Inschriftenkatalog: Die Inschriften der Stadt Halle an der Saale

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 85: Halle/Saale (2012)

Nr. 527 Stadtmuseum 2. V./M. 17. Jh.

Beschreibung

Drei Porträts von Schöffen, Öl auf Leinwand, gerahmt, 1888 dem Städtischen Museum – heute Stiftung Moritzburg, Kunstmuseum – geschenkt und 1963 dem Stadtmuseum übereignet.1) Halbfigurbilder reifer Männer mit ähnlicher Barttracht und schulterlangem Haar;2) an den Ecken der Gemälde gebogene Rahmensegmente aufgemalt, auf denen Namensbeischriften stehen (A, B, C).3) Alle Schöffen sind mit dunklen Obergewändern und breiten, die ganze Schulter bedeckenden, weißen Kragen mit Spitzenbesatz bekleidet. Samuel Ritter trägt eine besonders kostbare, goldene Kette, die von seiner rechten Schulter über die Brust geführt ist. Daran ein hochovales Medaillon mit Rollwerkrahmung und drei Perlenanhängern (?), die das Profilbildnis einer Dame mit teilweise umlaufender Namensbeischrift (D) einfassen. Bruno Stisser und Friedrich Kühn schmücken sich mit bescheideneren Goldketten. Alle haben die rechte Hand erhoben. Stisser hat sie auf dem Leib abgestützt, Ritter hält ein Paar Handschuhe (?) und Kühn eine Tulpe, die teuerste Blume seiner Zeit. Die Gemälde stark nachgedunkelt und mehrfach restauriert, was die Lesung der Inschriften erschwert.

Maße: H.: 65,1–65,5 cm; B.: 51,3–51,5 cm; Bu.: 2–2,5 cm (A, B, C), 1,8–2 cm (A, C), 0,2 cm (D).

Schriftart(en): Kapitalis, Kleinbuchstaben mit Versalien (A, C).

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Markus Scholz) [1/2]

  1. A

    BRVNO // STISSER · D(OCTOR)a) // Scab(inus)b) Hall(ensis)

  2. B

    FRIDERICVS // KHVN

  3. C

    SAMVEL // RITTER // Scabinatus // Hall(ensis) Asses(sor)

  4. D

    [- - -]c) : PFALTZGRA(FIN)d) : BEIe) RE[- - -]f) AN[HAL]Tg)

Übersetzung:

A Bruno Stisser, Doktor, Schöffe zu Halle.

C Samuel Ritter, Beisitzer des hallischen Schöffenstuhls.

Kommentar

Die Schriftformen der Kapitalis sind einander ähnlich, ihre Ausführung aber differiert. C hebt sich durch eine akkurate Schreibung, regelmäßige Haar- und Schattenstriche und Bogenschwellungen sowie durch die Verlängerung einzelner Sporen zu Zierstrichen von der Namensbeischrift A ab. Die auffälligste Abweichung der Inschrift B besteht in der Ausführung der nach rechts durchgebogenen Schrägschäfte des K und einer gleichartigen Ausführung der R-Cauden. Die Kleinbuchstaben sind an die Humanistische Minuskel angelehnt, weisen aber in C gebrochene Schaftenden auf.

Die an den Ecken aufgemalten Rahmensegmente täuschen ein ursprünglich hochovales Bildformat vor. Die Annahme, daß auf diesen Segmenten vollständige Namensbeischriften stehen, würde aber das gegenwärtige als das ursprüngliche Bildformat bestätigen und die gemalten Rahmen als Gestaltungsmittel ausweisen. Eine Beschriftung der linken unteren Ecke des Bildnisses Stisser (A) ist denkbar, aber nicht mehr erkennbar.4)

Die Schöffen entstammten führenden Familien der Stadt und des Umlandes. Dr. Bruno Stisser (1592–1646) war ein Sohn des magdeburgischen Kanzlers Dr. Kilian Stisser. Er wurde 1624 als Beisitzer und 1641 als Senior des Schöffenstuhls zu Halle berufen (s. Nr. 506).5) Dr. Friedrich Kühn (1599–1654), ein Sohn des hallischen Schultheißen und magdeburgischen Hofrats Johann Amandus Kühn, besuchte das Stadtgymnasium von Halle und setzte seine Studien von 1618 bis 1622 in Jena und Leipzig fort. 1623 reiste er mit einer Gesandschaft des niedersächsischen Reichskreises zum kaiserlichen Hof in Wien. 1627 wurde er Beisitzer und 1651 Senior des Schöffenstuhls. Auch diente er mehreren Fürsten als Rat von Haus aus.6) Samuel Ritter (1597–1647), ein Sohn des gräflich-mansfeldischen Kanzlers Jakob Ritter, besuchte das Gymnasium in Merseburg und immatrikulierte sich in Jena und Leipzig. Er wirkte mehrfach als Hofrat und war Gesandter der verwitweten Fürstin Dorothea von Anhalt geborene Pfalzgräfin bei Rhein (1581–1631)7) am Wiener Hof. 1632 wurde er Syndikus der Stadt Eisleben; seit 1634 versah er das gleiche Amt im Auftrag der erzstiftisch-magdeburgischen Ständeversammlung. 1633 erhielt er einen Platz im hallischen Schöffenstuhl.8) Die kostbare Halskette, die Ritter trägt, erinnert an seine zeitweilige Dienstherrin, die Fürstin von Anhalt.

Der ähnliche Habitus der Dargestellten und die Übereinstimmungen von Bildformat und künstlerischem Stil lassen vermuten, daß die Gemälde in geringem zeitlichen Abstand angefertigt wurden. Einen vergleichbaren Kragen (allerdings ohne Spitzenbesatz) trägt der zwischen 1640 und 1647 amtierende Superintendent Arnold Mengering (s. Nr. 510). Kleidung und Attribute charakterisieren die Schöffen als wohlhabende Männer höheren Standes. Wahrscheinlich entstanden alle drei Gemälde während der Schöffenlaufbahn der Dargestellten, vielleicht nach Eintritt in den Schöffenstuhl (Stisser 1624, Kühn 1627, Ritter 1633), obwohl die Dargestellten allesamt das reife Mannesalter erreicht zu haben scheinen. Für diesen Entstehungszusammenhang spräche insbesondere Inschrift C, die Samuel Ritter als „Beisitzer“ bezeichnet. Wären die Bildnisse erst anläßlich der Berufung zum Senior des Schöffenstuhls (Stisser 1641, Kühn 1651) gemalt worden, als die Schöffen tatsächlich reife Männer waren, dann ließe sich allerdings das gleichartige Porträt Ritters, der nie das Seniorat erlangte, nicht erklären.9) Die Abweichungen der Buchstabenformen müssen nicht einer zeitlichen Entwicklung der Schriftformen geschuldet, sondern können unterschiedlichen Handschriften zuzuschreiben sein.

Alle drei Gemälde gehören zu einer Schenkung, die Frau Justizrat Fiebiger 1888 dem Städtischen Museum, heute Kunstmuseum Moritzburg, übergab. Sie umfaßte neun Schöffenporträts des 17. und 18. Jh. Im Jahr 1958 gingen die Bildnisse als Leihgabe an das Heimatmuseum Halle und wurden 1963 dem neugegründeten Stadtmuseum übereignet.10)

Textkritischer Apparat

  1. DOCTOR] Auflösung unsicher.
  2. Scabinus] Auflösung unsicher.
  3. [- - -] Einzelne Buchstaben erkennbar, die sich jedoch nicht in einen sinnvollen Zusammenhang bringen lassen.
  4. PFALTZGRAFIN] Auflösung unsicher.
  5. BEI] Lesung unsicher.
  6. RE[- - -] Lesung unsicher; die folgenden Buchstabenfragmente lassen sich nicht in einen sinnvollen Zusammenhang bringen.
  7. ANHALT] Lesung und Ergänzung unsicher.

Anmerkungen

  1. Inv.-Nr. G I/1–13, I/1–16, I/1–17. Zur Erwerbungsgeschichte s. Otto 1900, S. 16 und die Gemäldekartei des Museums Moritzburg (alte Inv.-Nr. I–24, I–25, I–27).
  2. Stisser hat offenbar eine Vollglatze, Kühn und Ritter sind mit Stirnglatze abgebildet.
  3. Der Wortlaut der Namensbeischriften (A, B, C) wird hier links oben beginnend im Uhrzeigersinn wiedergegeben.
  4. Wäre sie dann Inschrift C vergleichbar, würde sich aber auch die Auflösung von Scab. Hall. ändern.
  5. Zu K. Stisser s. Nr. 411.
  6. Ockel 1700, S. 208; Dreyhaupt 2, 1750, S. 453, 655 und Beylage B, S. 84 („Geschlechts-Register derer Kühnen“); Thiele 2011, S. 457.
  7. Vgl. Schwennicke NF I, 1, 1998, Taf. 95; ebd. NF I, 2, 1999, Taf. 189.
  8. Ockel 1700, S. 208; Dreyhaupt 2, 1750, S. 453, 698 und Beylage B, S. 132 („Geschlechts-Register der Ritter“); Thiele 2011, S. 459.
  9. Zum Schöffengericht oder -stuhl (Scabinatus) s. Einleitung, S. XIII.
  10. Wie Anm. 1.

Zitierhinweis:
DI 85, Halle/Saale, Nr. 527 (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di085l004k0052709.