Inschriftenkatalog: Stadt Hameln

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 28: Hameln (1989)

Nr. 108 Am Markt 7 1607

Beschreibung

Hausinschriften am sogenannten Dempterhaus. Das giebelständige Haus ist dreigeschossig und hat zwei Dachgeschosse. Die beiden unteren Stockwerke sind in Hausteinen, das dritte und die Dachgeschosse in Fachwerk ausgeführt. Auf der linken Seite befindet sich eine zweigeschossige Utlucht, deren Bekrönung bis zum Dachgeschoß reicht. Die Fassade des Dempterhauses ist detailreich gestaltet. Durch die regelmäßig alternierende Folge von Rauh- und Glattbändern wird die Horizontale betont, an den Unterkanten der Bänder jeweils Zahnschnittleisten. Am Fachwerk Schnitzornamente im Beschlagwerkstil. Das Rundbogenportal ist mit einem Löwenkopf-Schlußstein und floralen Ornamenten verziert, darüber im Fries die Inschrift A, erhaben ausgeführt auf einem mit Rollwerk umrahmten Inschriftenstein. Links und rechts der Inschrift zwei Wappen, das linke mit Monogramm B. Meissel weist noch auf Steinmetzzeichen hin (vgl. Anhang 2, M 5–6), sagt aber nichts über deren Anbringungsort1). Im Gegensatz zur Fassade des Hauptgebäudes weist die Utlucht2) auch Längsgliederung auf. Beide Geschosse der Lucht mit je vier Pilastern auf Sockeln, die an der Basis mit Maskenköpfen verziert sind. Im unteren Geschoß haben die Pilaster ionische Kapitelle, im oberen korinthische. Die Quergliederung wird durch drei Steinbänder erreicht, die Ornamente im Beschlagwerkstil und Löwenköpfe aufweisen. Zwischen den Geschossen drei ornamentierte Brüstungsquader. In der Bekrönung der Lucht befindet sich in einer Nische eine Demeterfigur, rechts und links davon Pilaster. Am Gesims der Nische Jahreszahl C, erhaben ausgeführt, darüber Giebel mit Tierkopf, darüber ein Maskenkopf auf einem Sockel. Rechts und links an den Kanten der Nischen Voluten und je ein Obelisk auf einem Sockel.

Im Jahr 1607 wurde das ehemallige gotische Steinhaus3) zu einem kombinierten Stein-Fachwerk-Haus umgestaltet, im darauffolgenden Jahr die Utlucht an die Fassade angebaut. Der Baumeister ist nicht bekannt. Die farbliche Gestaltung der Fassade ist in den letzten Jahrhunderten mehrfach verändert worden, Reste der alten Polychromierung sind nachzuweisen4).

Maße: L.: ca. 200 cm; B.: ca. 50 cm; Bu.: ca. 6–7 cm.

Schriftart(en): Kapitalis (A).

Julia Zech [1/2]

  1. A

    ANNO 1607a) / INVIDIA FORTVNAE / · COMES · /5) TOBIAS · V(ON) · DEMPTER · ET · ANNA / BOCKS · ME · FIERI CVR ARVNTb)

  2. B

    T(OBIAS) · V(ON) D(EMPTER)

  3. C

    1 · 60 · 8

Übersetzung:

Der Neid ist Begleiter des Glücks. Tobias von Dempter und Anna Bocks ließen mich erbauen.

Wappen:
von Dempter(Hausmarke6) überhöht von zwei aufrechten Blüten, deren Stielenden um einen Ast gewunden sind)
Bock(über grünem Grund links Baum, rechts steigender Bock)

Kommentar

Tobias von Dempter7) wurde am 15. 6. 1583 in Hildesheim als Sohn des Kaufmanns Heinrich von Dempter und dessen Frau Adelheid geb. Töteling geboren. Die Dempter – der Name hat seinen Ursprung im niederländischen Ortsnamen Deventer – sind vor der Gewaltherrschaft Herzog Albas aus den Niederlanden geflohen. Im Alter von neun Jahren kam Tobias von Dempter nach Hameln, um bei dem Pastor und Superintendenten an St. Nicolai Heinrich Reinfisch Privatunterricht zu nehmen. Er besuchte im Anschluss daran Schulen in Hannover und Lemgo. Im Jahr 1601 bezog er die Universität Marburg, wo er neben den exercitiis Philosophicis die fundamenta Jurisprudentiae studierte. Er setzte sein Studium in Wittenberg und Leipzig fort8), hat aber offenbar keinen akademischen Grad erworben. Im Jahr 1606 heiratete er Anna Bock, die Tochter des Hamelner Superintendenten Magister Johannes Bock. Mit dieser Eheschließung gelang ihm die gesellschaftliche Etablierung in Hameln. Er bezog das Haus seines Schwiegervaters Am Markt 7, das er im Jahr 1607 umzubauen begann.

Tobias von Dempter war Kaufmann und betrieb zudem eine Essigfabrikation9). Bald nach 1612 wurde er in den Rat gewählt und bekleidete 1629 zum ersten Mal das Bürgermeisteramt, das er insgesamt mehr als 15 Jahre innehatte. Besondere Verdienste hat er sich während der Belagerung durch kaiserliche Truppen im 30jährigen Krieg um die Stadt Hameln erworben, als er zusammen mit seinem Amtskollegen Gerhard Reiche und dem Kanzler Justus Kiepe durch kluge politische Verhandlungen Unheil von der Stadt abwenden konnte10). Dempter starb am 24. März des Jahres 1657 und wurde am 9. April in der Marktkirche St. Nicolai begraben. Er hatte dieser Gemeinde 1651 eine Orgel gestiftet11).

Textkritischer Apparat

  1. 1607] 1808 Rothert.
  2. CVRARVNT] curarant Ostermeyer. – Im Gegensatz zum ersten V ist das zweite eingeritzt und nicht vergoldet. Wahrscheinlich ist der Buchstabe bei der Anbringung der Inschrift zunächst vergessen und nachträglich durch Einritzen eingefügt worden.

Anmerkungen

  1. Vgl. Meissel, Inschriften, S. 45.
  2. Zeichnung und Beschreibung der Utlucht bei Neukirch, S. 103 ff.
  3. Vgl. Heinrich Spanuth, Hamelner Gotik. In: Klüt 1949, S. 61. – HUB I, 654 erwähnt dieses Haus oder einen Vorgängerbau bereits für das Jahr 1382.
  4. Vgl. Bühring, S. 200.
  5. Vgl. Walther, Proverbia, Bd. VIII, Nr. 37658.
  6. Vgl. Anhang 1, H 9.
  7. Alle biographischen Angaben sind, soweit nicht anders vermerkt, auf der Grundlage der von Magister Heinrich Sannemann gehaltenen Leichenpredigt zusammengestellt, vgl. Leichenpredigt auf Tobias von Dempter, 24. 3. 1657, Rinteln o. J. (SuUB Göttingen: 4° Conc. fun. II. 69).
  8. Matrikel Marburg, S. 137 (10. Jan. 1601). – Die Matrikel Wittenberg N. R. 1 verzeichnet ihn unter dem 22. Januar 1603. – Die Leipziger Matrikel verzeichnet seinen Namen nicht.
  9. Neukirch, S. 104.
  10. Sta Hameln, Alt-Hamelner Familien ‚Bock‘.
  11. 2Sprenger, S. 210.

Nachweise

  1. Ortwein, Heft 1, Blatt 6 (A), Heft 3, Blatt 2 (Nachzeichnung von Fassade und Erker).
  2. Mithoff, Kunstdenkmale, S. 60 (A).
  3. Rothert, S. 8 (A bis COMES).
  4. Meissel, Inschriften, S. 45.
  5. Annemarie Ostermeyer, Tobias von Dempter ließ mich erbauen. In: Jahrbuch 1970, S. 21 f. (Abb.).
  6. Kreft/Soenke, S. 60 (Abb.).

Zitierhinweis:
DI 28, Hameln, Nr. 108 (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di028g004k0010807.