Inschriftenkatalog: Die Inschriften der Stadt Halle an der Saale

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 85: Halle/Saale (2012)

Nr. 421(†) Stadtgottesacker 1623, nach 1647 (?)

Beschreibung

Epitaph für Dr. Johannes Olearius an der Rückwand der Bogenkammer 74. Reliefplatte aus Sandstein, die ursprünglich an allen vier Seiten von Inschriften unbekannter Ausführung umgeben war. Heute nur noch die Platte erhalten. Im Binnenfeld die Ganzfigur des Verstorbenen; dieser als bärtiger, alter Mann und – seiner Profession entsprechend – mit Talar und Halskrause abgebildet; in den Händen ein Buch. Die Figur hinterfängt eine flache Rundbogennische mit Ohrmuschelwerk in den Zwickeln, darin Engelsflüchten eingeschlossen. Auf dem erhöhten Plattenrand umlaufend ein Sterbevermerk eingehauen (B). Darüber einst eine Weiheformel und biographische Angaben mit Segenswunsch (A), darunter ein Epigramm als Totenlob mit Autorenvermerk (C). An den Seiten die Verse eines Bibelzitats (D). Schriftform und die Art der Ausführung der verlorenen Inschriften unbekannt.

A, C, D nach Olearius 1674.

Maße: H.: 180 cm; B.: 96 cm; Bu.: 4 cm.

Schriftart(en): Kapitalis (B).

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Markus Scholz) [1/1]

  1. A †

    Christo Vitae Principi Sacrum. / Der Wohl=Ehrwürdige Grosachtbahre und Hochgelahrte Herr Johann Olearius, gebohren zu Wesel A(nno) 1546. 17. Sept(embris) wird Magister Philosophiae zu Jena, An(no) 1573. Prof(essor) Hebr(äischer) Sprache zu Königsberg, 1577. Prof(essor) H(eiliger) Schrifft zu Helmstedt 1578. und Doctor daselbst, 1579 Ober=Pastor zur L(ieben) Frauen und Superintendens allhier A(nno) 1581. zeuget mit Frau Anna D(octoris) Tilem(anni) Heshusii Tochter 3. Söhne, Johannem, Jacobum, Tilemannum, 4. Töchter, Anna, Elisabeth, Catharina, Sophia: mit Fr(au) Sibylla, M(agistri) Nic(olai) Nicandri Tochter 3. Söhne, Gottfridum, Johannem, Christian-VVilhelmum, 4. Töchter, Maria, Sibylla, Maria, Christina. Stirbt im HErren An(no) 1623. 26. Jan(uarii) Seines Alters im 77. und Predigtampts im 42. Jahre. GOtt gebe Ihm die fröliche Auferstehung.a)

  2. B

    IOHANNES OLEARIVS S(ANCTISSIMAE)b) THEOL(OGIAE) DOCTOR / ET IN ACAD(EMIA) IVL(IA) PROF(ESSOR) P(VBLICVS) HINC ECCL(ESIAE) HAL(ENSIS) AD B(EATAM) VIRG(INEM) PASTOR SVPERINTENDENS, / NATVS VESALIAE CLIVORVM A(NNO) 1546. / 17.c) SEP(TEMBRIS) PIE OBIT A(NNO) 1623. 26.d) IAN(VARII) AET(ATIS) 77. MINIST(ERII) 42.e)

  3. C †

    Tiphys (et)f) Automedon erat hic Olearius Hallae,Imo erat Elias, currus eqvesqve Sion.Florente hac Olea Pax floruit, inde recepta estAEthere, sed terris germina trina dedit.P(aulus) R(oeberus) D(edit)g)

  4. D †

    Jch aber werde bleiben wie ein grüner Oelbaum im Hause GOttes. // Verlasse mich auff GOttes Güte immer und ewiglich. Ps. 52.1)

Übersetzung:

A Christus, dem Fürsten des Lebens, geweiht. (...)

B Johannes Olearius, der heiligsten Theologie Doktor und öffentlicher Professor der Academia Iulia, hernach der Kirche zur seligen Jungfrau in Halle Pfarrer (und) Superintendent, war im clevischen Wesel im Jahr 1546 (am) 17. September geboren worden (und) starb fromm im Jahr 1623 (am) 26. Januar im 77. (Jahr seines) Alters (und) 42. (Jahr seines) Dienstes.

C Wie Tiphys und Automedon war dieser Olearius von Halle. Er war sogar wie Elias ein Lenker des Streitwagens Zion. Als dieser Ölbaum blühte, blühte (auch) der Frieden. Deswegen ist er in den Himmel aufgenommen worden. Auf der Erde aber hinterließ er dreifach Nachkommen. Paul Röber widmete (dies).

Versmaß: Zwei elegische Distichen (C).

Kommentar

Die R-Cauden in Inschrift B wurden stets bis unter die Grundlinie geführt. Einzelne Nomina in B, insbesondere Eigennamen, Amtstitel und das Wort THEOLOGIAE, beginnen mit überhöhten Buchstaben. Als Kürzungszeichen stehen (in B) Quadrangel auf der Grundlinie.

Johannes Olearius und seine Ehefrauen Anna Heshusius (s. Nr. 312) und Sibylla Nicander (s. Nr. 418) waren vor dem Bogen auf der Freifläche des Stadtgottesackers beigesetzt worden. Die Figurenplatte kann erst 1647 hier aufgerichtet worden sein, als Johannes Olearius’ Sohn Gottfried die Bogenkammer erworben hatte (Anhang 1, Nr. 74). Vermutlich waren auch dann erst die die Platte umgebenden Inschriften A, C und D geschaffen worden. Anders als die vorliegende Platte, die bald nach dem Tod Johannes Olearius’ 1623 entstanden sein könnte, haben die jüngeren Grabmäler des Stadtgottesackers – nachweislich seit den 1630er Jahren – eine ausgebildete Knorpelwerk- oder Ohrmuscheldekoration (s. Nr. 454, 455, 507).

Die wichtigsten Lebensstationen Johannes Olearius’ sind in Inschrift A genannt. Zu ergänzen wäre, daß er sein Studium in Marburg begann und seit 1574 an der Universität Königsberg wirkte. Seine spätere Wirkungsstätte, die von Herzog Julius von Braunschweig-Lüneburg im Jahr 1576 gegründete Universität Helmstedt, wurde ACADEMIA IVLIA genannt. Olearius’ erste Ehefrau Anna war die Tochter seines Landsmannes und Kollegen aus Königsberg und Helmstedt, des Professors Tilemann Heshusius (s. Nr. 312), seine zweite Ehefrau die Tochter des Hallenser Pfarrkollegen Nikolaus Nicander (s. Nr. 418). Die Eheleute wurden zu Stammeltern eines vielfach verzweigten Geschlechts, das über mehrere Generationen in Halle, Magdeburg und Weißenfels Theologen hervorbrachte. Seine ihn überlebenden Söhne Dr. Gottfried, M. Tilemann und Dr. Johann Olearius sind vermutlich mit den in Inschrift C genannten trina germina gleichzusetzen.2) Johannes Olearius ist zusammen mit dem Pfarrer vom Neumarkt, Christian Kittelmann (s. Nr. 342), durch anticalvinistische Polemik hervorgetreten.3)

Inschrift C beginnt mit mythologischen Gleichnissen auf die verläßliche Steuerung eines Gefährts: Tiphys war der Steuermann der Argo des Jason, Automedon lenkte den Streitwagen des Achilles vor Troja.4) Der erste Pentameter wendet die Gleichnisse ins Christliche und vergleicht Olearius mit dem Propheten Elia, der als ein currus eqves die gottesfürchtigen Israeliten in den siegreichen Kampf gegen die Abtrünnigen führte (1 Kö 17–19). Im zweiten Distichon der Inschrift C greift der Verfasser den Wortstamm des Namens Olearius auf, um mit der Pflanze Olea – d. i. Oliva = Ölbaum – die Metaphern von Blüte und Sprossen (germina) zu verbinden. Der Verstorbene erfährt eine weitere poetische Erhöhung, indem der allegorischen Ausdeutung seines Namens ein einschlägiges Bibelzitat (D) gegenübergestellt und auf ihn bezogen wird.

Paul Röber (1587–1651), der Autor der Inschrift C, war von 1613 bis 1617 unter Olearius Archidiakon an der Marktkirche, dann Hofprediger des Administrators Christian Wilhelm von Brandenburg und seit 1627 Professor und Generalsuperintendent in Wittenberg. Er war ein Bruder des Martin Röber, Pfarrer von St. Ulrich, und wurde als Poet gerühmt.5)

Textkritischer Apparat

  1. Schrägstriche, die Olearius 1674 in seine Abschrift gesetzt hat, wurden hier durch Kommata ersetzt.
  2. SANCTISSIMAE] Befund: S.S.
  3. 17.] d. 17. Olearius 1667.
  4. 26.] d. 26. Olearius 1667.
  5. 42.] Es folgt ein Ornament.
  6. et] Olearius 1674: et-Ligatur.
  7. Paulus Roeberus Dedit] Auflösung unsicher. Wenn dieser Autorenvermerk die Inschrift beschloß, dann waren die bei Olearius 1674, S. 84 dem Gedicht vorangestellten Worte „D. Pauli Röberi disticha“ vermutlich nicht Teil der Inschrift gewesen.

Anmerkungen

  1. Ps 52,10.
  2. Dreyhaupt 2, 1750, Beylage B, S. 110–113 („Geschlechts-Register der Olearius“). Der vierte, beim Tod des Vaters noch lebende Sohn, Christian Wilhelm, starb 1626. Erst mit seinem Tod reduziert sich die männliche Nachkommenschaft des Olearius auf die germina trina. Die Formulierung ist deshalb ein Indiz für eine spätere Entstehung zumindest der aufeinander bezogenen Inschriften C und D; vgl. Kommentar. Zu Gottfried O. s. Nr. 510.
  3. Dreyhaupt 2, 1750, S. 683; zuletzt: Friedrich 2004.
  4. Zu Automedon s. Pauly 1, 1964, Sp. 782 (H. v. Geisau); zu Tiphys s. Pauly 5, 1975, Sp. 859 f. (H. v. Geisau).
  5. Dreyhaupt 2, 1750, S. 700 f. Zu M. Röber s. Nr. 456.

Nachweise

  1. MBH Ms 319, 2 o. S. (Nr. 74; Zeichnung).
  2. Olearius 1667, S. 371 (A unvollständig, B, C).
  3. Olearius 1674, S. 83 f.
  4. Dähne 1830, S. 112 (A unvollständig).

Zitierhinweis:
DI 85, Halle/Saale, Nr. 421(†) (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di085l004k0042102.