Inschriftenkatalog: Die Inschriften der Stadt Halle an der Saale

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 85: Halle/Saale (2012)

Nr. 431(†) Stiftung Moritzburg, Kunstmuseum vor 1625, 1631

Beschreibung

Epitaph aus schwarzem, rötlichem und weißem Marmor für Dr. Laurentius Hoffmann, ursprünglich an der Südwand des Chores der Ulrichskirche angebracht, anläßlich einer Instandsetzung der Kirche 1885 oder 1886 entfernt und später im sogenannten Denkmalskeller der Moritzburg eingelagert. Die meisten Teile des mehrgeschossigen, reich dekorierten Epitaphs, darunter sämtliche beschrifteten Teile, seit Auflösung des Depots 1953 verloren.1) Aufbau und Bildprogramm nur teilweise rekonstruierbar. Als Unterhang diente eine ovale Kartusche mit biographischen Angaben, Sterbevermerk und Glaubensbekenntnis (A); im ersten Geschoß befanden sich drei hochrechteckige szenische Reliefs unterschiedlicher Größe aus Alabaster mit den Martyrien des hl. Laurentius (in der Mitte), Johannes’ des Evangelisten (links) und des hl. Stephanus (rechts) und Epigrammen als Bildbeischriften (B, C, D). Darüber, im zweiten Geschoß Relief mit dem Martyrium der Unschuldigen Kindlein, ebenfalls mit einem Epigramm als Bildbeischrift (E). Zahl und Aufstellung der dem Epitaph zugewiesenen, aus Alabaster bestehenden vollplastischen Skulpturen unsicher.2) Die Schriftform und die Art der Ausführung der unter den Reliefs stehenden Inschriften (B–E) unbekannt; die Buchstaben von A3) goldfarben aufgemalt oder gefaßt, ihre Schriftform aber auch nicht überliefert.

Nach Olearius 1674.

Maße: H.: 85 cm (Relief B), 38 cm (Relief C); B.: 67 cm (Relief B), 31 cm (Relief C).

  1. A

    LAURENTIUS HOFFMANNUS Halla Saxo(num), Philosophiae, Utriusqve Medicinae (et)a) Chirurgiae Doctor, Comes Palatinus Caes(areus) (et)a) Sereniss(imi) Electoris Saxoniae Archiater. Natus hic A(nno) 1582. d(ie) 12. April(is) Denatus Dresdae d(ie) 10. Decemb(ris)b) A(nno) 1630 Sepultus d(ie) 7. Jan(uarii) A(nno) 1631 / Hujus Symbolum: / Vita mihi Christus, mors mihi dulce lucrum.4)c)

  2. B

    S(ANCTUS) LAURENT(IUS)Laurea Martyrii prunas qvoqve nascitur interEt viret ac saevo exuri etd) igne neqvit.Praestat id alma fides Christi irrorata cruoreO mihi conserva hanc JESU in agone fidem!

  3. C

    S(anctus) Joh(annes) Evangelista.Summus Evangelii scriptor per tormina summaSit fidei summus martyr Evangelicae.

  4. D

    S(anctus) StephanusUltima vox primi pia Martyris evehit illumA saxis mundi mox ad asyla poli.

  5. E

    S(ancti)e) Pueri innocent(es)Martyribus completa forent ut coelica tempe5)Infantes etiam tanta corona beat.6)

Übersetzung:

A Laurentius Hoffmann aus Halle in Sachsen, Doktor der Philosophie (sowie) der beiden (Wissenschaften) Medizin und Chirurgie, kaiserlicher Hofpfalzgraf und Leibarzt des durchlauchtigsten Kurfürsten von Sachsen. Hier geboren im Jahr 1582, am 12. Tag des April, gestorben in Dresden am 10. Tag des Dezember im Jahr 1630 (und) am 7. Tag des Januar im Jahr 1631 beigesetzt. Sein Bekenntnis: Christus ist für mich das Leben, der Tod für mich ein süßer Gewinn.

B Der heilige Laurentius. Der Lorbeer des Martyriums sprießt auch zwischen glühenden Kohlen hervor und grünt und kann auch vom wütenden Feuer nicht verbrannt werden. Das bewirkt der segenspendende, vom Blut Christi benetzte Glaube. O Jesus, bewahre mir diesen Glauben im Todeskampf.

C Der heilige Johannes, der Evangelist. Möge der größte Schreiber des Evangeliums durch die stärksten Qualen der größte Zeuge des evangelischen Glaubens sein.

D Der heilige Stephanus. Das letzte fromme Wort des ersten Märtyrers führt jenen bald von den Steinen der Welt zur Zuflucht des Himmels.

E Die heiligen unschuldigen Knaben. Damit das himmlische (Tal) Tempe mit Märtyrern gefüllt sein wird, beglückt eine so bedeutende Krone auch die Kinder.

Versmaß: Pentameter (letzte Zeile von A), zwei elegische Distichen (B) und je ein elegisches Distichon (C–E).

Kommentar

Außer den erwähnten Reliefs gehörten zum bildkünstlerischen Schmuck des Epitaphs zahlreiche Skulpturen. Gustav Schönermark, der das Grabmal noch am ursprünglichen Anbringungsort sah, zählte 1886 „außer kleineren rein ornamentalen Engelchen“ neun Einzelfiguren. Vier Figuren bezeichnet er als Evangelisten. Außerdem schreibt er, daß das Bildsujet des Reliefs, das die Steinigung des Stephanus zeige, schon so schwer beschädigt sei, daß man es ohne Inschrift nicht mehr bestimmen könne.7) In der Mitte des 19. Jh. war noch die Figur des Verstorbenen erhalten, die seiner Gemahlin und seiner Tochter aber schon verloren.8) Schönermark erwähnt keine der drei Figuren. 1955 weist Erich Neuß dem Epitaph „neun oder zehn“ Figuren zu und nennt im einzelnen die Apostel Petrus und Bartholomäus.9) In ihrer im Jahr 2000 eingereichten Magisterarbeit gelang es Claudia Hofmann, die erhaltenen Reliefs des Johannes- und des Laurentiusmartyriums zu identifizieren.10) Außerdem glaubt sie, dem Epitaph elf einzelne Skulpturen zuweisen zu können: fünf nicht näher bestimmbare Heilige, eine Maria mit Kind, den Johannesknaben, Caritas und Justitia, die als Karyatiden gebildet sind, sowie einen heiligen Diakon (Laurentius oder Stephanus) und den geschundenen Bartholomäus. Hofmann versuchte, das Epitaph dem Magdeburger Bildhauer Jörg (Georg) Kriebel zuzuschreiben;11) Sebastian Schulze gelang es aber, das Epitaph als Arbeit des gefragten und vielbeschäftigen Leipziger Meisters Franz Julius Döteber (1575–1648) nachzuweisen.12) Außer Döteber habe aber auch der für die fürstlichen Höfe in Weimar und Sondershausen tätige Bildhauergeselle Levin Tydeche einen erheblichen Anteil am Werk. Das überlieferte Todesjahr Tydeches 1625 gäbe den Terminus ante quem für die Vollendung des Epitaphs;13) das Sterbedatum Hoffmanns muß nachgetragen worden sein.

Das große Mittelbild war dem Namenspatron des Verstorbenen gewidmet, so wie es auf Epitaphien vielfach üblich war, in Halle jedoch selten nachzuweisen ist (Nr. 378, 517). Laurentius Hoffmann wurde 1582 als Sohn eines Apothekers in Halle geboren und studierte seit 1599 an den Universitäten Leipzig und Wittenberg.14) Nach Studien in Italien wurde er 1604 in Basel immatrikuliert und 1605 zum Doctor Medicinae et Chirurgiae promoviert.15) 1606 kehrte Hoffmann nach Halle zurück, heiratete Martha (1587–1631),16) die Tochter des Arztes Balthasar Brunner (s. Nr. 362), und übernahm jene Apotheke, die sein inzwischen verstorbener Vater geführt hatte. 1617 übergab er sie seinem jüngeren Bruder Andreas, um fortan ausschließlich als Arzt zu praktizieren.17) 1626 berief ihn Kurfürst Johann Georg von Sachsen als Leibarzt nach Dresden; vier Jahre später bestätigte (!) Kaiser Ferdinand II. den Adelsstand der Brüder Laurentius, Melchior (1586–1662) und Andreas Hoffmann (1592–1665) und ehrte den Arzt mit der Würde eines Comes Palatinus Caesareus, eines kaiserlichen Hofpfalzgrafen, und dem Titel eines Hofmedicus.18) Der hochgeachtete Arzt starb am 30. Dezember 1630 und wurde in der lutherischen Sophienkirche zu Dresden beigesetzt. In seiner Leichenpredigt wird berichtet, daß Laurentius Hoffmann das Epitaph für die Ulrichskirche selbst in Auftrag gegeben habe.19) Das Bibelzitat in Inschrift A war das Thema, „Textus“, seiner Leichenpredigt gewesen.

Das Epitaph gehört zu den eher selten anzutreffenden Kunstwerken der lutherischen Kirche, die nicht nur biblische Heiligenlegenden, die durch die Heilige Schrift selbst autorisiert sind, sondern auch nachbiblische abbilden, denen das für die lutherische Kirche maßgebliche Zeugnis „sola scriptura“ fehlt. Das sind die Ölmarter des Evangelisten Johannes und das Laurentiusmartyrium.20) Die Reliefs entstanden in der Tradition lutherischen Heiligengedenkens, das seit dem Augsburger Glaubensbekenntnis 1530 theologisch begründet war und hauptsächlich im Bereich privater Frömmigkeit gepflegt wurde.21) Dennoch waren weitere Gedächtnismale mit vergleichbarer Thematik im mitteldeutschen Raum bislang nicht nachzuweisen. Anregungen oder Vorlagen fand Hoffmann sicherlich unter den Heiligenbildern seiner großen Kunstkammer, die er zusammengetragen und über einen gedruckten Katalog gebildeten Kreisen bekannt gemacht hatte.

Das vorliegende Epitaph ist ein Denkmal individueller Frömmigkeit, die den Heiligenlegenden im Zusammenhang der lutherischen Sterbekunst einen besonderen Platz einräumt. Die Martern der Heiligen Laurentius, Stephanus und Johannes Evangelista stellen bildhafte Beispiele standhaften Bekennertums dar. Die dazugesetzten Inschriften (B–D) würdigen die Heiligen als Vorbilder jener Glaubensfestigkeit, die dem Leidenden und Sterbenden abverlangt wird und die den Hinterbliebenen Trost spendet.22) Wahrhaftige Glaubensfestigkeit bewähre sich im Martyrium, in standhaftem Leiden – wie dem des Laurentius – und offenbare sich in den letzten Worten (Ultima vox), die unmittelbar vor dem Tod gesprochen werden sollten, wie es Stephanus getan habe (D). Der wegen seiner Glaubensfestigkeit selig Entschlafene würde die himmlische Herrlichkeit Gottes erblicken, wie es dem Märtyrer Stephanus und dem Visionär Johannes schon zu Lebzeiten beschieden war.23)

Hoffmanns Epitaph ist ein Denkmal gewandelter Frömmigkeit nach der Reformation, als die Sterbevorsorge dem Einzelnen anheimgestellt wurde. Das schloß offenbar die Möglichkeit ein, der Sterbevorsorge in individueller, ja ungewöhnlicher Weise Ausdruck zu geben, sofern es bekenntniskonform geschah. Die Ausnahmestellung des Epitaphs zeigt sich auch darin, daß seine Inschriften keine der üblichen Hinweise auf die Seligkeit des Verstorbenen enthalten. Diese werden offensichtlich ersetzt durch die emblematische, gleichnishafte Darstellung anderer selig Verstorbener, die den Hinterbliebenen vor Augen führt, daß der Tote gleich den historischen Märtyrern und Bekennern duldsam und glaubensfest entschlafen ist. Reliefs und Inschriften sollten Zeugnis ablegen vor den hallischen Verwandten und ihren Nachkommen, die dem Sterben Hoffmanns nicht beiwohnen und selbst erleben konnten, wie er um seine Seligkeit gerungen hat (vgl. B). Das Epitaph hält Laurentius Hoffmann als einen wahrhaft frommen Christen der Nachwelt in würdiger Erinnerung.

Textkritischer Apparat

  1. et] Olearius 1674: et-Ligatur.
  2. 10. Decembris] Sic! Olearius 1667: 30. Decemb.; siehe auch Strauch 1631, o. S. („Personalia“).
  3. Die letzten beiden Zeilen bei Olearius 1674 zentriert.
  4. exuri et] Bei Olearius 1674 kein Wortabstand.
  5. Sancti] Olearius 1674: SS.

Anmerkungen

  1. Neuß 1955, S. 35 schreibt, daß man 1951 eine Rekonstruktion des stark beschädigten Epitaphs für aussichtslos hielt. Zum Denkmalsdepot in der Moritzburg s. Einleitung, S. XXIX.
  2. Siehe Kommentar. Die dem Epitaph zugewiesenen Reliefs und Skulpturen tragen die Inv.-Nr. MO III 00156–00163, 00165–00167, 00171, 00226.
  3. BKD Prov. Sachsen NF 1, S. 203; die Inschriftkartusche des Unterhangs bestand aus schwarzem Marmor oder war schwarz gefaßt. Vgl. auch Neuß 1955, S. 34.
  4. Paraphrase nach Phil 1,21.
  5. tempe heißt ein wegen seiner natürlichen Schönheit berühmtes Tal in der Nähe des Olymps; vgl. Georges 2, 1995, Sp. 3044.
  6. Zu corona s. Einleitung, S. XLIV.
  7. BKD Prov. Sachsen NF 1, S. 203 f.
  8. Knauth 1857, S. 781 f. Die Stifterfiguren erwähnt Olearius 1674, S. 169.
  9. Neuß 1955, S. 34.
  10. Hofmann 2000, S. 22–50.
  11. Ebd., S. 134–141.
  12. Schulze 2010, S. 337–344; zu F. J. Döteber s. auch ebd., S. 278–393; zum älteren Forschungsstand zu F. J. Döteber s. AKL 28, 2001, S. 266 f. (H. Ritschel).
  13. Schulze 2010, S. 343 f. Zu L. Tydeche außerdem ebd., S. 214, 224–226, 229–231.
  14. Zur Biographie Laurentius Hoffmanns s. Dreyhaupt 2, 1750, S. 640 f. und Beylage B, S. 65 („Geschlechts-Register der Hoffmanne“). Außerdem Strauch 1631, fol. Diijr–Eiijv („Personalia“); Keller 1952, S. 49–51; Hofmann 2000, S. 7–14; Jäger 2008, S. 205–207. Biographische Hinweise bei Beneke 1929, S. 21; Neuß 1934, S. 116. Zur Hoffmannschen Apotheke s. insbesondere Steinbicker 1930, S. 18 f.; Poeckern 2004, S. 50, 93 f., 259.
  15. Vgl. Toepke 1881, S. 218. Die Medicina umfaßte die Heilung und Gesunderhaltung des menschlichen Körpers in seiner Gesamtheit und die Verordnung von Arzneien für körperinnere Erkrankungen. Die niederrangige Chirurgia hatte allein die Heilung äußerlicher Gebrechen zur Aufgabe; vgl. Zedler 2, 1732, Sp. 1741–1744 („Artzeney-Kunst“, d. i. Medicina); ebd. 59, 1749, Sp. 1442 f. („Wund-Artzeney-Kunst“, d. i. Chirurgia), 1490 („Wund-Artzt“).
  16. Siehe auch Nr. 413.
  17. Seine prominenteste Patientin war Dorothea von Braunschweig-Wolfenbüttel, seit 1615 Gemahlin des Administrators Christian Wilhelm von Brandenburg; Dreyhaupt 2, 1750, S. 640.
  18. von Frank 2, 1970, S. 219. Die Erhebung in den Adelsstand ist sonst nicht überliefert. Ein Hofpfalzgraf vertrat kaiserliche Rechte in der freiwilligen Gerichtsbarkeit; vgl. HRG 2, 1978, Sp. 212 f. (G. Dolezalek).
  19. Strauch 1631, fol. Eiv–Eijr.
  20. Vgl. Legenda Aurea IX, 15–16, CXIII, 125–134.
  21. Jäger 2008, S. 211–214, 225–228.
  22. Diesen für das Bildprogramm maßgeblichen Zusammenhang hat Schulze 2010, S. 340 f. bestritten und stattdessen ohne nähere Begründung die These aufgestellt, der „naturwissenschaftlich gebildete Chirurg“ habe sich ein „bildliches Kompendium schwerer Verletzungen“ gewünscht.
  23. Jäger 2008, S. 216–225.

Nachweise

  1. MBH Ms 319, 5, o. S. (A, E).
  2. Olearius 1667, S. 111 (A).
  3. Olearius 1674, S. 169.
  4. Knauth 1857, S. 781 f.
  5. Hofmann 2000, S. 9, 75 f., 78–80.
  6. Jäger 2008, S. 209.

Zitierhinweis:
DI 85, Halle/Saale, Nr. 431(†) (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di085l004k0043108.