Inschriftenkatalog: Die Inschriften der Stadt Halle an der Saale

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 85: Halle/Saale (2012)

Nr. 510 Marktkirche 1647

Beschreibung

Vier Porträts mit halbfigürlichen Darstellungen der Superintendenten Dr. Johannes Olearius, Dr. Andreas Merck, Dr. Arnold Mengering und Dr. Gottfried Olearius, Öl (?) auf Holz, in der Sakristei angebracht. Die Geistlichen durchweg barhäuptig und bärtig, zumeist im Talar mit Radkrause, Mengering aber mit einfachem Schulterkragen. Vor jedem ein schmaler, bis zum unteren Bildrand reichender Streifen, der einen Tisch (oder die Kanzelbrüstung?) darstellt. J. Olearius hält ein Buch mit beiden Händen; vor Merck und vor G. Olearius liegt ein Buch, auf das jeder die rechte Hand gelegt hat; Mengering hingegen weist mit seiner Rechten auf ein Wort in dem vor ihm aufgeschlagenen Buch (D). Die Namen der Porträtierten und die beigeschriebenen Sterbevermerke (A, B, C) stehen stets über der linken Schulter. Inschrift E ist kein Sterbevermerk, sondern eine biographische Notiz. Alle Gemälde restauriert,1) die Bildoberfläche der Porträts von Merck und G. Olearius dennoch beschädigt.

Maße: H.: 37,8–38 cm; B.: 25,8–26 cm;2) Bu.: 1–1,1 cm.

Schriftart(en): Kapitalis.3)

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Markus Scholz) [1/2]

  1. A

    D(OCTOR) IOHANNES OLEARIUS. / o(bijt) 1623.

  2. B

    D(OCTOR) ANDREAS MERCKIUS. / o(bijt) 1640.

  3. C

    D(OCTOR) ARNOLDUS MENGERING. / o(bijt) 1647.

  4. D

    SCRUTAMINI

  5. E

    D(OCTOR) GOTTFRIDUS OLEARIUS. / Voc(atus)a) 1647.

Übersetzung:

A Doktor Johannes Olearius starb 1623.

B Doktor Andreas Merck starb 1640.

C Doktor Arnold Mengering starb 1647.

D Prüfet euch!

E Doktor Gottfried Olearius wurde 1647 berufen.

Kommentar

Die Buchstabenformen der Inschriften sind nur geringfügig variiert. Sie weisen überwiegend strichförmige Sporen, aber immer eine gleichmäßige Bogenschwellung und Linksschrägenverstärkung auf. Die Cauda des G wurde eingestellt; der untere Schrägschaft des K und die ausgestellte Cauda des R sind geschwungen. Das M hat gerade Schäfte und einen bis zur Grundlinie abgesenkten Mittelteil; der rechte Schaft des U läuft in einem Häkchen aus. Der erste Buchstabe von obijt ist stets etwas kleiner geschrieben als die übrigen, so daß er in Analogie zu Inschrift Nr. 211C als Gemeine ediert wurde.

Die Gemälde sind Porträts des vierten bis siebten lutherischen Oberpfarrers der Marktkirche und Superintendenten der Stadt Halle. Dr. Johannes Olearius (1546–1623) kam 1581 nach Halle (s. Nr. 421). Ihm folgte Dr. Andreas Merck (1595–1640), der schon seit 1617 als Archidiakon an der Marktkirche tätig gewesen war (s. Nr. 483). Der kursächsische Hofprediger Dr. Arnold Mengering (1596–1647) hatte von 1627 bis 1630 als Domprediger in Halle gewirkt und kehrte 1640 vom herzoglichen Hof im thüringischen Altenburg nach Halle zurück.4) Nur sieben Jahre später konnte Dr. Gottfried Olearius (1604–1685), ein Sohn des Johannes Olearius, aus dem Pfarramt von St. Ulrich an die Marktkirche wechseln und hier das Amt des Oberpfarrers und Superintendenten von Halle einnehmen. Er ist der Verfasser der „Halygraphia“, der ersten historisch-topographischen Beschreibung der Stadt Halle, die 1667 erschien.5) Diese vier und die Porträts des Justus Jonas (s. Nr. 211) und des Sebastian Boëtius (s. Nr. 201) geben sich durch ihr annähernd gleiches Format und ihre ikonographische Einheitlichkeit als Teile eines Bildzyklus zu erkennen und weisen dennoch erhebliche qualitative Unterschiede auf. Das Bildnis Mercks z. B. ist lebendiger und von größerer malerischer Wirkung als die Bildnisse der J. Olearius, Mengering und G. Olearius. Es ist außer dem Boëtius-Bildnis das ansprechendste des Zyklus. Die qualitativen Differenzen und der Umstand, daß zwei der Pastorenbildnisse, die Porträts des Sebastian Boëtius und des Gottfried Olearius, nachweislich zu Lebzeiten der Dargestellten 1571 bzw. 1647 angefertigt wurden, legen den Schluß nahe, daß alle Gemälde (außer dem Bildnis des Justus Jonas?) während der Amtszeit der porträtierten Pfarrer entstanden sind.6) Durch Fortsetzung des Bildniszyklus, dem die Porträts Luthers und Melanchthons7) vorangestellt worden waren, stellten sich die Superintendenten Halles in die Lehrtradition der beiden führenden Wittenberger Reformatoren.

Das Kabinettformat spricht dafür, daß die Gemälde nicht zur Ausstellung in der Kirche selbst, sondern für einen kleineren Raum wie die Sakristei gedacht waren.8) Zweifellos ist die Nachricht aus dem Jahr 1647, daß „die Bildnisse D(octoris) Mart(ini) Lutheri, Philippi Melanchthonis, Justi Jonae und folgender Superintendenten allhier in der Sacristey zur L(ieben) Frauen renoviret und an die Wand gefüget worden“,9) auf die vorliegenden Gemälde zu beziehen. Die paläographischen Übereinstimmungen belegen die gleichzeitige Ausführung der Inschriften A–D und der Inschriften Nr. 201 B und 211 C. Dabei wurde die Serie um das Bildnis des neuen Superintendenten Gottfried Olearius ergänzt. Die im gleichen Format gehaltenen Porträts der folgenden Superintendenten Dr. Johann Christian Olearius (1685–1699) und Wolfgang Melchior Stisser (1700–1709) sind zwar auch in Kapitalis, aber mit signifikanten Unterschieden in der Schriftgestaltung bezeichnet. Auch alle jüngeren Gemälde der bis in das 20. Jh. hinein fortgesetzten Porträtserie sind in anderer Weise als die sechs ältesten Bildnisse beschriftet.

Die mahnende Aufforderung der Inschrift D SCRUTAMINI greift vermutlich das Anliegen der 1642 veröffentlichten Schrift Arnold Mengerings „Scrutinium conscientiae catecheticum. Das ist Sünden-Ruge und Gewissensforschung“ auf, die eine Anleitung zur Gewissensprüfung gemäß Luthers Katechismus enthält. Mengering hat zahlreiche Schriften veröffentlicht und genoß einen Ruf als „Lehrer der Christlichen Kirchen“10) und produktiver Verfasser evangelischer Erbauungsliteratur.11)

Der Zyklus der Superintendenten ist vor dem Jahr 1667 bzw. im Jahr 1668 in größerem Format kopiert und im Alten Rathaus von Halle angebracht worden.12) 1681 wurden er und andere Porträtzyklen aus dem Rathaus entfernt und in die Marienbibliothek übergeführt,13) wo sich einige Gemälde noch heute befinden (s. Nr. 192, 310). Zu den großen Pastorenporträts gehört auch ein Bildnis des Superintendenten M. Lucas Majus (1575–1579),14) das unter den kleinformatigen Gemälden in der Sakristei fehlt.

Textkritischer Apparat

  1. Vocatus] Auflösung unsicher.

Anmerkungen

  1. Zuletzt vermutlich 1952; vgl. LDA AA 169-Id; Rüger 1983, S. 280 (Anm. 47).
  2. Vermessen wurden die Rückseiten der Bildträger.
  3. Die Kleinbuchstaben weisen keine wesentlichen Unterschiede auf.
  4. Dreyhaupt 2, 1750, S. 668 f.; Probst 1939; Thiele 2011, S. 200.
  5. Dreyhaupt 2, 1750, S. 682; Müller 2004.
  6. Ein weiteres Zeugnis dieser Gepflogenheit war das beschriftete Bildnis des Pfarrers der Georgenkirche M. Johannes Colerus (1573–1626) von 1618 (s. Nr. 403).
  7. Die Porträts Luthers und Melanchthons befinden sich heute in der Marienbibliothek zu Halle. Sie tragen keine Inschriften; vgl. Katalog Halle 1996, S. 29 f. (Nr. 30, 31); Jäger 2011b, S. 181–184.
  8. Die zur Anbringung in der Kirche vorgesehenen Pastorenbildnisse sind i. d. R. ganzfigürliche, etwa lebensgroße Gemälde; vgl. DI 62 (Lk. Weißenfels), Nr. 194, 275; BKD Sachsen, Leipzig 1, 1995, S. 284–290 (Nr. 51–79).
  9. Olearius 1667, S. 433.
  10. Ebd., S. 97–99.
  11. Beck 1891, S. 104 f.; Thonemann 1893; Rublack 1992, S. 385 f. (Erwähnung der Predigtpostillen Mengerings).
  12. Vgl. Olearius 1667, S. 29: „die Bildnisse (...) etlicher Prediger alhier“. Das großformatige Bildnis des amtierenden Superintendenten G. Olearius entstand laut Inschrift erst 1668; Jäger 2011b, S. 179–181.
  13. Siehe die Belege MBH, PfA Unser Lieben Frauen, Belegungen zur Kirchenrechnung von Cantate 1681 biß dahin 1682, W 13 und MBH Ms 245, Bd. 11, S. 44; vgl. Nickel 2002b, S. 205.
  14. Jäger 2011b, S. 196.

Nachweise

  1. Jäger 2011b, S. 195.

Zitierhinweis:
DI 85, Halle/Saale, Nr. 510 (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di085l004k0051004.