Inschriftenkatalog: Die Inschriften der Stadt Halle an der Saale

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 85: Halle/Saale (2012)

Nr. 404† Stadtgottesacker 1618

Beschreibung

„Ein Höltzern Epitaphium“ für die Familie des Tobias Oesterling in der Bogenkammer 59, „daran die Creutzigung CHristi wie auch die Aufferstehung gemahlt nebst“ einem Bibelzitat (A). „Hierunter aber ist gemahlt ein alter Greis, der mit der rechten einen Todten-Kopff, mit der Lincken ein Kind hält, an dem Tische stehend, auff welchen ein Liecht und Sandseiger gestellt mit“ beigeschriebener religiöser Spruchdichtung (B). „Auff beyden Seiten in kleine Täfflein“1) ein Stiftervermerk mit Widmung mit Memento mori und Jahreszahl (C) und Bibelzitate geschrieben (D, E). Das Epitaph heute verloren, die Schriftform der vermutlich gemalten Inschriften nicht bekannt.

Nach Olearius.

  1. A

    Joh. 11. Jch bin die Aufferstehung etc.2)

  2. B

    So bald der Mensch thut leben /Dem Tod ist er untergeben, /Hiermit siehstu behend, /Anfang Lebens-Mittela) und End.b)

  3. C

    Dis Epitaphium habe ich Tobias Oesterling mir und den Meinen zum Gedächtnüß lassen auffrichten. GOtt helffe daß wir hie wohl lernen sterben, und dort ewig leben mögen, Amen! 1618.b)

  4. D

    Psalm 4. Jch liege und schlaffe etc.3)

  5. E

    Esai. 26. Deine Todten werden leben etc.4)

Versmaß: Vier Reimverse (B).

Kommentar

Das Epitaph der Familie Oesterling gehörte zu jenen Grabmälern des Stadtgottesackers, die ein reiches Text-Bild-Programm im Sinne der lutherischen Soteriologie entfalteten. Ein Greis, vermutlich Chronos, die Personifikation der Zeit, trägt ein Kind und einen Schädel, die Anfang und Ende eines Menschenlebens symbolisieren (B, Vers 4). Dieses vergeht, brennt nieder wie ein „Liecht“, verrinnt wie der Sand im „Sandseiger“, der Sanduhr. Die Personifikationen und Dinge bilden ein vielteiliges Memento mori,5) das mahnt, angesichts der Vergänglichkeit hie wohl lernen zu sterben, um dort ewig leben zu mögen. Der einzige Weg, dem durch die Erbsünde vorgezeichneten Tod zu entkommen, ist die Teilhabe am Erlösungswerk Christi. Dieses ist im Bild dargestellt: die Auslöschung der Erbsünde durch den Opfertod (Kreuzigung) Christi und die Überwindung des Todes durch die Auferstehung zum ewigen Leben. Psalm 4,9 spricht die Hoffnung aus, daß der Verstorbene „schläft“ (D). „Schlafen“ ist die herkömmliche Metapher für den „zeitlichen“ Tod, der durch das mit der Auferstehung beginnende ewige Leben beendet werden wird. Daß die Auferstehung kommen wird, versichern der Prophet Jesaja (E) und der Evangelist Johannes (A), der Jesu Worte zitiert: „Wer an mich glaubt, wird leben“, d. h. am Erlösungswerk teilhaben. Die Stärkung und Bewahrung der Erlösungsgewißheit im Glauben, das ist mit „sterben lernen“ gemeint.6)

Nach seinem Tod 1647 wurde Tobias Oesterling und seiner Ehefrau ein zweites, steinernes Epitaph gesetzt (Nr. 509).

Textkritischer Apparat

  1. Lebens-Mittel] Olearius: Lebens/Mittel .
  2. Schrägstriche bei Olearius wurden hier bis auf eine Ausnahme durch Kommata ersetzt.

Anmerkungen

  1. Alle Zitate nach Olearius 1674, S. 64.
  2. Jh 11,25.
  3. Ps 4,9.
  4. Jes 26,19.
  5. Zum Memento mori s. Einleitung, S. XLII.
  6. Vgl. Einleitung, S. XLIII.

Nachweise

  1. MBH Ms 319, 2, o. S. (Nr. 59).
  2. Olearius 1674, S. 64.

Zitierhinweis:
DI 85, Halle/Saale, Nr. 404† (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di085l004k0040401.