Inschriftenkatalog: Die Inschriften der Stadt Halle an der Saale

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 85: Halle/Saale (2012)

Nr. 251 Stiftung Moritzburg, Kunstmuseum 1587, nach 1630

Beschreibung

Platte mit mehreren Szenen, Inschriften und Rollwerkrahmen, geschnitzt und farbig gefaßt, angeblich aus dem Dom übernommen.1) Im Zentrum ein gerahmtes, quergeteiltes Oval mit Darstellung Christi und eines Arbeiters im Weinberg in der oberen und Bibeldichtung in der unteren Hälfte (D). Auf den oberen Rahmensegmenten des Ovals eine abgesetzte Schriftzeile mit Bibelzitat (B), unterbrochen durch ein winklig ausgestelltes Rahmensegment mit einem weiteren Bibelzitat (A). Darüber die Taube des Heiligen Geistes, flankiert von zwei Wappenschilden. Am unteren Rahmensegment ebenfalls eine eingetiefte Schriftzeile mit Spruchdichtung (C). Auf dem oberen Rahmensegment sechs Medaillons von nach oben hin abnehmender Größe (H.: 4,5–7,7 cm; B.: 3,8–6,3 cm), bemalt mit Engelsköpfchen und einem auf sechs Schriftbänder verteilten Bibelzitat (E). Außerhalb des Ovals, die linke Hälfte der Platte einnehmend, die Opferung Isaaks mit Spruchdichtung auf einem abgesetzten Schriftfeld (Spruchband), das über die Szene gesetzt ist (F). Am Sockel des Opferaltars Initialen (I) und eine Marke.2) Auf der rechten Seite, in der gleichen Anordnung von Bild und Inschrift, Jakobs Traum mit zugehörigem Gedicht (G). Am oberen Ende der Himmelsleiter der hebräische Gottesname (H). Im Rollwerk der unteren Rahmenleiste eine Jahreszahl (J). Sämtliche Inschriften außer D und E erhaben; die Inschriften D und E aufgemalt. Die Oberfläche des Reliefs partiell beschädigt und stark verschmutzt, die Platte selbst senkrecht gerissen.

Maße: H.: 71 cm; B.: 78,5–80 cm; Bu.: 0,8–1,5 cm (A–C, E–I), 0,2–0,5 cm (D), 2,5–3,5 cm (J).

Schriftart(en): Kapitalis (A–C, F, G, I), Fraktur (D, E), hebräische Schriftzeichen (H).

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Markus Scholz) [1/1]

  1. A

    EGO SVM VITIS: / PATER MEVS AGRICOLA3)

  2. B

    VOS ESTIS // PALMITESa)4)

  3. C

    EIN REB DER AM STOCK CHRISTO BLEIBT:DERSELB INS EWIG LEBN BEKLEIBT.b)

  4. D

    S[..] tuus DEUS alme calonusc) /O Gott du hast Mich auch in deinen Berg gefuhret /Auff das Ich thue mitt Fleiß was mir zu thun gebihret /die Last [i]st zwar sehr schwer des Creutzes hitze brendt /Doch w[e]n der Abend kömbt nimbt alles / Creutz ein Endtd)5)

  5. E

    Heilig // Heilig // Heilig // ist Gott // der Herre // Zebaoth.6)

  6. F

    WEIL ICH ABRAHAMS SAME BIN: /NACH DEM GLAAVBENe) HAB ICH DEN GWIN /DAS ICH DVRCHS OPFER IESV CHRIST: /DER IN ISAAC VORGBILDET IST: /SOL HABN DAS EWIG LEBN GEWIS.f)

  7. G

    DER GLAVB AN HERREN IESVM CHRIST: /ALLEIN DIE LEITR IN HIMMEL IST: /DIE GOT IACOB IM TRAVM THET ZEIGN. /VND ICH MIR SIE IM TOT ZVEIGN: /GEB GOT DAS SIE ALL CHRISTEN STEIGN.g)

  8. H

    יהוה

  9. I

    L: A:

  10. J

    1//5//8//7h)

Übersetzung:

A Ich bin der Weinstock, mein Vater ist der Bauer.

B Ihr seid die Zweige.

D (...) dein Gott (ist) der nährende Bauer.

H JHWH.

Versmaß: Zwei (C), vier (D) bzw. fünf Reimverse (F, G).

Wappen:
unkenntlich oder leerWachsmuth (?)7)

Kommentar

Die regelmäßigen, breit proportionierten Buchstaben der Inschriften A bis C sowie F und G haben eine Linksschrägenverstärkung und eine schwache Bogenschwellung. Balken- und Bogenenden sind keilförmig ausgebildet. Bemerkenswert ist der häufige Ausfall des unbetonten E in den deutschsprachigen Inschriften C, F und G.

Das Relief ist aus drei Text-Bild-Komplexen komponiert. Die Opferung Isaaks und der Traum Jakobs aus dem Alten Testament werden durch Inschriften typologisch zu Opfertod und Himmelfahrt Jesu Christi in Beziehung gesetzt (F, G), um der evangelischen Heilsgewißheit Ausdruck zu geben. Inschrift D gibt eine Bibeldichtung des Johannes Heermann wieder. Sie fügt sich gut zu dem Bild des Arbeiters im Weinberg (nach Mt 20,1–16), muß aber (mit E?) bei einer Neufassung des Reliefs aufgebracht worden sein, da das Gedicht Heermanns erstmals 1630 veröffentlicht wurde.8) Anstelle von D hat vermutlich schon ursprünglich eine gemalte Inschrift gestanden.

Das Relief ist allem Anschein nach eine Stiftung, an der die hallische Familie Wachsmuth beteiligt war. Der Dom steht als ursprünglicher Standort in Frage, weil er erst seit der Renovierung 1589 wieder kirchlich genutzt wurde (s. Nr. 261).

Textkritischer Apparat

  1. Die ersten beiden Worte und die beiden Teile des nach der ersten Silbe geteilen dritten Wortes stehen einzeln zwischen den Medaillons, die den oberen Rahmensegmenten aufgelegt sind.
  2. BEKLEIBT.] Sic! Für „haften bleiben, gedeihen“; vgl. Lexer 1986, S. 13.
  3. calonus] Sic! Für colonus.
  4. Endt] Danach Zierschleifen.
  5. GLAAVBEN] Sic!
  6. GEWIS.] Der Vers schließt mit einem Punkt auf der Zeilenmitte.
  7. STEIGN.] Der Vers schließt mit einem Punkt auf der Zeilenmitte.
  8. 1587] Zwischen den Zahlen Rollwerk.

Anmerkungen

  1. Ursprünglich im Provinzialmuseum, seit dessen Auflösung im Museum Moritzburg; Inv.-Nr. A. MO III 00783.
  2. S. Anhang 2, Nr. 18.
  3. Io 15,1.
  4. Io 15,5.
  5. Gebet des Johannes Heermann für den Sonntag Septuagesimae; Heermann 1636, S. 10. Den vier geringfügig variierten deutschen Versen hat Heermann allerdings ein elegisches Distichon auf Latein vorangestellt.
  6. Nach Jes 6,3; vgl. auch Schott 1956, S. 399.
  7. Vgl. Nr. 256.
  8. Vgl. Wilpert/Gühring 1992, S. 645.

Zitierhinweis:
DI 85, Halle/Saale, Nr. 251 (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di085l004k0025100.