahl Hannovers zur Residenzstadt trat im Laufe der Zeit die städtische Freiheit hinter die Macht des Landesherrn zurück. Die Bürgerschaft verlor an Selbständigkeit und Hannover definiert sich seither durch seine Funktion als Landeshauptstadt.

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[Druckseite XV] Die Inschriften Hannovers spiegeln in vielfältiger Weise das Leben in dieser Stadt wider. Dem in die Stadt Eintretenden verkündeten Inschriften die Maximen, nach denen die Bürger hier leben sollten: An den Toren befanden sich neben Baudaten Tafeln, in deren Inschriften Hannover dem Schutz Gottes empfohlen und zugleich das Ideal der städtische Freiheit betont wurde (Nr.56, 80, 176, 226, s.a. Nr.89). Dabei wurde die Nachwelt besonders angesprochen und aufgefordert, dem Vorbild der Vorfahren zu folgen. Die zahlreichen Inschriften an den Bürgerhäusern der Stadt wiesen immer wieder auf die Notwendigkeit hin, ein gottgefälliges Leben zu führen und sich seinen Mitmenschen gegenüber anständig zu verhalten, beklagten aber auch den unter den Menschen verbreiteten Neid und Haß. Bürger- und Herrschertugenden sind der Inhalt eines umfangreichen Bild- und Inschriftenprogramms am Rathaus, das ausgehend von den Taten des Herakles Lehren für das Leben im allgemeinen und den Umgang mit der Macht aufstellte (Nr.25).

Inschriften, die auf konkrete Ereignisse der Stadtgeschichte Bezug nehmen, sind eher selten. Zu nennen sind hier vor allem die Inschriften zweier – noch im Original vorhandener – Tafeln der Marktkirche, die eine (Nr.224) mit chronikalischen Notizen und Preisangaben, die andere eine Gedenktafel (Nr.301) für die bei einem Überfall Tillyscher Soldaten auf die Stadt gefallenen Bürger; außerdem die auf den Turmbau der Marktkirche 1350 bezogene, nur noch kopial überlieferte Inschrift (Nr.6), die vom Ausbruch der Pest in der Stadt berichtet. Ob die in dieser Inschrift ebenfalls angesprochene Judenverfolgung 1350 in Hannover tatsächlich stattgefunden hat oder ihre Erwähnung nur zum typischen Formular von Pestinschriften gehört, läßt sich anhand der Quellen nicht entscheiden. Der sogenannte „Siebenmännerstein“ (Nr.29), der jahrhundertelang als Gedenkstein für ein stadtgeschichtliches Ereignis angesehen wurde und Anlaß zur Legendenbildung gab, erweist sich bei genauerer Betrachtung als ein Andachtsbild ohne konkreten historischen Bezug. Eher als Kuriosum ist das Bild der 1635 in der Leine gefangenen Störe aus dem Rathaus (Nr.313) zu nennen.

Die Einführung der Reformation in Hannover klingt in einigen Grabschriften an (vgl. u.a. Nr.74, 95, 110, 112), jedoch nur so weit, als es die Biographie des Verstorbenen betrifft. Ebenfalls auf die Person, wenn auch auf die der Landesherrin, Herzogin Elisabeth, bezogen sind die Inschriften einer Patene und einer Gedenktafel in der Marktkirche (Nr.104, 105), die möglicherweise von Elisabeth selbst verfaßt wurden. Während die Inschrift der Gedenktafel den Anteil Elisabeths an der Einführung der Reformation im Fürstentum Calenberg betont, wird in der Inschrift der Patene das persönliche Leid ausgedrückt, das für die Herzogin mit ihrem Engagement für den Protestantismus verbunden war. Einigen dieser Inschriften und den dazugehörigen Denkmälern kommt allerdings eine über die Person hinausgehende Bedeutung zu: Im Chor der Marktkirche befanden sich Epitaphien für die Herzogin Elisabeth (Nr.110), Urbanus Rhegius (Nr.74), Antonius Corvinus (Nr.95) und Georg Scharnekau, genannt Scarabäus (Nr.112), die alle maßgeblich an der Einführung der Reformation in Hannover beteiligt waren. Von diesen sind lediglich Scharnekau und Corvinus in Hannover beigesetzt, letzterer nicht in der Marktkirche sondern auf dem Nikolaifriedhof. Dies erweckt den Eindruck, als habe man hier an besonders hervorgehobener Stelle programmatisch alle Reformatoren versammeln wollen, um die Kraft der neuen Bewegung zu dokumentieren.

In bezug auf die Personengeschichte der Hannoverschen Bürger sind die – seit der Mitte des 16. Jahrhunderts im allgemeinen recht ausführlichen – Grabinschriften ergiebig. Sie bieten zum Teil detaillierte Lebensläufe der Verstorbenen, und es hat den Anschein, als ob die ältere Geschichtsschreibung10) ihre biographischen Angaben zu großen Teilen aus den Grabinschriften entnommen hat, da die in den älteren stadtgeschichtlichen Werken enthaltenen Informationen personengeschichtlicher Art selten über die der Grabinschriften hinausgehen. Der in den Grabinschriften erfaßte Personenkreis ist relativ eng zu begrenzen: In erster Linie handelt es sich um Mitglieder der großen Hannoverschen Ratsfamilien, vor allem um Angehörige der Kaufmannschaft; hinzu kommen die Pastoren der drei Altstädter Kirchen und ihre Frauen, Hofbeamte sowie einige „Außenseiter“. Unter diesen ist vor allem der Hannoversche Bildhauer Jeremias Sutel zu nennen, dessen Grabschrift (Nr.299) die wichtigste Quelle für seinen gewaltsamen Tod ist.

3. Inschriften, Inschriftenträger und Überlieferung

Von den 374 Inschriften der Stadt Hannover liegen 262 nur in kopialer Überlieferung vor. Die hohe Verlustrate ist in erster Linie auf die Bombenangriffe des Zweiten Weltkriegs zurückzuführen, die Hannover in Schutt und Asche legten. Dies gilt besonders für die Hausinschriften, die mit wenigen [Druckseite XVI] Ausnahmen bis 1943 in situ vorhanden waren. Die Luftangriffe auf Hannover, vor allem derjenige vom 9. Oktober 1943, vernichteten die überwiegend aus Fachwerkhäusern bestehende Altstadt nahezu vollkommen und zerstörten die Altstädter Kirchen. Lediglich drei Häuser mit Inschriften aus dem Berichtszeitraum (Nr.116, 294, 295) blieben stehen, ein weiteres wurde mit den alten Balken wiedererrichtet (Nr.346).

Beim Wiederaufbau der Stadt blieb die alte, kleinräumige Anlage der Straßen weitgehend unberücksichtigt, die nur in den ‚Inseln‘ um die Kreuzkirche und neben der Marktkirche beibehalten wurde. Dort entstand ein künstlicher Altstadtbereich, in dem man verstreut erhaltene Fachwerkgebäude wiederaufbaute. So lassen sich die alten Straßenzüge heute nur noch annähernd im Grundriß der Stadt wiederfinden. Wieweit die Berücksichtigung historischer Gegebenheiten beim Wiederaufbau der Stadt hinter die Interessen der Verkehrsplaner zurücktreten mußte, zeigt vor allem das Beispiel der Nikolaikapelle und ihres Friedhofes. Die Kapelle, deren Umfassungsmauern stehengeblieben waren, wurde bis auf den Chor abgetragen, um genügend Platz für eine Straßenverbreiterung zu gewinnen. Der alte Friedhof, der als ein besonders malerischer Ort des alten Hannovers gelten kann, liegt heute zwischen mehrspurigen Straßen und wird von einer solchen durchschnitten. Die dort noch befindlichen Grabdenkmäler, von denen einige – wie die Grabstele für den ermordeten Hannoverschen Bildhauer Jeremias Sutel (Nr.299) – in den Berichtszeitraum fallen, sind in besonderem Maße der Verwitterung und der mutwilligen Beschädigung ausgesetzt.

Während die Marktkirche und die Kreuzkirche nach dem Zweiten Weltkrieg wiederaufgebaut wurden, beließ man die Ägidienkirche wie den Chor der Nikolaikapelle als Ruine. Die ehemalige Minoritenkirche im Leineschloß wurde beim Ausbau des zerstörten Schlosses zum Landtag nicht wiederhergestellt. Überraschend ist, daß trotz der starken Zerstörungen der Kirchen etliche Grabdenkmäler einigermaßen unbeschadet erhalten sind. Stellt man in Rechnung, daß diese Inschriftengruppe bereits durch die Regotisierung der Kirchen im 19. Jahrhundert, bei der man die Renaissancedenkmäler ohne Bedenken entfernte, um ein beträchtliches reduziert wurde, ist etwa die Hälfte der vor dem Zweiten Weltkrieg erhaltenen Grabdenkmäler heute noch vorhanden.

Trotz der hohen Verlustrate an original überlieferten Inschriften macht das Hannoversche Corpus dank der vielfältigen kopialen Überlieferung einen recht geschlossenen Eindruck. Der kopialen Überlieferung der Hannoverschen Inschriften kommt zugute, daß die Stadt Ausgangspunkt der Landesgeschichtsschreibung wie der Denkmalpflege für Niedersachsen war. Seit dem 17. Jahrhundert wandte die Chronistik den Inschriften verstärkt Aufmerksamkeit zu. Sie nahm nicht nur die Inschriftentexte als stadtgeschichtliche Zeugnisse auf, sondern war – vor allem bei den für ihre Zwecke bedeutenden Stücken – darum bemüht, Inschriftenträger in Zeichnungen abzubilden, wobei auch versucht wurde, den Schriftcharakter wiederzugeben. Ihre Fortsetzung fanden diese Bemühungen in den Inventarisierungsarbeiten, die seit der Mitte der 19. Jahrhunderts von der Landeshauptstadt ausgingen. Die planmäßige Erfassung von Kunstdenkmälern nach Städten und Kreisen im damaligen Königreich Hannover begann Hektor Wilhelm Heinrich Mithoff mit dem später nicht weiter fortgeführten „Archiv für Niedersachsens Kunstgeschichte“11), dessen erste Abteilung die Stadt Hannover betrifft, und mit dem Kunstdenkmälerinventar für das Fürstentum Calenberg, das die Reihe der niedersächsischen Kunstdenkmälerbände eröffnete. Mithoff konnte für seine Arbeiten bereits auf Material zurückgreifen, das der in Hannover ansässige Historische Verein für Niedersachsen gesammelt hatte.12) Die Bau- und Kunstdenkmäler wurden beschrieben – wobei man auch die Inschriftentexte aufnahm – und die interessanteren Stücke gezeichnet. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann man, die Hannoverschen Bau- und Kunstdenkmäler auch photographisch zu erfassen. Dieser Maßnahme ist es zu verdanken, daß heute ein großer Teil der vernichteten oder teilweise zerstörten Inschriften anhand alter Photographien bearbeitet werden kann. Die in den umfangreichen Bildarchiven des Instituts für Denkmalpflege und des Historischen Museums befindlichen Aufnahmen lassen in vielen Fällen eine „Autopsie aus zweiter Hand“, d.h. eine Lesung der Inschriften, eine Schriftbestimmung und eine Beschreibung des Kontextes, in dem die Inschriften stehen, zu. Insbesondere gilt dies für die bis auf die erwähnten wenigen Ausnahmen verlorenen Hausinschriften, von denen mehr als die Hälfte ganz oder teilweise anhand von Photographien gelesen oder überprüft werden konnte. Zugleich erlauben die Photographien eine Beurteilung der Zuverlässigkeit kopialer Inschriftenüberlieferungen.

3.1 Die kopiale Überlieferung

Als frühester Sammler von Inschriften der Stadt Hannover kann D a v i d  M e i e r, 1599-1609 Pastor der Kreuzkirche, 1609-1640 Pastor der Marktkirche (Nr.326), angesehen werden. Seine in Sammelhandschriften des Stadtarchivs und der Landesbibliothek13) überlieferten Deliciae historicae Hannoverenses enthalten ebenso Inschriften wie seine im Druck erschienene Kurtzgefaste Nachricht von der christlichen Reformation in Kirchen und Schulen der Alten=Stadt Hannover14). Schon bei Meier kristallisiert sich eine Gruppe der von den Überlieferern als wichtig angesehenen Inschriften heraus, die immer wieder aufgenommen werden. Dazu gehören vor allem die auf den Turmbau verweisende Inschrift der Marktkirche (Nr.6) und die Bauinschrift der Ägidienkirche (Nr.5). Die der Reformationsgeschichte Meiers von ihrem Herausgeber J o h a n n  A n t o n  S t r u b b e r g hinzugefügte Kurtze Nachricht von denen Evangelischen Predigern enthält vor allem Grabinschriften der Hannoverschen Pastoren.

Beiden Handschriften, die u.a. die Deliciae Meiers enthalten, ist eine Inscriptiones in und ausser der Stadt Hannover zu finden betitelte Sammlung eines anonym gebliebenen Autors beigebunden, die aus dem 17. oder 18. Jahrhundert stammt. Neben Inschriften an öffentlichen Gebäuden, vor allem an Befestigungsanlagen, sind hier auch Grabinschriften aufgenommen, die allerdings in Form von Regesten wiedergegeben sind und damit für die Edition nicht in Betracht kommen.15)

Hans von Sode ob(iit) d(ie) 2. Jan(uarii) 1590. aet(ate) A(nnorum) 64. senator huius urbis per multos annos.

Arnoldus Engelbrecht J(uris) V(triusque) D(octor) natus A(nno) 1583 XV Calend(as) Martii obiit A(nno) 1638. 13. Calend(as) Septembr(ris) aetat(e) 55.

StaH, B 8278, fol.245r/v u. 247r.

Einige der hier erfaßten Inschriften sind in anderen kopialen Überlieferungen vollständig wiedergegeben. Abgesehen von den genannten beiden Texten umfassen die Sammelhandschriften neben weiteren die Hannoversche Stadtgeschichte betreffenden Aufzeichnungen auch aus dem Jahr 1693 stammende Auszüge aus dem Kirchenbuch der Marktkirche, die in gedruckter Form vorliegen16). Die Auszüge enthalten einige Grabschriften, die in den Katalogartikeln nach dem Druck und der Handschrift des Stadtarchivs zitiert sind.

Die ältesten Zeichnungen Hannoverscher Inschriften enthält die H a n n o v e r s c h e  C h r o n i k, die in vielfältigen Abschriften, Bearbeitungen und Auszügen überliefert ist17) und in ihrem Kern auf Aufzeichnungen der Bürgermeister Anton von Berkhusen (1534-1550) und Bernhard Homeister (1587-1611) zurückgeht.18) Der Bestand an Inschriften, den die verschiedenen Versionen der Chronik enthalten, beschränkt sich auf wenige Grabplatten sowie die bereits angesprochene Gruppe von „wichtigen“ Inschriften, zu denen nun auch die angeblich älteste Inschrift Hannovers, der aufgrund seiner ungewöhnlichen Jahreszahl falsch datierte Grabstein der Lucke Bekmann (Nr.45), gehört.

Mit der Chronik in Verbindung erscheint die auch separat gedruckte Chronica der Stadt Hannover des H i l m a r  I s i n g19) , Pastors an der Marktkirche 1673-1708, die neben einigen anderen Inschriften vor allem zahlreiche Grabinschriften aus den Hannoverschen Kirchen enthält. Die Chronica entstand um 1700 und wurde 1702 gedruckt, ihre Verbreitung wurde jedoch – wie dem Vorwort zu entnehmen ist – zunächst unterbunden, was später einige Probleme bei der Zuschreibung des ohne Nennung des Verfassers publizierten Werkes bereitete.20) In den Exemplaren der Universitätsbibliothek Göttingen und der Landesbibliothek Hannover fehlen jeweils zwei Druckbögen, die durch eine handschriftliche [Druckseite XVIII] Wiedergabe des Textes ersetzt sind.21) Da es sich um die gleichen Bögen handelt, liegt die Vermutung nahe, daß diese durch die Komplikationen bei der Drucklegung verloren gingen. So sind die Grabinschriften teils im Druck, teils handschriftlich überliefert. Auf letzteres wird im Quellenverzeichnis der Artikel hingewiesen. Ising überliefert die Inschriften zuverlässig und gibt häufig – in vielen Fällen als einziger – den genauen Standort der Denkmäler an. Eine Beschreibung der Inschriftenträger nimmt er nur in seltenen Fällen vor. Besonders wichtig ist die Sammlung Isings dadurch, daß sie Inschriften solcher Grabdenkmäler enthält, die Mitte des 19. Jahrhunderts oder schon früher aus den Kirchen entfernt wurden.

Die wichtigste kopiale Überlieferung sind die 1762 abgeschlossenen Historischen Collectanea von der Königlichen und Churfürstlichen Residenzstadt Hannover des J o h a n n  H e i n r i c h  R e d e c k e r.22) Die zweibändige Handschrift, die in enger Anlehnung an die Hannoversche Chronik Jahr für Jahr die Ereignisse der Stadtgeschichte von den Anfängen bis zum Jahr 1762 aufführt, enthält zahlreiche Zeichnungen von Bau- und Grabdenkmälern und ihren Inschriften. Während die etwas unbeholfene Wiedergabe figürlicher Darstellungen auf den Inschriftenträgern – vor allem im Vergleich zu den erhaltenen Originalen – eher komisch anmutet, war Redecker bei der Zeichnung der Inschriften sehr um originalgetreue Wiedergabe bemüht. Er vermerkt – soweit es sich um Detailzeichnungen handelt – den genauen Platz der Inschrift an einem Gebäude, übernimmt die Schriftform des Originals, kennzeichnet Lücken und Fehler in der Inschrift und gibt Zeilenumbrüche korrekt wieder. Die Collectanea Redeckers können als besonders zuverlässige Quelle gelten, die häufig über den Text der Inschrift hinaus noch weitere Informationen über Schriftart, Gestaltung und Erhaltungszustand des Inschriftenträgers bietet.

Etwa gleichzeitig mit Redeckers Collectanea entstand die dreibändige Handschrift der Historia ecclesiastica Hanoverana des C h r i s t i a n  U l r i c h  G r u p e n23) , die den üblichen Kanon der immer wiederkehrenden Inschriften – teilweise allerdings in Zeichnungen – aufweist. Mehr Bedeutung für die Bearbeitung der Hannoverschen Inschriften kommt der Sammlung Monumenta et inscriptiones an denen Kirchen, öffentlichen Gebäuden, Thoren p.p. in und vor der Stadt Hannover zu, die J o b s t  A d o l p h  v o n  R e i c h e  und  E r n s t  A n t o n  H e i l i g e r 1756 anlegten.24) Die Sammlung enthält ebenfalls einige Zeichnungen. Das große Interesse Reiches und Heiligers galt hier vor allem den Bauinschriften an öffentlichen Gebäuden und Kirchen. Grab- und Hausinschriften sind kaum berücksichtigt. Bei der Wiedergabe der Inschriften wurde – abgesehen von den Zeichnungen – wenig Wert auf Beibehaltung der äußeren Form gelegt. Als Vorlage diente Reiche und Heiliger offensichtlich die bereits genannte – Inscriptiones in und ausser der Stadt Hannover zu finden betitelte – Sammlung (S.XVII). Dies läßt sich daraus erschließen, daß ein Exemplar der Sammlung in Form loser Blätter der Handschrift von Reiche/Heiliger beigefügt ist, und der Inschriftenbestand beider Sammlungen weitgehend identisch ist. Eine weitere auf Heiliger zurückgehende Inschriftensammlung mit dem Titel Inscriptiones et epitaphia wurde im Zweiten Weltkrieg vernichtet.25) Der Titel läßt den Schluß zu, daß sie möglicherweise die Ergänzung zu der erhaltenen Sammlung bildete. Über Umfang und Inhalt der Handschrift gibt es jedoch keine Angaben.

Aus dem 19. Jahrhundert liegt nur eine speziell auf Inschriften ausgerichtete Sammlung für die Stadt Hannover vor: Ende des 19. Jahrhunderts zeichnete A d o l p h  W ü s t e f e l d  († 1901) die Inschriften der Markt-, Ägidien- und Kreuzkirche, der Nikolaikapelle sowie zahlreiche Hausinschriften auf.26) Einige der Inschriften sind in Zeichnungen wiedergegeben. Wüstefeld hat allerdings einen Teil der Inschriften nicht selbst gelesen, sondern lediglich der Literatur entnommen. Die von ihm selbst aufgenommenen Inschriften sind im allgemeinen buchstabengetreu wiedergegeben; nur in wenigen Fällen setzte er die Kapitalis der Inschriften in Minuskeln um.

Neben den chronikalischen Quellen und den Inschriftensammlungen finden sich Inschriften in den Kunstdenkmälerinventaren. Zu nennen sind hier zunächst die Arbeiten H e k t o r  W i l h e l m  H  e i n r i c h  M i t h o f f s, die sich mit der Stadt Hannover befassen: Die entsprechenden Teile im Archiv für Niedersachsens Kunstgeschichte aus dem Jahr 184927) und in den Kunstdenkmalen aus dem Jahr 187128). Mithoff wie auch A r n o l d  N ö l d e k e, dessen umfangreiches Kunstdenkmälerinventar für Hannover [Druckseite XIX] 1932 erschien29), bieten eine zuverlässige Überlieferung der Inschriftentexte. Allerdings klammert Nöldeke die Grabinschriften weitgehend aus und nennt nur die Inschriftenträger – vermutlich, weil sie bereits in der Veröffentlichung Schuchhardts vorlagen.

C a r l  S c h u c h h a r d t publizierte 1909 ein Inventar der Hannoverschen Grabdenkmäler der Renaissance30), in dem weitgehend auch die Inschriften wiedergegeben werden. Zwar kürzt Schuchhardt diese zum Teil oder gibt nur die für ihn wesentlichen Inschriftenteile wieder; dies wird jedoch ausgeglichen durch die hervorragenden Abbildungen des Bandes, die in etlichen Fällen eine Lesung der Inschriften erlauben, immer aber eine Schriftbestimmung. Abgesehen davon, daß Schuchhardt die vorherrschenden Kapitalisinschriften in Minuskeln umsetzt, gibt er die Inschriften zuverlässig wieder.

Nur bedingt als Inventar zu bezeichnen ist das von K a r l  F r i e d r i c h  L e o n h a r d t  1926/27 veröffentlichte Verzeichnis der Straßen und Häuser des alten Hannover.31) Neben Listen der Besitzer bietet Leonhardt häufig auch Hausinschriften, die er möglichst originalgetreu wiedergibt. Zugleich stellt das Häuserverzeichnis Leonhardts eine Art Konkordanz zwischen den alten Grundstücksnummern und den neueren Straßennamen und Hausnummern dar. Es erleichtert damit die Handhabung der beiden im Stadtarchiv befindlichen Häuserbücher.32) Das ältere Hausbuch wurde im Jahr 1428 angelegt, das jüngere im Jahr 1534 und bis 1650 geführt. Anhand dieser Quellen ließ sich in vielen Fällen der Name des Bauherrn eines Hauses, manchmal auch das – inschriftlich nicht genannte – Baudatum ermitteln. Mit Hilfe der im älteren und jüngeren Hausbuch verzeichneten Namen der Besitzer konnten einige der an den Häusern angebrachten Initialen aufgelöst werden.

Über die genannten Sammlungen und Inventare hinaus gibt es noch zwei weitere, die einzelne Gruppen von Inschriften zum Gegenstand haben. 1906 stellte K a r l  S c h e i b e  eine Sammlung von Hannoverschen Hausinschriften zusammen, die im gleichen Jahr veröffentlicht wurde.33) Die Überlieferung Scheibes ist nur bedingt tauglich, da er die Inschriftentexte stark normalisiert. Das gleiche gilt für die 1955 von H a n s  M a h r e n h o l t z  publizierte, nach dem Zweiten Weltkrieg vorgenommene Bestandsaufnahme der Grabinschriften des Nikolaifriedhofes.34) Zum großen Teil zitiert Mahrenholtz die Inschriften nach Schuchhardt, ohne die Texte an den Originalen überprüft oder ergänzt zu haben. Soweit die Lesungen von Mahrenholtz selbst vorgenommen wurden, sind die Inschriften teilweise normalisiert, fehlerhaft oder unvollständig wiedergegeben.

Eine besondere Art der kopialen Überlieferung, die sich auf Kirchengerät bezieht, soll noch am Rande erwähnt werden. Hier ist in zwei Fällen (Nr.174, 256) zu beobachten, daß man Stifterinschriften bei der Einschmelzung und Neuanfertigung von Kirchengerät auf das Nachfolgerstück übernommen und dabei – wie es scheint – den originalen Wortlaut beibehalten hat.

Die großen Hannoverschen Inschriftensammlungen unterscheiden sich – abgesehen von den beiden zuletzt genannten –, was die Qualität der Überlieferung betrifft, kaum voneinander. Sie sind im allgemeinen darum bemüht, das Schriftbild möglichst getreu wiederzugeben. So beachten sie weitgehend die Groß- und Kleinschreibung und behalten Großbuchstaben für Majuskelinschriften ebenso bei wie Worttrenner; Kürzungen werden zumeist als solche gekennzeichnet. Die gerade bei dem hohen Anteil an Kapitalisinschriften wesentliche Unterscheidung zwischen U- und V-Schreibung wird ebenfalls beibehalten. All dieses gilt jedoch mit einer Einschränkung: Die ältere kopiale Überlieferung gibt einen Teil der längeren Grabinschriften, die in Kapitalis ausgeführt waren, in Minuskelschrift wieder und verfährt dabei recht willkürlich mit der Groß- und Kleinschreibung. In diesem Fall wurde die Groß- und Kleinschreibung für die vorliegende Edition normalisiert. Da bei aller Sorgfalt und dem Bemühen um originalgetreue Wiedergabe in jeder Sammlung Fehler enthalten sind, war es nicht ratsam, eine einzige Sammlung als Hauptquelle für die Edition zu bestimmen. Vielmehr wurde von Fall zu Fall entschieden, welche Sammlung den jeweils besten Text bietet, und diese Sammlung der Edition zugrundegelegt. Als Kriterien dienten dabei die Zahl der erweislichen Fehler wie auch die Nähe zum originalen Schriftbild, d.h. inwieweit Minuskel- oder Majuskelbuchstaben originalgetreu wiedergegeben, Worttrenner beibehalten und Kürzungen vermerkt sind.

Auf eine Schwierigkeit bei der Edition sei hier noch verwiesen: Wie sich anhand der Originale und der photographischen Überlieferung zeigt, wurde die Interpunktion von den Sammlern der Inschriften [Druckseite XX] sehr unterschiedlich gehandhabt. Bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts wird – wenn überhaupt – zumeist nur das Satzende bezeichnet. In der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts, und zunehmend im 17. Jahrhundert läßt sich – vor allem an den langen Grabinschriften – beobachten, daß Kommasetzung eingeführt wird. Diese wird allerdings sehr willkürlich, häufig auch den heutigen Regeln der Zeichensetzung zuwiderlaufend gehandhabt. Neben Inschriften mit Punkt- und Kommasetzung stehen noch im 17. Jahrhundert solche, in denen auf Satzzeichen weitgehend oder ganz verzichtet wurde. Im Falle von originaler oder photographischer Überlieferung wird die Interpunktion der Inschrift, auch wenn sie nach heutigen Kriterien nicht sinnvoll erscheint, in die Edition übernommen. Die Interpunktion der kopialen Überlieferung ist nicht berücksichtigt worden, da diese in der Regel erst von den Chronisten eingeführt wurde, wie sich in einigen Fällen beim Vergleich mit den original erhaltenen Inschriften zeigt. Eine Ausnahme macht Redecker, der in seinen Zeichnungen die Interpunktion des Originals überliefert. In diesen Fällen folgt die Edition den Vorgaben Redeckers. Sonst wird hier – zum besseren Verständnis vor allem der längeren lateinischen Grabinschriften – im Fall kopialer Überlieferung eine eigene, sparsame Interpunktion eingeführt.

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Jeweils ein Drittel der 374 Inschriften der alten Stadt Hannover, zu denen noch 61 Baudaten und Initialen (Anhang 1) kommen, entfallen auf die Grabinschriften mit 117 Nummern und die Hausinschriften mit 122 Nummern. Einige der verbleibenden Hannoverschen Inschriften lassen sich zu kleineren Beständen zusammenfassen, unter denen die Geschütze mit 20 Nummern, die Vasa Sacra mit 12 Nummern, und die Glocken mit 8 Nummern zu nennen sind. Darüber hinaus gibt es Inschriften an öffentlichen und kirchlichen Gebäuden und auf Ausstattungsstücken aus dem kirchlichen wie profanen Bereich, letztere allerdings nur in geringer Zahl, da hier die Verlustquote besonders hoch ist und solche Stücke von der kopialen Überlieferung kaum beachtet wurden.

3.2 Hausinschriften

Die Hausinschriften, mit 122 Nummern die größte Gruppe innerhalb des Hannoverschen Corpus, sind zugleich diejenige Gruppe mit dem höchsten Anteil an kopialer Überlieferung. Abgesehen von vier Häusern, die heute noch Inschriften aus dem Berichtszeitraum tragen35), sind von einem weiteren Haus – dem Steinbau Burgstr.23 (Nr.272) – noch die meisten Bauteile mit Inschriften vorhanden. Darüber hinaus haben sich nur hölzerne oder steinerne Fragmente wie Türsturze oder Wappentafeln erhalten. 61 Inschriften sind jedoch ganz oder teilweise anhand von Photographien wiedergegeben, so daß die Schriftart bestimmt werden kann und weitere Angaben zum Platz der Inschrift im Baugefüge möglich sind. Wo die Photodokumentation lückenhaft ist, wird das Kunstdenkmälerinventar Nöldekes hinzugezogen, das die Wohnhäuser der Stadt besonders ausführlich beschreibt. Soweit es in den Inschriftenartikeln nicht anders vermerkt ist, wurden die Hausbeschreibungen nach Photographien gemacht oder gehen auf die Informationen Nöldekes zurück.

Der Altstadt Hannovers, die im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde, verliehen die überwiegend in der 2. Hälfte des 16. und der 1. Hälfte des 17. Jahrhunderts errichteten Bürgerhäuser in Fachwerk und Stein ihr charakteristisches Aussehen und den geschlossenen Eindruck, den heute noch die alten Aufnahmen der Straßenzüge vermitteln. Vorherrschend waren die – zumeist traufenständigen – Fachwerkbauten der Renaissance, die Hannover in die Reihe der Städte wie Osnabrück, Hildesheim, Hameln oder Braunschweig stellen, die von der Fachwerkrenaissance geprägt wurden. Steinbauten kamen seltener vor. Neben den im 15. und 16. Jahrhundert errichteten, von gotischer Bauweise bestimmten Ziegelhäusern mit Fialen- und Treppengiebeln gab es einige, Ende des 16. und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts erbaute Häuser, die der Renaissance zuzuordnen sind.36) Die typischen Bauten der Weserrenaissance, wie sie in Hameln oder Minden zu finden sind, gibt es in Hannover trotz der räumlichen Nähe kaum. Lediglich Beispiele für die späte Phase der Renaissance, die bereits unter dem Einfluß des Frühbarock stehen, wie das an erster Stelle zu nennende Leibnizhaus (Nr.32) oder das Haus der Väter (Nr.268) treten etwas häufiger auf. Sie weisen Elemente wie Volutengiebel, obeliskenverzierte Treppengiebel oder mit Beschlagwerk und Girlanden verzierte Lisenen auf; ebenso wie an den Fachwerkbauten kommen dagegen – abgesehen vom Leibnizhaus – nur selten figürliche Darstellungen vor.

Die häufig vorgekragten Fachwerkbauten zeigten überwiegend ornamentale Schmuckformen wie Eierstab, Zahnschnittleisten und Fächerrosetten sowie mit Girlanden oder anderen Ornamenten in Flachschnitzerei verzierte Schwellbalken und Ständer. Ein wichtiges Schmuckelement waren die auf Schwellbalken und Türsturzen angebrachten, oft umfangreichen Inschriften, nicht selten auch auf der Hofseite, also der weniger repräsentativen Seite, eines Hauses. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts wurde es üblich, daß die Baumeister die Häuser mit ihren Initialen und dem aus Beil und Winkelmaß bestehenden Zeichen ihrer Zunft signierten. Dieser Brauch und die gute Quellenlage erlauben es, für viele der Häuser den Baumeister zu bestimmen.37) Mit besonderem Selbstbewußtsein trat der Baumeister Heinrich Stunkel auf, dessen voller Name an drei Häusern erscheint (Nr.278, 294, 295). Anders als an den Fachwerkbauten, deren breite Schwellen sich für Inschriften geradezu anboten, verfuhr man damit bei den Steinbauten sparsamer. Ausnahmen bilden die Häuser Leinstr.32 (Nr.148) und Burgstr.23 (Nr.272), die besonders auf den Brüstungsplatten der Erker lange Inschriften trugen. Sonst begnügte man sich an Steinhäusern häufig mit der Anbringung des Baudatums sowie der Namen und Wappen der Erbauer. Den Stein- und Fachwerkbauten gemeinsam ist die als Schriftform ihrer Inschriften vorherrschende Kapitalis, die gegenüber den Minuskelschriften deutlich dominiert.

Thematisch umfassen die Hausinschriften ein breites Repertoire von dem Sprichwort und der Sentenz über das Bibelzitat bis hin zur Inschrift gelehrten Inhalts, die allerdings verhältnismäßig selten ist. Im Gegensatz zu Inschriftenbeständen wie Osnabrück oder Braunschweig, in denen dieselben Sprichworte oder Bibelzitate in den Hausinschriften immer wiederkehren38), beschränkt sich die Wiederholung in Hannover auf wenige, besonders beliebte Sprichwörter. So kommt auch hier Wer Gott vertraut, hat wohl gebaut vierzehnmal vor. Jeweils dreimal erscheinen an den Häusern An Gottes Segen ist alles gelegen sowie Hab Gott vor Augen und vertrau auf ihn in allen Dingen (...).39) Damit erschöpfen sich die mehrfachen Wiederholungen jedoch bereits. Abgesehen von den zahlreichen Bibelzitaten und religiösen Sprüchen haben die Hausinschriften meistens das Verhältnis der Menschen untereinander zum Inhalt, das in Sentenzen oder Sprichwörtern sowohl in deutscher als auch in lateinischer Sprache abgehandelt wird. Vorherrschend sind hier allgemeine Lebensregeln, aber auch Themen wie Feindschaft, Neid und Spott der Mitmenschen (u.a. Nr.53, 63, 65, 71, 77). Als besonders originelle Inschrift ist diejenige des Hauses Kramerstr.17 (Nr.286) zu nennen, die Aufschluß darüber gibt, daß der Besitzer, der Kantor Andreas Krappe, das Haus mit Hilfe der EDLEN MVSIC KVNST erbaut hat, und die Inschrift am Hinterhaus Köbelingerstr.27 (Nr.308), in der Piktogramme anstelle von Wörtern treten. Ebenfalls nicht ganz alltäglich ist die aus Jesus Sirach entnommene Warnung Sei nicht ein Weinseuffer am Haus Knochenhauerstr.32 (Nr.166).

Für die Hausinschriften wählte man – mit wenigen Ausnahmen – die Volkssprache. 80 Inschriften in deutscher Sprache stehen 12 in Latein verfaßte gegenüber, in 9 Fällen treten deutsche und lateinische Inschriften nebeneinander auf. Während die Hausinschriften in deutscher Sprache die unterschiedlichsten Texttypen enthalten, bestehen die lateinischen Hausinschriften in der Regel aus einer kürzeren oder längeren Sentenz. Häufig erscheint diese in Form eines Hexameters oder Distichons. Eine Ausnahme bildet hier die Inschrift an den Häusern Schuhstr.10-15 (Nr.185), die den Charakter eines Gebets hat. Auffallend ist, daß nur drei Nummern lateinische Bibelzitate enthalten, die in zwei Fällen aus dem Psalter stammen (Nr.148, 241); die dritte Nummer enthält lediglich das formelhafte V(erbum) D(omini) M(anet) I(n) AE(ternum) (Nr.223). Ein weiteres Bibelzitat in griechischer Sprache und Schrift befand sich am Haus Tiefental 4 (Nr.77).

Ein Zusammenhang zwischen der Verwendung des Lateins als der repräsentativeren Sprache und dem aufwendigeren Steinbau kann anhand der Hannoverschen Hausinschriften nicht konstatiert werden. An den steinernen Ausluchten der Häuser Leinstr.32 und Burgstr.23 (Nr.148, 272) befanden sich – ebenso wie an den Fachwerkhäusern – Bibelsprüche in deutscher Sprache. Umgekehrt standen lateinische Inschriften – auch in der anspruchsvollen Form des Distichons – auf Schwellbalken der Fachwerkbauten. Allerdings spielt hierbei eine wesentliche Rolle, welchen Zwecken das Haus diente oder – soweit sich dies nachweisen läßt – welchen Bildungsstand sein Besitzer hatte. So fanden sich lateinische Inschriften in Distichen oder Hexametern an den Häusern des Ägidienkirchhofs (Nr.147), an der Lateinschule (Nr.149) und an dem als Wohnhaus für städtische Bedienstete errichteten Haus Burgstr.33/34 (Nr.146). Das Haus des Ratsschreibers Burchard Arneken, Osterstr.66 (Nr.158), trug [Druckseite XXII] ebenfalls lateinische Distichen; am Haus des Braunschweigischen Kanzlers Justus von Walthausen (Nr.131) waren der Überlieferung zufolge zahlreiche Inschriften angebracht, von denen man noch vier lateinische Sentenzen kennt. In allen genannten Fällen handelte es sich um Fachwerkbauten.

3.3 Grabinschriften

Von den 118 Grabdenkmälern40) der Stadt Hannover, die Inschriften aus dem Berichtszeitraum tragen, sind 49 ganz oder teilweise erhalten. 16 heute verlorene Grabdenkmäler konnten nach alten Aufnahmen wie Originale bearbeitet werden, hinzu kommen die zahlreichen Zeichnungen von Grabdenkmälern bei Redecker, die einen guten Eindruck von der Ausführung der Inschriften geben.

Die erhaltenen Grabdenkmäler aus der Zeit vor 1650 befinden sich heute im wesentlichen in und an der Marktkirche, in der Kreuzkirche und auf dem Nikolaifriedhof – allerdings nur in seltenen Fällen an ihrem ursprünglichen Standort. Einige der an der Marktkirche angebrachten Stücke stammen vom Nikolaifriedhof; die heute in der Kreuzkirche aufgestellten Grabsteine befanden sich früher – soweit sich das nachweisen läßt – in der Minoritenkirche. Bevorzugter Begräbnisplatz der Hannoverschen Bürger war die Marktkirche. Hier besaßen viele der bedeutenden Familien ein Grabgewölbe. Das Begräbnisbuch der Marktkirche41) zeigt, wie dicht der Hauptchor und die beiden Nebenchöre mit Gräbern belegt waren. Bei den anhand des Begräbnisbuchs oder anderer älterer Überlieferungen vorgenommenen Ortsbestimmungen muß jedoch berücksichtigt werden, daß bei der Angabe „im Chor der Marktkirche“ nicht nur die Apsis gemeint, sondern auch der Raum bis zu den östlichen Pfeilern des Kirchenschiffs einbezogen war. Mit Hilfe des Begräbnisbuchs und der Lokalisierung von Grabdenkmälern bei Ising kann man einen Eindruck davon gewinnen, wie sehr die Innenausstattung der Marktkirche durch die zahlreichen Grabdenkmäler geprägt wurde.

Als die Diakone der Marktkirche 1603 die in den beiden Nebenchören gelegenen Grabplatten, die zu den Familienbegräbnissen der Familien Türcke und von Limburg gehörten, abdecken ließen, um dort Beichtgelegenheiten zu schaffen, erhoben beide Familien heftigen Protest gegen diese schimpfliche Behandlung ihrer Vorfahren, bei denen es sich um ehrliche und hochverdiente Leute gehandelt habe.42) Nur im Falle von Verbrechern sei es erlaubt, Grabdenkmäler zu verweigern oder zu zerstören. Man habe die Familienbegräbnisse erworben und mit Grabsteinen schmücken lassen – so betonten die beiden Familien in ihren Protestschreiben –, damit jeder die Gräber ihrer Vorfahren besichtigen könne. In den Schreiben kommt deutlich zum Ausdruck, in welchem Maße eine Familiengrablege, zumal wenn sie sich an so hervorgehobener Stelle befand wie in einem Nebenchor der Marktkirche, Mittel der Repräsentation war. Zu diesem Zweck hatten die Familien Türcke und Limburg offenbar die Exklusivrechte auf ein Begräbnis in den Nebenchören erworben. Da ihnen nun diese Möglichkeit zur Repräsentation genommen wurde, drohten sie damit, ihre Toten auf dem Friedhof von St.Ägidien oder auf dem Nikolaifriedhof beizusetzen und der Marktkirche dadurch Einnahmen zu entziehen. Der Ausgang der Angelegenheit ist nicht bekannt. Die Tatsache, daß weder für die Familie Türcke noch für die Familie Limburg die Inschrift einer Grabplatte aus der Zeit vor 1600 überliefert ist, könnte darauf hindeuten, daß sich die Diakone der Marktkirche durchsetzten und die Grabplatten bald darauf ganz entfernt wurden.

Neben der Marktkirche dienten auch die beiden anderen Pfarrkirchen der Altstadt, die Ägidien- und die Kreuzkirche, mit ihren Kirchhöfen als Begräbnisplatz, ebenso die Minoritenkirche und die Kirche St.Spiritus. Als der Raum in und um die Kirchen innerhalb der Stadt nicht mehr ausreichte, wich man mit den Begräbnissen vor die Stadttore aus. Schon 1350 hatte man bei dem Nikolaihospital die Pesttoten beigesetzt.43) Vermutlich fanden dort auch in der Folgezeit Begräbnisse statt. Nachdem im Sommer 1598 erneut die Pest in Hannover ausgebrochen war, wurde der Nikolaifriedhof erheblich vergrößert, um die Toten der Stadt aufzunehmen. Zur Pflege der dortigen Grabdenkmäler machte der Organist der Marktkirche, Melchior Schild, dem Waisenhaus am Steintor 1652 eine Stiftung mit der Auflage, daß die Waisen sechs Leichsteine auf St. Nicolai-Kirchhofe etliche Male des Jahres reinfegen und alle zehn Jahre, wann eine Null in der Jahrszahl ist, bemalen lassen müssen.44) Im 18. und 19. Jahrhundert [Druckseite XXIII] nahm die Stadt erneut Erweiterungen vor und umgab den Friedhof mit einer Mauer. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde er geschlossen. 1898 errichtete man an der Nordseite der Kapelle einen Denkmälerhof, in dem zahlreiche Grabdenkmäler untergebracht wurden. Dieser wurde zusammen mit der Nikolaikapelle im Zweiten Weltkrieg zerstört.

Während die Grabdenkmäler des Nikolaifriedhofes die Zeit bis zum Zweiten Weltkrieg überdauerten, fielen etliche der in den Kirchen angebrachten Epitaphien und wohl auch einige Grabplatten den Regotisierungsmaßnahmen des 19. Jahrhunderts zum Opfer. Die meisten so entfernten Grabdenkmäler wurden entweder zerstört oder zusammen mit anderen Ausstattungsstücken zum Verkauf angeboten. Nur wenige versetzte man außen an die Kirchen. Auf die Verbannung aller Renaissancedenkmäler aus den Kirchenräumen ist es vermutlich auch zurückzuführen, daß kein einziges hölzernes Epitaph aus dem Berichtszeitraum überliefert ist. Immerhin haben jedoch vier Totenschilde aus der Zeit vor 1650 nicht nur die Umgestaltung der Marktkirche sondern auch den Zweiten Weltkrieg überstanden.

In Hannover lassen sich vier Arten von Denkmälern unterscheiden, die dem Totengedächtnis dienen: Grabplatte, Grabstele, Epitaph und Totenschild. Während Grabplatte und Grabstele in enger räumlicher Beziehung zum Grab stehen, kommt dem Epitaph – wie auch dem Totenschild – die Funktion eines Denkmals zu, das nicht an den Begräbnisplatz gebunden ist und häufig zusätzlich zur Grabplatte errichtet wurde. Aus dieser Definition des Epitaphs, die sich nicht nur an dessen äußerer Form, sondern vor allem auch an der Zweckbestimmung orientiert, ergeben sich Schwierigkeiten bei der korrekten Bezeichnung der Grabdenkmäler. Das Problem besteht darin, daß sich die betreffenden Stücke, die alle eine hochrechteckige Form haben, nicht mehr an ihrem ursprünglichen Ort befanden oder befinden und sich daher nicht entscheiden läßt, ob die Steine zur Abdeckung eines Grabes oder als in die Wand eingelassenes Denkmal gedient haben.

Derartige terminologische Schwierigkeiten gibt es bei den älteren original oder kopial in Zeichnung überlieferten G r a b p l a t t e n nicht. Bei ihnen handelt es sich um hochrechteckige oder oben giebelförmig zulaufende Steine, die eindeutig zur Abdeckung des Grabes dienten. Im Innenfeld befindet sich entweder eine Ritzzeichnung (Nr.2, 26, 40) oder ein Flachrelief (Nr.39, 48, 78) mit einer Darstellung des oder der Verstorbenen; die Inschrift, die aus dem kurzen, üblichen Formular besteht, verläuft um den Stein. Eine interessante Ausnahme bildet eine Grabplatte aus dem Jahr 1335 (Nr.3), die – für diese Zeit unüblich – unterhalb der Ritzzeichnung noch eine ebenfalls geritzte kleinere Darstellung zeigt. Seit dem 15. Jahrhundert findet sich anstelle der Darstellung des Verstorbenen auch die Abbildung seines Wappens im Innenfeld (Nr.18, 19, 55).

Um die Mitte des 16. Jahrhunderts treten – zugleich mit den frühesten Epitaphien – Grabplatten auf, die von der bis dahin üblichen Form abweichen, und mit ihnen die oben bereits erwähnten terminologischen Schwierigkeiten.45) Sofern diese hochrechteckigen Steine umlaufende Inschriften tragen, ist häufig die untere Kante ausgespart und die Inschrift damit auf einen vor dem Stein stehenden Leser ausgerichtet. Das Innenfeld wird nun in Bild- und Inschriftenfelder unterteilt, von denen es jeweils mehrere geben kann (vgl. Nr.101, 111, 122). Die Grabschriften werden ausführlicher, und bevorzugte Form ist nun die lateinische Versinschrift. In diesen Fällen läßt sich noch recht eindeutig zugunsten der Bezeichnung als Grabplatte entscheiden; daneben treten jedoch Grabdenkmäler auf, die in mehr oder weniger plastisch abgehobenen Nischen den Verstorbenen oder ein Ehepaar, zumeist in Bethaltung, unter dem Kreuz zeigen (vgl. Nr.109, 126, 136). Die Anbringung der Inschriften auf diesen Steinen ist unterschiedlich: Sie verlaufen – unter Aussparung oder Einbeziehung der unteren Kante – um den Stein und sind auf abgeteilten Tafeln oder Kartuschen angebracht. Die meisten Steine tragen Wappen, deren Plazierung und Zahl ebenfalls stark variiert. In Abweichung von Schuchhardt, der alle diese Fälle als Grabplatten bezeichnet, wurden hier bei der Benennung – durchaus anfechtbare – Einzelentscheidungen getroffen.

Über die Gestaltung der seit der Mitte des 16. Jahrhunderts vorkommenden, von der kopialen Überlieferung als E p i t a p h i e n bezeichneten Grabdenkmäler, die in den Kirchen an Pfeilern und Wänden angebracht waren, können aufgrund der fehlenden Beschreibungen nur Vermutungen angestellt werden. Erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts lassen sich die großen, mehrteiligen Epitaphien mit Bekrönung, seitlich angebrachtem Rollwerk und Kartuschen in Hannover nachweisen (Nr.161, 172, 248), deren Bildprogramm abwechslungsreicher und vielfältiger ist als das der zuvor behandelten Grabdenkmäler. Zwar findet sich auch hier die Darstellung der Verstorbenen unter dem Kreuz, daneben oder an ihre Stelle treten jedoch häufig andere biblische Szenen. Hervorzuheben sind aufgrund der besonderen Qualität das Epitaph für Statius Vasmer (Nr.298) mit einer figurenreichen Darstellung der [Druckseite XXIV] Grablegung Jacobs und das Epitaph für Mintha Paxmann (Nr.319) mit der Szene des Noli me tangere im Mittelpunkt, um die herum ein sorgfältig komponiertes Bild- und Textprogramm arrangiert ist. Die für Grabdenkmäler nicht sehr häufige Darstellung Christi in der Kelter im Epitaph des Bartold Busse (Nr.175) wurde im Hinblick auf die Biographie des Verstorbenen gewählt. Durch besonderen Figurenreichtum und ornamentalen Schmuck zeichneten sich die beiden Epitaphien für Joachim und Dietrich von Anderten (Nr.269, 274) aus. Beide stammen – eine Ausnahme in Hannover – von einem auswärtigen Bildhauer, dem Osnabrücker Meister Adam Stenelt.

Die G r a b s t e l e n, schlanke hohe Steine, die oben häufig giebel- oder bogenförmig abgeschlossen sind, hatten ihren Platz auf dem Friedhof am Kopf des Grabes. Die älteste – allerdings nur in einer Zeichnung – überlieferte Grabstele Hannovers stammt aus der 1. Hälfte des 15. Jahrhunderts (Nr.16). Üblicher wird diese Form des Grabdenkmals in Hannover erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts, vermutlich im Zusammenhang mit der Erweiterung des Nikolaifriedhofs (Nr.199, 227, 276). Im allgemeinen zeigt der Bildteil der Grabstelen, soweit er vorhanden ist, eine oder mehrere Figuren in Bethaltung unter dem Kreuz. Eine Ausnahme macht das wohl prominenteste Grabdenkmal Hannovers aus dem Berichtszeitraum, die Grabstele für den ermordeten Bildhauer Jeremias Sutel (Nr.299), die in Anspielung auf den Tod Sutels die Ermordung Abners durch Joab zeigt.

Eine Bindung von S p r a c h e, F o r m  und  I n h a l t einer Inschrift an den einen oder anderen Typ des Grabdenkmals läßt sich nicht beobachten. Die kurze, in Prosa verfaßte Totengedenkinschrift, die aus der Angabe des Namens, des Todesdatums, eventuell der Funktion des Verstorbenen und einer formelhaften Fürbitte besteht, wird häufig von der Grabplatte der alten Art auf die jüngeren Typen der Grabdenkmäler übernommen und hier durch weitere Inschriften ergänzt, bei denen es sich um ein Bibelzitat, eine Sentenz oder eine längere poetische Grabschrift handeln kann. Im Falle kopialer Überlieferung läßt sich jedoch nicht immer feststellen, ob sich eine solche in Prosa verfaßte Totengedenkinschrift mit Angaben zur Person und zum Todesdatum zusammen mit anderen Inschriften auf dem Grabdenkmal befand, da gerade die chronikalische Überlieferung dazu neigt, die Wiedergabe dieser Texte durch die Nennung von Namen und Todesjahr zu ersetzen.46) Anstelle dieser kurzen Inschrift kommt seit der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts zunehmend auch die umfangreichere Totengedenkinschrift in Prosa vor, die detailliertere Angaben zur Biographie des Verstorbenen enthält.

58 lateinischen Grabinschriften stehen 55 Grabinschriften in deutscher Sprache gegenüber. 5 Grabinschriften enthalten lateinische und deutsche Texte. Allerdings kann diese Angabe nur mit Vorbehalt gemacht werden, da längere lateinische Grabgedichte nicht selten in Verbindung mit formelhaften Angaben zur Person in deutscher Sprache auftraten und diese – wie bereits erläutert – von der kopialen Überlieferung kaum berücksichtigt wurden. Die älteste deutsche Grabinschrift Hannovers auf der Grabplatte des Dietrich von Hoverden (Nr.11) stammt aus dem Jahr 1414, die zweitälteste (Nr.45) erst aus dem Jahr 1500. Aus dieser Tatsache lassen sich jedoch keine Schlüsse auf die Verwendung der deutschen oder lateinischen Sprache in den Grabinschriften des 15. Jahrhunderts ziehen, da der Zufall der Überlieferung hier eine erhebliche Rolle spielt.

Die Reihe der humanistisch geprägten lateinischen Versgrabschriften beginnt mit den aus dem Jahr 1540 stammenden Epitaphien für Herzog Erich I. (Nr.68) und für den Syndicus Autor Sander (Nr.70). In beiden Fällen handelt es sich um ein langes Grabgedicht in Distichen. Dieses verbreitete sich – in Hannover wie auch andernorts – in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts als besonders repräsentative Form der Grabinschrift und blieb nicht nur den Fürsten und Gelehrten vorbehalten. Zunächst allerdings sind es die an der Reformation in der Stadt und im Fürstentum Calenberg maßgeblich beteiligten Personen, die Epitaphien mit lateinischen Versgrabschriften erhalten: Neben dem schon erwähnten Epitaph für Autor Sander an der Nikolaikapelle setzt man im Chor der Marktkirche 1541 das Epitaph für Urbanus Rhegius (Nr.74), 1553 das Epitaph für Antonius Corvinus (Nr.95), 1558 das Epitaph für die Herzogin Elisabeth (Nr.110) und im selben Jahr das Epitaph für den ersten reformatorischen Geistlichen in Hannover, Georg Scharnekau (Nr.112). Auf diese demonstrative Versammlung von Reformatorendenkmälern an zentraler Stelle in der Kirche wurde bereits hingewiesen (S.XV).

In der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts bleibt die poetische, lateinische Grabinschrift zunächst noch dem Adel und den Geistlichen vorbehalten (Nr.134, 137). Erst um die Wende zum 17. Jahrhundert wird die lateinische Versinschrift auf den Grabdenkmälern der Hannoverschen Bürger allgemein üblich; dies gilt sowohl für Männer wie auch für Frauen (vgl. Nr.190, 199, 248). Als metrische Form wird ausnahmslos das elegische Distichon gewählt. Die poetischen Grabschriften enthalten kaum konkrete [Druckseite XXV] Angaben zur Biographie und werden daher häufig durch kurze Prosatexte mit den nötigen Informationen ergänzt.

Die – innerhalb einer Inschrift in beliebiger Reihenfolge erscheinenden – Themen der lateinischen Versgrabschrift sind der Bezug auf das Grab, das Lob des oder der Verstorbenen, die Mahnung an die Vergänglichkeit des Irdischen, die Tröstung der Hinterbliebenen. In der Ausführung dieser Themen finden Topoi Verwendung, die größtenteils schon in den Versgrabschriften der Antike gebräuchlich sind und durch den Humanismus weite Verbreitung fanden. Bei aller Formelhaftigkeit weisen die Hannoverschen Versgrabschriften jedoch eine große Variationsbreite auf. Der überwiegende Teil der poetischen Grabschriften beginnt mit dem Bezug auf das Grab, der durch Wendungen wie hic cubat (Nr.190), hac N.N. tegitur in urna (Nr.270, ähnlich Nr.274), jacet hoc sub tegmine corpus (Nr.293), cippus tegit hic (Nr.288) hergestellt wird. Es folgt ein Lob des Verstorbenen, das sich im Fall eines Mannes vorwiegend auf dessen virtus allgemein, oder spezieller auf seine pietas, gravitas, probitas oder fides bezieht. Mit Blick auf die Vaterstadt oder die Familie werden gern die Attribute decus, lux oder splendor verliehen. Frauen werden als beispielhafte Gattinnen und Mütter dargestellt; als ihre höchsten Tugenden gelten castitas und pudor. Die – oft am Ende einer Grabschrift stehende – Mahnung, sich der Vergänglichkeit alles Irdischen bewußt zu sein, ist häufig verknüpft mit einer Tröstung der Hinterbliebenen. Dem dient der Hinweis auf die Trennung des sterblichen Körpers von der unsterblichen Seele, der in immer neuen Varianten formuliert wird (u.a. Nr.190, 199, 263, 274). Oft wendet sich die Grabschrift direkt an den Leser (u.a. Nr.253, 261, 271), der aufgefordert wird, dem Vorbild des Verstorbenen zu folgen (Nr.248, 263) oder sich seiner Sterblichkeit bewußt zu werden (Nr.134, 291). Ein besonders schönes Beispiel für die Mahnung an die Vergänglichkeit ist das Ende der Grabschrift für Hans Volger und Magdalena von Wintheim (Nr.246):

Tempora sic volucri labuntur remige vita
Est hominis veluti flosculus umbra nihil.

Sowohl für Vers- als auch für Prosagrabschriften gilt die Feststellung, daß Persönliches kaum in die Texte einfließt, allenfalls noch in die Grabinschriften für Frauen, aber auch dort in Topoi gekleidet. Eine eher kuriose Ausnahme ist die Grabplatte des Bartold von Anderten (Nr.271). Deren lateinisches Grabgedicht erweckt den Eindruck, als habe man damit Gerüchte über die etwas fragwürdigen Umstände seines Todes dementieren wollen.

Ebenfalls an Vers- wie an Prosainschriften läßt sich beobachten, daß der Beruf des Verstorbenen kaum genannt wird – es sei denn, es handelte sich um einen Geistlichen. Auffällig ist, daß in den Inschriften lediglich die öffentlichen Ämter, die jemand bekleidete, Erwähnung finden. Es war offensichtlich von nachgeordnetem Interesse, wodurch der Verstorbene seinen Lebensunterhalt finanzierte und welchem Berufsstand er angehörte. Die Zugehörigkeit zur Kaufmannschaft beispielsweise, für deren Mitglieder in Hannover eine ganze Anzahl von Grabdenkmälern überliefert ist, wird in keinem einzigen Fall vermerkt, obwohl die Kaufmannschaft die führende Schicht Hannovers bildete und es ehrenvoll war, ihr anzugehören. In den Grabschriften für die männlichen Angehörigen der Familie von Anderten, von denen die meisten Kaufleute waren, wird hingegen immer wieder betont, daß es sich bei dem Verstorbenen um einen patricius gehandelt habe (Nr.230, 269, 271, 274).

Die in den Versgrabschriften verwendeten Topoi und Formeln können auch in den ausführlichen, lateinischen oder deutschen Prosagrabschriften vorkommen, treten dort aber im allgemeinen hinter die sachliche Angabe von biographischen Daten zurück. Aus den kurzen Prosagrabschriften in lateinischer oder deutscher Sprache, die zunächst vor allem als Umschriften von Grabplatten ausgeführt sind, entwickeln sich im 16. Jahrhundert aufgeschwellte Formen bis hin zu einer ausführlichen Biographie des Verstorbenen, die Angaben zu Geburtsort, Eltern, Studium, Ämtern, Ehefrau, Kindern und Tod enthält (u.a. Nr.178, 195, 196). Nicht selten bieten diese Inschriften mehr Informationen, als sich aus den Archivalien oder anderen Quellen entnehmen lassen. Nur am Rande sei erwähnt, daß sich die Texte dieser Prosagrabschriften in nichts von den auf den Pastorenbildern der Markt- und Ägidienkirche befindlichen Inschriften (Nr.289, 322, 330, 351, 355) unterscheiden.

In Hannover ist aus dem Berichtszeitraum nur ein einziges Grabdenkmal mit einer Inschrift in deutschen Reimversen überliefert (Nr.125). Sonst läßt sich lediglich noch die Gedenktafel für Hans Michael von Obentraut (Nr.292) anführen, deren lange, ebenfalls in deutschen Reimversen gedichtete Inschrift vom Texttyp her ebenfalls als Grabschrift charakterisiert werden kann.

Abschließend soll hier noch eine Beobachtung angefügt werden, die sich auf die Datierung der Grabdenkmäler bezieht. Es ist in den Bänden des Inschriftenwerks üblich, Grabdenkmäler nach dem inschriftlich genannten Todesjahr zu datieren, wenn keine Anhaltspunkte für die Errichtung vor dem Tod sprechen und das Herstellungsjahr nicht genannt ist. Die zwischen dem Tod und der Fertigstellung des Denkmals liegende Zeitspanne wird dabei nicht berücksichtigt. Soweit in Hannover Archivmaterial [Druckseite XXVI] oder das Grabdenkmal selbst über das Jahr der Anfertigung oder der Anbringung eines Grabdenkmals Auskunft geben, wurde dieses jedoch jeweils ein oder mehrere Jahre nach dem Tod des Betreffenden fertiggestellt (Nr.249, 253, 274, 292, 319, vgl. a. Nr.108, 172). Die Datierung nach dem Todesjahr kann daher immer nur einen ungefähren Anhaltspunkt für die zeitliche Einordnung eines Grabdenkmals bieten.

3.4 Niederdeutsch und Hochdeutsch als Sprache der Inschriften

Bei dem Versuch, die deutschsprachigen Inschriften des Hannoverschen Bestandes nach der Verwendung des Niederdeutschen und des Hochdeutschen zu unterteilen, wird deutlich, daß eine klare Unterscheidung für einen großen Teil des vorliegenden Materials nicht getroffen werden kann. Die Hannoverschen Inschriften enthalten zahlreiche Beispiele für die Mischung von niederdeutschen und hochdeutschen Elementen innerhalb eines Textes. Fragt man nach der dominierenden Sprachform, so ergibt sich folgendes Bild: Im selteneren Fall weisen niederdeutsche Inschriftentexte vereinzelte hochdeutsche Merkmale auf; dagegen zeigen hochdeutsche Texte häufig noch Rückfälle ins Niederdeutsche. Diese Mischformen, die sich in der 2. Hälfte des 16. wie in der 1. Hälfte des 17. Jahrhunderts finden, sind für die Übergangszeit vom Niederdeutschen zum Hochdeutschen charakteristisch. So handelt es sich im folgenden, wenn von niederdeutschen oder hochdeutschen Inschriften die Rede ist, nicht unbedingt um reine Ausprägungen der einen oder anderen Sprachform, sondern um vorherrschende Merkmale. Mit dieser Einschränkung ergibt sich für die deutschsprachigen Hannoverschen Inschriften, die genügend Kriterien für eine Zuordnung aufweisen, folgende Verteilung: 66 Inschriften lassen sich dem Niederdeutschen47) zuordnen, 85 Inschriften dem Hochdeutschen; 14 Inschriften enthalten deutliche Anteile beider Sprachformen.48) Bei diesen Zahlenangaben ist zu berücksichtigen, daß auf demselben Inschriftenträger niederdeutsche und hochdeutsche Inschriften nebeneinanderstehen können.

Das Auftreten des Hochdeutschen in den Hannoverschen Inschriften erfolgt etwa gleichzeitig mit dem Wechsel vom Niederdeutschen zum Hochdeutschen als Kanzleisprache, der sich hier in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts vollzog.49) Bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts sind die deutschsprachigen Inschriften Hannovers in Niederdeutsch abgefaßt. Eine Ausnahme bildet lediglich die – in zuverlässiger kopialer Überlieferung vorliegende – hochdeutsche Inschrift des Geschützes Nr.54 aus dem Jahr 1521. Auf niederdeutschen Einfluß verweist jedoch die Verwendung von mir anstelle von ‚mich‘. Sie dürfte auf eine Unsicherheit im Umgang mit den Formen des Personalpronomens hindeuten, die darauf zurückgeführt werden kann, daß Dativ und Akkusativ des Personalpronomens in weiten Teilen des niederdeutschen Sprachraums zusammenfallen.50) Die hochdeutsche Sprache der Inschrift könnte ihre Erklärung in der Herkunft des Geschützgießers finden, über die jedoch nichts bekannt ist.

Kurz nach 1550 treten in Hannover weitere Inschriften auf, in denen hochdeutsche Elemente überwiegen. Es handelt sich zunächst um eine Grabschrift auf einem Epitaph aus dem Jahr 1553 (Nr.100) und um die Inschrift einer Patene aus dem Jahr 1555 (Nr.104). Da die Inschrift des Epitaphs nur in kopialer Überlieferung vorliegt, läßt sich nicht ganz ausschließen, daß der Text normalisiert wurde. Im Fall der – noch im Original vorhandenen – Patene handelt es sich um eine Stiftung der Herzogin Elisabeth von Braunschweig-Lüneburg. Die hochdeutsche Inschrift verrät nur in der Schreibung SCHREB mit e für den Vokal in der 3. Pers. Sing. Präterit. niederdeutschen Einfluß. Daneben enthält der Text hyperkorrekte Formen (HANOBER51), KIRCHGEN), die zeigen, wie sehr man um die Herstellung einer einwandfrei hochdeutschen Fassung bemüht war. Man darf annehmen, daß die Inschrift nach den Vorgaben der Stifterin ausgeführt und mit Bedacht ein hochsprachlicher Text gewählt wurde, denn gerade für eine Inschrift auf einem Gegenstand des kirchlichen Gebrauchs hätte sich die lateinische Sprache angeboten.

In der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts gewinnt das Hochdeutsche als Sprache der Inschriften mehr und mehr an Bedeutung. Diese Entwicklung verläuft jedoch für die beiden großen Gruppen von [Druckseite XXVII] Inschriftenträgern, die Haus- und Grabinschriften, unterschiedlich. Während die deutschsprachigen Hausinschriften in diesem Zeitraum noch überwiegend in niederdeutscher Sprache abgefaßt sind, verteilen sich die deutschen Inschriften der Hannoverschen Grabdenkmäler in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts etwa zur Hälfte auf Hochdeutsch und Niederdeutsch. Bei dem ersten Text in hochdeutscher Sprache auf einem Grabdenkmal (Nr.114, 1561) handelt es sich um ein Bibelzitat, das innerhalb einer fortlaufenden Inschrift auf die niederdeutsche Angabe von Namen und Todestag des Verstorbenen folgt52). Ein weiteres Grabdenkmal aus dem Jahr 1563 (Nr.115) trug ebenfalls ein hochdeutsches Bibelzitat neben einem – allerdings sehr kurzen – hochdeutschen Sterbevermerk. Während in der Folgezeit auf den Grabdenkmälern zunehmend hochdeutsche Bibelzitate auftreten, bleibt in den Hausinschriften das Niederdeutsche gerade für die Bibelzitate bis gegen Ende des 16. Jahrhunderts vorherrschend (Nr.144, 157, 173, 181). Eine Ausnahme machen hier die – neben lateinischen Inschriften stehenden – hochdeutschen Bibelzitate am Erker des Hauses Leinstr.32 (Nr.148) aus dem Jahr 1583; im Falle dieses repräsentativen Steinbaus lag wohl die Wahl des Hochdeutschen als angemessener Sprachform nahe.

Für alle Gruppen von Inschriftenträgern kann als Zeitgrenze, nach der sich das Hochdeutsche endgültig durchsetzt, die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert angesehen werden. Die letzte sicher zu datierende Inschrift, die überwiegend niederdeutsche Merkmale aufweist, stammt aus dem Jahr 1607 (Nr.242); später treten nur noch Inschriften auf, die durchgehend in Hochdeutsch abgefaßt sind oder in denen der Anteil hochdeutscher Elemente überwiegt. Während die zeitliche Entwicklung der Etablierung des Hochdeutschen in den Inschriften der Entwicklung im offiziellen Schriftverkehr und im Buchdruck53) weitgehend entspricht, gibt es offenbar Unterschiede in der Art und Weise, wie das Hochdeutsche Eingang in die Texte findet. Die anhand von handschriftlichen und gedruckten Texten gemachte Beobachtung, daß in einer ersten Phase der niederdeutsche Grundcharakter der Schrift gewahrt bleibt und zunächst nur einzelne Elemente, besonders Präpositionen, Titel und Formeln in hochdeutscher Form erscheinen54), läßt sich auf die Hannoverschen Inschriften nicht übertragen. Hier stehen vielmehr seit dem Auftreten des Hochdeutschen dieselben oder vergleichbare Wörter aller Art innerhalb einer Inschrift oder auf einem Inschriftenträger in niederdeutscher und hochdeutscher Schreibung nebeneinander. So findet sich innerhalb desselben Inschriftentextes die diphthongierte Form neben dem entsprechenden Wort mit Monophthong (Nr.141A zweimal MEIN und einmal MIN; Nr.162A SEIN, Nr.162B SINEN); die Lautverschiebung p > f ist innerhalb einer Inschrift oder auf einem Inschriftenträger nur bei einem Teil der Wörter durchgeführt (Nr.172A HOFNVNG und AVFFERSTANDEN neben SLAPEN und ENTSLAPEN), ebenso k > ch (Nr.252B MEC neben ICH).55) In Nr.172F erscheint niederdeutsch STARF neben hochdeutsch GESTORBEN in Nr.172A. Niederdeutsche und hochdeutsche Elemente finden sich auch innerhalb eines Wortes (Nr.122 VFERSTANDING).

Auch im 2. Viertel des 17. Jahrhunderts gibt es noch vereinzelte niederdeutsche Merkmale in den hochdeutschen Texten (Nr.295 im Reim GEFEN neben LEBE; Nr.312 SEIEN). Offenbar aus Reimgründen wird noch 1636 (Nr.316) in einem hochdeutschen Text niederdeutsch BEREN für ‚Birnen‘ verwendet. Das niederdeutsche WOL als Interrogativpronomen ‚wer‘ blieb offenbar durch seine sprichwörtliche Verwendung so geläufig56), daß es auch in hochdeutschem Kontext noch Verwendung fand (Nr.277, Nr.312).

4. Schriftformen

Daß das Hannoversche Inschriftencorpus für die allgemeine Schriftgeschichte nur eingeschränkt Material bieten kann, erklärt sich allein schon aus der spät einsetzenden Überlieferung. Die ältesten Inschriften fallen – mit einer Ausnahme – in das 14. Jahrhundert; erst mit dem 15. Jahrhundert wird die Überlieferung dichter. Dadurch sind frühe Schriftformen hier nicht vertreten. Die inschriftliche Überlieferung beginnt mit wenigen Beispielen einer bereits voll ausgebildeten gotischen Majuskel, an [Druckseite XXVIII] deren Stelle bald die gotische Minuskel tritt. Aber auch die späteren Minuskelschriften, Fraktur und humanistische Minuskel, treten in Hannover neben der hier vorherrschenden Renaissancekapitalis kaum in Erscheinung und bieten damit wenig Anhaltspunkte für eine allgemeine schriftgeschichtliche Auswertung.

4.1 Gotische Majuskel

Die gotische Majuskel tritt in Hannover auf zwei erhaltenen Grabplatten (Nr.2, 3) auf sowie auf einer Glocke (Nr.1) und in einer Bauinschrift (Nr.5), deren Inschriften beide nur noch kopial, allerdings in recht zuverlässiger Nachzeichnung, überliefert sind. Alle vier Inschriften bedienen sich überwiegend runder Buchstabenformen, neben denen vereinzelt auch kapitale Buchstaben vorkommen. E und C erscheinen in vollkommen abgeschlossener Form. Bei den beiden Grabsteinen handelt es sich um sehr sorgfältig ausgeführte Schriften, in denen als Zierformen der gotischen Majuskel deutliche Bogenschwellungen, Nodi an den Hasten, keilförmige Verdickungen der Hastenenden und Sporen an den Hasten- und Bogenenden auftreten. Beide Inschriften zeigen durchgehend trapezförmiges A mit beidseitig überstehendem Deckbalken. Die Inschrift Nr.2 hat breite und sehr stark vertiefte Buchstaben, die regelmäßig und ausgewogen proportioniert sind. Dagegen sind die schlankeren Buchstaben der Inschrift Nr.3 eher unregelmäßig und weisen Unterschiede in der Höhe und Breite auf.

4.2 Gotische Minuskel

Inschriften in gotischer Minuskel lassen sich in Hannover seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts nachweisen. Die früheste gotische Minuskel der Stadt Hannover war die auf einer Messingtafel ausgeführte Turmbauinschrift der Marktkirche aus dem Jahr 1350 (Nr.6). Sie kann für die Schriftgeschichte nicht herangezogen werden, da die Inschrift nur in Zeichnungen überliefert ist und alle Anzeichen dafür sprechen, daß diese das Schriftbild verfälscht wiedergeben. Drei weitere Inschriften in gotischer Minuskel aus der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts sind im Original überliefert. Die in Perlenstickerei ausgeführten Namen auf dem Marienkleid (Nr.7), die gemalte Inschrift in einem Glasfenster (Nr.4) sowie die in Stein ausgehauenen Inschriften eines Kreuzigungsreliefs (Nr.8). Letztere entsprechen den in gotischer Minuskel ausgeführten Lapidarinschriften des 15. Jahrhunderts, die sich weitgehend in das Zweilinienschema einfügen und nur geringe Ober- und Unterlängen aufweisen (Nr.18, 19, 20, 26, 39, 45). Die Buchstaben sind in allen Fällen deutlich voneinander getrennt; Schwierigkeiten bei der Lesung, die sich durch das gitterartige Schriftbild der frühen gotischen Minuskel ergeben können, kommen hier nicht vor. Es sind auch keine durch besondere Gestaltung hervortretende Lapidarinschriften in gotischer Minuskel zu verzeichnen. Versalien finden sich – abgesehen von dem häufig verwendeten A in Anno – nur in einem Fall (Nr.19). Deutliche Oberlängen, die im Falle von l und k gespalten sind, weist die Inschrift des sogenannten Siebenmännersteins aus dem Jahr 1480 (Nr.29) auf. Diese Entwicklung setzt sich in der späten gotischen Minuskel der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts fort. Die beiden Grabplatten Nr.48 und Nr.78 zeigen eine im Vergleich zu den Inschriften des 15. Jahrhunderts gedrängtere gotische Minuskel mit Ober- und Unterlängen und unter die Zeile reichendem Bogen des h. Versalien finden auch hier keine Verwendung.

Während das Material Stein dem Bildhauer von vornherein Beschränkungen bei der Ausführung der Buchstaben auferlegte, bot Metall seinem Bearbeiter größere Möglichkeiten zur ornamentalen Gestaltung. Dies gilt für die sehr sorgfältig ausgeführte gotische Minuskel auf dem um 1420 datierten Taufbecken der Kreuzkirche (Nr.14) ebenso wie für die Inschrift auf dem aus der Mitte des 15. Jahrhunderts stammenden Kelch der Marktkirche (Nr.27). Hier erscheinen schon früh gespaltene Oberlängen und Zierelemente wie Sporen und der Diagonalstrich durch das s.

Auch im 16. Jahrhundert finden sich noch Beispiele der gotischen Minuskel in Hannover. Bei dem überwiegenden Teil handelt es sich um Inschriften auf den Schwellbalken der Häuser. Hier wird die gotische Minuskel oft zusammen mit Kapitalis- oder Frakturversalien verwendet (Nr.61, 63, 65, 72), die den Schmuckcharakter der Inschrift verstärken. Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts wird die gotische Minuskel jedoch – wie auch die anderen Minuskelschriften – von der in Hannover übermächtigen Kapitalis in den Hintergrund gedrängt.

4.3. Späte gotische Minuskel, Fraktur und humanistische Minuskel

Unter den Hannoverschen Inschriften des 16. und 17. Jahrhunderts findet sich kaum eine Minuskelschrift, die nach den für das süddeutsche Material aufgestellten und heute noch allgemein zur Schriftcharakterisierung verwendeten Kriterien eindeutig als gotische Minuskel, Fraktur oder humanistische Minuskel beschrieben werden könnte. Dieses Problem norddeutscher Minuskelschriften wurde schon [Druckseite XXIX] am Beispiel des Osnabrücker Inschriftenmaterials ausführlicher behandelt.57) Der überwiegende Teil der Minuskelinschriften aus dieser Zeit zeigt eine gotische Minuskel, deren Frakturelemente vor allem die Versalien ausmachen. Daneben gibt es Frakturinschriften, die sich durch ihre Neigung zu gerundeten Buchstabenformen auszeichnen (Nr.148, 160, 224), und Schriftformen, in denen sich Frakturelemente mit denen der humanistischen Minuskel mischen. In letzterem Fall kann man sich für die eine oder andere Benennung nur nach den jeweils überwiegenden Elementen entscheiden. So wurden hier die Inschriften auf den Epitaphien Nr. 269 und 274 als humanistische Minuskeln bezeichnet, obwohl keine nach strengen Kriterien die notwendigen Voraussetzungen erfüllt. Die Inschriften der beiden von Adam Stenelt stammenden Epitaphien heben sich vor allem durch ihre Neigung zur Kursive hervor. Besonders eigenwillig gestaltet und daher schon nicht mehr als humanistische Minuskel zu bezeichnen sind die beiden Inschriften des Epitaphs Nr.248. Hier zeigt sich ein spielerischer Umgang mit Buchstabenformen; Kapitalisbuchstaben werden an die Stelle von Minuskeln gesetzt, alle Buchstaben sind in ein Zweilinienschema eingefügt.

4.4. Kapitalis

Die seit der Mitte des 16. Jahrhundert in den Hannoverschen Inschriften vorherrschende Schrift ist die Renaissancekapitalis. Ihr Vorläufer, die frühhumanistische Kapitalis, fand in fünf Inschriften Verwendung, die im Fall zweier Geschütze von 1530 und 1536 (Nr.58, 66) allerdings nur in einer Zeichnung Redeckers überliefert sind. In gemalter Ausführung findet sich die frühhumanistische Kapitalis auf dem Altar der Kreuzkirche (Nr.50) und auf einer Altartafel (Nr.51), die beide auf die Zeit um 1515 datiert werden. Eine frühhumanistische Kapitalis in Metall zeigt der Kelch der Neustädter St.Johanniskirche aus dem Jahr 1536 (Nr.64). Kennzeichen der genannten Inschriften sind epsilonförmige E, Ausbuchtungen vor allem am Querbalken des H und retrograde Buchstaben, die in der Inschrift des Kelches besonders häufig Verwendung finden.

Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts gewinnt die Renaissancekapitalis mehr und mehr an Bedeutung. Sowohl für Grab- als auch für Hausinschriften wird sie zur beliebtesten Schriftform, die ohne Unterschied in Metall, Holz und Stein, für lateinische und deutsche Inschriften, Bibelzitate, Sentenzen und Grabschriften Verwendung findet. Von klassischen Proportionen sind die hannoverschen Kapitalisinschriften zumeist weit entfernt. Die Buchstaben sind eher schlank, O nur in seltenen Fällen kreisrund, M zumeist konisch mit kurzem Mittelteil, R und K weisen häufig konvex gebogene Cauden auf, manchmal wird die Cauda des R bis unter die Zeile gezogen. Sehr gebräuchlich sind Ligaturen von zwei oder auch drei Buchstaben. Die Kapitalisinschriften sind durchgehend erhaben ausgeführt. Die Hausinschriften in Kapitalis weisen häufig nur geringe Spatien zwischen den einzelnen Wörtern auf; in einigen Fällen sind die Wortbegrenzungen nur durch zwischen die Buchstaben gedrängte Worttrenner markiert.

Eine wirkliche Schriftentwicklung der Kapitalis innerhalb der Zeit von 1550–1650 läßt sich am Hannoverschen Inschriftenmaterial nicht beobachten. Als Anhaltspunkte für eine Datierung können lediglich die Buchstaben M und U/V dienen. Während im 16. Jahrhundert das M mit schräg ausgestellten Hasten überwiegt, tritt das M mit senkrechten Hasten – manchmal mit bis auf die Linie herabgezogenem Mittelteil – verstärkt erst im 17. Jahrhundert auf. Allerdings läßt sich hier nur jeweils eine Tendenz zur Verwendung der einen oder anderen Form konstatieren. Ein eindeutigeres Kriterium für die Datierung bietet die Verwendung von U oder V für vokalisches u. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ist in den Inschriften ausnahmslos V-Schreibung durchgehalten; erste Beispiele für den Wechsel von U- und V-Schreibung – auch innerhalb einer Inschrift – finden sich Anfang des 17. Jahrhunderts (Nr.248, 253, 258). Während die U-Schreibung besonders auf Grabdenkmälern zur Jahrhundertmitte hin immer üblicher wird, hält man in den Hausinschriften auch weiterhin an der V-Schreibung fest.

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Der große Bestand an in Stein ausgeführten Kapitalisinschriften innerhalb des Hannoverschen Materials legt den Gedanken nahe, die hier vorkommenden Ausprägungen dieser Schriftform unter dem Gesichtspunkt der einzelnen Bildhauerwerkstätten zu untersuchen. Als Grundlage hierfür kann die Arbeit [Druckseite XXX] von Schuchhardt58) über die Hannoverschen Bildhauer der Renaissance dienen, die von Leonhardt59) und Zimmermann60) zwar in Einzelheiten ergänzt und richtiggestellt wurde, in ihren wesentlichen Ergebnissen aber heute noch gültig ist.

Die Hannoverschen Grabdenkmäler der Renaissance wurden zum größten Teil von in der Stadt ansässigen Bildhauern angefertigt; die einzigen bekannten Ausnahmen sind die Epitaphien für Joachim und Dietrich von Anderten (Nr.269, 274), die von dem Osnabrücker Bildhauer Adam Stenelt stammen. Nicht alle in Hannover tätigen Bildhauer sind als Bürgersöhne geboren worden; sie erwarben jedoch das Bürgerrecht und ließen sich in der Stadt nieder. Es bildeten sich nicht selten verwandtschaftliche Beziehungen der Bildhauerfamilien untereinander.61) Die Qualität der Hannoverschen Werkstätten ist allgemein als durchschnittlich zu bezeichnen; lediglich die von Jeremias Sutel und Ludolf Witte gefertigten Denkmäler zeichnen sich durch eine höhere Qualität vor allem in ihren figürlichen Darstellungen aus.

Im folgenden werden – in Anlehnung an Schuchhardt – die einzelnen Bildhauer mit den ihnen zugeschriebenen Werken aufgeführt, die zum Inschriftenbestand der Stadt Hannover gehören. Das Augenmerk gilt dabei den verschiedenen Ausprägungen von Kapitalisinschriften und der Frage, ob sich für einzelne Werkstätten die Verwendung besonderer Schriftformen nachweisen läßt. Zugleich soll auch überprüft werden, inwieweit die von Schuchhardt getroffenen Zuordnungen im Widerspruch zur Ausführung der Inschriften auf den betreffenden Stücken stehen. Dabei kann allerdings lediglich die Qualität der Schrift von Bedeutung sein, da es jedem Bildhauer freistand, dieselbe Schriftform von Mal zu Mal unterschiedlich zu gestalten.

M e i s t e r  H F62): Neben dem signierten Epitaph Nr.114 hält Schuchhardt eine Zuschreibung von Nr.126 zumindest für erwägenswert. Die Inschriften dieser beiden Stücke weisen keinerlei Ähnlichkeit auf; sie scheinen vielmehr eine Zuordnung zu einem Bildhauer zu widerlegen, da die eine recht roh (Nr.114), die andere hingegen ausgesprochen sorgfältig (Nr.126) ausgeführt ist.

A r n d  S i e m e r d i n g 63): Schuchhardt schreibt ihm zu Nr.109 (signiert), 118, 122, 138. Zimmermann hat darauf hingewiesen, daß Arnd Siemerding 1565 starb und daher für die beiden letzten Grabdenkmäler, deren Schrift nicht überprüft werden konnte, als Bildhauer nicht mehr in Betracht kommt. Ein Vergleich im Hinblick auf die Inschriften ergibt, daß die beiden erstgenannten Stücke zweifelsfrei von demselben Künstler stammen. Auffällig ist die unten besonders breite Cauda des R, der schräg nach rechts unten verlaufende Querbalken des A und der breite Abschlußstrich am Mittelbalken des E.

H a n s N o t t e l m a n n 64): Schuchhardt schreibt ihm zu Nr.134, 136, 161, 162, 171, 175, 179. Ein Vergleich der Inschriften ergibt, daß alle ein R mit einer stark gekrümmten, unten in einem Aufschwung auslaufenden Cauda und ein ähnlich gestaltetes K aufweisen. Auffällig ist auch die in den Inschriften Nr.161, 162, 171 und 179 vorkommende Ziffer 1 mit unten nach links angesetztem Sporn. Dieselbe 1 weist auch die Bauinschrift der Klickmühle (Nr.258) auf, für die Leonhardt65) Hans Nottelmann d.J. als Meister ermittelte. Die R und K sind hier jedoch mit ihren bis unter die Zeile reichenden Cauden volkommen anders gestaltet, als auf den Hans Nottelmann d.Ä. zugeschriebenen Stücken.

M e i s t e r  M H F: Schuchhardt ordnet ihm zu Nr.172, 191, 198, 230, 237, 238, 240, 248 (signiert). Die Zuschreibung dieser Denkmäler an einen Meister erscheint nicht nur im Hinblick auf stilistische Merkmale unsicher, sondern auch im Hinblick auf die Inschriften, die sowohl in den Schriftarten als auch in der Ausführung der Kapitalisinschriften stark differieren.

[Druckseite XXXI]J e r e m i a s  S u t e l: Schuchhardt schreibt ihm zu Nr.258, 263, 276, 298 (signiert). Leonhardt hat bereits die Klickmühlentafel (Nr.258) als Werk Hans Nottelmanns d.J. nachgewiesen (s.o.). Sie hebt sich auch durch ihre Schrift deutlich von den drei anderen Stücken ab, die zuwenig charakteristische Merkmale aufweisen, um als Beweis für eine Zuordnung oder Nichtzuordnung herzuhalten.

L u d o l f  W i t t e: Neben den signierten Reliefs (Nr.82, 332) und Grabdenkmälern (Nr.299, 319) schreibt ihm Schuchhardt eine Grabplatte (Nr.326) und ein Epitaph (Nr.354) zu. Die Inschriften der von Witte signierten und der ihm zugeordneten Stücke weisen keine gravierenden Ähnlichkeiten auf.

L u d o l f  F i e n e 65): Dem Meister, den Schuchhardt „Meister des Hermann Bartels“ nennt und der aufgrund der Signatur am Westenholz-Epitaph (Nr.321) eindeutig als Ludolf Fiene zu identifizieren ist, schreibt Schuchhardt zu Nr.309, 321, 331, 336, 349, 352, 356. Vor allem die Inschriften Nr.309, 349 und 356 zeichnen sich durch die Breite ihrer Hasten und Bögen aus, die der Schrift ein gedrungenes Aussehen verleihen. Die Schriftform der genannten Stücke ist jedoch weniger charakteristisch als ein anderes, von Schuchhardt nicht erwähntes Merkmal, das alle genannten Grabdenkmälern aufweisen: Alle Dargestellten tragen die gleichen klobigen, runden Schuhe mit äußerst sorgfältig modellierten Schuhbändern.

Der Vergleich der Ausführung von Kapitalisinschriften auf den Werken der Hannoverschen Bildhauer der Renaissance zeigt – zumindest für diesen Bestand –, daß von der jeweiligen Gestaltung einer Schriftform nur in den seltensten Fällen Rückschlüsse auf den Bildhauer gezogen werden können und dies auch nur dann, wenn weitere stilistische Merkmale hinzukommen. Vor allem am Beispiel Ludolf Wittes, dessen signierte Werke eine vollkommen unterschiedliche Ausführung der Kapitalisinschriften aufweisen, wird deutlich, daß sich ein Bildhauer der unterschiedlichsten Formen einer Schriftart bedienen konnte.

Zitationshinweis:

DI 36, Stadt Hannover, Einleitung (Sabine Wehking), in: inschriften.net,   urn:nbn:de:0238-di036g006e009.

  1. Dieses Kapitel gründet sich in erster Linie auf: Geschichte der Stadt Hannover, hg. v. Klaus Mlynek u. Waldemar Röhrbein. Bd.1, Von den Anfängen bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, Hannover 1992. Daneben basiert es auf Einzeluntersuchungen, die vor allem in den Hannoverschen Geschichtsblättern erschienen sind, sowie auf den älteren Darstellungen von Otto Jürgens (Aus der Vergangenheit der Stadt Hannover. In: HG 31, 1928, S.1–246.), R. Hartmann (Geschichte der Residenzstadt Hannover von den ältesten Zeiten bis in die Gegenwart, Hannover 1880.) und Arnold Nöldeke (Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover I, Regierungsbezirk Hannover. Teil I: Denkmäler des alten Stadtgebietes, Hannover 1932.). »
  2. Zum folgenden vgl. Helmut Plath, Das Datum der 750-Jahr-Feier der Stadt Hannover und seine Probleme. In: HG NF 44, 1990, S.1–11. »
  3. Helmuth Plath, Die Frühgeschichte. In: Geschichte der Stadt Hannover, hg. v. Klaus Mlynek u. Waldemar Röhrbein. Bd.1, Von den Anfängen bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, Hannover 1992, S.15–66, hier S.27. »
  4. HUB, Nr.10, S.8f.: 1238 wird ein Warmannus als Geistlicher an der Kirche Beati Georgii erwähnt. »
  5. Helmut Plath, Die Ausgrabungen in der Ägidienkirche zu Hannover. In: HG NF 6, 1953, S.1–86, hier S.55. »
  6. Helmut Plath, Zur Baugeschichte des Minoritenklosters an der Leinstraße in Hannover. In: HG NF 9, 1956, Sonderheft Leineschloß, S.1–18. »
  7. Helmut Plath, Zur Baugeschichte der Nicolaikapelle. In: HG NF 11, 1959, S.381–393. »
  8. Plath, Frühgeschichte, S.34. »
  9. Vgl. hierzu Siegfried Müller, Stadt, Kirche und Reformation – Das Beispiel der Landstadt Hannover. Hannover 1987. »
  10. Vgl. u.a. J.A. Strubberg (Kurtze Nachricht von denen Evangelischen Predigern, Hannover 1731) und die chronikalische Überlieferung. »
  11. Hektor Wilhelm Heinrich Mithoff, Archiv für Niedersachsens Kunstgeschichte. Erste Abteilung, Hannover 1849. »
  12. Vgl. das Vorwort in Hektor Wilhelm Heinrich Mithoff, Kunstdenkmale und Alterthümer im Hannoverschen, Bd.I: Fürstentum Calenberg, Hannover 1871, S.IV. »
  13. Stadtarchiv Hannover (im folgenden zitiert als StaH), B 8278, und Landesbibliothek Hannover, Hs. XXIII 694. »
  14. David Meier, Kurtzgefaste Nachricht von der christlichen Reformation in Kirchen und Schulen der Alten=Stadt Hannover, hg.v. J.A. Strubberg, Hannover 1731. »
  15. In einem Fall (Nr.274) wird das Regest jedoch anstelle einer sonst nicht überlieferten, auf einer Photographie aber andeutungsweise zu erkennenden Inschrift wiedergegeben. Abgesehen davon gibt es noch Regesten für zwei weitere Grabdenkmäler der Marktkirche, die in den Berichtszeitraum fallen. Sie lauten: »
  16. HG 8, 1905, S.1–39. »
  17. Durchgesehen wurden die in Hannover befindlichen Handschriften, die den Text der Hannoverschen Chronik oder einzelne, zu einem Konvolut zusammengefaßte Bestandteile enthalten: StaH, B 8041, B 8050, B 8061, B 8077, B 8078, B 8085; sowie Landesbibliothek Hannover, Hs. XXIII 691, 692, 693, 693a, 694. Da diese, wenn überhaupt Inschriften überliefert werden, in deren Auswahl weitgehend übereinstimmen und keine Inschriften aufweisen, die nicht auch andernorts verzeichnet sind, wurde auf eine Recherche nach weiteren Exemplaren in anderen Bibliotheken und Archiven verzichtet. »
  18. Zur Entstehung der Hannoverschen Chronik vgl. die Einleitung von Otto Jürgens zu seiner Ausgabe: Hannoversche Chronik, Hannover 1907. Veröffentlichungen zur niedersächsischen Geschichte 6. »
  19. So in den Exemplaren der Landesbibliothek Hannover, Hs. XXIII 692 und 693. »
  20. Als Autor galt bis zur Klärung der Sachlage durch Jürgens (Chronik, S.VIIIf.) Christian Ludwig Kotzebue. »
  21. Handschriftliche Ergänzungen finden sich sowohl in dem Exemplar der Landesbibliothek Hannover, Hs. XXIII 692, als auch im Exemplar der SuUB Göttingen auf den Seiten 65–80. »
  22. StaH, B 8287 und 8288. »
  23. StaH, B 8179, B 8180, B 8181. »
  24. StaH, B 8079. »
  25. Die Handschrift gehörte zu den Beständen des Staatsarchivs Hannover (Hs. C38). »
  26. StaH, NL Wüstefeld, Alte Abt. R XI. »
  27. Mithoff, Archiv, wie Anm.14. »
  28. Mithoff, Kunstdenkmale, S.63–97. »
  29. Arnold Nöldeke, Die Kunstdenkmale der Stadt Hannover, 1.Teil: Denkmäler des „alten“ Stadtgebietes Hannover. Hannover 1932 (Reprint Osnabrück 1979). »
  30. Carl Schuchhardt, Die Hannoverschen Bildhauer der Renaissance. Hannover 1909. »
  31. Karl Friedrich Leonhardt, Straßen und Häuser im alten Hannover. In: HG 27, 1924, S.22–139, u. 29, 1926, S.1–128. »
  32. StaH, B 8240 u. B 8238. »
  33. Karl Scheibe, Hausinschriften aus der Altstadt Hannover. In: Niedersachsen 12, 1906/7, S.4–7. »
  34. Hans Mahrenholtz, Die Grabsteininschriften des hannoverschen Nicolai-Friedhofes. In: HG 9, 1955, S.1–125. »
  35. Es handelt sich um die Häuser Burgstr.12 (Nr.116), Kramerstr.8 (Nr.294) und 16 (Nr.295) sowie Knochenhauerstr.26/27 (Nr.346). »
  36. Dazu Nöldeke, Kunstdenkmäler I, S.446–449. »
  37. Vgl. dazu Otto Winkelmüller, Steinmetz- und Meisterzeichen. In: HG 32, 1929, S.1–68, und Nöldeke I, S.439–444. »
  38. Vgl. DI XXVI (Osnabrück), S.XXIII, DI XXXV (Braunschweig I), S.XL u. DI LVI (Braunschweig II), S.XXXII»
  39. Vgl. Register 5. »
  40. Die Differenz zwischen den oben genannten 118 Grabdenkmälern und den 117 Grabinschriften erklärt sich dadurch, daß es sich bei Nr.160 um zwei Totenschilde handelt, auf denen sich die Inschrift vom einen zum anderen Schild fortsetzt. »
  41. LkA, Marktkirche, HS Nr.1. »
  42. Zum folgenden StaH, A 3703. »
  43. Vgl. Herbert Mundhenke, Hospital und Stift St. Nicolai zu Hannover. In: HG 11, 1958, S.221–230. »
  44. Zit. nach: Karl Scheibe, Die Marktkirche zu Hannover – Ihre Beschreibung und Geschichte. Hannover 1909, S.100. »
  45. Mit großem Vorbehalt wurde die Entscheidung Grabplatte oder Epitaph in den folgenden Fällen getroffen: Nr.101, 118, 125, 136, 162, 191, 198, 309»
  46. Vor allem bei der Überlieferung durch Ising besteht dieser Verdacht wohl zu Recht, wie die Grabinschrift für Heinrich Klaue (Nr.293) zeigt. »
  47. Auf einige Besonderheiten des Niederdeutschen in den Inschriften sei ausdrücklich hingewiesen: z anstelle von s (zele, Nr.11, 61); die Metathese des r (Nr.61, 93: fruchten – fürchten); Einheitsplural im Indikativ Praesens (Nr.92: buwet); die Verwendung von wol für ‚wer‘ (Nr.61: WOL GODT VORTRUWET; vgl. u.a. Nr.71, 72, 107) und deme als Pronomen im Dativ Plural (Nr.65, 92). »
  48. Kopial überlieferte Inschriften, deren Text offenbar normalisiert wurde, sind hier nicht berücksichtigt. »
  49. Vgl. Stellmacher, Niederdeutsche Sprache, S.70. Im Raum, der westlich noch Göttingen, Hannover und Lüneburg einbezog, hatte sich das Hochdeutsche lediglich für den auswärtigen Kanzleiverkehr bis zum Jahr 1570 als die übliche Sprache durchgesetzt. »
  50. Vgl. Lasch, § 401. »
  51. Vgl. Lasch, § 290, Anm.2. »
  52. Ein ähnlicher Fall (Nr.122) ist möglicherweise darauf zurückzuführen, daß das hochdeutsche Bibelzitat ein Nachtrag aus jüngerer Zeit ist. »
  53. Vgl. Stellmacher, Niederdeutsche Sprache, S.74f. Stellmacher konstatiert im Hinblick auf theologische Drucke für den Zeitraum von 1550 bis 1630 einen deutlichen Rückgang der Zahl niederdeutscher Drucke. »
  54. Stellmacher, Niederdeutsche Sprache, S.76. »
  55. Angeführt sind hier nur nach dem Original oder nach Photographie gelesene Inschriften. Auch die kopial überlieferten Inschriften bieten eine Reihe von Beispielen dieser Art; vgl. u.a. Nr.32B LEBENDLEVENDE, ZVMTO, Nr.252 BLEIBET / BEIWILE / DIN. »
  56. Vgl. Anm.50. »
  57. DI XXVI (Osnabrück), S.XXIX»
  58. Schuchhardt, Bildhauer, passim »
  59. Karl Friedrich Leonhardt, Die Herkunft der hannoverschen Bildhauerschule um Siemerding und Köster. In: HG 32, 1929, S.69–86. Ders., Nachträgliches zur Geschichte der hannoverschen Bildhauer- und Steinmetzkunst. In: HG NF 1, 1930/31, S.215–221. »
  60. Helmut Zimmermann, Hannoversche Bildhauer zwischen 1550 und 1750. In: HG NF 12, 1959, S.261–358. »
  61. Vgl. Zimmermann, Bildhauer. »
  62. Nach Zimmermann, Bildhauer, S.278, könnte es sich um den Gehilfen Arnd Siemerdings, Hinrick Frederichs, gehandelt haben. »
  63. Die Identifizierung des Meisters AS als Arnd Siemerding stammt von Leonhardt (Nachträgliches zur Geschichte der hannoverschen Bildhauer- und Steinmetzkunst. In: HG NF 1, 1930/31, S.215–221.) Zu Siemerding vgl. a. Nr.106. »
  64. Die Identifizierung des Meisters HN, dessen Signatur sich auf eine, ebenfalls dieser Denkmälergruppe zugeordneten Tafel an der Schule in Bissendorf befindet, stammt von Leonhardt. Die Inschrift der Tafel unterscheidet sich insofern von den anderen Inschriften, als in ihr runde U auftreten. Dies ließe sich allerdings dadurch erklären, daß es sich bei der Tafel aus dem Jahr 1603 um das späteste bekannte Werk des Bildhauers handelt. Die bei Schuchhardt noch aufgeführte Grabplatte aus dem Jahr 1616 kann nicht Nottelmann zugeschrieben werden, da er 1614 starb (Leonhardt, Bildhauerschule, S.81). »
  65. Die Identifizierung des Meisters LF bei Otto Winkelmüller, Steinmetz- und Meisterzeichen. In: HG 32, 1929, S.43. »