Inschriftenkatalog: Die Inschriften der Stadt Halle an der Saale

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 85: Halle/Saale (2012)

Nr. 503 Marktkirchengemeinde 1644

Beschreibung

Abendmahlskanne, Silber, vergoldet, aus der Georgenkirche. Runder, am Rand gewölbter Fuß mit kurzem stämmigen Schaft, der ein zylindrisches Gefäß mit gewölbtem Boden und tief ansetzender, großer Schnepfe trägt. Gegenüber der Schnepfe ein gegossener, mit Knorpelwerk verzierter und mehrfach geschwungener Griff angebracht. Gestufter und gewölbter Deckel mit aufgesetztem, plastischen Kruzifix und Kreuztitulus (A). Am Deckelscharnier eine gegossene Daumenrast mit reliefierter Darstellung Gottvaters und gravierter Rückseite. An allen Teilen der Kanne außer dem Griff Gravuren mit Blattwerk und Blumen. Unter dem Rand des Gefäßes, unterbrochen von Henkel und Schnepfe, ein Schriftband mit Bibelzitat (B); an der Deckelunterseite ein schwach gewölbter Einsatz mit graviertem Vollwappen und umlaufender Stifterinschrift mit Jahresangabe (C). Alle Inschriften strichförmig graviert. An Fuß, Gefäß und Deckel je eine Goldschmiedemarke und ein hallisches Beschauzeichen.1)

Maße: H.: 21,5 cm (ohne Kreuz); D.: 9,7 cm (Gefäß), 10,6 cm (Fuß); Bu.: 0,2 cm (A), 0,3–0,4 cm (B, C).

Schriftart(en): Kapitalis (A, B, C), Schreibschrift (B).

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Markus Scholz) [1/2]

  1. A

    · I(ESVS)a) · N(AZARENVS) · R(EX) · I(VDEORVM)2) ·

  2. B

    SANGVIS · IESV CHRISTI · FILII · DEIb) // EMVNDAT · NOS · AB OMNIc) · PECCATO: Joh 1d)3)

  3. C

    EX · DONO · D(OMI)NI · SECR(ETARII) · PAVLe) · GOTZE · A(NN)Of) · 1 · 6 · 44g) ·

Übersetzung:

A Jesus von Nazareth, König der Juden.

B Das Blut Jesu Christi, des Gottessohnes, reinigt uns von aller Sünde. (...)

C Aus der Schenkung des Herrn Küsters (?) Paul Gotze. Im Jahr 1644.

Wappen:
Gotze4)

Kommentar

Die Schriftausführung ist ziemlich regelmäßig, bis auf die drei letzten Worte der Inschrift B, die sehr gedrängt stehen. Die Buchstaben weisen überwiegend strichförmige Sporen sowie keine Haar- und Schattenstriche auf. Als paläographische Eigenheiten der Buchstaben wären folgende zu nennen: Das obere Bogenende des G ragt über die Cauda hinaus, die geschwungene Cauda des R ist weit ausgestellt, und das M hat einen kurzen Mittelteil und sehr schräge Hasten. Kürzungszeichen wurden nicht verwendet. Als Worttrenner stehen in A kleine Punkte, in B und C zumeist sechsstrahlige Sternchen.

Das Bibelzitat (B) bezieht sich auf den Inhalt der Abendmahlskanne, den Abendmahlswein.

Der Goldschmied, dessen Marke aus Initialen besteht, die als HR gelesen werden können, war vielleicht Hans Rockenthin, ein Bruder des bekannteren hallischen Goldschmieds Peter Rockenthin (1619–1662).5) Über den Stifter, den Küster oder Schreiber (= SECRETARIVS?) Paul Gotze, ist bislang nichts bekannt.

Die Kanne hat ein größeres Pendant von gleicher Form und Ornamentik, das der hallische Goldschmied August Hosse 1713 ebenfalls für die Georgenkirche angefertigt hat. Das Gefäß trägt auch die gleiche Inschrift unter dem Rand (1 Io 1,7) und unterscheidet sich nur in der Schriftform und in der Ausbildung der gegossenen Teile (Kruzifixus, Gottvater als Daumenrast, Henkel). Es war offensichtlich der Wunsch des anonymen Auftraggebers, den Kirchenschatz um eine der älteren gleichende Abendmahlskanne zu bereichern.6)

Textkritischer Apparat

  1. IESVS] Schreibung nach Inschrift B.
  2. DEI] Danach Unterbrechung der Schriftzeile durch den Henkel.
  3. AB OMNI] Kein Wortabstand.
  4. Joh I] Joh X BKD Prov. Sachsen NF 1.
  5. PAVL] Vielleicht zu PAVLI zu ergänzen.
  6. ANNO] A kursiv, O mandelförmig.
  7. ANNO · 1 · 6 · 44] Als Worttrenner Punkte auf der Mittellinie.

Anmerkungen

  1. Siehe Anhang 2, Nr. 21; Rosenberg 2, 1923, S. 126 (Nr. 2301 ff.).
  2. Io 19,19.
  3. 1 Io 1,7.
  4. Geteilt, unten Schuppenfeh.
  5. Vgl. Wipplinger 1972, S. 43. Zu P. Rockenthin s. Nr. 511.
  6. Zu dieser Kanne s. Fritz 2004, S. 488 f. (Nr. 320).

Nachweise

  1. BKD Prov. Sachsen NF 1, S. 275.
  2. Knuth 1891, S. 223 (B, C).
  3. Kopitzke 1968, S. 44 (B, C).
  4. Fritz 2004, S. 488 f. (Nr. 320: B).

Zitierhinweis:
DI 85, Halle/Saale, Nr. 503 (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di085l004k0050309.