Inschriftenkatalog: Die Inschriften der Stadt Halle an der Saale

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 85: Halle/Saale (2012)

Nr. 452† Stadtgottesacker 1632

Beschreibung

Epitaph des Michael Kraut d. Ä., einst in der Bogenkammer 1, heute verloren. „Bildnüß, so in Lebensgrösse in Stein gehauen, mit Farben und Golde auffs beste ausstaffiert und mit schönen Zierrath umgeben.“ Daran der Sterbevermerk (A an unbekanntem Anbringungsort) sowie mehrere Inschriften und Tugendallegorien: darüber Caritas, an den Seiten Fides und Spes, alle begleitet von Bibelzitaten (B–D). Auch unter dem Bildnis Krauts ein Bibelzitat (E). „Inwendig an den Thüren, damit dis Epitaphium verwahret“,1) drei weitere Bibelzitate (F–H), Verse von Kirchenliedern (I, J) und Initialen (K). Schriftform und Art der Schriftausführung nicht überliefert.

Nach Olearius.

  1. A

    Allhier liegt begraben der Ehrenveste und Wohlgeachte Herr Michael Kraut der Eltere, Fürstl(ich) Magdeb(urgischer) gewesener Cammermeister, gestorben Anno 1632. den 29. Jan(uarii) Seines Alters 86. Jahr.a)2)

  2. B

    1. Corinth. 13. Nu aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drey, aber die Liebe ist die grösseste unter ihnen.a)3)

  3. C

    Johann. 11. Wer an mich gläubet der wird leben ob er gleich stürbe, und wer da lebet und gläubet an mich der wird nimmermehr sterben.a)4)

  4. D

    1. Corinth. 15. Hoffen wir allein in diesem Leben auff Christum, so sind wir die elendesten unter allen Menschen.a)5)

  5. E

    Philipp. 1. CHristus ist mein Leben, Sterben ist mein Gewinn.a)6)

  6. F

    Hiob. 19. Jch weiß daß mein Erlöser lebet etc.7)

  7. G

    2. Timoth. 4. Jch hab einen guten Kampf etc.8)

  8. H

    Luc. 2. HErr nun lässestu etc.9)

  9. I

    Nun fahr ich hin zu JEsu CHrist /Mein Arm thu ich ausstrecken etc.10)

  10. J

    Da werd ich GOtt anschauen /Von hellen Angesicht, /Lieblich mit meinen Augen /Das ewige wahre Liecht.a)11)

  11. K

    N. H. J. VV.

Versmaß: Vier Reimverse (J).12)

Kommentar

Die beigegebenen Bibelzitate decken die heilsgeschichtliche Bedeutung der Tugendallegorien auf. Der in der Mitte plazierten Caritas war sicherlich das Zitat 1 Ko 13,13 zugeordnet, das die (göttliche) Liebe zum Schlüssel der Erlösungslehre macht. Sie spendet das ewige Leben, das durch den Glauben (Fides) erlangt wird, wie es Jesus (nach Jh 11,25) verheißt. Der Menschen Hoffnung (Spes) wende sich von der diesseitigen zur jenseitigen Welt (1 Ko 15,19), in der Christi Worte Erfüllung finden. Deshalb ist das Sterben ein Gewinn (Phl 1,21). Durch die Bibelzitate Hi 19,25 und 2 Ti 4,7 (F, G) drückt der Verstorbene (oder seine Verwandtschaft) die Hoffnung aus, daß auch er an der Verheißung des ewigen Lebens teilhaben werde. Sie würde sich in der Anschauung Gottes (J), die selig macht, erfüllen.13)

Die Initialen ließen sich bislang nicht auflösen.

Textkritischer Apparat

  1. Schrägstriche bei Olearius wurden durch Kommata ersetzt.

Anmerkungen

  1. Alle Zitate nach Olearius 1674, S. 2.
  2. M. Kraut d. Ä. auch bei Dreyhaupt 2, 1750, Beylage B, S. 82 („Geschlechts-Register derer Kraute“) mit abweichender Angabe des Todestages (26. Januar) erwähnt.
  3. 1 Ko 13,13.
  4. Jh 11,25–26.
  5. 1 Ko 15,19.
  6. Phl 1,21.
  7. Hi 19,25.
  8. 2 Ti 4,7.
  9. Lk 2,29.
  10. Nach einem Kirchenlied von Nikolaus Herman; vgl. Wackernagel 3, 1870, S. 1212 (Nr. 1415, Strophe 5); EG 522,5.
  11. Kirchenlied von Johann Walther; Wackernagel 3, 1870, S. 189 (Nr. 219, Strophe 19).
  12. Auch Inschrift I bot am Original wahrscheinlich sämtliche Reimverse dieser Liedstrophe.
  13. Zu den Erlösungsvorstellungen s. Einleitung, S. XLIII f.

Nachweise

  1. MBH Ms 319, 2, o. S. (Nr. 1).
  2. Olearius 1674, S. 1–3.

Zitierhinweis:
DI 85, Halle/Saale, Nr. 452† (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di085l004k0045207.