Inschriftenkatalog: Die Inschriften der Stadt Halle an der Saale

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 85: Halle/Saale (2012)

Nr. 254† Stadtgottesacker 1588

Beschreibung

Grabstein für Leonhard Zeise, „vor dem XIV. Bogen liegen“,1) heute verloren. Darauf Weiheformel und Sterbevermerk (A), Memento mori (B), Grabbezeugung, biographische Angaben (C) und Totenlob (A, C). Schriftform und Art der Schriftausführung nicht überliefert.

Nach Olearius.

  1. A

    D(eo) O(ptimo) M(aximo) S(acrum) Amplissimus (et)a) Prudentissimus Vir, D(OMI)N(US) LEONHARTUS ZEISA, praeclare meritus de Republ(ica) Hallensi, qvam decimum Consul maxima cum laude (et)a) feliciter rexit, pie (et)a) religiose inter preces interqve suorum complexus mortuus, animam suam CHRISTO Redemptori fideliter commendavit, d(ie) 23. m(ensis) Decemb(ris) qvadrante post horam 2. pomeridianam, cum annos LXI. m(enses) 3. d(ies) 8. vixisset Anno MDLXXXVIII.

  2. B

    Vivito ut post vivas, Vivit post funera virtus.

  3. C

    Hoc sunt ossa loco Leonhardi condita Zeisae /Qvi fuit eloqvio consilioqve potens. /Rexit oves patrias septem lustra acer, (et)a) annum, /Hac Consul dena factus in Urbe vice. /Pignora suscepit restanti e Conjuge qvinqve /Natus at (et)a) duplex Nata superstes agit. /Cum Generis claris, clarisqve nepotibus omnes /Virtute insignes ingenio atqve fide. /Bis=sex lustra unumqve pius transegit ut annum, /Astra poli tota plebe gemente subit.

Übersetzung:

A Gott, dem Besten (und) Höchsten, geweiht. Der hochachtbare, wohlweise Mann, Herr Leonhard Zeise, hochverdient um das hallische Gemeinwesen, das er zum zehnten Male als Ratsmeister mit höchstem Lob und glücklich führte, fromm und gottesfürchtig unter Gebeten und unter Umarmungen der Seinen gestorben, empfahl seine Seele gläubig Christus, dem Erlöser, am 23. Tag des Monats Dezember, ein Viertel nach der zweiten Stunde nachmittags, als er 61 Jahre, 3 Monate (und) 8 Tage gelebt hatte, im Jahr 1588.

B Leben sollst du, um nachher zu leben, denn es lebt nach dem Begräbnis die Tugend.

C An dieser Stelle sind die Gebeine des Leonhard Zeise geborgen, der durch Sprache und Vernunft mächtig war. Sieben Jahrfünfte und ein Jahr stand er mit Scharfsinn den heimatlichen Schäfchen vor, nachdem er in dieser Stadt zehnmal im Wechsel zum Bürgermeister gemacht worden war. Fünf Kinder empfing er von der zurückbleibenden Ehefrau, aber (nur) ein Sohn und zwei Töchter sind noch am Leben. Sie alle sind gemeinsam mit den hervorragenden Schwiegersöhnen und prächtigen Enkeln bedeutend durch Tugend, Charakter und Glauben. Als er zweimal sechs Jahrfünfte und ein Jahr fromm gelebt hatte, fuhr er unter dem Seufzen des ganzen Volkes zu den Sternen des Himmels auf.

Versmaß: Fünf elegische Distichen (C).

Kommentar

Leonhard Zeise (1527–1588) war seit 1555 Ratsmitglied und seit 1566 im turnusmäßigen dreijährigen Wechsel – 1577 und 1588 aber schon nach einjähriger Pause – Ratsmeister.2) 1580, 1583 und 1586 amtierte er zusammen mit Dr. Paul Dolscius, dessen Tochter Benigna 1587 Leonhard Zeises einzigen überlebenden Sohn Kaspar heiratete. Während Zeises und Dolscius’ gemeinsamer Amtszeit wurde u. a. die Uhr des Roten Turmes (Nr. 222) und ein Teil der Stadtmauer erneuert (s. Nr. 246). Außerdem war Zeise seit 1584 Beisitzer des Schöffenstuhls.3) Seine Ehefrau Blandina war eine Schwester des Lazarus Zoch (s. Anhang 1, Nr. 15).4)

Die im 3. Vers von C angegebene Amtsdauer von 36 Jahren (septem lustra et annum) berücksichtigt wahrscheinlich auch ein städtisches Amt, das Zeise drei Jahre vor seinem Eintritt in den Rat 1555 wahrgenommen hat.

Indem Inschrift A das Sterben des Leonhard Zeise in sicherlich idealisierter Weise schildert, hebt sie die wesentlichen Aspekte eines „guten Sterbens“ im Sinne der lutherischen Ars moriendi hervor.5) Inschrift B ist ein Memento mori, das ein tugendhaftes Leben anmahnt, weil nach dem Tod nur der, der tugendhaft lebte, in das ewige Leben eintreten wird (Vivit post funera virtus).

Textkritischer Apparat

  1. et] Olearius: et-Ligatur.

Anmerkungen

  1. Olearius 1674, S. 109.
  2. Vgl. StAH H B 2, S. 79, 81 f., 85 f., 88–90, 92 f., 95 f.
  3. Ockel 1700, S. 207; Dreyhaupt 2, 1750, S. 343 f., 453 und Beylage B, S. 198 („Geschlechts-Register derer Zeisen“); zu P. Dolscius s. Nr. 260, zu K. Zeise s. Nr. 336.
  4. Die Aussage bei Dreyhaupt 2, 1750, Beylage B, S. 198 („Geschlechts-Register derer Zeisen“) und S. 200 („Geschlechts-Register derer von Zoch“), daß Blandina bereits 1586 gestorben sei, wird durch Inschrift B widerlegt.
  5. Vgl. Einleitung, S. XLIII.

Nachweise

  1. MBH Ms 319, 3, o. S.
  2. Olearius 1674, S. 109.

Zitierhinweis:
DI 85, Halle/Saale, Nr. 254† (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di085l004k0025401.