Inschriftenkatalog: Stadt Hameln
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 28: Hameln (1989)
Nr. 106† Museum nach 1600
Beschreibung
Epitaph des Thiele Römer und seiner Familie, sogenannter ‚Siebenlinge-Stein‘. Kalksandstein. Das Epitaph befand sich ehemals an der Südwand des Münsterkirchhofs1). Erhalten ist nur der Bildteil, die ursprüngliche Grabschrift fehlt. An ihre Stelle ist im Jahr 1818 bei der Anbringung des Steins am Haus Osterstr. 3 – dem ehemaligen Wohnhaus der Familie Römer (vgl. Nr. 98) – eine neue Inschriftentafel gesetzt worden. Der Bildteil zeigt die Familie in Bethaltung unter dem Kreuz mit Titulus A. Links der Vater mit zwei erwachsenen Söhnen und einem Wickelkind, rechts die Mutter mit drei Töchtern und sechs Wickelkindern, davon vier und zwei jeweils gleich groß. Links des Kreuzes eine Hausmarke, vgl. Anhang 1, H 12, rechts ein Wappen. Das Original des Bildteils wurde mit der Inschrift von 1818 nach 1945 ins Museum gebracht, eine ältere Kopie befindet sich ebenfalls dort, eine neue an der Marktkirche St. Nicolai.
Die ursprünglich auf dem Epitaph befindliche Grabschrift B ist nicht in den beiden vollständigen Abschriften der Collectanea des Magisters Herrs enthalten2). Sie ist aber in der im Archiv der Münsterkirche aufbewahrten Teilhandschrift der Collectanea (Herr 4)3) sowie in unpublizierten Aufzeichnungen Heinrich Spanuths4) überliefert, die beide auf das verlorengegangene Original der Collectanea zurückgehen. Das Fehlen der Grabschrift in den beiden Handschriften ist darauf zurückzuführen, daß sie im Original auf einem nachträglich eingeklebten Einzelblatt außerhalb des fortlaufenden Texts wiedergegeben war und bei der Anfertigung der Abschriften Herr 1 und 2 ausgelassen wurde. Die Wiedergabe im Original geht offenbar auf einen Zeichner zurück und ist von Herr – nach Angaben Spanuths – nachträglich korrigiert worden. Spanuth teilt in seiner Überlieferung diese Korrekturen Herrs mit, vgl. Fußnoten a–f. In der Handschrift Herr 4 ist der Text – wahrscheinlich wie im Original – innerhalb einer Zeichnung überliefert. Da der Text in der Zeichnung aus Platzgründen unvollständig wiedergegeben ist, zitiere ich die Inschrift nach Spanuth.
Inschrift B nach Spanuth.
Maße: H.: 116 cm; B.: 88 cm; Bu.: 3 cm (A)5).
Schriftart(en): Kapitalis (A).
- A
INRI6)
- B
Alhier ein Bürgera) Thiele Römer genantSeine Hauss Frau Anna Breyers wohlbekanntAls man zählte 1600b) Jahrden neuntenc) Januarii des Morgens 3 Uhr ward)von ihm Zwey Knäbelein und zwey MägdleinAuf eine Zeit gebohren seynHaben auch die Heilige Tauf erworbenFolgends auche) umf) 12 Uhr seelig gestorbenGott wolle ihnen geben die Seeligkeit,Die allen Gläubigen ist bereitg)
Breyer | (Schild quergeteilt unten zwei Pfähle, oben zwei Hundeköpfe balkenweise angeordnet) |
Textkritischer Apparat
- Spanuth beschreibt den handschriftlichen Befund in den Collectanea Herrs folgendermaßen: Nach Bürger hat Herr das Wort zu gestrichen und darüber den Vornamen Thiele gesetzt.
- 1600] Herr hat die ursprüngliche 1700 in 1600 korrigiert.
- Zwischen neunten und Januarii war des mahndes gestrichen.
- des Morgens 3 Uhr war] Von Herr in die Abschrift eingefügt.
- auch] In der Abschrift durchgestrichen.
- Aus einem unleserlichen Wort von Herr hergestellt.
- Die . . . bereit] Fehlt Herr 4.
Anmerkungen
- Vgl. Herr, S. 176.
- Im älteren, zweibändigen Exemplar der beiden Abschriften (Herr 1) ist eine Lücke gelassen, im jüngeren ehemals Pflümerschen Exemplar (Herr 2) ist ein Photo eingeklebt, das den Stein mit der neuen Inschrift am Haus Osterstr. 3 zeigt.
- Vgl. Münsterkirche St. Bonifatii, Archiv, Bon. A. 110.
- Heinrich Spanuth, Die Überlieferung von den Hamelner Siebenlingen. Unpublizierte Arbeit im Museum Hameln.
- Die Maße beziehen sich auf den erhaltenen Bildteil.
- Io. 19, 19.
Nachweise
- Spanuth (wie Anm. 4).
- Abb. des Bildteils im Kat. Stadt im Wandel, Bd. 1, S. 380f., Nr. 303.
Zitierhinweis:
DI 28, Hameln, Nr. 106† (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di028g004k0010603.
Seit dem 19. Jahrhundert ist für dieses Epitaph die Bezeichnung ‚Siebenlinge-Stein‘ im Gebrauch. Grund für diese Benennung war die Darstellung von sieben Wickelkindern im Bildteil, die zu der Annahme geführt hat, in der Familie des Thiele Römer seien um 1600 Siebenlinge geboren. Diese Annahme hat im Jahr 1818 zu der Anbringung einer neuen Inschriftentafel durch den Hamelner Gerichtsschreiber Hoppe geführt:
ALHIER EIN BÜRGER THIELE RÖMER GENANNT SEINE HAUSFRAU ANNA BREŸERS WOHLBEKANNT ALS MANN ZAEHLTE 1600 IAHR DEN 9TEN IANUARIUS DES MORGENS 3 UHR WAR VON IHR ZWEY KNÄBELEIN UND FÜNF MAEDELEIN AUF EINE ZEIT GEBOHREN SEYN HABEN AUCH DIE HEILIGEN TAUF ERWORBEN FOLGENDS DEN 20TEN 12 UHR SEELIG GESTORBEN GOTT WOLLE IHN GEBEN DIE SAELLIGKEIT DIE ALLEN GLAEUBIGEN IST BEREIT OBIGES ORIGINAL=DENKMAL HAT DURCH DIE GÜTE / DES HERRN BÜRGERMEISTER DOMEIER DER IETZIGE / BESITZER DIESES DAMAHLS RÖMERSCHEN HAUSES / GERICHTSSCHREIBER HOPPE WIEDER ERHALTEN / UND AUFGESTELLET IM IAHRE 1818
Der auf dieser Tafel angebrachte Text folgt nahezu wörtlich der in Herr 4 überlieferten originalen Inschrift. Lediglich an einer entscheidenden Stelle hat Gerichtsschreiber Hoppe in den Wortlaut eingegriffen: Statt zwey Knäbelein und zwey Mägdlein nennt die neu gefertigte Inschrift zwey Knäbelein und fünf Mädelein, damit waren aus den Vierlingen Siebenlinge geworden! Die Hintergründe für diese Textveränderung lassen sich nicht mehr rekonstruieren. Denkbar ist, daß die neue Inschrift hinsichtlich der Kinderzahl der Darstellung im Bildteil angepaßt werden sollte. Während die originale Inschrift von vier Kindern spricht, im Bildteil aber sieben Säuglinge abgebildet sind, ist in der Neufassung die Zahl in Text und Bild gleich. Da nicht bekannt ist, wann die originale Inschriftentafel vom Bildteil getrennt wurde, läßt sich nicht entscheiden, ob 1818 eine bewußte Änderung gegen die (noch vorhandene ?) originale Überlieferung vorgenommen wurde, oder ob die neue Tafel eine bereits seit längerem umlaufende vom isolierten Bildteil ausgehende Sagentradition festhält. Offenbleiben muß ebenfalls, ob die von Herr aufgezeichnete Grabschrift die einzige auf dem Epitaph des Thiele Römer gewesen ist, oder ob es noch weitere zur Zeit Herrs bereits zerstörte Grabschriften für die übrigen Familienangehörigen gegeben hat. Außerhalb der inschriftlichen Überlieferung läßt sich die spektakuläre Mehrlingsgeburt nicht nachweisen, da die Kirchenbücher nicht bis 1600 zurückreichen. In den Stadtchroniken hat das Ereignis keinen Niederschlag gefunden. Näheres zur Biographie des Thiele Römer siehe im Kommentar zu Nr. 98.