Inschriftenkatalog: Die Inschriften der Stadt Halle an der Saale

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 85: Halle/Saale (2012)

Nr. 479† Stadtgottesacker 1637

Beschreibung

Grabstein für die Familie des Hans Rockenthin, „darauff ein Meßingen schön vergüldt Crucifix, zu beyden Seiten“ desselben Bibelzitate (A, B). „Darnach ein Täflein, worauff der Verstorbne mit seinem Weib und Kindern gemahlt. (...) Untern Gemäld“ ein Stiftervermerk mit Widmung und Segenswunsch (C). An den Außen- bzw. Innenseiten der Türen, die das „Täflein“ abdecken, mehrere Bibelzitate (D, E) und der Vers eines Kirchenlieds (F).1) Auf der anderen Seite des Grabsteins ein Bibelzitat (G) und gereimte Memento mori (H, I). Die Inschrift D bis F vermutlich gemalt, die Art der Ausführung aller übrigen Inschriften sowie die Schriftformen nicht überliefert. Der Grabstein heute verloren.

Nach Olearius.

  1. A

    Ps. 17. Jch will schauen (et)c.a)2)

  2. B

    Psalm. 37.b) HErr wenn ich nur dich etc.3)

  3. C

    Anno 1637. den 1. Aug(usti) hat Hans Rockenthin Goldschmied allhier diesen Stein vor sich, sein Weib, und Kinder, zum Gedächtnüs machen lassen. GOtt der Allmechtige wolle denen Verstorbenen eine sanffte Ruh bescheren und am Jüngsten Tag (et)c.a)c)

  4. D

    Ps. 84. Ein Tag in deinen (et)c.a)4)

  5. E

    Joh 11. Jch bin die Aufferst(ehung) (et)c.a)5)

  6. F

    Dein bin ich O HErr J(esu) C(hrist) (et)c.a)6)

  7. G

    Hiob. 19. Ich weis (et)c.a)7)

  8. H

    All die ihr hier vorüber geht, /Seht, wie die Sache mit uns steht, /Wie Jhr seyd, waren wir auf Erden /Wie wir seynd, werdet ihr auch werden, /GOtt ist wahrhaftig und gerecht, /Hie lieget der Herr und der Knecht, /Jhr Weltweisen trett herbey /Sagt, welches Knecht oder Herr sey.c)

  9. I

    Hier liegt mein Leib, ruht sanft und fein /Jn diesem meinen Schlafkämmerlein, /Mein Seel ist nicht todt, sondern lebet, /Bey Christo triumphiert und schwebet.c)

Versmaß: Acht (H) bzw. vier Reimverse (I).

Kommentar

Das erste Memento mori (H), das, wie seit dem Humanismus üblich, den Leser direkt anspricht, besteht aus zwei vierzeiligen Spruchdichtungen, die in zahlreichen Varianten belegt sind. Sie setzen sich aus wesentlich älteren Textteilen zusammen. Die Verse 3 und 4 gemahnen an die Vergänglichkeit irdischen Lebens. Sie sind antiken Ursprungs, wurden im Mittelalter literarisch und inschriftlich in Zusammenhang mit der sogenannten Begegnung der drei Lebenden und der drei Toten tradiert8) und sind auch für das 16. und 17. Jh. belegt.9) Die Spruchdichtung der Verse 5 bis 8 hatte ebenfalls schon im Mittelalter Verbreitung gefunden10) und erfreute sich in der Frühen Neuzeit anhaltender Beliebtheit.11) Das Gleichnis von Herr und Knecht greift wahrscheinlich auf Hiobs Klage zurück, daß im Tod alles Sehnen und Streben und alle Qual ein Ende hätte und alle gleich seien (Hi 3,13–19).12) Die Verse 3 bis 8 wurden häufig – wie hier – zusammen wiedergegeben.13)

Hans Rockenthin gehörte einer seit 1544 in Halle ansässigen Goldschmiedefamilie an,14) deren berühmtester Vertreter Hans’ Sohn Peter (1619–1662) war (s. Nr. 511).

Textkritischer Apparat

  1. etc.] Olearius: et-Ligatur und c.
  2. 37.] Sic! Für 73.
  3. Schrägstriche bei Olearius wurden durch Kommata ersetzt.

Anmerkungen

  1. Alle Zitate nach Olearius 1674, S. 148.
  2. Ps 17,15.
  3. Ps 73,25.
  4. Ps 84,11.
  5. Jh 11,25.
  6. Kirchenlied von Adam Meltzer; Fischer/Tümpel 1, 1904, S. 100 (Nr. 127).
  7. Hi 19,25.
  8. RDK 4, 1958, Sp. 512–524 (Willy Rotzler).
  9. Storck 1911, S. 56 (Nr. 26), 58 (Nr. 59); Neubaur 1913, S. 89.
  10. TPMA 6, 1998, S. 59 (Nr. 11606); vgl. auch TPMA 7, 1998, S. 106 f. (Nr. 1.14).
  11. DI 20 (Lk. Karlsruhe), Nr. 263; DI 25 (Lk. Ludwigsburg), Nr. 232; DI 47 (Lk. Böblingen), Nr. 244; DI 75 (Dom Halberstadt), Nr. 231; Neubaur 1913, S. 90.
  12. Vgl. DI 1 (Main-Tauber-Grund), Nr. 43.
  13. Ebd.; DI 29 (Stadt Worms), Nr. 741.
  14. Wipplinger 1972, S. 43 f., 46.

Nachweise

  1. MBH Ms 319, 3, o. S. (A–D, F, H, I).
  2. Olearius 1674, S. 148 f.
  3. Neubaur 1913, S. 90 (H).

Zitierhinweis:
DI 85, Halle/Saale, Nr. 479† (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di085l004k0047905.