Inschriftenkatalog: Die Inschriften der Stadt Halle an der Saale

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 85: Halle/Saale (2012)

Nr. 523† Barfüßerkirche † 1650, nach 1659

Beschreibung

Epitaph für M. Christian Gueintzius aus „Mansfeld(ischem) polierten Marmor“ und Sandstein, „in der Wand“ „zur Lincken des Altars“, vermutlich bei Abbruch der ehemaligen Klosterkirche 1828 verlorengegangen. Darauf „der gecreutzigte Heyland“ und „drunter gesetzt“ ein Bibelzitat (A) sowie biographische Angaben, Sterbevermerk und Totenlob für Chr. Gueintzius (B) neben einem Sterbevermerk für seine Gemahlin Katharina Bernd und einem Stiftervermerk (C) sowie einem Memento mori (D). An einem nicht näher bezeichneten Anbringungsort „in Sandstein gehauen“ die Namen der stiftenden Söhne und Töchter und derer Ehemänner (E).1) Die Schriftform und die Art der Schriftausführung nicht näher beschrieben.

Nach Olearius.

  1. A

    Joh. 15. Ego sum vitis (et)c.a)2)

  2. B

    Fige pedem Viator, Situs hic ac terrena sui parte positus est CHRISTIANUS GUEINTZIUS, Gubenas Lusatus, J(uris) U(triusqve) C(onsultus) (et)b) Philosophus, ejusq(ve) Facultatis in celeberrima Acad(emia) Witteb(ergensi) qvondam Adjunctus, ac Consistorii Elect(oris) Sax(oniae) ibidem Advocatus Ordin(atus) post Hallensis Saxo Gymnasiarcha per 23. annos, Illustrissimi a Fructu per Germaniam Ordinis membrum excellens, (et)b) perpetuum decus, Vir omni laude cumulatus. Qvi postqvam consummati Viri mensuram jam dudum implevisset, a cunctis mortalium ac Illustribus Viris cultus, in admiratione etiam post fata apud eos est,c) qvi docentem audiverunt (et)b) in Scriptis legunt. Vivere desiit A(nno) MDCL. 3. April(is) ipso nominali die cum aetatem exegisset ann(orum) LVIII. m(entum) 6. d(ierum) 3

  3. C

    Tanto Viro, Patri pariter ac svavissimo Marito, pientiss(ima) Conjux Catharina Berndes, qvae mortalitatem exuit Anno MDC[L]IX. ⟨- - -⟩d) aetatis LX. ⟨- - -⟩e) (et)b) bini cum qvinq(ve) filiabus Filii infra nominandi, hoc amoris ac memoriae monumentum posuere.f)

  4. D

    Memento mori viator (et)b) sanctis cineribus qvietem apprecare.

  5. E

    Filii Johann Christian, J(uris) U(triusqve) D(octor) Scabinatus Magdeb(urgensis) Hall(ensis) Assessor, Consil(iarius) Mansfeld(ensis) / Carol(us) Augustus, Caes(areus) Publ(icus) Notar(ius) (et)b) Praetorii Reipubl(icae) patr(iae) Actuarius juratus, / Filiae, Ursula Elisabeth, D(omi)n(i) Caroli Heroldi Reip(ublicae) patr(iae) Oratoris ac Salinat(oris)g) / Maria Dorothea D(omi)n(i) Joh(annis) Levin Ziegens Illustriss(imi) Cancell(arii) Magdeb(urgensis) Adjuncti (et)b) Salinat(oris)g), / Anna Sophia D(omi)n(i) Joh(annis) Ellenbergers, Reip(ublicae) patr(iae) Oratoris, Salinat(oris)g) ac Octoviri Mariani, / Rosina Eleonora, primo D(omi)n(i) Joh(annis) Katschii Salinat(oris)g) post D(omi)n(i) Joh(annis) Liebholdi, nunc D(omi)n(i) Joh(annis) Casp(aris) Kostii Salinat(oris)g) singul(i) Sereniss(imi) Ducis Sax(oniae) Magd(eburgensi) in respective Sittichenbach, Augustus Gabe (et)b) Rosenburg Praefector(um)h) ejusq(ve) Respect(ive)i) a Telon(eo) Barbiens(i) / Christina Catharina, D(omi)n(i) M(agistri) Christoph(ori) Pelsii Eccl(esiae) Andr(eae) Isleb(iensis) Archidiac(oni) (et)b) Consistorii ibid(em) Assess(oris) Conjuges.

Übersetzung:

A (...) Ich bin der Weinstock (...).

B Verhalte den Schritt, Wanderer; hier liegt und ist begraben, was seines irdischen Teils gewesen ist. Christian Gueintzius, ein Lausitzer aus Guben, Gelehrter beider Rechte und Philosoph und einstmals seiner Fakultät an der weitberühmten Wittenberger Universität Adjunkt und des Konsistoriums des Kurfürsten von Sachsen daselbst bestallter Rechtsbeistand, danach Rektor des Gymnasiums im sächsischen Halle über 23 Jahre, hervorragendes Mitglied und beständige Zier der in Deutschland hochberühmten Fruchtbringenden Gesellschaft, ein Mann, der mit allem Lob überhäuft wurde. Er wurde, nachdem er das Maß des vollendeten Mannesalters schon lange erreicht hatte, von allen sterblichen und berühmten Männern geehrt (und) steht auch nach seinem Tod bei denen in Verehrung, die ihn lehren hörten und in seinen Schriften lesen. Er hörte auf zu leben im Jahr 1650, am 3. (Tag des) April, (seinem) Namenstag, als er das Alter von 58 Jahren, 6 Monaten und 3 Tagen erreicht hatte.

C Dem so großen Mann, gleichermaßen Vater und liebenswürdiger Ehemann, errichteten die sehr fromme Ehefrau Katharina Berndes, die die Sterblichkeit im Jahr 1659 (...) im 60. (Jahr ihres) Alters ablegte, und zwei Söhne mit fünf Töchtern, die unten zu nennen sind, dieses Denkmal der Liebe und des Gedenkens.

D Gedenke des Todes, Wanderer, und erflehe für die heiligen Aschen die (ewige) Ruhe.

E Die Söhne: Johann Christian, Doktor beider Rechte (und) Beisitzer des magdeburgischen Schöffenstuhls in Halle, mansfeldischer Rat; Karl August, öffentlicher Notar und geschworener Protokollführer des Gerichts der Heimatgemeinde; die Töchter: Ursula Elisabeth, des Herrn Karl Herold, Worthalter der Heimatgemeinde und Pfänner (Ehefrau); Maria Dorothea, des Herrn Johann Levin Ziege, des erlauchtesten Kanzlers von Magdeburg Gehilfe und Pfänner (Ehefrau); Anna Sophia, des Herrn Johann Ellenberger, Worthalter der Heimatgemeinde, Pfänner und Achtmann der Marienkirche (Ehefrau); Rosina Eleonora, zuerst des Herrn Johann Katzsch, Pfänner, dann des Herrn Johann Liebhold, nun des Herrn Johann Kaspar Kost (Ehefrau), (jeder) einzelne Pfänner (und) des durchlauchtigsten Herzogs von Sachsen zu Magdeburg Amtsschösser zu Sittichenbach beziehungsweise zu Augustusgabe und Rosenburg beziehungsweise desselben (Verwalter) des Zolls von Barby; Christina Katharina, des Herrn Magister Christoph Pelsius, Archidiakon der Andreaskirche zu Eisleben und Assessor des Konsistoriums daselbst (Ehefrau).

Kommentar

Da der Sterbevermerk für Katharina Bernd, nach der für Olearius üblichen Schreibweise zu urteilen, Fehlstellen aufwies, muß man wohl von einer unvollständigen Ergänzung der Inschrift nach dem Tod der Katharina ausgehen. Das bedeutet, daß das Grabmal vor ihrem und, wie es Inschrift C nahelegt, bald nach dem Ableben ihres Ehemanns angefertigt wurde.

Christian Gueintzius, geboren 1591 oder 1592 in Kohlau bei Guben, besuchte mehrere ostdeutsche Stadtschulen (u. a. in Bautzen und Stettin), bevor er 1615 ein Studium in Wittenberg begann. Er erwarb 1616 den Magistertitel und wurde, wie es in Inschrift A steht, 1618 Gehilfe der Philosophischen Fakultät. Er schlug mehrere Berufungen an große Stadtschulen aus, ging aber 1619 nach Köthen, um an der von Wolfgang Ratichius3) initiierten Schulreform mitzuwirken. 1621 ehelichte er Katharina Bernd, eine Tochter des fürstlich-anhaltischen Rentmeisters und Bürgermeisters von Köthen Johann Bernd. Als er 1622 nach Wittenberg zurückgekehrt war, verlegte er sich ganz auf die Jurisprudenz und wirkte seit 1623 als Advokat des Wittenberger Kirchenkonsistoriums. 1627 nahm er einen Ruf als Rektor des hallischen Stadtgymnasiums an, dem er bis zu seinem Lebensende vorstand. Er verfaßte theologische, juristische und historische Schriften sowie Lehrbücher. Zwei seiner Lehrbücher, eine deutsche Sprachlehre und eine deutsche Rechtschreibung, erschienen nach ihrer Erörterung in der Fruchtbringenden Gesellschaft, der Gueintzius seit 1641 unter dem Gesellschaftsnamen „Der Ordnende“ angehörte.4) Die Umschreibung des Todestages als „dies nominalis“, Namenstag, meint vielleicht, daß an diesem Tag mit dem Eintritt seiner Seele in die ewige Gemeinschaft mit Christus die Bedeutung seines Vornamens, der Christliche, eigentlich erst zutage getreten sei.

Sein Sohn Dr. Johann Christian Gueintzius (1628–1708) war unter allen Söhnen und Schwiegersöhnen die herausragende Persönlichkeit. Er studierte in Leipzig, Jena und Helmstedt, wo er 1656 promoviert wurde. Er kam bald darauf nach Halle zurück, wurde Assessor des Schöffenstuhls und bekleidete andere städtische und höfische Ämter. 1680 wurde er erstmals zum Ratsmeister gewählt und versah dieses Amt im turnusmäßigen Wechsel bis zu seinem Tod. Noch im Jahr seiner Wahl, als die Stadt Halle und das gesamte ehemalige Erzstift Magdeburg an den Kurfürsten von Brandenburg übergegangen war, suchte er im städtischen Auftrag erstmals den kurfürstlichen Hof auf. Unter den Ämtern, die Johann Christian Gueintzius noch in höherem Alter versah, war auch das des „Scholarchen“, des Schulaufsehers, dem das Stadtgymnasium unterstand. Sein Bruder Karl August (1633–1688) erlangte nach dem inschriftlich genannten Amt noch die Stelle des kurfürstlich-brandenburgischen Amtsmannes zu Wanzleben und später zu Alvensleben.5) Die Ehemänner der Schwestern entstammten zumeist gehobenen Schichten des Bürgertums und versahen wie ihr Schwager Karl August Gueintzius Rats- und Hofämter mittlerer Position.6)

Johann Katzsch war ein Enkel Dr. Johann Katzschs (d. M.) (s. Nr. 301) und Johann Kaspar Kost ein Enkel des Ratsmeisters Johann Kost (s. Nr. 229).7) Das von ihnen verwaltete Amt umfaßte die Liegenschaften und Einkünfte des bei Eisleben gelegenen, 1540 säkularisierten Klosters Sittichenbach.8) Johann Liebhold war allem Anschein nach Amtsschösser des ehemaligen Burgguts Rosenburg, heute Groß Rosenburg, südlich von Barby. Beide Orte kamen 1659 in Besitz des Administrators August von Sachsen.9) Die Siedlung Augustusgabe ist heute in dem Städtchen Barby aufgegangen; das „Teloneum Barbiense“ ist wahrscheinlich der „Erbzoll“ der ehemaligen Grafschaft Barby, der hier erhoben wurde.10)

Das Material, aus dem das Epitaph oder Teile desselben gefertigt worden waren, nennt Olearius polierten Mansfelder „Marmor“, Dreyhaupt polierten „Esperstädtischen Stein“.11) Das Dorf Esperstedt liegt westlich von Halle im Saalekreis.

Textkritischer Apparat

  1. etc.] Olearius: et-Ligatur und c.
  2. et] Olearius: et-Ligatur.
  3. eos est,] eos, Dreyhaupt.
  4. MDCLIX. ⟨- - -⟩] Die Jahreszahl nach Olearius 1674, S. 194 ergänzt. Der Textausfall ist bei Olearius nicht eindeutig gekennzeichnet; es fehlt aber der Todestag.
  5. ⟨- - -⟩] Bei Olearius als Fehlstelle markiert.
  6. posuere] Sic! Für posuerunt.
  7. Salinatoris] Ergänzung unsicher.
  8. Praefectorum] Olearius: Praefectorr.
  9. Respective] Auflösung unsicher.

Anmerkungen

  1. Alle Zitate nach Olearius 1674, S. 176 f.
  2. Io 15,5.
  3. Zu W. Ratichius s. NDB 21, 2003, S. 182 f. (Uwe Kordes).
  4. Olearius 1650, S. 27–36; Mittag 2, 1747, S. 38–44; Dreyhaupt 2, 1750, S. 197, 622 f. und Beylage B, S. 55 („Geschlechts-Register der Gueinziusse“); Eckstein 1850, S. 12–15; ADB 10, 1879, S. 89–91 (H. Kämmel); Conermann 3, 1985, S. 415–417. Nach Olearius 1650, S. 27 und allen jüngeren Autoren soll Christian Gueintzius am 13. Oktober 1592, laut Inschrift B aber am 30. September 1591 geboren worden sein. Eine große Diskrepanz besteht auch bei den Angaben zur Lebenszeit der Katharina Bernd: Nach Conermann 3, 1985, S. 415 lebte sie von 1601 bis 1675, laut Inschrift C aber etwa von 1599 bis 1659.
  5. Dreyhaupt 2, 1750, S. 623 und Beylage B, S. 55 („Geschlechts-Register der Gueinziusse“).
  6. Vgl. Dreyhaupt 2, 1750, Beylage B, S. 41 („Geschlechts-Register derer Ellenberger“), 64 („Geschlechts-Register derer Herolde“).
  7. Vgl. ebd., S. 71 („Geschlechts-Register derer Katsche“), 79 („Geschlechts-Register der Koste“).
  8. Schwineköper 1987, S. 439 f. (Erich Neuß).
  9. Ebd., S. 31–33 (Berent Schwineköper), 161 f. (ders.).
  10. Zedler, 2. Supplementband, 1751, Sp. 1511 f.
  11. Olearius 1674, S. 176; Dreyhaupt 2, 1750, S. 623.

Nachweise

  1. MBH Ms 319, 5, o. S.
  2. Olearius 1674, S. 176 f.
  3. Dreyhaupt 2, 1750, S. 623 (A–D).

Zitierhinweis:
DI 85, Halle/Saale, Nr. 523† (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di085l004k0052301.