Inschriftenkatalog: Die Inschriften der Stadt Halle an der Saale

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 85: Halle/Saale (2012)

Nr. 315 Ammendorf, Katharinenkirche 1600 (?)

Beschreibung

Farbiges Tafelbild mit Halbfigur des Pfarrers Johannes Böttinger in Dreiviertelansicht sowie Namensbeischrift, Altersangabe (A) und Devise (B). Der bärtige Mann mit dunklem vollen Haupthaar ist mit Talar und Halskrause bekleidet und hält in seiner linken Hand ein geschlossenes Buch. Inschrift A beiderseits des Hauptes zweizeilig, B darunter links einzeilig aufgemalt. Das stark nachgedunkelte Gemälde restauriert, ein breiter Streifen am rechten Bildrand erneuert. Ein augenscheinlich großer Farbverlust in der unteren Bildhälfte retuschiert und die Hand mit Buch dilettantisch nachgemalt. Sie war aber sicherlich ursprünglich vorhanden.

Maße: H.: 79,5 cm; B.: 66 cm; Bu.: 1,7 cm (1. Zeile von A), 1,3–1,5 cm (2. Zeile von A), 0,8 cm (B).

Schriftart(en): Kapitalis.

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Markus Scholz) [1/3]

  1. A

    [- - -] EFFIGIEM IOHAN(NIS)a) BÖT//TINGERI · PASTO[RI(S)]b) / AMMENDORFc) AETATIS // SVAE. 60. A(NN)Od) / .1600[.]e)

  2. B

    SI TIMES MORTEM, CHRIST(VS) VITA EST.1)

Übersetzung:

A (...) das Abbild des Johannes Böttinger, Pfarrer zu Ammendorf, im 60. Jahr seines Alters. 1600

B Wenn du den Tod fürchtest: Christus ist das Leben.

Kommentar

Die sorgfältig ausgeführten Buchstaben weisen Haar- und Schattenstriche und eine Linksschrägenverstärkung auf. Die Sporen sind dreieckig. In Inschrift A sind die Versalien der ersten drei Worte und des SVAE überhöht, in Inschrift B die Versalien von SI und CHRISTVS. M hat schräge Schäfte und einen an der Mittellinie endenden Mittelteil. Die Zeichen auf der Zeile sind teils dreieckig, teils rund.

Wenn keine restauratorische Verballhornung des ersten Wortes EFFIGIEM vorliegt, dann muß der Anfang der Inschrift, ein Verb, das die Akkusativform des Nomens bedingt, fehlen. Das in A enthaltene Formular „Effigies NN“ kam in der ersten Hälfte des 16. Jh. in Mode.2) Es streicht die Porträthaftigkeit heraus und kann in ihrem konkreten Kontext verschiedene Aspekte des humanistischen Bilddiskurses ansprechen.3) Hier knüpfte die wahrscheinlich fragmentierte Inschrift an.

Johannes Böttinger ist 1576 in Halle ordiniert und in die Ammendorfer Pfarrstelle eingeführt worden. 1603 ist er gestorben.4) Ob Böttinger tatsächlich im Jahr 1600 sechzig Jahre alt war, bleibt in Ermangelung anderer Überlieferung fraglich. Inschrift B tröstet über den Tod mit einem Verweis auf das ewige Leben, das durch Christus geschenkt wurde.

Textkritischer Apparat

  1. IOHANNIS] Kürzung durch Dreieck auf der Grundlinie.
  2. PASTORIS] Die Buchstaben RI und der das S kürzende Punkt restauriert; Auflösung daher unsicher. Der Kasus hier entsprechend dem des Familiennamens gewählt.
  3. AMMENDORF] Zu ergänzen zu AMMENDORFIENSIS?
  4. ANNO] O in kleinerem Schriftgrad unter den nach rechts hervortretenden Balken des A geschrieben.
  5. 1600] Wahrscheinlich restauriert oder zu einem späteren Zeitpunkt nachgetragen, da in einem anderen Duktus und hellerer Farbe als die voranstehende Zahl ausgeführt. Auch 1609 möglich.

Anmerkungen

  1. Ambrosius, De Virginitate, 16, 99, 14.
  2. Vgl. die Porträtstiche Albrecht Dürers für Willibald Pirckheimer und Erasmus von Rotterdam von 1524 und 1526; siehe Katalog Hamburg 1983, S. 158 f. (Nr. 64; Eckehard Schaar), 164 f. (Nr. 67; Eckehard Schaar); vgl. die Porträtgemälde Spalatins, Melanchthons und Bugenhagens, die Lucas Cranach d. Ä. 1537 schuf; siehe Katalog Bremen 2009, Nr. 14 f. und Friedländer/Rosenberg 1979, S. 140 (Nr. 351, 351 a).
  3. Vgl. die Erläuterungen zum Porträt des Erasmus bei Preimesberger 1999, S. 228–238. Vgl. auch Nr. 480: dort „facies“ statt „effigies“.
  4. Delius 1928, S. 125; nach Dreyhaupt 2, 1750, S. 876 aber schon seit 1567 in Ammendorf.

Zitierhinweis:
DI 85, Halle/Saale, Nr. 315 (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di085l004k0031509.