Inschriftenkatalog: Die Inschriften der Stadt Halle an der Saale

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 85: Halle/Saale (2012)

Nr. 152 Marktkirche 1549, 1550, 1552–1554

Beschreibung

Umlaufende Empore und zwei, in die westlichen Ecken des Kirchenschiffs eingebaute Emporentreppen mit Inschriften: Bibelzitate (A, E, G, I, J, L, N, P) und ein Gebet (RB), historische Nachrichten mit Namensinitialen (F, O), ein Lutherzitat (FC) und Bauinschriften (B–D, H, K, M, Q, RA) an der Westwand der Kirche (A, B), an den Emporen (im Westen: C; im Norden: EB–I; im Osten: J, K; im Süden: L–PA, Q)1) und an den Außenseiten der Brüstungen der Emporentreppen (EA im Nord- und PB im Südwesten). Die Emporen ruhen auf überwölbten Arkaden (an West- und Ostseite je eine, an Nord- und Südseite je zehn), deren Bogenzwickel das flache Relief eines mit Grotesken durchsetzen, renaissancehaften Rankenwerks bedeckt. Ein hohes, reich gegliedertes Gesims trägt die Emporenbrüstung, die durch kleine Säulchen in maßwerkbesetzte Felder unterteilt ist. Die Inschriften C, EB, FA, G, I, J, L, N und PA sind in ca. 5,50 m Höhe auf einem Streifen des Gesimses angebracht.2) An gleicher Stelle trägt das Gesims, das in ca. 6,50 m Höhe die Treppenbrüstungen begleitet, die Inschriften EA und PB. Die Inschriften D und R befinden sich an den Sturzen der auf die Nord- bzw. Südempore führenden, oberen Treppenausgänge. Auf einem tieferliegenden, schmaleren Streifen des Emporengesimses in ca. 525 cm Höhe stehen die Inschriften FB, H, K, MA und OA. Zwei Inschriften umziehen getriebene und gefaßte Medaillons, die das Porträt Luthers mit den Initialen desselben, den Initialen des Stifters und einer Jahreszahl (FC; D.: ca. 48 cm) bzw. das Wappen Nickel Hofmans (MB; D.: 22 cm) zeigen. Sie sind am Gesims zwischen FA und FB bzw. über MA angebracht. Ein in Stein ausgeführtes Reliefmedaillon (D.: ca. 34 cm) mit Darstellung des biblischen Jonaswunders und Initialen (OB) teilt die Inschrift OA. Die Inschrift Q hingegen ist auf einem Wappenschild und einem Täfelchen in 4,45 bzw. 3,90 m Höhe an den westlichsten Arkadenzwickel der Südarkaden angeschrieben. Bis auf die gemalten Inschriften A und B und die in Metall getriebenen Inschriften FC und MB sind alle Inschriften in Stein gehauen; ihre Farbfassungen wurden bei der letzten Kirchenrestaurierung erneuert.3) Die Inschriften werden in der Reihenfolge ihrer Anbringung an West-, Nord-, Ost- und Südseite des Kirchenschiffs, die auch etwa ihrer zeitlichen Entstehung entspricht, wiedergegeben.

A nach Krause 1995, B und C nach Fotografien.4)

Maße: Bu.: 14 cm (A), 18 cm (B), 6–7 cm (D, EB, FA, G, H, I, J, L, N, PA, Q), 2,8 cm (FC), 2 cm (MB), 5 cm (OA), 4–4,5 cm (Q, R).5)

Schriftart(en): Kapitalis.

Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Halle (Saale) (Reinhard Rüger) [1/7]

  1. A

    [PSAL] LXXXIIII / [WIE LIEBLICH SIND DEI]NE WONVNGE HERR ZE[BAOTH]6)

  2. B

    · N(ICKEL) H(OFMAN)a) · / · 1 · 5 · // · 4 · 9 ·b)

  3. C

    1//549c)

  4. D

    15 / N(ICKEL) // H(OFMAN)d) / 50

  5. EA

    · GENE · AM · I · IM · AN · FANG · SCHVEF · GOT · HIMEL · VND · ERDEN7)

  6. EB

    GENE · I · GOT · SCHVEF · DEN · MENSCHEN · IM · ZVM · BILDE · ZVM · BILDE · GOTES · SCHVEF · ER · IN : RO · 5 · DVRCH · EINEN · MENSCHEN · IST · DIE · SVNDE · KOMEN · IN · DIE · WELT · VND · DER · TOD · DVRCH · DIE · SVNDE : GAL · 3 · DAS · GESEZE · IST · DAZV · KOMEN · VMB · DER · SVNDE · WILLEN · BIS · DER · SAME · KEME · DEM · DIE · VORHEISCHVNG · GESCHEHEN · IST ·e) GENE · 22 · SPRICHT · DER · HERR · ZV · ABRAHAM · DVRCH · DEINEN · SAMEN · SOLLEN · ALLE · VOLKER · AVF · ERDEN · GESEGNET · WERDEN : DER · SAME · IST · CHRISTVS : GAL · 3 ·f)8)

  7. FA

    SANCTVS · DOCTOR · MARTINVS // LVTHERVSg) · PROPHETA · GERMANIAE · DECESSIT · ANNO · 1546 :

  8. FB

    NATVS · ANNO · 1483 // DOCVITh) · ANNO · 1517 ·

  9. FC

    PESTIS · ERAM · VIVVSi) MORIENS · ERO · MORS · TVA · PAPA9) // 1553 / I(OBST) K(AMERER)j) // · D(OCTOR) · M(ARTINVS) · L(VTHERVS) ·k)

  10. G

    IOHAN · 3 · ALSO · HAT · GOT · DIE · WELT · GELIEBET · DAS · ER · SEINEN · EINIGEN · SON · GAB · AVF · DAS · ALLE · DIE · AN IN · GLEVBEN · NICHT · VERLOREN · WERDEN · SONDERN · DAS · EWIGE · LEBEN · HABEN :10)

  11. H

    N(ICKEL) // H(OFMAN)d) // · 15 · 52 ·

  12. I

    IOHAN · I · SIHE · DAS IST · GOTTES · LAMB · WELCHS · DER · WELT · SVNDE · TREGT : IOHAN · 5 · DREY · SIND · DIE · DA · ZEVGEN · AVF · ERDEN · DER · GEIST · VND · DAS · WASSER · VND · DAS · BLVT : ALLES · WAS · VON · GOT · GEBORN · IST · VBERWINDET · DIE · WELT : WER · VON · GOT · GEBORN · IST · DER · SVNDIGET · NICHT : SONDERN · WER · VON · GOT · GEBORN · IST · DER · BEWART · SICH · VND · DER · ARGE · WIRD · IN · NICHT · ANTASTEN : ROM : 8 : IST · GOT · FVR · VNS · WER · MAG · WIDER · VNS · SEIN : V(ERBVM) · D(OMINI) · M(ANET) · I(N) · AE(TERNVM)11)

  13. J

    IOHANES · AM · V · SPRICHT · CHRISTVS · WARLICH · WARLICH · ICH · SAGE · EVCH · WER · MEIN · WORT · HORT · VND · GLEVBT DEM · DER · MICH · GESANT · HAT · DER · HAT · DAS · EWIG · LEBEN · VND · KOMPT · NICHT · IN · DASl) · GERICHT · SONDERE(N) · ER · IST · VOM · TODTm) · ZVM · LEBE(N) · HINDORICHn) · GEDRV(N)GE(N)o)12)

  14. K

    ES · THVN · IHER · VIEL · FRAGEN ·WIE · SICH · DISE · 2 · STVCK · TRAGEN ·

  15. L

    IOHAp) : 14 · WER · MICH · LIEBET · DER · WIRT · MEIN · WORT · HALTEN · VND · MEIN · VATER · WIRT · IN · LIEBEN · VND · WIR · WERDEN · ZV · IM · KOME(N) · VND · WONVNGE · BEI · IM · MACHEN ·· EVq) : XI · SELIG · SIND · DIE · GOTES · WORT · HOREN · VND · BEWAREN ·· MAT · VII · SEHET · EVCH · FVR · FVR · DEN · FALSCHEN · PROPHETEN ·· MAT · XV · VORGEBLICH · DIENEN · SIE · MIR · DIEWEIL · SIE · LEREN · SOLCHE · LERE · DIE · NICHTS · DEN · MENSCHEN · GEBOT · SIND ··13)

  16. MA

    · DVRCH · GOTES · HVLF · HAB · ICH NICKEL · HOFMAN · DISEN · BAW · IMr) · 1554 · VOLENDET ·

  17. MB

    · NICKEL · HOFMAN · DER · DISEN · BAW · VOLENDET · IMr) · (15)54s)

  18. N

    GAL · I · SO · AVCH · WIR · ODER · EIN · ENGEL · VOM · HIEMEL · EVCH · WVRDE · EVANGELIVM · PREDIGEN · ANDERS · DAN · WIR · EVCH · GEPREDIGET · HABEN · DER · SEI · VERFLVCHT ·· MAT · V · · SELIG · SIND · DIE · VMB · GERECHTIKEIT · WILEN · VERFOLGET · WERDEN · DAN · DAS · HIEMELREICH · IST · IR14)

  19. OA

    · ANNO · 1541 · DOCTOR · IVSTVS · IONAS // HICt) · EVANGELIVM · RESTAVRAVIT ·

  20. OB

    I(VSTVS) // I(ONAS)u)

  21. PA

    MAT ·· XXIIII ·· WACHET · DEN · IR · WISSET · NICHT · WELCHE · STVNDE · EWER · HERR · KOMEN · WIRD ·· APO ·· XIIII · SELIG · SEIND · DIE · TODTEN · DIE · IN · DEM · HERRN · STERBEN · VON · NV · AN ·· 2 · COR · V · WIR · MVSSEN · ALLE OFFENBART · WERDEN · FVR · DEM · RICHTSTVEL · CHRISTI · AVFF · DAS · EIN · IGLICHER · EMPFAHEv) · NACH · DEM · ER · GEHANDELT · HAT · BEI · LEIBS · LEBEN · ES · SELw) · GVT · ODER · BOSE ·· I · COR · XV · DER · TOD · IST · VERSCHLVNGEN · IN · DEN · SIG15)

  22. PB

    MATH · XIII · DEN · WERDEN · DIE · GERECHTEN · LEVCHTEN · WIE · DIE · SONNE · IN · IRES · VA(TERS REICH)x)16)

  23. Q

    T(HOMAS) R(INCKLER)y) // 1554

  24. RA

    15 / N(ICKEL) // H(OFMAN)d) / 54

  25. RB

    ICH · DANCKE · GOT ·DER · MICH · BEHVT ·IN · ALER · NOT ·

Übersetzung:

FA Der seelige Doktor Martin Luther, der Prophet Deutschlands, starb im Jahr 1546.

FB Er wurde im Jahr 1483 geboren (und) lehrte im Jahr 1517.

FC Eine Krankheit war ich dir im Leben, im Tod werde ich dein Tod werden, Papst.

I (...) Das Wort des Herrn bleibt in Ewigkeit.

OA Im Jahr 1541 stellte hier Doktor Justus Jonas das Evangelium wieder her.

Versmaß: Hexameter (FC), zwei (K) bzw. drei Reimverse (RB).

Wappen:
Luther17)(FC)Hofman18)(MB)Jonas19)(OB)

Kommentar

Die eingehauenen Buchstaben sind regelmäßig ausgeführt und haben kleine Sporen. Auffällig ist die Ausrundung der Bögen von C, D, G und O. Der Mittelteil des M reicht nur bis zur Mittellinie hinab. Haar- und Schattenstriche sind selten differenziert; gelegentlich erscheint eine schwache Bogenschwellung. Als Worttrenner stehen zumeist Rauten, stets auf der Mittellinie. Inschrift J weist mehrere Verschränkungen und Enklaven auf, um die Textlänge zu reduzieren; Kürzungen sind hier durch übergeschriebene Striche markiert.

Die Inschriften lassen sich in drei große Komplexe gliedern: Bibelzitate, die hauptsächlich der Darstellung der evangelischen Lehre dienen (A, E, G, I, J, L, N, P), biographische Angaben zu den „Erzreformatoren“ Luther und Jonas (F, O) sowie Bauvermerke, Initialen und Jahreszahlen, die vom Baufortgang künden und die Werkmeister rühmen (B, D, H, K, M, Q, R).

Friedrich de Boor hat einen ersten Versuch unternommen, die alt- und neutestamentlichen Zitate unter Berücksichtigung der lutherischen Bekenntnisschriften zu deuten. Sie sind wahrscheinlich durchweg der Lutherbibel entnommen, in Einzelfällen aber geringfügig variiert. Sie sind auch nicht durchgängig nach der Ordnung der biblischen Bücher, sondern nach dem Zusammenhang der lutherischen Exegese wiedergegeben. Dem Sola-scriptura-Prinzip folgend, werden die Grundzüge der lutherischen Theologie dargelegt und einzelne Schwerpunkte hervorgehoben. Die Bibelzitate sprechen davon, daß durch EINEN MENSCHEN die Sünde in die Welt kam, durch die alle Menschen zum Tode verdammt sind (EB). Das alttestamentliche Gesetz deckt die fortwährende Sündhaftigkeit auf (EB), Erlösung gewährt allein der Opfertod Christi, des Gotteslamms (G, I). Wer der Lehre Jesu Christi vertraut, dem wird das ewige Leben zurückgegeben (G, I, J, L). Inschrift J gibt ein Zitat wieder, das den Kern der lutherischen Lehre trifft: WARLICH WARLICH ICH SAGE EVCH WER MEIN WORT HORT VND GLEVBT DEM DER MICH GESANT HAT DER HAT DAS EWIG LEBEN (Jh 5,24). Es steht an hervorgehobener Stelle, nämlich an der Ostempore über dem Altar und verweist auf zwei Grundsätze lutherischer Theologie, daß Rechtfertigung allein aus dem Glauben (sola fide) zu erlangen sei und allein durch die Gnade Gottes (sola gratia) gewährt würde.20) Die folgenden Inschriften beschwören, am Evangelium, d. h. an der evangelischen Lehre, festzuhalten und nicht auf jene zu hören, die etwas anderes predigen (L). Und sie preisen diejenigen, die wegen ihres Eintretens für die wahre Lehre verfolgt werden (N). Wer im Glaubenseifer nicht nachlasse, könne dem Jüngsten Gericht, das jederzeit zu erwarten steht, getrost entgegensehen (P). „Wer auch immer diese Sprüche ausgewählt hat“, schreibt Friedrich de Boor, „er wollte die Gemeinde, die in dieser Kirche zusammenkam, auf das Zentrum der reformatorischen Botschaft hinweisen und zugleich zur Treue im Bekenntnis aufrufen.“21) Darin spiegelt sich sicherlich auch die Bedrohung der lutherischen Lehre in dieser Zeit, als das reformatorische Werk nach der Niederlage des Schmalkaldischen Bundes 1547 bis zum Abschluß des Passauer Vertrages 1552 gefährdet war.22)

Das in der Inschrift I als Initialen wiedergegebene lateinische Bibelzitat VERBVM DOMINI MANET IN AETERNVM ist hier sicherlich auch als die Devise der Protestanten zu verstehen, die 1531 vom Schmalkaldischen Bund angenommen wurde und bis zur politischen Konsolidierung des Protestantismus im Augsburger Religionsfrieden 1555 große Verbreitung gefunden hatte.23) Das voranstehende deutschsprachige Zitat aus dem Römerbrief war ebenfalls um die Jahrhundertmitte als protestantische Devise gebräuchlich.24)

Den Hexameter der Inschrift FC hat Luther selbst als „epitaphium“ gewählt. Der Vers wurde von den Reformatoren als Ausspruch Luthers weitergetragen und hatte offenbar größere Verbreitung gefunden. Melanchthon hat ihn auf das letzte, im Jahr 1546 gezeichnete Porträt Luthers geschrieben25) und auf diese Weise vielleicht diesen Typus des Gedächtnisbildes angeregt.26) Eine besondere Ehrung Luthers in der Marktkirche durch Bildnismedaillon und Inschriften war schon allein deshalb geboten, weil Luther hier mehrfach gepredigt hatte und sein Leichnam während der Überführung von dem Sterbeort Eisleben nach Wittenberg hier in der Nacht vom 20. zum 21. Februar aufgebahrt war.27) Dr. Justus Jonas war von 1541 bis 1547 als erster lutherischer Prediger und Pfarrer an der Marktkirche sowie Superintendent von Halle tätig (s. Nr. 211).

Die Vollendung der Marktkirche ist als Werk des führenden hallischen Renaissancebaumeisters Nickel Hofman inschriftlich bestätigt (M). Der zweite Bauabschnitt der Marktkirche begann 1542 und endete 1549; eine Emporenanlage war von Anfang an geplant. Die Mitwirkung Hofmans ist aber erst durch Inschrift B für das Jahr 1549 unmittelbar bezeugt und durch die Inschriften D, H, MA und RA eindeutig mit dem Einbau der Emporen verbunden. Dementsprechend sah Rolf Hünicken in Hofman nur den Schöpfer der Emporenanlage,28) die Inschrift C zufolge 1549 mit der Westempore begonnen wurde. Hans-Joachim Krause dagegen nimmt an, daß B mit den Initialen Hofmans den Abschluß des Hallenbaus datiert. Die Werkeinheit von westlichem Pfeilerpaar, dessen Errichtung die Voraussetzung für die 1549 abgeschlossene Einwölbung gewesen war, von Westempore und den in den Ecken liegenden Emporentreppen spräche für eine durchgängige Bauleitung Nickel Hofmans. Er müsse schon vor 1549 die Vollendung des Projekts übernommen und 1550 mit dem Einbau der Langseitenemporen fortgesetzt haben.29)

Ob Nickel Hofman der maßgebliche Werkmeister für den gesamten zweiten Bauabschnitt der Marktkirche oder vielleicht nur für dessen letzte Phase, den Einbau der Emporen von 1549 bis 1554, gewesen war, bedarf noch weiterer Forschungen. Hofman war bis 1545 an Schloß Hartenfels in Torgau tätig; seine vermutlich erste, inschriftlich belegte Arbeit in Halle ist der Umbau der Wasserkunst am Mühlgraben 1548 (Nr. 38). Seit 1549 war Hofman am Bau der Marktkirche beschäftigt; das Bürgerrecht von Halle erwarb er 1550. Als Steinmetz und Werkmeister hatte er in den folgenden Jahrzehnten wesentlichen Anteil an der renaissancehaften Umgestaltung des Stadtbildes. Seine Hauptschaffenszeit liegt in den 1550er und 1560er Jahren, als er nach der Marktkirche die Moritzkirche vollendete (s. Nr. 168), das Rathaus und das Talhaus umbaute (s. Nr. 171, 172) und sein zweites Hauptwerk in Halle, die Umbauung des Stadtgottesackers, begann und in Teilen ausführte (s. Anhang 1). Darüber hinaus hat er eine Vielzahl weiterer Bauvorhaben in Halle und in anderen Städten (u. a. in Merseburg und Schweinfurth) ausgeführt. Hochbetagt starb er wahrscheinlich im Jahr 1592.30)

Der in Inschrift Q zeichnende Thomas Rinckler stammte aus München und könnte ebenfalls am Schloßbau in Torgau beschäftigt gewesen sein.31) Bereits 1546 ist er als Steinmetz in Halle nachweisbar (s. Nr. 147). Die Eheberedung mit der ratssässigen Familie von Delitzsch im Januar 1548 bezeugt, daß er in Halle wirtschaftlich etabliert war. 1550 erwarb er das hallische Bürgerrecht.32) Er arbeitete mit Hofman – vermutlich als dessen Parlier – seit 1549 an der Marktkirche und später am Stadtgottesacker (s. Anhang 1). Sein Steinmetzzeichen erscheint schon 1549 an exponierter Stelle (C). 1559 war er auch als Bildhauer für die Familie von Schenitz tätig (s. Anhang 1, Nr. 13D).33) Rinckler starb 1571 in Halle.34) Ob sich die beider Werk preisende Inschrift K tatsächlich auf den großen Abhängling der Rippen des Mittelschiffgewölbes bezieht, wie manche Autoren meinen,35) steht dahin. Sie könnte sich eher auf den Inschriftträger selbst beziehen, einen schmalen Gang, der die Süd- mit der Ostempore verbindet und sich auch gestalterisch an die Emporengestaltung anschließt. Der Gang wird hauptsächlich von zwei großen Werksteinen getragen, die nicht durch Konsolen, Pfeiler oder Bögen gestützt werden. Diese bautechnische Meisterleistung weckt sicherlich in jedem die Frage, WIE SICH DISE 2 STVCK TRAGEN.

Die zwischen 1549 und 1554 datierten Bauinschriften geben verläßlich die Bauzeit und aufeinanderfolgenden Bauabschnitte der Emporen wieder. In den Jahren 1553 und 1555 wurden Stiftungsmittel zur Vergoldung der Buchstaben zur Verfügung gestellt.36)

Das Medaillon mit Inschrift FC ist 1553 vielleicht als private Stiftung Jobst Kamerers entstanden. Kamerer ist seit 1524 als Goldschmied und Medailleur in Halle nachweisbar und starb nach 1558. Weil nach Einführung der Reformation große kirchliche Aufträge für Goldschmiede ausblieben, versuchte er neue Einkommensquellen zu erschließen und Auftraggeber zu finden, indem er Bildnisse berühmter Zeitgenossen (Karl V., Kardinal Albrecht von Brandenburg, Luther) auf Messingplatten punzierte und diese an potentielle Käufer verschickte. Es haben sich mehrere solcher Bildnisse Luthers erhalten, die zwar anders angelegt sind als das Medaillon, aber auch das Lutherzitat PESTIS ERAM VIVVS tragen und mit IK signiert sind.37)

Das zweite Emporengeschoß auf der Nordseite und die große Orgelempore im Westen entstanden erst 1697/98 bzw. vor 1713–1716, als die Orgel gebaut wurde.38) Ihre Brüstungsinschriften werden deshalb hier nicht berücksichtigt.

Textkritischer Apparat

  1. NICKEL HOFMAN] Die Initialen durch Nexus litterarum verbunden und hier nach den Inschriften MA und MB ergänzt.
  2. · 1 · 5 ·· 4 · 9 ·] Die Zahlenpaare durch ein Steinmetzzeichen getrennt; s. Anhang 2, Nr. 14.
  3. 1549] Zwischen der ersten und der zweiten Ziffer ein Steinmetzzeichen; s. Anhang 2, Nr. 13.
  4. NICKEL HOFMAN] Zwischen den Initialen ein Steinmetzzeichen (s. Anhang 2, Nr. 14); Ergänzung nach den Inschriften MA und MB.
  5. IST ·] Anstelle des üblichen Worttrenners vier kreuzförmig angeordnete Rauten.
  6. 3 ·] Nach dem Worttrenner ein Ornament zwischen zwei senkrechten Linien.
  7. MARTINVS LVTHERVS] Zwischen den Worten das Medaillon mit dem Wappen Luthers.
  8. 1483 DOCVIT] Zwischen Jahreszahl und Wort das Medaillon mit dem Wappen Luthers.
  9. PESTIS · ERAM · VIVVS] Vor der Wortgruppe ein florales Ornament, danach eine fünfblättrige Blüte.
  10. IOBST KAMERER] Auflösung nach Brinkmann 1971, S. 240.
  11. · DOCTOR · MARTINVS · LVTHERVS ·] Auflösung nach Inschrift FA.
  12. DAS] Verschränkung von D und A.
  13. TODT] Verschränkung von D und T.
  14. HINDORICH] Das R dem O eingeschrieben. Ab dem vierten Buchstaben ist die Inschrift in Verlängerung der Schriftzeile in den Pfeiler eingehauen.
  15. GEDRVNGEN] Verschränkung von R, V und G.
  16. IOHA] Die ersten drei Buchstaben des Wortes stehen noch auf dem Pfeiler.
  17. EV] Sic! Vielleicht für LV(KAS).
  18. IM] Zu ergänzen ist IAHR.
  19. 1554] Minderzahl; danach ein Steinmetzzeichen; s. Anhang 2, Nr. 14.
  20. IONAS HIC] Zwischen den Worten Medaillon mit Darstellung des biblischen Jonaswunders.
  21. IVSTVS // IONAS] Zwischen den Initialen die Darstellung des Jonaswunders.
  22. IGLICHER · EMPFAHE] Sic! Für IEGLICHER · EMPFANGE.
  23. SEL] Sic! Für SEI.
  24. IRES · VATERS REICH] Ab dem zweiten Buchstaben des ersten Wortes setzt sich das Gesims mit der Inschrift an der Westwand fort.
  25. THOMAS RINCKLER] Zwischen die Initialen ragt ein Steinmetzzeichen (s. Anhang 2, Nr. 13); Ergänzung der Initialen in moderner Schreibweise.

Anmerkungen

  1. Die bauzeitliche Empore im Westen ist heute hinter der barocken Orgelempore verborgen.
  2. Gesims und Brüstung der Ostempore (mit Inschrift J) haben den gleichen Aufbau wie an den Langseitenemporen, liegen aber ca. 200 cm höher als diese.
  3. Zur Bau- und Restaurierungsgeschichte der Kirche s. Einleitung, S. XXII f.
  4. Alle drei Inschriften wurden von Hans-Joachim Krause während der umfassenden Restaurierung der Kirche 1968–1983 erfaßt. Sie sind heute nicht zugänglich.
  5. Die Buchstabengrößen hier zumeist nach Krause 1995 angegeben. Wegen ihrer hohen Anbringung sind die Inschriften ohne technische Hilfsmittel nicht vermessbar.
  6. Ps 84,2.
  7. 1 Mo 1,1.
  8. 1 Mo 1,27; Rö 5,12; Gal 3, 19; 1 Mo 22,18; Gal 3,16.
  9. Übersetzung des Hexameters (s. u.) nach DI 33 (Stadt Jena), Nr. 63.
  10. Jh 3,16.
  11. Jh 1,29; 1 Jh 5,7; 1 Jh 5,4; 1 Jh 5,18; Rö 8,31; 1 Pt 1,25.
  12. Jh 5,24.
  13. Jh 14,23; Lk 11,28; Mt 7,15; Mt 15,9.
  14. Gal 1,8; Mt 5,10.
  15. Mt 24,42; Off 14,13; 2 Ko 5,10; 1 Ko 15,55.
  16. Mt 13,43.
  17. Siebmacher IX, 1, Taf. 50.
  18. Ring, innerhalb ein gesichteter Mond.
  19. Siebmacher IX, 3, Taf. 50.
  20. Entgegen der Auffassung des Bearbeiters bezweifelt Friedrich de Boor, daß diese Aussagen im Zentrum der Zitatenkompilation stehen, weil die für Luthers Rechtfertigungslehre entscheidenden Stellen aus dem Römerbrief fehlten; de Boor 2004, S. 27; siehe auch ebd., S. 24.
  21. Ebd., S. 27.
  22. Vgl. Einleitung, S. XVI f.
  23. Löbe 1883, S. 165 f., 232, 259; Ludolphy 1982, S. 279–282.
  24. Vgl. z. B. die Hausinschriften DI 7 (Naumburg 2), Nr. 235 (1553) und DI 62 (Lk. Weißenfels), Nr. 117 (1535).
  25. Siehe DI 19 (Stadt Göttingen), Nr. 131; DI 33 (Stadt Jena), Nr. 63; Krause 1995, S. 429 f. (Anm. 154).
  26. Das Porträtmedaillon aus der hallischen Marktkirche ist mehrfach kopiert worden; siehe Nr. 265.
  27. Delius 1953, S. 98–100.
  28. Hünicken 1936, S. 91 f.; daran anschließend Volkmann 1959, S. 1281 f.
  29. Krause 1983, S. 244 f.; daran anschließend Broda 1998, S. 137, 139, 152.
  30. Zur Biographie N. Hofmans s. Thieme/Becker 17, 1924, S. 278 f.; Broda 1998, insbesondere S. 294–303; Hofestädt 2006a. Zu Hofmans Tätigkeit in Torgau siehe insbesondere Broda 1998, S. 113–132. Die hallische Wasserkunst wird bei Broda nicht erwähnt.
  31. Krause 1983, S. 245–247, 252 (Anm. 66).
  32. Dreyhaupt 2, 1750, Beylage B, S. 29 („Geschlecht derer von Delitzsch“); Hünicken 1936, S. 91 f., 131 (Anm. 274); Hofestädt 2006b.
  33. Vgl. auch DI 52 (Stadt Zeitz), Nr. 116 (Epitaph für Magdalena Walther, die Ehefrau des Hans von Schenitz).
  34. Hünicken 14, 1938, S. 330.
  35. So Krause 1995, S. 408; Broda 1998, S. 137. 1983 bezog Krause die Inschrift noch auf die Empore; ebd., S. 247.
  36. Krause 1995, S. 423 (Anm. 150).
  37. Zu J. Kamerer (Camerer) allgemein: AKL 15, 1997, S. 667 f. (Jürgen Tiede); zum Lutherbildnis: Brinkmann 1971.
  38. BKD Prov. Sachsen NF 1, S. 66; Harksen 1984, S. 19; Rüger 2009, S. 12.

Nachweise

  1. Fotografie LDA, Format KB, Neg.-Nr. K 29 / F 7 / 40 (B); Format 13/18, Neg.-Nr. 22120 (C).
  2. Olearius 1667, S. 22 f. (F, K, MA), 49 (OA), 168 (F), 267 f. (C, D, MA, R).
  3. Dreyhaupt 1, 1749, S. 1020 (F).
  4. Stiebritz 2, 1773, S. 38 (R), 40 (FA–FC unvollständig).
  5. Knauth 1857, S. 686 (K).
  6. vom Hagen 1, 1867, S. 199 (K).
  7. BKD Prov. Sachsen NF 1, S. 32–36 (D, F, K, M, OA, Q, R).
  8. Schultze-Galléra 1920, S. 279 (Anm. 43: RA, RB).
  9. Ficker 1929, S. 57 (FC).
  10. Hasse 1948, S. 6 (MA), 11 (OA), 14 (FA, FC unvollständig).
  11. Volkmann 1959, S. 1285 (RB).
  12. Krause 1983, S. 244 f. (B, C), 247 (K), 252 (M, OA).
  13. Krause 1995, S. 422–432.
  14. Broda 1998, S. 137 (K), 141 (Anm. 655: OA; Anm. 658: EA), 142 (Anm. 659: EB–FB, G, I; Anm. 660: J, L, N, P), 150 (M), 151 (RB), 152 (Anm. 690: A), 157 (Anm. 708: F).
  15. de Boor 2004, S. 22–27 (E, G, I, J, L, N, P).
  16. Rüger 2009, S. 4 (MA), 10 (RB), 25 (OA), 28 (EA, FA, FB, PB).

Zitierhinweis:
DI 85, Halle/Saale, Nr. 152 (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di085l004k0015202.