Inschriftenkatalog: Die Inschriften der Stadt Halle an der Saale

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 85: Halle/Saale (2012)

Nr. 203† Stadtgottesacker (1573)

Beschreibung

Epitaph für M. Sebastian Boëtius „an der Wand“ der Bogenkammer 54, „da sein Bildnüß nachn Leben künstlich in Stein gehauen, ausgemahlet und mit andern Zierrath umgeben. Zu beyden Seiten stehen 2. Engel-Bilder, welche 2. Täflein halten“, darauf Bibelzitate (B, C). „Unter seinem Bild“ ein Stiftervermerk mit einem Totenlob „in Stein gehauen“ (A).1) Die Schriftform nicht überliefert; das Epitaph heute verschwunden.

MBH Ms 319, 2, o. S. (Nr. 78). – Nach Olearius 1674.

  1. A

    Venerabili Viro D(omi)n(o) SEBASTIANO BOETIO, Purae Evangelii doctrinae Assertori Consensusqve in hac (et)a) Concordiae in Ecclesiis hujus urbis perpetuo Custodi ac Superintendenti earum vigilantissimo, Pastori suo optime merito Ecclesia ad B(eatam) Virginem, cui ille XXVI. annos salutari doctrina fideliter praefuit, gratitudinis ergo H(aeredes) M(aestissimi) P(oni) C(uraverunt).b)

  2. B

    2. Tim. 1. Jch weiß, an welchen ich gegläubet (et)c.c)2)

  3. C

    Dan. 12. Die Lehrer werden leuchten (et)c.c)3)

Übersetzung:

A Dem ehrwürdigen Mann, Herrn Sebastian Boëtius, dem Bewahrer der reinen Lehre des Evangeliums und beständigen Wächter über die Einheit in dieser und die Eintracht in den Kirchen dieser Stadt und überaus wachsamen Superintendenten derselben, dem um die Kirche zur seligen Jungfrau verdienten Pfarrer, ihm, der vermittels der heilbringenden Lehre (der Gemeinde) 26 Jahre treulich vorstand, haben aus Dankbarkeit die trauernden Erben (dieses) errichten lassen.

Kommentar

Magister Sebastian Boëtius (1515–1573) studierte von 1532 bis 1537 und nochmals 1543/44 in Wittenberg. 1537 übernahm er das Rektorat der städtischen Lateinschule in Eisenach und 1544 die Superintendentur der Freien Reichsstadt Mühlhausen in Thüringen. 1547 ging er als Diakon an die Marktkirche nach Halle und wurde 1548 Justus Jonas’ Amtsnachfolger als Oberpfarrer der Marktkirche und 1552 als Superintendent von Halle. Im Jahr seines Amtsantritts gründete er die Marienbibliothek (s. Nr. 377). Seit 1554 wirkte er zugleich als Superintendent des Saalkreises. Boëtius übte strenge Kirchenzucht und betrieb nachdrücklich die Aufhebung der Klöster in Halle und in der Vorstadt Glaucha. Durch die von ihm mitinitiierten und mitgetragenen Visitationen 1562–1564 wurde an vielen Orten des Erzstifts das lutherische Bekenntnis gefestigt und das Kirchenvermögen geordnet. 1571 polemisierte er heftig gegen einen von der theologischen Fakultät in Wittenberg herausgegebenen Schulkatechismus, der sich nicht mit der lutherischen Lehre vereinbaren ließe (s. Nr. 201). Noch auf dem Totenbett soll Boëtius die hallische Geistlichkeit zur Einheit im Bekenntnis ermahnt haben.4) Inschrift A preist Boëtius auch als Verfechter der reinen evangelischen Lehre; auf ihn ist das Wort des Propheten Daniel gemünzt (Inschrift C): „Die Lehrer werden leuchten wie des Himmels Glanz.“

Die Inschriften scheinen unvollständig überliefert zu sein, da ein Sterbevermerk fehlt.5)

Textkritischer Apparat

  1. et] Olearius: et-Ligatur.
  2. Mengering/Olearius/Müller fügen an: „decessit 8. Junij A(nn)o 1573. aetat(is) suae 59. currente.“
  3. etc.] Olearius: et-Ligatur und c.

Anmerkungen

  1. Alle Zitate nach Olearius 1674, S. 53 f.
  2. 2 Ti 1,12.
  3. Dan 12,3.
  4. Dreyhaupt 2, 1750, S. 592 f.; Delius 1926a; Delius 1953, S. 108–119, 134 f.; Katalog Halle 1996, S. 36 f. (R. Pregla). Ein zeitgenössisches Porträt des Boëtius ist in der Marktkirche erhalten; Nr. 201.
  5. Bei Mengering/Olearius/Müller 1642 schließt er sich unmittelbar an Inschrift A an (s. Anm. b). Da eine Plazierung des Sterbevermerks unmittelbar nach dem Stiftervermerk unüblich war, wird er wohl nicht Bestandteil der ursprünglichen Inschrift gewesen sein. Andere Kopisten überliefern ihn nicht.

Nachweise

  1. MBH Ms 319, 2, o. S. (Nr. 54).
  2. Mengering/Olearius/Müller 1642, fol. Mijr (A unvollständig).
  3. Olearius 1667, S. 293 (A).
  4. Olearius 1674, S. 53 f.
  5. Heineccius 1718, S. 71 (A).
  6. Dreyhaupt 2, 1750, S. 593 (A).

Zitierhinweis:
DI 85, Halle/Saale, Nr. 203† (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di085l004k0020304.