Inschriftenkatalog: Die Inschriften der Stadt Halle an der Saale

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 85: Halle/Saale (2012)

Nr. 142† Jacobikapelle † vor 1540 (?)

Beschreibung

„An einem alten Balcken über dem Eingange der Capelle (...) mit Münchsschrifft“ ein Name „eingehauen“.1) Die am Großen Sandberg, an der Abzweigung der Gasse Kleiner Sandberg gelegene Kapelle wurde 1797 abgebrochen.2)

Nach Olearius.

Schriftart(en): Gotische Minuskel (?).

  1. Elisabetha Uladislai primi Regis Bohemiae filia.

Übersetzung:

Elisabeth, Wladislaws, des ersten Königs von Böhmen, Tochter.

Kommentar

Die Jacobikapelle wurde von Wiprecht II. von Groitzsch gestiftet, der seit 1118 als Burggraf von Magdeburg den erzbischöflichen Stadtherrn in Halle vertrat.3) Nach einer Wallfahrt nach Santiago de Compostela förderte Wiprecht die Verehrung des Apostels Jakobus in Mitteldeutschland, insbesondere durch die Stiftung eines Jakobsklosters in Pegau (Sachsen) Ende des 11. Jh. Diesem hat Erzbischof Adelgot von Magdeburg (1107–1119) die Jacobikapelle inkorporiert.4) Nach der Säkularisierung des Klosters 1540 gelangte die Kapelle 1554 in Privatbesitz, wurde 1599 geschlossen, 1698 aber als „Bet- und Allmosen-Haus“ wiedereröffnet.5)

Im 17. Jh. erzählte man sich, daß in der Jacobikapelle eine Königin begraben sei, weil über dem Eingang eben diese Inschrift stehe.6) Tatsächlich handelt es sich vermutlich um die Beischrift einer Stifterdarstellung oder eine Stifterinschrift bzw. um ein Fragment derselben, die des Stifterpaares Wiprecht von Groitzsch und Judith von Böhmen gedenkt. Judith war eine Tochter Wratislaws II. (1061–1092), der 1085 als erster und für lange Zeit einziger Herzog von Böhmen die Königswürde erlangte.7) Der hier vorliegende Namenswechsel von Judith zu Elisabeth bedarf noch der Erklärung.

Wenn „Münchsschrifft“ wie üblich die Gotische Minuskel meint, dann ist die Inschrift erst im späten Mittelalter als eine Historische Nachricht entstanden, die – vielleicht in einem juristischen Konflikt – den Stiftungsakt in Erinnerung bringen sollte. Einen solchen Konflikt gab es in den 1490er Jahren wegen der Tätigkeit einer Jakobsbruderschaft.8) Vergleichbar wären zwei Inschriften, die der Gründung der Bischofskirche in Zeitz durch Kaiser Otto I. im Jahr 968 gedenken, aber erst um 1536 über einem Portal der Zeitzer Kirche angebracht worden sind.9) Den Anlaß gab vermutlich der anhaltende Streit mit der Naumburger Kathedrale um den rechtmäßigen Bischofssitz.

Der Zusatz „ehemals“ bei Dreyhaupt weist darauf hin, daß die Inschrift im 18. Jh. nicht mehr existierte.10) Sie war die einzige Inschrift, die an die Frühgeschichte der Stadt Halle erinnerte.

Anmerkungen

  1. Dreyhaupt 1, 1749, S. 933.
  2. Runde 1933, S. 44.
  3. Vgl. UBH I, S. 21–25 (Nr. 17), hier S. 24 f.; siehe auch Einleitung, S. XIII.
  4. UBH I, S. 20 f. (Nr. 16); zur Stiftung der Jacobikapelle zuletzt Bünz 2008.
  5. Dreyhaupt 1, 1749, S. 933–937. Nach Schultze-Galléra 1920, S. 80 f. schon 1568 geschlossen.
  6. Olearius 1667, S. 24.
  7. Zu Wratislaw II. s. LexMa 8, 2002, Sp. 1873 f. (J. Žemlička); zu Wiprecht II. von Groitzsch s. LexMa 9, 2002, Sp. 244 f. (Ch. Lübke); siehe auch Schwennicke NF I, 2, 1999, Taf. 177 („Přemysliden“).
  8. Dreyhaupt 1, 1749, S. 934.
  9. Es handelt sich um Repliken zweier Tafeln, die in verschiedenen, aber zeitüblichen Schriftformen (Gotische Minuskel bzw. Kapitalis) ausgeführt wurden; DI 52 (Stadt Zeitz), Nr. 89, 90.
  10. Dreyhaupt 1, 1749, S. 933.

Nachweise

  1. Olearius 1667, S. 24.
  2. Dreyhaupt 1, 1749, S. 933.

Zitierhinweis:
DI 85, Halle/Saale, Nr. 142† (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di085l004k0014206.