Inschriftenkatalog: Die Inschriften der Stadt Halle an der Saale

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 85: Halle/Saale (2012)

Nr. 221 Marktkirchengemeinde um 1580 (?)

Beschreibung

Abendmahlskanne, Silber, vergoldet, aus der Ulrichskirche. Auf dem hohen, profilierten Fuß vier gegossene Medaillons mit Evangelistendarstellungen aufgelötet (D.: 2,5 cm). Unter dem Stehrand eine partiell verschliffene Inschrift mit den Namen der Kirchväter (B). Vasenförmiger Fußnodus mit drei Henkeln, teils gegossen, teils getrieben und graviert. Auf dem flachen, aber kräftig ausbauchenden unteren Teil des Gefäßes der hohe, nur schwach ausbauchende obere Teil, dem drei gegossene Medaillons appliziert sind (D.: 3,9 cm). Darauf Allegorien der Fides, Caritas und Justitia. Kleine Schnepfe. Flach gewölbter Deckel mit vier getriebenen Buckeln und mittigem Knauf, auf dem ein Kruzifix (H.: 7 cm) mit gegossenem Corpus und Kreuztitulus steht (A). Die Befestigung von Knauf und Kruzifix an der Unterseite des Deckels mit einem gegossenen Medaillon mit Darstellung der Fortitudo (D.: 3,6 cm) abgedeckt. Auf dem Deckelscharnier eine gegossene Daumenrast (H.: 4 cm), auf deren reliefierter Vorderseite ein Gnadenstuhl und auf deren flacher Rückseite ein graviertes Ornament zu sehen ist. Gegossener und gravierter Henkel. An nahezu allen Teilen der Kanne getriebenes und graviertes Beschlagwerk, mit Fruchtgebinden am Gefäß sowie Masken an Gefäß und Deckel. Auf dem Deckel und am Gefäßboden das hallische Beschauzeichen;1) am Gefäßboden außerdem der Rest eines Meisterzeichens (?). Der Deckel leicht beschädigt; sämtliche Inschriften graviert.

Maße: H.: 30 cm (ohne Kruzifix und Daumenrast); D.: 11,3 cm (Gefäß), 13 cm (Fuß); Bu.: 0,2 cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

  1. A

    · I(HESVS) · N(AZARENVS) · R(EX) · I(VDEORVM)2) ·

  2. B

    DIE ZEID DIE ALDERLEVDE · DAVID KOGEa) · HANS SCHMIDb) [- - -]c)

Übersetzung:

A Jesus von Nazareth, König der Juden.

Kommentar

Die Schrift ist nur mit schwach ausgebildeten Sporen verziert. Das G hat ein überkragendes Bogenende, das H einen ausbuchtenden Balken. Als Worttrenner stehen in Inschrift A Punkte, in B Sternchen auf der Mittellinie. Inschrift B unterscheidet sich von der gleichlautenden Inschrift der vermutlich zur Kanne gehörenden Hostiendose (Nr. 220A) in so vielen paläographischen und orthographischen Details,3) daß zumindest für die Inschriften verschiedene ausführende Hände angenommen werden müssen.

Die Kanne entstand vermutlich im Rahmen desselben Auftrags wie eine Hostiendose, die dieselben inschriftlich bezeugten Auftraggeber hat. Der inschriftlichen Datierung dieses Gefäßes liegt die hier vorgeschlagene zeitliche Einordnung der Kanne zugrunde.4) Außer diesen beiden Gefäßen kann demselben Goldschmied sicherlich noch eine weitere, in Halle erhaltene Abendmahlskanne aus dem Jahr 1592 zugewiesen werden, die zwar keine Marken, aber eine hohe stilistische Ähnlichkeit und die gleiche Daumenrast aufweist (s. Nr. 280).

„Die älteste in der Kirchenprovinz Sachsen erhaltene Abendmahlskanne ist in ihrer Form einzigartig. Diese Einzigartigkeit ergibt sich daraus, daß man in Halle um 1580 nicht recht wußte, wie man eine solche Kanne gestalten sollte, denn allgemein verbindliche Formen hatten sich noch nicht entwickelt. (...) Für den Typus lassen sich in gewisser Weise Nürnberger Pokale mit einer verwandten Form der Kuppa benennen. Gleichartige Formen und Ornamente finden sich auf Nürnberger Vorlageblättern von Georg Wechter, die ein Jahr vorher, 1579, publiziert worden waren. (...) Für den Schmuck der Kanne sind ziemlich wahllos neue Formen weltlicher wie geistlicher Prägung verwendet worden. (...) Eine derartige Mischung ist in der Spätrenaissance jedoch mehrfach zu beobachten.“5) Die Medaillons entstanden vielleicht nach Vorlagen des Nürnbergers Peter Flötner; der Fußnodus geht auf ein Modell zurück, das schon für einen Pokal Jacob Fröhlichs aus Nürnberg Ende der 1550er Jahre Verwendung gefunden hatte.6) Das Deckelkruzifix aber soll aus spätgotischer Zeit stammen.7) Die Altarleute oder Kirchväter, wie sie in den zeitgenössischen hallischen Quellen heißen, sind als Auftraggeber genannt (vgl. Nr. 220).

Textkritischer Apparat

  1. KOGE] Das O einem V überschrieben. Koege Ulrichskirche 1939.
  2. SCHMID] Schmidt Ulrichskirche 1939.
  3. [- - -] Die folgenden Buchstaben oder Zahlen bis auf geringe Fragmente abgeschliffen.

Anmerkungen

  1. Vgl. Rosenberg 2, 1923, S. 126 (Nr. 2301 ff.). Nach Wipplinger 1972, S. 106 (Anm. 14) das älteste erhaltene Beschauzeichen von Halle – außer dem auf der Hostiendose Nr. 220.
  2. Io 19,19.
  3. Bemerkenswert ist auch die durchgängige Ersetzung des T und Doppel-T durch das D, sofern es sich nicht um einen anlautenden Buchstaben handelt.
  4. Die von Max Sauerlandt 1912 wiedergegebene inschriftliche Datierung 1580 beruht vermutlich auf einer Verwechslung mit der in diesem Zusammenhang erwähnten Hostiendose Nr. 220; Denkmäler 10, 1912, S. 4, 8 und Taf. 3. Wenn eine Jahreszahl jemals vermerkt gewesen war, dann konnte sie schon Jahrzehnte zuvor nicht mehr gelesen werden; vgl. BKD Prov. Sachsen NF 1, S. 210.
  5. Fritz 2004, S. 412 f. (Nr. 151).
  6. Denkmäler 10, 1912, S. 8; Katalog Halle 1, 2006, S. 84 (Nr. 22; Ursula Timann).
  7. Fritz 2004, S. 175 (Abb. 229), 413 (Nr. 151).

Nachweise

  1. BKD Prov. Sachsen NF 1, S. 210 (B).
  2. Denkmäler 10, 1912, S. 8 (B).
  3. Ulrichskirche 1939, S. 81 (B).

Zitierhinweis:
DI 85, Halle/Saale, Nr. 221 (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di085l004k0022102.