Inschriftenkatalog: Die Inschriften der Stadt Halle an der Saale

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 85: Halle/Saale (2012)

Nr. 362† Ulrichskirche vor 1610, 1610

Beschreibung

Epitaph für Dr. Balthasar Brunner, 1886 nur noch die Tafel mit Inschrift C erhalten,2) heute alle Teile des Epitaphs verloren. „Daran die Verklährung Christi aufn Berge Tabor, der geplagte Hiob, ingleichen der Fall Adam und Eva“ sowie Bibelzitate (A, B) „nebst unterschiedlichen Tugend- und anderen Bildern, auch knienden 8. Manns- und 7. Weibs-Personen“1) sowie Weiheformel, Stifter- und Sterbevermerk (C). Schriftform und Art der Schriftausführung nicht überliefert.

Nach Olearius 1674.

  1. A

    Apoc. 2. esto fidelis3)

  2. B

    Rom 8. Passiones huj(us) vitae (et)c.a)4)

  3. C

    D(EO) O(PTIMO) M(AXIMO) S(ACRUM) BALTHASAR BRUNNERUS, Hall(ensis) Philos(ophiae) (et)b) Medic(inae) D(octor) instabilitatem hujus aerumnosae vitae qvotidie considerando (et)b) proinde tempus suae resolutionis avide expectando, coelestem Panegyrinc) anhetansd) spe firmissima, fore ut post certamen hic decertatum, fidemq(ve) auxilio S(anctorum)e) constanter servatam, cursumq(ve) consummatum, justitiae immarcessibilemf) coronam sibi omnibusq(ve) fidelibus repositam, a JESU Christo justo adventuro judice in die restitutionis omnium certo conseqvatur, Hoc monumentum sibi vivus P(oni) F(ecit) Moriebatur Anno Christi MDCX. cum vixisset annos 70.

Übersetzung:

A (...) Sei getreu.

B (...) Die Leiden dieses Lebens (...).

C Gott, dem Besten (und) Höchsten, geweiht. Balthasar Brunner aus Halle, Doktor der Philosophie und Medizin, hat zu Lebzeiten in täglicher Erwägung der Unbeständigkeit dieses mühseligen Lebens und ebenso in begieriger Erwartung der Zeit seines Ablebens, die himmlische Festversammlung anstrebend in der festesten Hoffnung, daß er nach hier ausgefochtenem (Lebens-)kampf, nach dem mit Hilfe der Heiligen beständig bewahrten Glauben und einem vollendeten Lebenslauf von Jesus Christus, dem rechtfertigenden Richter, der am Tag der Wiederaufrichtung aller gewiß kommen wird, den ihm und allen Gläubigen bewahrten, nie verwelkenden Kranz der Gerechtigkeit gewinnen möge, sich als Lebender dieses Denkmal setzen lassen. Er starb im Jahr Christi 1610, als er 70 Jahre gelebt hatte.

Kommentar

Die in Inschrift C angesprochenen Heiligen sind jene, die durch ihren Glauben am Erlösungswerk Jesu teilhaben werden, wie es Luther lehrt.5) Ihnen wird die corona justitiae, die Krone der Gerechtigkeit,6) verliehen, d. h., sie werden durch Jesus gerechtfertigt werden (d. i. justus judex) und sich zu einer himmlischen Festversammlung (coelestem Panegyrin) vereinen, deren Gemeinschaft Brunner anstrebt.

Laut Inschrift C hat sich Balthasar Brunner sein Epitaph selbst gesetzt. Dafür spricht auch, daß der Sterbevermerk Brunners auf das Todesjahr reduziert und den üblichen, Grabinschriften abschließenden Setzungs- oder Stiftervermerken (vgl. z. B. Nr. 361, 364) nachgestellt ist. Er wurde augenscheinlich von Brunners Erben nachgetragen.

Balthasar Brunner (1540–1610) studierte in Erfurt, Jena und Leipzig und lehrte Poetik an der Universität Jena. Er immatrikulierte sich 1576 in Basel, um sich zum Medicinae Doctor promovieren zu lassen. Von 1577 an war Brunner zeitweilig hallischer Stadtphysikus. Er bereiste Frankreich, Italien, Spanien und die Niederlande und trat als Leibarzt in den Dienst der Fürsten von Anhalt. Seine ärztlichen Kenntnisse wurden auch von Kurfürst Christian I. von Sachsen (1586–1591) und anderen Fürsten in Anspruch genommen. Brunner betrieb vermutlich auch botanische Studien und führte eine weitreichende, wissenschaftliche Korrespondenz. Er soll Berufungen an die Universitäten Heidelberg und Basel ausgeschlagen haben und im 71. Lebensjahr gestorben sein.7)

Die Mitteilung Johann Christophs von Dreyhaupt, daß Brunner ein bekennender Reformierter gewesen sei,8) ist zu bezweifeln, da hallische Bürger, die im Verdacht standen, dem reformierten (oder calvinistischen) Bekenntnis anzuhängen, ausgegrenzt wurden und sogar mit der Verweigerung eines kirchlichen Begräbnisses rechnen mußten.9) Im Zeitalter des Konfessionalismus spricht die Anbringung seines Epitaphs in der Ulrichskirche eindeutig dafür, daß Brunner ein streng lutherisch gesinnter Bürger war.

Textkritischer Apparat

  1. etc.] Olearius 1674: et-Ligatur und c.
  2. et] Olearius 1674: et-Ligatur.
  3. Panegyrin] Sic! Von panegyris, griech. eine Festversammlung.
  4. anhetans] Sic! Für anhelans.
  5. Sanctorum] Olearius 1674: S. S.
  6. immarcessibilem] Sic! Für immarcescibilem.

Anmerkungen

  1. Olearius 1674, S. 170 f.
  2. BKD Prov. Sachsen NF 1, S. 204.
  3. Apc 2,10.
  4. Nach Rm 8,18.
  5. Vgl. Hauschild 2, 2005, S. 301.
  6. Zu corona justitiae s. auch Einleitung, S. XLIV.
  7. Dreyhaupt 2, 1750, S. 595 f. und Beylage B, S. 65 („Geschlechts-Register der Hoffmanne“); Toepke 1881, S. 215; Piechocki 1965, S. 8 f., 14; siehe auch Nr. 325, 361, 364. Balthasar Brunner soll mit der gleichnamigen hallischen Familie nicht verwandt sein; vgl. Dreyhaupt 2, 1750, S. 595 und Beylage B, S. 23 („Geschlechts-Register derer Brunner“).
  8. Dreyhaupt 2, 1750, S. 596; danach auch Delius 1953, S. 139.
  9. Vgl. Mittag 2, 1747, S. 71 (zu Friedrich Widebrand); Delius 1953, S. 135 f., 138 f.

Nachweise

  1. MBH Ms 391, 5, o. S.
  2. Olearius 1667, S. 109 (C auszugsweise).
  3. Olearius 1674, S. 170 f.
  4. Dreyhaupt 2, 1750, S. 596 (C auszugsweise).

Zitierhinweis:
DI 85, Halle/Saale, Nr. 362† (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di085l004k0036208.